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Bernd Riexinger

Die 4-Tage-Woche konkret machen

In der weiter Fahrt aufnehmenden Debatte um eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit stellt Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei DIE LINKE, ein Konzept vor, wie die Verkürzung der Arbeitszeit konkret umgesetzt werden kann:

„Die Verkürzung der Arbeitszeit auf 4 Tage oder 30 Stunden pro Woche trifft den Nerv der Zeit. Aus gutem Grund: Mit Arbeitszeitverkürzung können wir Arbeitsplätze retten, für mehr Lebensqualität sorgen, aber auch Menschen in unfreiwilliger Teilzeit ermöglichen, endlich wieder mehr zu arbeiten.

Im Gegensatz zu den bisherigen Flexibilisierungen der Arbeitszeit, die immer zu Lasten der Beschäftigten gingen, ermöglicht die Verkürzung der Arbeitszeit eine Flexibilisierung, die den Beschäftigten nützt und sie sogar ein Stück weit vor Entlassungen schützt. Und gerade vor dem Hintergrund der Corona-bedingten Umwälzung der Wirtschaft ist das dringend nötig.

Es ist klar, dass die Verkürzung der Arbeitszeit Spielräume für flexible Anpassung in verschiedenen Arbeits- und Lebenssituationen braucht. Konkret schlage ich eine Wahlarbeitszeit zwischen 28 und 35 Stunden als Vollzeit vor. Es muss einen von gesetzlichen Regelungen gerahmten Aushandlungsprozess geben, der es ermöglicht, die konkrete Arbeitszeitverkürzung an die individuellen Bedürfnisse verschiedener Betriebe und Beschäftigten anzupassen.

Dabei muss das Arbeitszeitgesetz die Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden einschränken. Die Möglichkeiten der Überschreitung der täglichen Höchstarbeitszeit von 8 Stunden muss stärker eingeschränkt werden. Es muss ein Recht auf Wahlarbeitszeit geben, über das Beschäftigte ihr Arbeitsleben an die Bedürfnisse der verschiedenen Lebensphasen anpassen können. Teilzeitkräfte müssen ein Anrecht darauf haben, ihre Arbeitszeit auf 22 Stunden pro Woche zu erhöhen. Und das Arbeitszeitgesetz muss die Rechte der Betriebsräte in der Aushandlung von Arbeitszeit stärken.

Das Arbeitszeitgesetz gibt den Rahmen vor, der eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich ermöglicht und fordert. Die konkrete Ausgestaltung erfolgt dann durch die Tarifpartner. Das Ziel ist Arbeitszeit, die zum Leben passt, überall und individuell.“

 

 

Die Vier-Tage-Woche – und wie sie umgesetzt werden kann
 

Angesichts der Corona-Krise und der Gefahr vor Entlassungen in vielen Branchen fordert DIE LINKE eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit auf um die 30 Stunden pro Woche – bei vollem Lohnausgleich. Studien belegen, dass die Produktivität in kürzeren Arbeitstagen steigt, so dass in vielen Sektoren keine Leistungsverluste zu verzeichnen sein werden. In manchen Branchen ist die Arbeitsverdichtung so vorangetrieben worden, dass Produktivitätszuwächse mehr Stress und Belastung bedeuten würden. Unternehmen, die Dividenden ausschütten, müssen die zusätzlich Kosten aus den Profiten gezahlt werden – die sind nicht zuletzt aus den Millionen unbezahlten Überstunden der vergangenen Jahre entstanden. Für Betriebe in der Krise können staatliche Unterstützung für eine Übergangszeit beantragt werden. Betriebe, die staatliche Unterstützung erhalten, müssen in einen zwingenden Mitbestimmungsprozess mit der Beschäftigungsvertretung eintreten.

 

Arbeitszeitpolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik. Die Frage, wie lange wir arbeiten wollen bzw. müssen, ist auch eine Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen bzw. müssen.[1] Mit dem Vorschlag einer Vier-Tage-Woche für alle bringt DIE LINKE ein arbeitszeitpolitisches Projekt in die gesellschaftliche Debatte, mit dem sich weitere Ziele verknüpfen: Eine gesamtgesellschaftliche Reduzierung der Arbeitszeit sorgt für eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit. Bestehende Arbeitsplätze werden gesichert (z.B. in der kriselnden und sich im Strukturwandel befindlichen Automobilindustrie) und neue geschaffen, weil mehr Menschen in Erwerbsarbeit gebracht werden. Das LINKE Konzept von Arbeit, die zum Leben passt, bedeutet auch, dass Menschen, die unfreiwillig in Teilzeit mit wenigen Stunden arbeiten, ein Recht auf Mindeststunden (22/Woche) im Arbeitsvertrag bekommen sollen.  Zudem wird die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Privatleben verbessert, was auch dazu beitragen kann, die Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern gerechter zu gestalten. Durch reduzierte Erwerbsarbeitszeiten erhöhen sich auch für Männer die „Anreize“, einen größeren Anteil der Haus- und Sorgearbeit zu übernehmen. Diese positiven gesellschaftlichen Ziele, die mit einer kollektiven Arbeitsverkürzung einhergehen, lassen sich jedoch nur auf eine sozial gerechte Weise umsetzen, wenn damit ein Lohnausgleich einhergeht. 

Wie aber lässt sich eine Vier-Tage-Woche für alle mit Lohnausgleich realisieren?

Die Arbeitszeitgestaltung findet auf vier Regelungsebenen statt:

  • gesetzlich (ArbZG)
  • tariflich (Tarifvertrag)
  • betrieblich (Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen)
  • individuell (Arbeitsvertrag)

Die Lohngestaltung findet demgegenüber nur auf drei Regelungsebenen statt:

  • gesetzlich (MiLoG)
  • tariflich (Tarifvertrag)
  • individuell (Arbeitsvertrag)

 

Die bisherige gesetzliche Regulierung bezieht sich auf die Länge des Arbeitstages, nicht jedoch auf die Länge der Arbeitswoche. So ist die tägliche Höchstarbeitszeitdauer per Gesetz für alle Beschäftigten und Branchen durch § 3 ArbZG auf acht Stunden begrenzt.[2] Demgegenüber ist die Wochenarbeitszeit in vielen Branchen durch Tarifverträge festgelegt. So wurde die 40-Stunden-Woche Mitte der 1950er Jahre in der Zigarettenindustrie als erster Branche tarifvertraglich vereinbart. Auch in den anderen Branchen wurden Arbeitszeitverkürzungen durchgesetzt, so dass die 40-Stunden-Woche nach und nach zum Standard wurde.

 

Ansatzpunkte für eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich

Eine Kombination aus gesellschaftlicher Debatte, gewerkschaftlicher Offensive und gesetzlicher Flankierung kann zur Realisierung einer Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich führen.

 

  1. Gesellschaftliche Debatte

Ein wichtiger Ansatzpunkt besteht darin, wieder eine breite arbeitszeitpolitische Debatte in der Gesellschaft zu führen. Ähnlich wie beim Kampf um die 35-Stunden-Woche muss es dabei auch um gesellschaftspolitische Fragen gehen. Entscheidende Begriffe sind hier Zeitwohlstand, Zeitsouveränität, Vereinbarkeit von Arbeit und Leben sowie Geschlechtergerechtigkeit. Die Leitfrage dabei ist, wie wir gesamtgesellschaftlich die Arbeitszeit so gestalten können, dass zum einen alle, die arbeiten wollen, auch arbeiten können, und dass zum anderen alle davon leben können.

 

  1. Arbeitszeitpolitische Offensive der Gewerkschaften

Die Gewerkschaften müssen aus der arbeitszeitpolitischen Defensive herauskommen. Die Forderung nach kollektiver Arbeitszeitverkürzung darf kein gewerkschaftliches Tabu mehr sein. Zwar wird seit kurzem eine „Renaissance der Arbeitszeitpolitik“ konstatiert, weil einige Gewerkschaften in ihre Tarifabschlüsse arbeitszeitpolitische Elemente integrierten. Dabei handelt es sich jedoch zugespitzt um einen Tausch „Zeit gegen Geld“. Diese tariflichen Wahlmodelle sehen individuelle und z.T. auch betriebliche Optionen zur Arbeitszeitreduzierung vor, jedoch keine kollektiven. Für eine gesellschaftsweite Wirkung braucht es allerdings kollektive Regelungen. Um eine arbeitszeitpolitische Offensive zu führen, müssen die Gewerkschaften gestärkt werden. Dies kann im Rahmen einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Frage, wie wir arbeiten und leben wollen, gelingen. Ein Strang dieser gesellschaftlichen Debatte ist die Frage, wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann. Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann hat sein Vorschlag zur Vier-Tage-Woche in diesen Kontext gestellt. Notwendig ist jedoch auch eine Verknüpfung mit weiteren gesellschaftspolitischen Fragen (Wie wollen wir leben? Wie sehen eine gerechte Arbeitswelt und Gesellschaft aus?). Die arbeitszeitpolitische Offensive muss jedoch auch von einer gewerkschaftspolitischen Durchsetzungsbereitschaft begleitet werden.
 

  1. Gesetzliche Flankierung durch ein Wahlarbeitszeitgesetz

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) plädiert für ein Wahlarbeitszeitgesetz, mit dem der Gesetzgeber Optionen für eine lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung auf betrieblicher Ebene bereitstellen soll. Die Idee für ein solches Gesetz besteht aus folgenden Kernpunkten:

  • Das Gesetz setzt auf regulierte Selbstregulierung. Betriebliche Arbeitszeitkonzepte werden unter Einbeziehung von Betriebsräten und Gewerkschaften auf kollektivrechtlicher Ebene erarbeitet; sie stellen garantierte Optionen für die Ausgestaltung von Wahlarbeitszeit in den jeweils konkreten Betrieben her.
  • Daneben erhalten Beschäftigten einen rechtlichen, individuell durchsetzbarenRechtsanspruch auf Änderung ihrer Arbeitszeit (sowohl hinsichtlich der Lage und Dauer als auch Ort).
  • Das Gesetz schreibt den Betrieben nicht im Einzelnen vor, welche und wie viel Zeitsouveränität sie ermöglichen müssen. Das entscheiden diejenigen, die bereits nach geltendem Recht die betrieblichen Regeln bestimmen.
  • Das Gesetz gilt für alle Betriebe aller Größen und für alle Branchen; die Besonderheiten kleiner Betriebe und bestimmter Tätigkeitsbereiche können in den betrieblich angepassten Arbeitszeitkonzepten berücksichtigt werden.
  • Das Gesetz bestimmt Ziele, Beteiligte und Verfahren bei der Entwicklung von Wahlarbeitszeitkonzepten.
  • Das Gesetz ergänzt die bestehenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.
  • Das Gesetz erweitert die bestehenden individuellen Rechte zur Veränderung der Arbeitszeit in Bezug auf Erhöhung, Verteilung und Lage der Arbeitszeit und des Arbeitsortes. Die Einwände des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin können sich auf dringende betriebliche Gründe stützen. Gilt im Betrieb ein Wahlarbeitszeitkonzept, gilt die Unvereinbarkeit des geltend gemachten Anspruches mit diesem Konzept als dringender betrieblicher Grund.
  • Wird im Betrieb kein Wahlarbeitszeitkonzept erarbeitet und ein Wunsch nach Arbeitszeitänderung nicht erfüllt, liegt die Durchsetzungs- und Beweislast wie auch die vollständige Kostentragung bei dem oder der Arbeitgeber*in. Darüber hinaus bestehen dann für eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft die Rechte aus § 23 Abs. 3 BetrVG.
  • Beschäftigte in betriebsratslosen Betrieben können sich für Unterstützung an außerbetriebliche Akteur*innen wenden.
     

DIE LINKE fordert, dass ein gesetzliches Recht auf Wahlarbeitszeit geschaffen wird. Neben der Möglichkeit, individuelle Arbeitszeit zu verkürzen (und auf denselben Arbeitsplatz mit voller Arbeitszeit zurückzukehren) wollen wir, für Betriebsräte und Gewerkschaften das Recht zur kollektiven Arbeitszeitverkürzung im Betrieb schaffen. Die Betriebsräte müssen zwingende Mitbestimmungsrechte bei der Personalbemessung im Betrieb bekommen.

 

  1. Gesetzliche Flankierung durch Umsetzung von EU-Recht zur Arbeitszeiterfassung

In Deutschland fallen jedes Jahr etwa 1,8 Milliarden Überstunden an. Umgerechnet entspricht das 45 Millionen 40-Stunden-Wochen. Die Mehrheit dieser Überstunden wird nicht bezahlt. Dadurch entgehen den Beschäftigten mehr als 20 Milliarden Euro Lohn und Gehalt jährlich. Gleichzeitig werden rein rechnerisch über 1,2 Millionen Vollarbeitsplätze vernichtet. Würde das EU-Recht in deutschen Arbeitszeitgesetz umgesetzt, wären die Betriebe zwingend dazu verpflichtet, die Arbeitszeiten zu dokumentieren. Vor allen die unbezahlten Überstunden könnten dann nicht mehr unter den Tisch fallen. Das hohe Ausmaß der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden ist vielen Menschen nicht bewusst. Wäre es publik, würde dies sie gesellschaftliche Debatte über eine kollektive Arbeitszeitverkürzung positiv beeinflussen, denn ein „Arbeiten ohne Ende“ ist kein individueller Einzelfall, sondern Realität für viele Beschäftigte.

 

Zusammengefasst fordert DIE LINKE:

  • Eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit auf um die 30 Stunden pro Woche – bei vollem Lohnausgleich.
  • Unternehmen, die Dividenden ausschütten, müssen die zusätzlich Kosten aus den Profiten gezahlt werden.
  • Für Betriebe in der Krise können staatliche Unterstützung für eine Übergangszeit beantragt werden. Betriebe, die staatliche Unterstützung erhalten, müssen in einen zwingenden Mitbestimmungsprozess mit der Beschäftigungsvertretung eintreten.
  • Die gesetzliche Arbeitshöchstzeit pro Woche muss auf 40 Stunden reduziert werden. Während des Corona-Lock-Downs ist sie per Verordnung verlängert worden. In der Corona-Krise könnte sie per Verordnung verkürzt werden – zum Schutz der Arbeitsplätze.
  • Die Möglichkeiten, die tägliche Arbeitshöchstzeit von 8 Stunden zu überschreiten, wollen wir strenger beschränken: Ein Ausgleich auf durchschnittlich 8 Stunden müssen innerhalb von 2 Monaten ausgeglichen werden.
  • DIE LINKE fordert, dass ein gesetzliches Recht auf Wahlarbeitszeit geschaffen wird. Neben der Möglichkeit, individuelle Arbeitszeit zu verkürzen (und auf denselben Arbeitsplatz mit voller Arbeitszeit zurückzukehren) wollen wir, für Betriebsräte und Gewerkschaften das Recht zur kollektiven Arbeitszeitverkürzung im Betrieb schaffen.
    Für Vollzeitbeschäftigte wollen wir Wahlarbeitszeiten zwischen 28 und 35 Stunden, für Teilzeitbeschäftigte zwischen 22 und 28 Stunden. Damit die Arbeit auch die Wandlungen des Lebenslaufs und der Familienplanung zum Leben passt.
  • Die Betriebsräte müssen zwingende Mitbestimmungsrechte bei der Personalbemessung im Betrieb bekommen. Die Zahl der zulässigen Überstunden pro Betrieb wird begrenzt; wenn die Grenze erreicht ist, muss zwingend ein Prozess von Personalbemessung und Arbeitszeitverkürzung eingeleitet werden. Es braucht eine Anti-Stress-Verordnung.
  • Im Schichtsystem müssen die Länge der Schichten auf 6 Stunden begrenzt werden und der Lohn auf dem aktuellen Niveau ausgeglichen werden.
  • Wir wollen ein Recht auf Mindeststunden (22/Woche) bei Teilzeitarbeit.
  • Geteilte Dienste, in denen „Pausen“ zwischen Teilen des Arbeitstages liegen, wollen wir abschaffen: Die gesamte Zeit zwischen Dienstbeginn und Dienstende innerhalb eines Arbeitstages muss bezahlt werden (bzw. bei Nachschichten Tag des Dienstbeginns und Ende des Dienstes am folgenden Tag).

 


[1] Gegenwärtig wird diese Frage für viele Menschen durch die Notwendigkeit zu Existenzsicherung beantwortet. So z.B. für die vielen Beschäftigten, die gezwungen sind im Niedriglohnsektor zu arbeiten. Für sie stellt sich die Frage nach einer individuellen Arbeitszeitverkürzung nicht, da sie mit dem dadurch geringeren Verdienst nicht über die Runden kommen können. Auch viele der durch Corona als systemrelevant charakterisierten Berufe befinden sich im Niedriglohnbereich. So liegt z.B. das Einkommen von Verkäuferinnen im Durchschnitt bei rund 1.830 Euro (nach lohnspiegel.de der Hans-Böckler-Stiftung).

[2] Davon kann in Tarifverträgen oder mit Betriebs- und Dienstvereinbarungen nach oben (bzgl. der täglichen Höchstarbeitszeit) und nach unten (bzgl. der täglichen Ruhezeiten) abgewichen werden. Außerdem kann die tägliche Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden erhöht werden, wenn binnen 24 Wochen oder eines halben Jahres ein Ausgleich auf durchschnittlich 8 Stunden erfolgt.