Bundesregierung ist bisher noch vor jeder Lobby eingeknickt
Statement von Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Partei DIE LINKE, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus:
Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren, bevor ich zu den Punkten komme, zu denen ich politisch hier Stellung nehme, möchte ich auch diese Gelegenheit nutzen, um Herrn Frank-Walter Steinmeier und seiner Frau alles Gute für die bevorstehende Operation zu wünschen. Ich hoffe, dass es beiden dann in absehbarer Zeit wieder besser geht und dass Herr Steinmeier wieder in die Politik eingreifen und seine Frau auch ihr Leben so gestalten kann, wie sie das bisher wollte. Ich find es sehr achtenswert und wünsche beiden sehr viel Glück dabei.
Ich möchte mich heute zu folgenden Themen äußern: Erstens zur Frage der Rentendebatte in der SPD, zweitens nach den Äußerungen von Heinz Fromm, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ist DIE LINKE weiter zu beobachten, und drittens zu dem Agieren der Atomlobby, das haben auch einige Medien schon aufgegriffen, viertens zum Thema 100 Tage ist die neue Parteispitze der LINKEN im Amt, fünftens werde ich Sie informieren über meine erste Auslandsreise, die ich als Parteivorsitzende heute antreten werde, und sechstens wird Herr Dreibus sich zur Lage in einzelnen Landesverbänden äußern.
Zur Rentendebatte: Seit etlichen Wochen wird in der SPD darüber diskutiert, wie mit der Frage Rente ab 67 weiter umgangen werden soll. Nun gibt es, so, wie wir es vernommen haben, den Weg zu einem Kompromiss. Ich finde, jeder Schritt in die Richtung, dass der Beschluss zur Rente ab 67 zurückgenommen wird, ist ein richtiger Schritt. Allerdings muss hier noch wesentlich mehr getan werden, um auch bestimmte Zusammenhänge darzustellen. Denn die Basis für gute Renten sind gute Löhne. Darum kann ich nochmal betonen, dass ohne eine grundlegende Veränderung in unserem Lohnsystem es auch in Zukunft keine gute Basis für gute Rente geben wird. Wir brauchen also den gesetzlichen Mindestlohn, und wir brauchen natürlich auch die Situation, dass jetzt Lohnverhandlungen geführt werden und es zu vernünftigen Lohnabschlüssen kommt. Man kann nicht nur von einem Wirtschaftsaufschwung schwärmen, auch die Beschäftigten müssen etwas davon haben. Die SPD befindet sich in einem schmerzlichen Prozess der Aufarbeitung ihrer Regierungsarbeit. Wir können uns ja alle daran erinnern, dass die Rentenkürzung, denn nichts anderes ist die Rente erst ab 67, eine der Hauptursachen für die Niederlage der SPD war. Grundsätzlich finde ich den Ansatz, das Rentenalter an den Beschäftigungsgrad zu binden, nicht richtig. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Rentensystem den Schwankungen der Konjunktur ausgesetzt wird unser Rentensystem ein Spielball der Märkte wird. Wenn die SPD sich entscheidet, die Rente ab 67 zurückzunehmen, dann ist das auch ein Schritt in Richtung Koalitionsfähigkeit mit der LINKEN.
Zweiter Punkt zum Thema Verfassungsschutz: Was ist eigentlich der Sinn der Beobachtung der LINKEN vom Verfassungsschutz? Ich glaube - das muss man immer wieder hervorheben - Menschen sollen daran gehindert werden, sich für DIE LINKE zu engagieren. Menschen sollen Angst haben, bei der LINKEN entweder Mitglied zu werden oder sie öffentlich zu unterstützen. Ich denke, die Frage, ob nun Abgeordnete vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder nicht, ist eine wichtige, die auch an die Grundfesten der Demokratie geht. Aber das entscheidende Ziel ist, dass man Menschen abhalten will, sich für DIE LINKE zu engagieren. Da lässt sich Herr From von der CDU instrumentalisieren. Das werden wir nicht hinnehmen. Ich finde, eine viel größere Bedrohung für die Demokratie ist die Tatsache, dass die Strommonopole diktieren können, was in unserem Land entschieden wird. Da sei vielleicht auch einmal die Frage erlaubt, was hier denn der Verfassungsschutz tut.
Damit leite ist zum Thema Atomlobby über: Die Atomlobby hat ja am Wochenende teure Anzeigen gegen die Brennelemente-Steuer geschaltet. Bemerkenswert ist, dass alle, die dort unterschrieben haben, sich als Vertreter einer gestrigen Auffassung geoutet haben. Interessanterweise waren das alles Männer. Keine einzige Frau hat unterschrieben. Unsere Erfahrungen besagen: Die Bundesregierung ist bisher noch vor jeder Lobby eingeknickt und auf die Knie gefallen, sei vor der Hotellobby, der Bankenlobby oder der Atomlobby. Uns fällt hier auf, dass die Stromkonzerne das Land unter sich aufgeteilt haben. Es ist auch schon einmal die Rede davon gewesen, dass sie sich wie Besatzungsmächte aufführen. Die Alternative kann nur sein, die Stromnetze zu vergesellschaften und endlich wieder eine Kontrolle und auch einen Wettbewerb zu ermöglichen.
Vierter Punkt: Der Parteivorstand ist jetzt 100 Tage im Amt. Ich darf daran erinnern, dass im Januar 2010, wie ja auch in den 20 Jahren des Bestehens der Vorgänger der LINKEN immer wieder der Untergang prognostiziert wurde. Aus meiner Sicht war der Rostocker Parteitag ein Erfolg. Es ist eine neue Parteiführung mit guten Mehrheiten ins Amt gewählt worden. Natürlich sind auch Ereignisse passiert, die nicht zu planen waren, von denen niemand vorher wusste, dass sie eintreten würden. Zum Beispiel der Rücktritt von Bundespräsident Köhler war ja nicht von der LINKEN und von keiner anderen Partei geplant. Im Gegensatz zu vielen Kommentaren, die gerne zu diesem Thema abgegeben werden, vertrete ich die Auffassung, dass bei der Bundespräsidentenwahl der LINKEN kein Schaden zugefügt wurde. Es war jedoch die Absicht, der LINKEN Schaden zuzufügen. Das Ziel war ihre Spaltung. SPD und Grüne habe versucht, uns auseinanderzubringen. Das ist misslungen, und das will ich an dieser Stelle noch einmal festhalten. Ich fand die Nominierung von Herrn Gauck einen Rückfall in alte Schröder-Zeiten. Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand in diesem Land danach zurücksehnt. Eine weitere Niederlage, die uns prognostiziert wurde, die nun nicht eingetreten ist, ist die Frage der Arbeit unserer Landtagsfraktion und unserer Landespartei in Nordrhein-Westfalen. Im Vorfeld sind ihr viele Attribute zugeschrieben worden, die sich im Nachhinein als überhaupt nicht realitätsbezogen herausgestellt haben. Ganz im Gegenteil: Die Ziele sind umgesetzt worden. Herr Rüttgers ist abgewählt, und die Tür für eine andere Politik wurde geöffnet. Auch in der Vorbereitung der konstituierenden Sitzung des Landtages, in der Vorbereitung der Wahl von Frau Kraft zur Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen – ohne uns wäre sie nicht Ministerpräsidentin – gab es ein gutes Zusammenspiel zwischen Bund und dem Landesverband und der Landtagsfraktion. Ich hoffe, dass uns Ähnliches auch in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt gelingt. Natürlich gibt es – dazu wird Herr Dreibus noch sprechen – auch in den anderen Landesverbänden, die ich jetzt nicht aufgezählt habe, die eine oder andere Diskussion. Diese nehmen wir sehr ernst. Wir werden uns in den nächsten Monaten auch darauf konzentrieren. Wichtig ist für uns als Parteivorstand, dass wir enges Verhältnis zu den einzelnen Landesverbänden haben. Ihnen ist ja bekannt, dass wir am 6. September ein Treffen mit allen Landesvorsitzenden haben. Wir haben für bestimmte Landesverbände auch Genossinnen und Genossen des Vorstandes gebeten, hier besondere Verantwortung zu übernehmen, insbesondere Professor Bierbaum im Augenblick für Rheinland-Pfalz. Wir wollen als Parteivorstand, als Geschäftsführender Vorstand, als Vorsitzende regelmäßig alle Landesverbände besuchen, den direkten Kontakt zu den Genossinnen und Genossen vor Ort pflegen. Hier im Karl-Liebknecht-Haus werden wir eine Sprechstunde nur für Basisgenossinnen und –genossen zusätzlich anbieten und auch demnächst eine Internetsprechstunde. Wir wollen also den engen Kontakt zur Parteibasis noch weiter verstärken. Und der zweite Punkt, den ich hervorheben möchte, ist unsere Vorbereitung auf den Programmkonvent am 06. November diesen Jahres. Ich kann Ihnen schon versprechen: Unsere Partei wird sich wegen des Programms nicht zerlegen. Wir haben einen Zeitplan für die Diskussion. Wir haben viele Vorschläge, auch Änderungsvorschläge, sonst müssten wir nicht diskutieren.
Fünftens: Ich werde heute Nachmittag meine erste Auslandsreise als Parteivorsitzende antreten. Ich habe mir als Ziele die Länder Schweden, Dänemark, Norwegen und am letzten Tag die Niederlande ausgewählt, weil ich mich in Skandinavien darüber informieren möchte, wie unsere Parteifreunde dort, z.B. in Norwegen, in der Regierung Erfahrungen sammeln, welche Entscheidungen sie wie treffen, wie sie mit den Themen Rente, Gesundheit, Arbeit und Bildung umgehen. Mich interessiert, wie in diesen Ländern, zu denen wir gute Beziehungen haben, solche Regierungen funktionieren. In Norwegen ist unsere Schwester-, Bruderpartei an der Regierung beteiligt. Ich werde mich dort mit der Ministerin für Kinder, Gleichstellung und Integration, die unserer Schwesterpartei angehört, treffen. In Dänemark ist ja bekanntermaßen eine andere Regierung an der Macht. Wir werden uns dort mit Vertretern der Sozialistischen Volkspartei treffen, die in der Opposition sind. In Schweden sind im September Reichstagswahlen. Die Linkspartei bereitet sich, gemeinsam mit Sozialdemokraten und den Grünen, wenn es denn reicht, wovon man berechtigterweise ausgehen kann, eine Regierung zu bilden. Letzter Punkt, die Niederlande: Dort läuft die Regierungsbildung gerade. Ich hoffe, dass ich viele Anregungen für unsere Arbeit mitbringen kann.
Abschließend will ich noch eine Anmerkung zu den 100 Tagen als neue Parteivorsitzende machen: Ich möchte mich bei den Journalisten bedanken, die kritisch und sachlich über die Partei DIE LINKE berichten und gleichzeitig auch unsere 5 Millionen Wählerinnen und Wähler über unsere Positionen zu Hartz IV, Afghanistan, Rente und Mindestlohn informiert haben und das wahrscheinlich in Zukunft auch tun werden.
Vielen Dank!