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Katja Kipping und Bernd Riexinger

Das Ruder jetzt herumreißen - Vorschlag für ein Konjunkturprogramm

Wirtschaft und Beschäftigung sichern, soziale Infrastruktur stärken, ökologischen Umbau gestalten - Bausteine für ein sozial-ökologisches Konjunkturprogramm

(Diese Dokument wurde von Katja Kipping und Bernd Riexinger auf einer Pressekonferenz am 26. November 2012 im Berliner Karl-Liebknecht-Haus vorgestellt.)

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Seit rund drei Jahren ist Europa ein Brennpunkt der weltweiten Finanz- und Spekulationskrise. Die bei Einführung des Euros vorhandenen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa verschärften sich seit der Jahrtausendwende durch die von Deutschland mit der Agenda 2010 ins Werk gesetzte Politik. Deutschland erwirtschaftete jahrelang Milliardenüberschüsse gegenüber beinahe allen anderen Euro-Staaten, die diese nur durch einen Anstieg der öffentlichen und privaten Verschuldung finanzieren konnten. Den Preis dafür zahlt ein Großteil der Bevölkerung u.a. durch die Senkung der Reallöhne, die Ausdehnung des Niedriglohnbereiches und die krebsartige Ausdehnung prekärer Arbeitsverhältnisse.

Die weltweite Krise war ein Brandbeschleuniger für diese schwelende Krise der europäischen Finanzbeziehungen. Der zweite Brandbeschleuniger war die zerstörerische Politik der Spar- und Sozialkürzungspolitik, die seit Jahren den Staaten Europas als Rezept gegen die Krise verordnet wird. Im dritten Quartal dieses Jahres ist die Wirtschaftsleistung im Euro-Raum sogar zurück gegangen. Die von Merkel Europa oktroyierte Politik der Privatisierung und des Sozialabbaus zeigt die negative Wirkung, auf die wir und viele Ökonomen immer wieder hingewiesen haben.

Aus einer Krise der europäischen Finanzbeziehungen ist eine tiefe Rezession geworden, die mit wachsender Geschwindigkeit von der Peripherie ins Zentrum des Kontinents wächst. Auch in Deutschland verdichten sich die Anzeichen eines wirtschaftlichen Einbruchs. Nachfragerückgänge, Auftragseinbrüche und zurückgehende Nachfrage nach Arbeitskräften sind Indikatoren, die niemand ignorieren kann. Es wächst die Erkenntnis, dass sich die nationalen Wirtschaftsräume in einem gemeinsamen Währungsraum auf Dauer nicht voneinander abkoppeln können. Das ohnehin umstrittene und fragwürdige deutsche "Modell", eine gedämpfte binnenwirtschaftliche Entwicklung durch eine mehr als wettbewerbsfähige Exportindustrie zu kompensieren, gerät sichtbar an seine Grenzen. Der Rückgang der Aufträge für die Industrie aus der Eurozone - allein im September dieses Jahres um 9,6 Prozent gegenüber dem Vormonat - spricht hier eine deutliche Sprache. Selbst die Bundesbank rechnet mittlerweile fest mit einem Einbruch der wirtschaftlichen Dynamik. Die Einschläge der Krise kommen immer näher und die Bundesregierung schaut tatenlos weg.

Wir stehen bereits mit einem Bein in einer tiefen europäischen Rezession. Deutschland hat als größte Ökonomie des Euro-Raums auch im wohlverstandenen Eigeninteresse eine Verantwortung als Lokomotive für eine europäische Renaissance der aktiven Konjunktursteuerung. Immer dann, wenn in der Geschichte die Bewältigung von Krisen beherzt und mit gestaltender Hand angegangen wurde, mündeten Umbrüche in notwendige Reformen. So kann es auch diesmal sein. Aus der europäischen Krise können Ansätze für neue Formen des Wirtschaftens, Arbeitens und Zusammenlebens entstehen, die den sozialökologischen Umbau voranbringen. Es ist Zeit für eine Politik, die Beschäftigung sichert und zugleich den notwendigen Umbau gestaltet. Dieses Land wird gegenwärtig von einer schwarz-gelben Regierung geführt, deren Politik die Krise in Europa verschärft und einen sozial-ökologischen Umbau ausbremst. Neben unserer grundsätzlichen Orientierung auf gute Arbeit und eine deutliche Reduzierung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, auf eine gute Rente sowie die Schaffung einer sanktionsfreien, armutsfesten Mindestsicherung anstelle von Hartz IV, schlagen wir deshalb ein Bündel von Maßnahmen und Anreizen vor, die Wirtschaft - insbesondere auch kleine und mittelständische Unternehmen - und Beschäftigung sichern und zugleich Bausteine für den sozialökologischen Umbau und einen neuen Aufbau Ost sind:

  1. Talfahrt der Löhne beenden: Um insbesondere das Einkommensniveau im Niedriglohnsektor deutlich anzuheben, wollen wir einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von zehn Euro pro Stunde einführen. Darüber hinaus sollen die Zulassungsvoraussetzungen für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erleichtert werden, indem künftig nicht mehr die Erfassung von 50 Prozent der tarifgebundenen Beschäftigten Voraussetzung sondern das öffentliche Interesse entscheidende Voraussetzung ist.
    Leiharbeit und Werkverträge sind Lohnkiller und müssen eingedämmt werden. Bis zum Verbot der Leiharbeit kann die konsequente Einführung von Equal-Pay plus Flexibilitätszuschlag in der Leiharbeit sowie die Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen und prekären Beschäftigungsverhältnissen den Effekt der Einführung eines Mindestlohnes auf die Stabilisierung der Wirtschaft sogar noch verstärken. Dazu gehört auch, den Schutz der Beschäftigten bei einem Betriebsübergang zu verbessern, um zu verhindern, dass sich Unternehmen durch Outsourcing der Tarifbindung entziehen.
  2. Mehr Netto für die Mehrheit - aufkommensneutrale Reform der Einkommenssteuer: DIE LINKE will mit ihrer Reform der Einkommensteuer die Steuersätze im unteren Einkommensbereich senken bei gleichzeitiger Erhöhung im oberen Bereich. Der "Mittelstandsbauch" wird beseitigt - dass heißt, es wird ein durchgehend linearer Tarif vorgesehen. Der Eingangssteuersatz bleibt bei 14 Prozent, der Spitzensteuersatz wird auf 75 Prozent bei einem Freibetrag von einer Million Euro deutlich erhöht. Der Grundfreibetrag wird auf 9 300 Euro angehoben. Das entlastet insbesondere niedrige Einkommen. Bei einem Grundfreibetrag von 9 300 Euro bleiben Einkünfte mindestens in Höhe von 11 500 Euro im Jahr steuerfrei, da die Pauschalbeträge für die Beschäftigten hinzugerechnet werden müssen. Wer weniger als 6 000 Euro im Monat verdient wird entlastet, wer mehr hat wird belastet.
  3. Kurzarbeit Plus: Um zu verhindern, dass der Abschwung den Arbeitsmarkt mit voller Wucht trifft, und qualifiziertes Personal in Beschäftigung zu halten, wollen wir die in der vergangen Krise eingeführten Sonderregelungen zur erleichterten Kurzarbeit (z.B. Erstattung Sozialbeiträge) wieder in Kraft setzen. Um dauerhaft einen Impuls für das lebenslange Lernen zu setzen, wollen wir das Instrument Kurzarbeitergeld um eine Bildungskomponente erweitern. Beschäftigten soll es künftig ermöglicht werden, ihre Arbeitszeit mit Teilausgleich des Verdienstausfalls zeitweise zu verkürzen, um Angebote der Weiterbildung zu nutzen. Der Ausgleich des Verdienstausfalls orientiert sich am Kurzarbeitergeld. Das Instrument soll so ausgestaltet sein, dass im Längsschnitt eines Arbeitslebens fünf Stunden pro Woche bzw. etwa 15 Prozent der Arbeitszeit für Bildung und Weiterbildung verwendet werden können. Der Anspruch entsteht gestaffelt als Zeitsparkonto für alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und kann flexibel umgesetzt werden. Für die Kosten dieses Bausteins soll der Bund der Bundesagentur für Arbeit jährlich zunächst fünf Milliarden Euro bereitstellen, mittelfristig soll die Finanzierung durch einen Sonderbeitrag der Unternehmen zur Arbeitslosenversicherung finanziert werden. Der erleichterte Zugang zum Kurzarbeitergeld sollte aus Beitragsmitteln finanziert werden.
  4. Bundesprogramm "Solarzellen auf Behördendächer": Wir wollen, dass der Bund pro Jahr zwei Milliarden Euro bereit stellt, um Kommunen, Behörden und öffentliche Einrichtungen zu unterstützen, die Solar- und Photovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden und Grundstücken zu installieren, um den eigenen Fremdstrombedarf und Heizkosten zu senken. Die Kosten werden dabei vom Bund zu 50 Prozent übernommen, für finanzschwache Kommunen ist eine Streckung des Eigenmittelanteils zu prüfen. Weiterhin ist die Bundesregierung gefordert, eine Anschlussregelung zum Ausbau der Photovoltaik auch nach Erreichen der Ausbaugröße von 52 Gigawatt zu schaffen.
  5. Bundesprogramm Energetische Gebäudesanierung ausbauen: Die energetische Sanierung von Gebäuden ist eines der wichtigsten Instrumente der Energieeinsparung und der CO2-Reduktion. Schließlich liegen im Gebäudebereich 40 Prozent des Energieendverbauch, der für 20 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Die damit verbundenen Kosten dürfen aber nicht zur weiteren Mietenexplosion beitragen oder dazu führen, dass Menschen mit geringen Einkommen sich eine sanierte Wohnung nicht bzw. nicht mehr leisten können. DIE LINKE fordert deshalb eine Aufstockung des Gebäudesanierungsprogramms auf fünf Milliarden Euro (derzeit 1,5 Milliarden) unter der gezielten Berücksichtigung der Förderung barrierefreier Gebäude.
  6. Abwrackprämie für Stromfresser im Haushalt: Wir wollen Privathaushalte beim Austausch von energieverbrauchsintensiven Haushaltsgeräten (z.B. Waschmaschinen und Kühlschränke) durch ein energieeffizientes Modell mit einer Kaufprämie von 200 Euro unterstützen. Die Abwrackprämie erhöht sich für Haushalte mit Einkommen unter der Armutsschwelle um 100 Euro. Mit einer Milliarde Euro können pro Jahr rund vier Millionen Haushalte unterstützt werden.
  7. Car-Sharing-Prämie: Wir wollen den Umstieg von PKW-Besitzerinnen und -Besitzern zu ökologischen Car-Sharing-Anbietern durch eine einmalige Prämie von 100 Euro fördern. Gleichzeitig sollen künftig die laufenden Kosten für die private Nutzung von Car Sharing bis zur Höhe von 1 000 Euro als Sonderausgabe steuerlich absetzbar sein. Dafür soll der Bund pro Jahr eine Milliarde Euro bereitstellen. Die Kommunen sollen angehalten werden, für spritsparendes Car-Sharing kostenlose Stellplätze zur Verfügung zu stellen, so wie das für Taxen auch üblich ist.
  8. Bundesprogramm Gesundes Essen für Kinder: Wir wollen in den über 90 000 Schulen und Kindertagesstätten den Ein- und Umstieg in den Betrieb eigener Küchen zur Zubereitung von gesundem und bezahlbarem Mittagessen fördern. Wir schlagen ein Bundesprogramm in Höhe von fünf Milliarden Euro pro Jahr vor. Schulen und Kindertagesstätten, die den Umstieg in den Betrieb einer eigenen Küche wagen, erhalten einen einmaligen Investitionszuschuss von 500 Euro pro selbst versorgtes Kind (geschaffene Kapazität) und einen Zuschuss von einem Euro pro Tag und versorgtem Kind. Auch Einrichtungen mit bestehenden Küchen erhalten den laufenden Zuschuss, sofern sie die Fördervoraussetzungen erfüllen (Beschäftigung von eigenem Personal zu tariflichen Bedingungen, vertragliche Verpflichtung zum Verbrauch regional erzeugter Lebensmittel, sozialverträgliche Essenspreise). Mit einem Fördervolumen von fünf Milliarden Euro pro Jahr soll innerhalb von fünf Jahren ein weitgehender Umstieg auf die Zubereitung von Essen in eigenen Küchen (oder lokalen Verbünden) und der Abschied vom System privater Großküchen erreicht werden. Auf mittlere Sicht wollen wir das Programm im Bundeshaushalt in Höhe von rund sechs Milliarden Euro verankern und daraus ein Anreizsystem für die Einführung eines gebührenfreien Mittagessens für jedes betreute Kind finanzieren. Ein Anrechnung auf Hartz IV Leistungen ist auszuschließen. Pro Kind und Tag kann ein Zuschuss von zwei Euro abgerufen werden, wenn das Mittagessen gebührenfrei abgegeben wird.
  9. Investitionsoffensive in den barrierefreien ÖPNV: Wir wollen, dass der Bund ein auf drei Jahre begrenztes Förderprogramm für kommunale Investitionen in den ÖPNV auflegt. Kommunen, die Taktzeiten verdichten oder den Fahrplan ausweiten, werden für die Ausweitung der Leistungen ihres ÖPNV bei der Anschaffung von neuen barrierefreien Verkehrsmitteln unterstützt. Notwendige tarifliche Mehr-Personalkosten werden ebenso gefördert. Das Programm sollte im ersten Jahr mit einer Milliarde Euro ausgestattet sein.
  10. Gesetzliche Begrenzung der Dispo-Zinsen: Wir wollen eine gesetzliche Barriere gegen die Abzocke mit Fantasiezinsen bei der Kontoüberziehung. Eine gesetzliche Obergrenze für Dispozinsen bei fünf Prozentpunkten über dem Refinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank würde die Belastung der Verbraucherinnen und Verbraucher mit Dispozinsen im Schnitt halbieren und damit zusätzliche Kaufkraft in Höhe von 2 Milliarden Euro generieren.

Mit diesen Bausteinen wollen wir die Binnennachfrage stimulieren und Anreize für Investitionen in ökologische Technologien, Bildung und soziale Infrastruktur setzen, jene Felder, die nach unserer Auffassung Schlüsselcharakter für den vor uns liegenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft haben. Gleichzeitig sollen neue Perspektiven für den Aufbau Ost und strukturschwache Regionen geschaffen werden.

Zur Finanzierung des Gesamtaufwands von rund 20 Milliarden Euro wollen wir das Gesamtsteueraufkommen um rund 20 Milliarden Euro pro Jahr durch die Wiedereinführung einer moderaten Vermögenssteuer von einem Prozent auf Vermögen oberhalb eines Familienfreibetrags von 500 000 Euro erhöhen und damit zugleich einen ersten Schritt in Richtung couragierter Besteuerung von Reichtum und Millionärssteuer gehen.

Mit dieser Millionärssteuer wollen wir mittelfristig weiteren finanziellen Spielraum für die Bundesländer schaffen: eine Besteuerung von fünf Prozent auf Privatvermögen ab einer Million Euro, d.h. ein Vermögen von zwei Millionen Euro würde jährlich insgesamt mit 50 000 Euro Vermögenssteuer belegt. Wir gehen von einem jährlichen Gesamtaufkommen aus der Millionärssteuer von 80 Milliarden Euro aus. Dies führt auch zu einer besseren finanziellen Ausstattung der Kommunen.

Für einen grundlegenden wirtschaftlichen und zugleich sozial-ökologischen Umbau schlägt DIE LINKE schon seit Jahren ein Zukunftsprogramm mit jährlich 125 Milliarden vor, das zur Schaffung von zwei Millionen zukunftsfähigen und tariflich entlohnten Vollzeitarbeitsplätzen führen würde. Dafür braucht es jedoch einen grundlegenden Politikwechsel in Deutschland.