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Katja Kipping und Bernd Riexinger

Das Ruder jetzt herumreißen

Statements der Parteivorsitzenden der LINKEN, Katja Kipping und Bernd Riexinger, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Katja Kipping: Einen schönen guten Tag. Wie Sie wissen, hat es an diesem Wochenende in Elgersburg das Treffen der Fraktionsvorsitzenden, der Landesvorsitzenden und des Geschäftsführenden Parteivorstandes gegeben. Ich möchte Sie kurz über die Ergebnisse informieren.

Ein Thema war die drohende wirtschaftliche Rezession. Inzwischen sagt ja auch die Bundesbank, es wird kein Wirtschaftswachstum geben. Wir merken, dass die Auftragslage in Schlüsselbereichen deutlich zurückgeht. Deswegen haben wir uns auf ein Konjunkturprogramm verständigt. Wir legen als erste Partei ein Konjunkturprogramm vor, das die Frage von Beschäftigungssicherung mit den Fragen eines sozial-ökologischen Umbaus verbindet. Dieses Konjunkturprogramm hat verschiedene Bausteine.

Ich möchte ganz kurz auf drei davon eingehen: Zum einen schlagen wir ein Bundesprogramm für ein gesundes Essen für Kinder vor. Wir wollen in Schulen und Kitas einen Anreiz schaffen, dass der Um- bzw. Einstieg in die eigene Produktion von gesundem Mittagessen für jedes Kind gelingt. Dazu müsste von der Bundesseite ein finanzieller Anreiz geschaffen werden. Wir schlagen einen Investitionszuschuss von 500 Euro je zu versorgendem Kind bei einem Umstieg in die eigene Küche vor. Wir wollen im ersten Jahr, dass jedes Mittagessen mit einem Euro bezuschusst wird. Perspektivisch - meinen wir - muss es einen Anreiz geben, dass flächendeckend ein gebührenfreies Mittagessen in Kitas und Schulen angeboten wird. Deswegen sollte auf Bundesebene für die Zukunft ein Programm von sechs Milliarden Euro etabliert werden. Wichtig ist, die Kommunen und Ländern bei der Umsetzung zu unterstützen. Wir schlagen vor, dass jedes Mittagessen mit zwei Euro bezuschusst wird.

Der zweite Baustein ist die Kurzarbeit Plus. Es ist ja bekannt - Kurzarbeit ist ein Instrument, das vor allem in der Krise sehr gut gewirkt hat. Also die Beschäftigten arbeiten kürzer, aber der Lohn sinkt nicht im gleichen Maße, sondern der drohende Lohnausfall wird teilweise aufgefangen. Es gibt einen Ausgleich dafür. Bisher gibt es sehr harte Bedingungen dafür, dass diese Form der Kurzarbeit praktiziert werden kann. Wir meinen, das muss auch jetzt wieder möglich sein. Die Zugangskriterien müssen erleichtert werden. Wir wollen die Idee der Kurzarbeit mit der Idee des lebenslangen Lernens verbinden. Das heißt, es muss eine Art Bildungskomponente geben. Beschäftigten soll es künftig möglich sein, ihre Arbeitszeit mit Teilausgleich des Verdienstausfalls zeitweise zu verkürzen, um Angebote der Weiterbildung zu nutzen. Wir wollen, dass im Durchschnitt 15 Prozent der Arbeitszeit für Weiterbildung und Bildung verwendet werden können.

Der dritte Baustein, über den ich hier berichten möchte, ist die Investitionsoffensive für einen barrierefreien ÖPNV. ÖPNV - Bus und Bahn -, das ist nicht nur eine Frage der ökologischeren Mobilität, sondern das ist auch eine soziale Frage. Für viele ist es genau die Mobilitätsform, die sie sich überhaupt noch leisten können. Nicht alle haben das Geld für einen Pkw. Hier sagen wir, es muss mehr Geld in die Hand genommen werden, damit es sich die Kommunen auch wirklich leisten können, den ÖPNV - das Bus- und Bahnfahren - attraktiver auszugestalten. Wir schlagen vor, zur Verdichtung von Taktzeiten, zum notwendigen Ausbau im ersten Jahr eine Milliarde einzustellen.

Soweit ein kleiner Einblick in das Konjunkturprogramm. Zur Finanzierung schlagen wir eine entsprechende Vermögenssteuer vor und haben darüber hinaus Vorschläge, die wir ja bereits in unserem Steuerkonzept unterbreitet haben.

Nun werden Sie sicherlich auch Fragen zu den Personaldebatten haben. Insofern möchten wir Sie auch darüber informieren: Bernd Riexinger und ich hatten den Anwesenden das Angebot unterbreitet, dass es in einer großen Runde einen Austausch gibt. Hintergrund dieses Angebotes war, wir wollten zum einen aus einer Kultur herauskommen, wo nur im ganz kleinen Kreis darüber gesprochen wird und fanden auch, dass wir durchaus zum Stil der Kooperation kommen sollten und wollten die dort geäußerten Meinungen in die Entscheidungen einfließen lassen, in die Entscheidungen, die bei uns beiden anstehen. Da muss man feststellen, dass es bei vielen Anwesenden doch eine große Angst gab, dass Aussagen, die, wenn auch in einer geschlossenen, aber auch großen Runde stattfinden, am Ende doch ihren Weg in die Medien finden und man Sorge hatte, dass dann mit offenen Worten in dieser Runde womöglich eine Personaldebatte auch öffentlich vor Niedersachsen beheizt wird. Deswegen haben wir uns dann am Ende auf folgendes Verfahren verständigt, dass Bernd Riexinger und ich einen Vorschlag unterbreiten werden und den gemeinsam mit dem Parteivorstand und allen Landesvorsitzenden beraten werden. Die anwesenden Fraktionsvorsitzenden der Länder haben sehr klar gesagt, dass sie diese Entscheidung komplett in die Hände der Partei legen. Es wurde auch nochmal sehr klar der Wunsch und Anspruch artikuliert, dass wir beide einen Vorschlag unterbreiten sollen. Dem stellen wir uns gerne. Wir haben uns auch darauf verständigt, dass wir das mit dem Parteivorstand gemeinsam beraten wollen und dass wir aber nicht einen Weg gehen wollen, wo wir die Ost- und West-Landesvorsitzenden getrennt in einer Entscheidungssituation bringen, sondern wir finden, es ist dem Zustand unserer Partei angemessener, wenn man das ost- und westübergreifend berät.

Bernd Riexinger: Ich will Sie noch über einige aktuelle, aber wichtige Themen informieren. Erst mal über den geplanten Patriot-Einsatz in der Türkei. Für uns ist dieser Einsatz ganz klar ein Kampfeinsatz. Es gibt keine Bedrohung des türkischen Staatsgebietes. Wer diese Kampftechnologie in dieses Gebiet schickt, will nicht den Frieden sichern, sondern läuft Gefahr, in einen kriegerischen Konflikt hineingezogen zu werden. Das lehnen wir ohne wenn und aber ab. Es zeichnet sich leider wieder einmal ab, dass es hier eine Vier-Parteien-Koalition für diesen Einsatz geben wird, vielleicht noch mit etwas wenn und aber bei den Grünen und bei der SPD. Und dass es eine Friedenspartei gibt, die klar Nein zu diesem Vorhaben sagt. Das ist DIE LINKE. Wir werden gegen diesen Einsatz stimmen, und wir werden auch deutlich machen, dass dieser Einsatz nicht zum Frieden beiträgt. Wir werden dafür mobilisieren, dass die Menschen in Deutschland sehen, dass offensichtlich wieder vier Parteien - CDU, SPD, Grüne und FDP - das Risiko eingehen, Deutschland in einen Krieg hineinzuziehen.

Wir erleben gerade eine Neuauflage der Griechenland-Diskussion. Es wird immer deutlicher, was wir schon die ganzen Monate gesagt haben, dass die Doppelstrategie von Frau Merkel gescheitert ist. Einerseits bringen die Kürzungsprogramme Griechenland an den Rand des Ruins. Die Schulden werden größer. Zweitens wird deutlich, dass doch Kosten auf die Steuerzahler zukommen, dass die Art und Weise der Krisenlösung die teuerste und leider auch die schädlichste ist, die wir uns vorstellen können und es jetzt hauptsächlich darum geht, zu verschleiern, dass die Politik der letzten Monate nichts anderes war als Konkursverschleppung bei gleichzeitigem Verschweigen der Kosten auch für die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland. Die oberste Aufgabe der Bundesregierung und auch der Parteien, die diesen Kurs bisher mitgetragen haben, wäre es, Schaden von den Steuerzahlern in Deutschland abzuwenden. Oberstes Kriterium wäre, deutlich zu machen, wer eigentlich die Zeche für diesen Kurs bezahlt. Den bezahlen die Menschen in ganz Europa. Den zahlen aber auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Offen wäre zu legen, wie viel Frau Merkel, Herr Steinbrück, Herr Trittin und Herr Brüderle bereit sind zu zahlen oder wo tatsächlich ihre roten Haltelinien sind, so dass die Wahlbevölkerung in Deutschland sehen kann, was tatsächlich für Kosten auf sie zukommen. Frau Merkel war in der Euro-Krise immer eine Heute-Nein-Morgen-Ja-Kanzlerin. In der Frage des Schuldenschnitts werden wir das gleiche wieder erleben. Da wird heute Nein gesagt. Nach der Bundestagswahl wird dann gesagt, dass man doch keine Alternative hätte und es so gemacht werden wird, auf Kosten wiederum tatsächlich der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Dabei gibt es unseres Erachtens Alternativen, die klar bezifferbar wären. Die EZB sollte ihre starre Haltung aufgeben und der griechischen Regierung einen Sofortkredit zur Überwindung des Liquiditätsengpasses zur Verfügung stellen, aber unter klaren Bedingungen, und zwar unter anderen Bedingungen wie seither. Diese Bedingungen sind: einfrieren und Einziehung aller Vermögenswerte von Steuerflüchtlingen, Solidarabgabe auf Vermögen von Milliardären und Millionären, Rücknahme aller wirtschaftlichen Kürzungen. Dann gäbe es tatsächlich eine Chance für Griechenland, um wieder auf die Füße zu kommen, und es gäbe eine Chance für die Gläubiger, wenigstens einen Teil des Geldes wieder zurückzubekommen.

Letzter Punkt, Rentenbeschluss der SPD am Wochenende: Wir sehen, dass bei der SPD in die Rentendebatte Bewegung kommt. Das sehen wir als einen Verdienst in allererster Linie der LINKEN. DIE LINKE war die einzige Partei, die die ganzen Rentenkürzungspläne und Rentenkürzungsbeschlüsse der SPD, der Grünen und auch der Großen Koalition immer abgelehnt hat, auch die Rente mit 67 abgelehnt hat sowie das Abgehen vom Weg der lebensstandardsichernden Rente. Insofern freut es uns, dass Bewegung hineingekommen ist, wenn auch in diesen Beschlüssen sehr viel heiße Luft steckt, die wir ja auch als Mogelpackung bezeichnet haben. Wir laden trotzdem die Linken und die Arbeitnehmer in der SPD zu einem Rentendialog ein. Wir sollten gemeinsam mit den Gewerkschaften und mit den Sozialverbänden über Wege aus der Armutsfalle beraten. Dann kann tatsächlich eine Bewegung entstehen, die niemand mehr ignorieren kann. Das Prinzip, dass die Renten wieder mit den Löhnen steigen müssen, muss dabei ein Kernelement dieser Debatte sein. Das zentrale Element des SPD-Rentenkonzeptes wird im Übrigen durch den heute diskutierten Rentenversicherungsbericht erledigt. Es ist doch einfach nur absurd, die Sicherung des Rentenniveaus bei 50 Prozent zu versprechen, wenn es Dank der rot-grünen Rentenkürzungsprogramme schon jetzt nach amtlichen Berechnungen unter 50 Prozent gefallen ist und bis 2020 auf 48 Prozentpunkte fällt. Da kann man nicht einfach die Hände in den Schoß legen, sondern wenn man tatsächlich das Rentenniveau halten will, dann muss jetzt gehandelt werden. Das geht offensichtlich nur mit uns, mit der LINKEN. Die jetzt prognostizierten starken Rentensteigerungen im Osten sind natürlich nicht ganz zufällig dem Wahltermin geschuldet. Aber insgesamt geht es natürlich darum, dass die Renten wieder mit den Löhnen steigen und dass die strukturelle Benachteiligung des Ostens bei der Bewertung der Rentenpunkte beseitigt wird. Auch das gehört zum Programm. Es freut uns, dass Herr Steinbrück auch auf diesen Punkt eingegangen ist. Uns fehlt nur der Glaube, dass es dann tatsächlich auch gemacht wird, wenn man gleichzeitig eine Beteiligung der LINKEN ausschließt.