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Die dritte Welle brechen. Für einen Strategiewechsel in der Pandemiebekämpfung

Die Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler, und die Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, fordern die Bundesregierung zu einem Neustart bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie auf. Sie legen hier ein Papier vor, das die jetzt notwendigen Schritte umreißt.

Deutschland ist sehenden Auges in die dritte Welle gerauscht. Die Inzidenzen steigen, die Krankenhäuser füllen sich und mit den Virus-Mutationen drohen mehr schwere Verläufe und noch mehr gesundheitliche Langzeitschäden. Die Pläne der Bundesregierung vor der letzten Beratung waren unausgegoren, aber stattdessen gar nichts zu tun, ist verantwortungslos. So wird sich das Virus weiterverbreiten. Wir brauchen einen solidarischen Lockdown, um das exponentielle Wachstum zu brechen und die Infektionszahlen zu senken, eine flächendeckende Teststrategie, die Beschleunigung der Impfungen, Kontaktnachverfolgung und kostenfreie Schutzausrüstung.

Die Bundesregierung setzt ihre gescheiterte Strategie fort: einseitige Eingriffe ins Privatleben und in einzelne Branchen statt eines tragfähigen Konzepts zur Pandemiebekämpfung. Wir brauchen Verbindlichkeit in der Arbeitswelt und der Wirtschaft. Bisher werden Unternehmen um "Selbstverpflichtung" gebeten, wenn es um Testangebote und einen wirksamen Infektionsschutz am Arbeitsplatz geht. Trotz Masseninfektionen in verschiedenen Firmen werden Unternehmen kaum kontrolliert. In den Arbeitsschutzbehörden fehlt seit Jahren Personal. Es fehlt bis heute eine verbindliche Regelung zum Homeoffice für Beschäftigte. Die Folge: Infektionsketten im Arbeitsleben werden nicht unterbrochen – das gefährdet die Gesundheit und das Leben vieler Menschen. Die quälenden Einschränkungen im Privatleben, das Hin und Her von Schulöffnungen und -schließungen, die Folgen des Lock-down für kleine Betriebe und den Kulturbereich werden über Gebühr verlängert. Jetzt werden Ausgangssperren ins Gespräch gebracht. DIE LINKE lehnt flächendeckende Ausgangssperren ab.

Corona und die Folgen treffen Menschen mit geringem Einkommen besonders hart. Wer ärmer ist, infiziert sich häufiger, der Verlauf ist schwerer, die Wahrscheinlichkeit zu sterben größer. Für Selbständige ist die Krise oft das Ende der wirtschaftlichen Existenz. DIE LINKE fordert einen Strategiewechsel in der Pandemiebekämpfung, um die Infektionsketten wirksam zu unterbrechen und alle in dieser Krise sozial abzusichern. Das Pandemiemanagement durch die Runden von Kanzlerin und MPK ist gescheitert, getroffene Regelungen waren nicht verbindlich und wurden nicht eingehalten. Es braucht jetzt endlich einen Plan und einen bundesweit einheitlichen Rahmen unter parlamentarischer Kontrolle: der Bundestag muss entscheiden, das Infektionsschutzgesetz muss entsprechend geändert werden.

Infektionsschutz in der Arbeitswelt wirksam durchsetzen!

  1. Umkehr der Beweispflicht für Arbeitsschutzmaßnahmen: Arbeitgeber müssen pro-aktiv nachweisen, dass in den Betrieben die AHA-Regeln, Maskenpflicht und Arbeitsschutz einhalten. Es wird eine Hotline für Betriebsräte und Beschäftigte eingerichtet, bei der Verstöße gegen Gesundheits- und Infektionsschutz im Betrieb anonym gemeldet werden können. Ab einer 7-Tage-Inzidenz 20/100.000 Einwohner über einen Zeitraum von 14 Tagen müssen Betriebe verpflichtet werden, Home-Office zu ermöglichen - und umgekehrt nachweisen, wenn Home-Office nicht möglich ist.
  2. Recht auf tägliche Testung für alle Beschäftigten, die nicht im Homeoffice arbeiten können: Testangebote müssen für die Arbeitgeber verpflichtend sein und die Kosten von den Arbeitgebern getragen werden. Betriebsschließungen mit Lohnersatz bei Infektionsclustern: tritt bei den Tests ein Infektionscluster auf, muss der Betrieb für 14 Tage geschlossen werden, das Arbeitsschutzkonzept auf den Prüfstand und vor Öffnung vom Gesundheitsamt genehmigt werden.
  3. Bei Betriebsschließungen muss Kurzarbeitergeld gezahlt werden. Das Kurzarbeitergeld muss für alle Beschäftigten in Kurzarbeit sofort auf 90 Prozent, im Niedriglohnbereich auf 100 Prozent erhöht werden.
  4. Beschäftigte aus besonderer Risikogruppe schützen: Diese Beschäftigten (u.a. Beschäftigte über 60 Jahre) sollten in Bereichen, in denen kein dauerhaftes Home-Office möglich ist, das Recht haben mit erhöhtem Kurzarbeitergeld freigestellt zu werden. Auftretende Personalengpässe müssen durch eingeschränkten Betrieb oder mehr Personal aufgefangen werden, Überstunden mit gesetzlichen Zuschlägen bezahlt werden. Diese Regelung sollte für acht Wochen gelten.
  5. In Kitas und Schulen, Assistenz und personennahen Dienstleistungen muss eine Verpflichtung zu täglichen Tests greifen, die Hygienekonzepte an den Schulen sind an die aktuelle Infektionslage anzupassen. Wenn Schulen und Kitas wegen hoher Inzidenzen geschlossen werden, müssen verbindlich Notbetreuung und digitales Lernen organisiert werden. Es muss ein verbindliches Recht auf Betreuungs-Freistellung mit einem auf 90 Prozent des Lohns erhöhten Corona-Kinderkrankengeld geben.
  6. Sammelunterkünfte für Beschäftigte – etwa in der Fleischindustrie, Saisonarbeit, Baugewerbe u.a. – müssen geschlossen und sofort durch Unterbringung in Hotels / Pensionen durch die Arbeitgeber ersetzt werden. Die Arbeitgeber müssen verpflichtet werden, zeitnah angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Auch Sammelunterkünfte für Obdachlose und Geflüchtete müssen durch Unterbringung in Hotels und Pensionen ersetzt werden.
  7. Pflexit verhindern: Das Pandemiemanagement der Bundesregierung wird auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen. Ein Drittel der Pflegekräfte überlegt, den Beruf nach Corona aufzugeben. Wir fordern tägliche Tests und eine sofortige Zulage von 500 Euro/Monat für alle Pflegekräfte, auch um Berufs-Rückkehrern zu gewinnen.
  8. Gesundheitsämter aufstocken. Nur durch ein Sofortprogramm für weiteres Personal in den Gesundheitsämtern kann die Kontaktnachverfolgung sichergestellt und bei niedrigeren Inzidenzen eine nachhaltige und sichere Öffnung geschlossener Bereiche gelingen.
  9. Niemanden zurücklassen. Soziale Absicherung und Schutz für alle Statt bürokratischem Großaufwand für Masken-Gutscheine: Freie Ausgabe von FFP2-Masken im ÖPNV und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens. Im ÖPNV muss eine FFP2-Maskenpflicht gelten. Flächendeckend kostenfreie Tests, um Infektionen frühzeitig zu erkennen.
  10. Während der Pandemie braucht es einen Mietenstopp bei wegbrechenden Einkünften. Die Stundung von Gewerbe-Mietrückständen und der Kündigungsschutz, die in der ersten Welle geregelt wurden, müssen rückwirkend weitergeführt werden. Es darf keine Stromsperren geben. Wer ALG II oder Grundsicherung im Alter bezieht, muss sofort einen monatlichen Zuschlag von 100 Euro erhalten.
  11. Bildungs-Ungerechtigkeit abfedern: Die Pandemie verschärft die schon bestehende Bildungsungleichheit. Es braucht einen Anspruch für Auszubildende und Studierende auf "Corona-Auszeit" (u.a. keine Anrechnung auf BaföG-Zeiten). Schüler sollten in der Pandemiezeit nicht benotet werden. Eine Vergleichbarkeit ist wegen ungleichen Voraussetzungen bei Home Schooling und digitaler Ausstattung nicht gegeben. Alle Schüler*innen sollten am Ende des Schuljahres in die nächste Jahrgangsstufe versetzt werden (bei Möglichkeit der freiwilligen Wiederholung der Jahrgangsstufe).
  12. Von Betriebsschließungen oder -einschränkungen betroffene Unternehmen müssen weitere Staatshilfen erhalten, um Unternehmensinsolvenzen zu vermeiden (u.a. Verlängerung des vereinfachten Zugangs in Kurzarbeit). Für Solo-Selbständige und Kleinunternehmern fordern wir die Zahlung eines "Unternehmer-Lohns" von 1200 Euro.

Die Krisenkosten gerecht verteilen!

Die Zahl der Milliardäre ist in der Corona-Pandemie gewachsen. Die Vorstände der DAX-Konzerne haben im vergangenen Jahr im Schnitt jeweils 4,9 Mio. Euro erhalten. Unternehmen, die Kurzarbeit in Anspruch nehmen oder andere Staatshilfen erhalten haben, müssen, statt Dividenden auszuzahlen, in einen Corona-Sicherungsfonds für die jeweilige Branche einzahlen. Zur gerechten Finanzierung der Krisenkosten fordern wir eine einmalige Vermögensabgabe, beginnend mit10 Prozent für Privatvermögen ab 2 Millionen Euro und Betriebsvermögen ab 5 Millionen Euro. Das würde ausschließlich die reichsten 0,7 Prozent der Bevölkerung betreffen.

Schluss mit Lobbyismus und Klientelpolitik!

Das wiederholte Versagen der Bundesregierung und die Korruption in den Regierungsparteien haben das Vertrauen der Menschen schwer erschüttert und tragen erheblich zur Erschöpfung und Belastung der Bevölkerung bei. Es muss umfassend aufgearbeitet werden.

Das Positionspapier als PDF-Datei