Befristungsterror stoppen!
Von Michael Schlecht, MdB, wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE
Vor mehreren Jahren lernte ich Janine F. in meinem Wahlkreis Mannheim kennen. Sie war damals 29 Jahre alt und ist als Hotelfachfrau gut qualifiziert. In ihrem Leben hatte sie noch keine anderen Jobs als nur befristete gehabt. Wahrscheinlich geht es mit den befristeten Jobs immer so weiter, fürchtete sie. Sie hat einen Lebenspartner. Wenn ich sie fragte: "Wie stellt ihr euch euer Leben vor? Wollt ihr einmal Kinder haben?", dann antwortete sie mir: "Ich würde schon gerne mit meinem Freund ein Kind haben; allerdings ist auch er befristet beschäftigt. Woher sollen wir in solchen Zeiten den Mut nehmen, uns für ein Kind zu entscheiden?" Jahre später treffe ich Janine wieder: Sie hat ein Kind, mit dem sie glücklich ist. Aber sie lebt von Hartz IV.
Janine ist kein Einzelfall. Junge Menschen unter 35 Jahren sind am stärksten von Befristungen betroffen. Fast die gesamte Zunahme entfällt auf diese Altersgruppe. Von den 15 bis 25-jährigen hat jede und jeder Vierte nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Die Befristungen wurden in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Mittlerweile ist fast jede und jeder Zehnte befristet. Bei den Neueinstellungen ist fast jeder zweite Vertrag befristet.
Befristet Beschäftigte leben ständig mit dem Stress und der Angst, ob ihr Vertrag fortgesetzt wird. Sie treibt die Hoffnung um möglichst einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu bekommen.
Diese Angst und Hoffnung macht gefügig. Befristete schleppen sich krank zur Arbeit, nehmen seltener Urlaub, überfordern sich häufig. Wer dem Leistungsdruck standhält und sich unterordnet, wird vielleicht weiterbeschäftigt. Eine Festanstellung wird zum Luxus, die man sich "verdienen" muss.
Befristete Kolleginnen und Kollegen überlegen es sich dreimal, ob sie im Betrieb ihre Interessen wahrnehmen. Ob sie gar mit den anderen Kolleginnen und Kollegen streiken. Lieber nicht. Häufig müssen sie sich als faktische Streikbrecher missbrauchen lassen. Die Textilkette H&M erhöht regelmäßig vor Tarifauseinandersetzungen die Quote der befristet Beschäftigten.
Befristungen sind ein entscheidender Hebel zur Beschädigung der Tarifautonomie in den letzten zehn, 15 Jahren. Genau genommen sein Ende der 1980er Jahre, als erstmals die Möglichkeiten zur Befristung für die Unternehmer erweitert wurden. Über befristet eingestellten Beschäftigten hängt immer das drohende Ende ihres Vertrages. Sie sind Beschäftigte ohne Kündigungsschutz.
Doch der Befristungswahnsinn ist nur ein Teil der Unordnung in der Arbeitswelt. Der deutsche Sonderweg mit dem Ziel des Lohndumpings wurde maßgeblich mit der Agenda 2010 von Schröder und Fischer eingeleitet bzw. verschärft. Ziel war es, die internationale "Wettbewerbsfähigkeit" der deutschen Unternehmen zu stärken.
Durch Befristungen, aber auch durch Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit und Werkverträge sowie Minijobs wurde die gewerkschaftliche Kampfkraft nachhaltig unterhöhlt. Beschäftigte in diesen prekären Arbeitsverhältnissen haben kaum die Chance sich an Streiks zu beteiligen; alleine schon aus Angst um den Arbeitsplatz. Und ohne oder ungenügenden Streikdruck gibt es keine oder nur minimale Lohnerhöhungen. Viel schlimmer ist noch, dass mittlerweile nur noch jeder zweite Beschäftigte unter dem Schutz eines Flächentarifvertrages arbeitet; früher waren es einmal mehr als 70 Prozent. Das heißt: jede bzw. jeder Zweite steht dem Unternehmer wie im Frühkapitalismus weitgehend schutzlos gegenüber. Die Entlohnung und die Arbeitsbedingungen können diktiert werden. Nur minimale gesetzliche Vorgaben wie zum Beispiel der Mindestlohn geben einen gewissen Schutz.
Auch wenn in den letzten Jahren die Erhöhungen bei den Tariflöhnen etwas besser waren, so schöpfen sie 2015 mit einem preisbereinigten Plus von zwölf Prozent gegenüber 2000 immer noch nicht den verteilungsneutralen Spielraum der letzten 15 Jahre aus. Die andere Hälfte der Beschäftigten ohne Schutz eines Flächentarifvertrages ist regelrecht abgestürzt: Sie liegen heute preisbereinigt um 17 Prozent niedriger als im Jahr 2000.
Es muss endlich Schluss sein mit der Unordnung in der Arbeitswelt. Deshalb führt DIE LINKE die Kampagne "Das muss drin sein." um prekäre, unsichere Lebens- und Arbeitsverhältnisse anzuprangern und Druck auszuüben, dass diese endlich aufgehoben werden. Aktuell sammelt DIE LINKE Unterschriften, um ein starkes Zeichen gegen unsichere Beschäftigungsverhältnisse zu setzen und die Bundesregierung aufzufordern, endlich etwas dagegen zu unternehmen.