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Katja Kipping

Das Warnsignal ernst nehmen

Erklärung von Katja Kipping im Parteivorstand nach den Wahlen am 26. Mai 2019

Die Wahlen am 26. Mai sind für uns ein Warnsignal, das wir ernst nehmen müssen. Bei einem Wahlergebnis von 5,5 Prozent müssen wir unsere Strategie und Haltung überprüfen.

Wenn unsere Wählerinnen und Wähler glauben, dass ihre Stimme für uns vielleicht richtig, aber irrelevant ist, weil die LINKE nichts verändern kann, dann stagnieren oder wir verlieren. Das ist bei den Europawahlen geschehen.

Die Wahl zur Bremer Bürgerschaft hingegen hat gezeigt, wie wir zulegen können. In Bremen war eine Stimme für die LINKE eine Stimme der aktiven Veränderung. In Bremen hat die LINKE von Anfang an klargemacht, dass sie bereit ist, ihr gutes Programm auch in einer Regierung umzusetzen.

Sie war nah dran an den Alltagssorgen in den Stadtteilen und hat zudem den Mut ausgestrahlt, die Stadt verändern zu wollen. Das hat die LINKE attraktiv gemacht.

Die starke Differenz zwischen Europawahl und Bremer Wahl lässt sich auch nicht dadurch erklären, dass wir in Städten generell besser abschneiden. Immerhin haben uns in Bremen deutlich mehr Menschen bei den Bürgerschaftswahlen als bei den Wahlen zum EP gewählt.

GroKo ist jetzt Mikro

Die einst großen Volksparteien sind die großen Verliererinnen der Europawahl. Die GroKo ist jetzt nur noch Mikro. Das wird Auswirkungen haben. Die Parteien stellen sich jetzt auf die ersten Bundestagswahlen nach Angela Merkel ein, wobei die CDU unter AKK nach rechts rückt.

Welche Konsequenzen die SPD aus ihren Verlusten zieht, ist noch offen. Klar ist, dass sie keine Zukunft in einer GroKo hat. Die Frage ist nur noch, welche Regierung kommt danach?

Ich meine, egal ob GroKo, Schwarz-Grün oder Jamaika, eine Regierung mit der Union wird sich weder ernsthaft den Zukunftsfragen stellen, noch die soziale Spaltung überwinden. Insofern braucht es Regierungsmehrheiten links der Union.

Wir als LINKE müssen dazu beitragen, dass bei den nächsten Bundestagswahlen eine Entscheidungssituation entsteht, in der SPD und Grüne Farbe bekennen müssen: Gehen sie nach links oder gehen sie nach rechts. Das klingt verwegen, aber das ist der Weg, den wir gehen müssen.

Neue gesellschaftliche Dynamik

Die neue gesellschaftliche Dynamik kann uns beim Kampf um neue linke Mehrheiten in die Hände spielen. Nachdem jahrelang rechte Provokationen die Debatte dominierten, stehen nun progressive Themen im Mittelpunkt, wie Klimaschutz oder Vergesellschaftung. Etwas Neues kann beginnen, etwas Neues, das aus der Gesellschaft selbst kommt.

Dies ist den neuen Bürger*innenprotesten zu verdanken. Sei es der Klimastreik, die Seenotrettung oder die zahlreichen Mieter*inneninitiativen.

Diese Initiativen fordern eine radikale Umkehr. Sie fordern eine Politik, die etwas ändert und anpackt. Für uns heißt das: Aus linken Ideen müssen linke Lösungen werden. Wir müssen die Dringlichkeit dieser Zeit in eine dringliche Politik der Veränderung übersetzen.

Glaubhafte Aussicht auf wirkliche Verbesserung

Die extreme Rechte geht leider gestärkt aus den Europawahlen. In einer Vielzahl von Gesprächen in Plattenbaugebieten, vor JobCentern, im Wahlkampf ist in mir eine Überzeugung gereift: Wenn wir den Rechtsruck nachhaltig aufhalten wollen, braucht es die glaubhafte Aussicht auf wirkliche Verbesserung.  

Kurzum, dieses Land braucht einen Kurswechsel hin zu einer Linksregierung, die

  • die Mitte deutlich besser stellt und alle vor Armut schützt,
  • die allen Arbeit garantiert, die zum Leben passt,
  • die mit Klimaschutz und Friedenspolitik sicherstellt, dass wir alle eine Zukunft auf dem Planeten haben.

Fahrplan neue linke Mehrheiten

Ich ziehe daraus folgende Schlussfolgerung: Wir müssen jetzt ernsthaft um linke Mehrheiten kämpfen. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Dazu gibt es Diskussionsbedarf – in unserer Partei und in der Gesellschaft.  

In den kommenden Monaten müssen wir deshalb folgendes anschieben:

  • Einen Fahrplan erstellen, wie wir uns für die nächsten Bundestagswahlen strategisch und personell aufstellen. Ob diese Wahlen planmäßig in zwei Jahren oder früher kommen, ist offen.
  • Diskussionsformate und Plattformen schaffen, bei denen wir mit gesellschaftlichen Akteuren darüber reden, wie solch ein gesellschaftlicher Kurswechsel aussieht.
  • All das muss mit einer Gesprächs- und Demokratisierungsoffensive in der Partei verbunden sein. Denn die Entscheidung, ob DIE LINKE Teil einer Linksregierung werden soll, darf nicht allein von einigen Funktionären getroffen werden, sondern muss von unserer Partei in ihrer Breite und letztlich auch durch eine Urwahlbeschlossen werden.

Um mich dieser Aufgabe als Parteivorsitzende mit aller Kraft zu widmen, habe ich mich bereits vor einiger Zeit entschieden, in diesem Sommer nicht für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren.

Mir war wichtig, dass wir die Personalfragen um den Fraktionsvorstand aus den Wahlkämpfen raushalten und es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich zuerst den Parteivorstand informiere.

Deshalb sage ich euch heute: Ich will mich jetzt mit aller Energie als Parteivorsitzende darauf konzentrieren, DIE LINKE für die Zeit nach der GroKo aufzustellen und den Kampf um neue linke Mehrheiten aufzunehmen.

Für die Fraktion hoffe ich, dass sich die verschiedenen Gruppen auf einen Zeitplan und eine Doppelspitze einigen, die möglichst breit getragen werden und dass sie sich auf ein Verfahren einigen, das dem Ernst der Lage gerecht wird.

70 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes, 30 Jahre nach dem Mauerfall steht dieses Land am Scheideweg. Ich meine, dieses Land muss den Kleinmut beim sozialökologischen Umbau hinter sich lassen.

Dieses Land braucht eine starke LINKE für mutigen Klimaschutz, für Friedenspolitik und für einen sozialen Aufbruch.

Dieses Land braucht neue linke Mehrheiten.