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Die Charlie-Chaplin-Strategie

Rede der Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch auf dem Landesparteitag der LINKEN in Nordrhein-Westfalen

Liebe Genossinnen und Genossen, ich möchte euch im Namen der ganzen Partei herzlich danken!

Ihr habt nicht nur einen großartigen Wahlkampf organisiert und ein sehr gutes Ergebnis erreicht, ihr habt auch sehr umsichtig und klug nach der Wahl gehandelt. Alle Diffamierungen und Unterstellungen habt ihr ruhig und selbstbewusst zurückgewiesen. Demütigung habt ihr ertragen und das Ziel nicht aus den Augen verloren: Einen Politikwechsel im Sinne der Menschen dieses Landes! Trotz des Trommelfeuers einiger Medienkonzerne gegen DIE LINKE in NRW, werden immer mehr Menschen Mitglieder des NRW-Landesverbandes. Jetzt sind es schon über 9000! Das ist ein tolles Ergebnis. Der Zuwachs an Mitglieder ist ein hervorragender Gradmesser für die Wirksamkeit unserer Politik.

Nicht nur unsere Partei schaut nach NRW und ist gespannt, wie ihr mit den riesigen Herausforderungen umgeht. Ihr könnt euch sicher sein, dass der Parteivorstand und jede Genossin und jeder Genosse euch solidarisch unterstützen wird. Denn hier in NRW wird das Fundament für weitere Erfolge der ganzen Partei gelegt. Wenn Ihr erfolgreich die Interessen eurer und unserer Wählerinnen und Wähler vertretet, dann werden wir auch in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg in die Landesparlamente einziehen.

Ihr seht, so ganz nebenbei wird Euch noch zusätzlich Verantwortung übergeholfen. Jetzt haben SPD und Grüne einen Koalitionsvertrag vorgelegt. Es ist wichtig, diesen Koalitionsvertrag wach und kritisch zu bewerten. Aber ich glaube, dieser Vertrag ist eher kein Angebot an CDU und FDP, sondern eher ein Angebot an uns.

Wir sollten dieses Angebot ernsthaft und kritisch prüfen. Auf den ersten Blick finden sich in dieser Vereinbarung viele Forderungen, die wir auch im Wahlkampf vertreten haben. Ich denke nur an das längere gemeinsame Lernen in den Schulen oder an die Abschaffung der Studiengebühren. Ich finde es gut, dass öffentliche Aufträge an soziale und ökologische Bedingungen geknüpft werden sollen. Das ist der Einstieg in den Mindestlohn! Eine ganz wichtige Forderung der Partei DIE LINKE.

SPD und Grüne wollen auch wieder mehr Demokratie wagen und die Menschen in wichtige Entscheidungen einbeziehen. Das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt werden. Das ist auch linke Politik. Frau Kraft will Kredite aufnehmen, um eine sozialere Politik finanzieren zu können. Damit steht sie im Widerspruch zur Bundesregierung, die alles tut, um die schwache Konjunktur mit Kürzungspaketen auszubremsen.

Führende Ökonomen, wie Nobelpreisträger Paul Krugman, haben die Haushaltspolitik der Bundesregierung deswegen heftig kritisiert. Doch die Bundesregierung hält starrsinnig an ihrer ökonomisch unsinnigen und gefährlichen Politik fest. Der NRW-Koalitionsvertrag zeigt der Bundesregierung den finanzpolitisch nachhaltigen Weg. Wenn die NRW-CDU nun erklärt, dass eine höhere Kreditaufnahme zukünftige Generationen belaste, dann ist das hochgradig verlogen. Erstens: Ein Großteil der Schulden ist Erblast von CDU und FDP. Zweitens: Gehören die Kinder, die in Zukunft von der christlich-liberalen Regierung kein Elterngeld mehr bekommen, nicht zur nächsten Generation?

Die nächste Generation besteht einerseits aus Kindern, die aus armen Familien kommen und keine Bildungschancen durch die Bundesregierung erhalten und andererseits aus Kindern, die mit Elterngeld, Kindergeld, Erbschaften, Elitestipendien sehr gelassen in die Zukunft schauen können. Die Bundesregierung arbeitet intensiv an der Spaltung der nächsten Generation in Arm und Reich. Dem setzen wir einen entschlossenen Widerstand entgegen. Wir wollen keine gespaltene Gesellschaft, keine Gesellschaft der Ausgrenzung. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft. Das entspricht unserem Menschenbild. Ich habe die Wahlprogramme von SPD, Grüne und LINKE in NRW verglichen und habe eine große inhaltliche Übereinstimmung in vielen Fragen festgestellt.

Das wäre eine gute Grundlage für eine Koalition der sozialen Gerechtigkeit gewesen. Dazu ist es nicht gekommen. Das lag ebenso wie im Saarland, in Thüringen und Hessen nicht an der LINKEN. Die SPD konnte nicht über ihren Schatten springen und hat die Sonderierungsgespräche scheitern lassen. Der Mut hatte sie verlassen, das ist menschlich. Eine Minderheitenregierung ist immer die zweitbeste Lösung.

Doch tausendmal besser als die Fortsetzung der Rüttgers-Regierung, einer großen Koalition oder einer Ampel. SPD und Grüne sollen sehen, wie sie es in Hessen, Thüringen und im Saarland auch sehen konnten, dass wir sehr verlässlich sind, wenn es um mehr soziale Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft geht.

Da können sie mit unserer Unterstützung rechnen. Sie sollen aber auch wissen, dass wir sehr verlässlich sind in der Ablehnung fauler Kompromisse. Die LINKE in Landtag von NRW wird nicht ruhig in der Ecke sitzen, sondern eigenständige Politikangebote entwickeln. Wir werden kein Ja-Sage-Verein und keine Abnickmaschine sein.

Das haben SPD und Grüne auf Bundesebene bei der Wahl des Bundespräsidenten gerade anschaulich gelernt. Manche Aufschreie von Sozialdemokraten und Grünen nach der Wahl zeigen, dass es einen schmerzhaften Erkenntnisprozess gab.

Sie wissen jetzt, wenn DIE LINKE nein sagt, dann meint sie auch nein. Wir sind sehr berechenbar. Die Wählerinnen und Wähler können sich darauf verlassen, dass wir nicht unsere Überzeugung und Grundsätze für einen möglichen taktischen Vorteil aufgeben.

Natürlich können wir keinen Menschen zum Bundespräsidenten wählen, der Kriege und Hartz-IV unterstützt. Einige Genossen meinten, dass wir doch Joachim Gauck wählen sollten, um Christian Wulff zu verhindern. Diese Strategie hatte der PDS-Wahlkampfleiter 2002 zur Bundestagswahl auch empfohlen. Er gab die Losung aus: Stoiber verhindern! Das Resultat war: Die PDS-Fraktion flog aus dem Bundestag, Schröder blieb an die Macht und beteiligte sich an mehreren Kriegen und spaltete die Gesellschaft mit seiner Agenda 2010.

Mancher Stratege denkt um 5 Ecken und wundert sich, dass Menschen nicht bereit sind diesen komplizierten Gedankengängen zu folgen. Die Bundespräsidentenwahl ist ein politisches Lehrstück, dass wir uns genauer anschauen sollten. Nur die Strategie der LINKE hat dazu geführt, dass Christian Wulff erst im 3. Wahlgang gewählt und die Regierung geschwächt wurde. Nur weil wir eine eigene Kandidatin hatten, trauten sich einige Abweichler von CDU und FDP gegen Wulff zu stimmen und der Kanzlerin einen Denkzettel zu verpassen.

Im 3. Wahlgang – da bestand nur eine theoretische Möglichkeit, dass Gauck durch uns gewählt würde – stimmte die Koalition geschlossen für Wulff. Fazit: Die SPD hat sich verzockt. Es bestand nie die Chance für Joachim Gauck gewählt zu werden – mit oder ohne uns.

Gauck wurde von den Männern von SPD und Grüne instrumentalisiert und hat sich auch gern instrumentalisieren lassen. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass sich unsere Wählerinnen und Wähler nicht von dem Medienrummel haben verrückt machen lassen.

Ich wurde von einem Journalisten gefragt, ob wir mit der Wahl von Gauck nicht hätten zeigen können, dass wir in Deutschland angekommen sind. Diese Frage hat mich doch verwundert. Jeder, der nicht blind und taub ist, hat mitbekommen, dass wir in tausenden Kommunen, im Bundestag, in inzwischen 13 von 16 Landesparlamenten und im Europaparlament erfolgreiche Politik machen. Wir brauchen doch keine Absolution durch den evangelischen Pfarrer Gauck, um erfolgreich in diesem Land Politik zu machen!

Selbst wenn SPD und Grüne den Papst ins Rennen um den Bundespräsidenten geschickt und der DIE LINKE heilig gesprochen hätte, hätten wir ihn nicht gewählt. Wir biedern uns weder bei CDU und FDP, noch bei SPD und Grüne an und wir sind nicht beliebig.

Unser Erfolgsrezept ist Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit und Konsequenz in unserer alltäglichen Politik für die Bürgerinnen und Bürger. So wie wir von unserem Arzt verlangen, dass er uns vor der Operation erklärt, was er vorhat, müssen wir den Menschen erklären, was wir in der Politik vorhaben. Das schafft Vertrauen.

Dazu möchte ich euch eine Geschichte erzählen. Albert Einstein sagte zu Charlie Chaplin, dass er ihn beneide: Alle Menschen verstünden seine Kunst und bewunderten ihn. Darauf sagte Chaplin: Ich beneide Sie noch viel mehr, denn kein Mensch versteht Sie und trotzdem werden Sie von allen bewundert. Ich habe aus dieser Anekdote folgende Schlussfolgerung gezogen: Die Menschen wählen uns nur, wenn sie unsere Politik verstehen und sie ihnen einleuchtet. Das ist die Charlie-Chaplin-Strategie.

Wer meint, die Weltformel für eine bessere Gesellschaft gefunden zu haben und sich wundert, dass die Menschen sie nicht verstehen, der ist noch kein zweiter Einstein. Die Albert-Einstein-Strategie ist gut für die Wissenschaft, aber nur bedingt für die Politik geeignet.

Nichts ist praktischer als eine gute Theorie, aber auch die Theorie muss sich immer wieder an der Praxis messen lassen. Wir müssen bereit sein, ewige Gewissheiten immer wieder im praktischen Leben zu überprüfen und sie auch über Bord zu werfen, wenn sie sich überlebt haben.

Doch zurück nach NRW. Ihr habt euer erstes Wahlversprechen schon umgesetzt: DIE LINKE hat gesagt, Herr Rüttgers muss weg, und jetzt ist Rüttgers weg. Das ist der erste Erfolg, den wir feiern können! Die Wählerinnen und Wähler wollten keinen Ministerpräsidenten, der die Interessen der Lobbyisten über die Interessen der Wählerinnen und Wähler stellt. Wir sagen: Politik muss in einer Demokratie gewählt und nicht bestellt werden!Ich glaube, dass Lobbyisten bei Frau Kraft Politik nicht mehr bestellen können. Das ist eine Verbesserung. Aber es wird einem gigantischen Druck der Lobbyisten auf diese Minderheitenregierung geben und es wird unsere Aufgabe sein, dieser Regierung den Rücken so zu stärken, dass sie diesem Druck nicht nachgibt und immer die Bürgerinnen und Bürger im Auge behält. Wer dafür sorgt, dass Politik käuflich wird, wer den Lobbyisten dienst und nicht denen, die ihn gewählt haben, der legt die Axt an die Wurzel der Demokratie. DIE LINKE ist weder von Frau Merkel und Herrn Westerwelle noch von der Bild-Zeitung aufzuhalten, wir können uns nur selbst aufhalten.

Es gibt Journalisten, die schon am Horizont erkennen, dass SPD und Grüne DIE LINKE überflüssig machen könnten. Diese Sorge habe ich überhaupt nicht!Seit 1989 meinen ganz viele Kommentatoren, dass die PDS und jetzt die LINKE ein Auslaufmodell sei.

Da ist der Wunsch Vater des Gedankens!DIE LINKE wird vielleicht dann überflüssig, wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der es keine demokratiefreien Räume mehr gibt, in der alle Kinder die gleichen Bildungschancen haben, in der Menschen von ihrer Arbeit leben können und durch ihre Arbeit nicht die Umwelt zerstören, in der Soldaten keine Kriege mehr führen.

Aber sicher wird die LINKE auch nicht überflüssig sein. Karl Liebknecht schrieb in seinem letzten Artikel: Ob wir diesen Tag erleben werden ist ungewiss, leben wird unser Programm!Ich wünsche mir, dass eure reichhaltigen Erfahrungen in unsere Programmdiskussion einfließen werden und wir dann ein Programm haben, dass noch mehr Menschen den Weg in unsere Partei aufzeigt.

Liebe Genossinnen und Genossen, mit Euch ist die Politik in NRW und der ganzen Republik wieder interessanter und bunter geworden!Die Partei ist stolz auf Euch!Jetzt geht es darum, dass jeder Schritt von euch zu mehr Demokratie, mehr sozialer Gerechtigkeit führt. Dann seid ihr auf dem richtigen Weg. Ich freue mich auf diesen gemeinsamen Weg und wünsche Euch viel Erfolg.