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betrieb & gewerkschaft

Zanon: Eine Fabrik ohne Chefs

Wladek Flakin

15 Jahre Selbstverwaltung durch Arbeiterinnen und Arbeiter

Zanon ist der Name einer Keramikfabrik in der argentinischen Stadt Neuquén. Hier werden Fliesen produziert - mit massiven Öfen, Laufbändern, Roboterarmen, alles in einer endlos großen Halle. Zanon ist jedoch besonders, weil etwas fehlt. Ein Besitzer oder eine Besitzerin. Eine Chefin oder ein Chef. Zanon wurde nämlich vor 15 Jahren offiziell umgetauft, (auch wenn der alte Name weiterhin verwendet wird): Fábrica sin Patrón (Fabrik ohne Chef).

Wie kam es dazu? 2001 erlebte Argentinien eine tiefgehende Wirtschaftskrise. Innerhalb eines Monats wurden fünf Präsidenten gestürzt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung stürzte unter die Armutsgrenze. Auch die Mehrheit der Arbeiterinnen uns Arbeiter bei Zanon sollte auf die Straße gesetzt werden. Bereits zwei Jahre zuvor hatte eine klassenkämpferische Liste den Betriebsrat erobert. Dieser Betriebsrat unter dem Vorsitz von Raúl Godoy setze auf direkte Aktion und Basisdemokratie. Die Arbeiterinnen und Arbeiter beschlossen in einer Versammlung, dass sie keine Abfindungen annehmen wollten. Stattdessen verlangten sie die Öffnung der Geschäftsbücher - in der Tat war der Besitzer gar nicht so pleite wie behauptet.

Sie traten in den Streik und errichteten Zelte vor dem Werkstor. Sie besetzten die Anlage und fingen an, Waren aus der Lagerhalle zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Nach einem Monat kamen sie auf eine einfache, jedoch revolutionäre Idee: Sie konnten auch ohne Chef die Produktion wieder aufnehmen. Anfang 2002 liefen die Maschinen wieder an. Alle Entscheidungen haben die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst in Versammlungen getroffen. Ihre Vertreterinnen und Vertreter wurden gewählt und bekamen den gleichen Lohn wie alle anderen.

Zu der Zeit in Argentinien wurden fast 200 Betriebe besetzt. Zanon ist jedoch fast die einzige Erfahrung, die bis heute durchhalten konnte. Das lag auch daran, dass die Kollegnnen und Kollegen die Angebote der Regierung abgelehnt haben, eine normale Genossenschaft zu werden. Raúl Godoy erklärte: "Wir wollten nie nur eine auf sich allein gestellte Kooperative werden. Stattdessen forderten wir immer die Verstaatlichung der Fabrik unter Arbeiterkontrolle. Unser Leitspruch war 'Zanon gehört der Bevölkerung', um zu unterstreichen, dass die Fabrik nicht unser Eigentum war, sondern wir sie in den Dienst der Bevölkerung stellen wollen, vor allem in Hinsicht auf den Bau von Sozialwohnungen."

Das war möglich wegen einer Politik der Solidarität: "Wir haben uns mit der Bewegung der Erwerbslosen verbunden, die uns vor allem während der Räumungsversuche verteidigt haben. Wir konnten eine erhebliche Produktivitätssteigerung erreichen und dadurch 170 neue Arbeitsplätze schaffen, die an Genossinnen und genossen aus der Erwerbslosenbewegung gingen. Wir haben uns mit der indigenen Gemeinschaft der Mapuche über den Abbau von Tonerde verständigt. Die örtliche Universität hat uns bei der Planung der Produktion geholfen. Wir wollten von vornherein nicht nur uns selbst retten oder ein 'Inselchen des Sozialismus' schaffen. Zanon ist ein Schützengraben des Klassenkampfes."

Auch die Zahl der Arbeitsunfälle ging auf fast null zurück. Zanon ist ein ganz kleines Beispiel dafür, dass eine andere Art von Wirtschaft möglich ist. Die Arbeiterin Celia Martínez, die in der besetzten Anzugsfabrik Brukman aktiv war, trieb diesen Gedanken noch weiter: "Wenn wir Arbeiterinnen und Arbeiter eine Fabrik verwalten können, warum nicht ein ganzes Land?"

Dagegen wird eingewendet, Arbeiterinnen und Arbeiter seien zu dumm oder zu faul oder zu desinteressiert. Aber erst wenn Menschen Verantwortung für ihre Lebensumstände übernehmen können, werden wir lernen, wie solidarisch wir sein können (und müssen).

Aber Zanon ist nicht vom Himmel gefallen. Godoy und andere revolutionäre Sozialistinnen und Sozialisten wie er hatten jahrelang daran gearbeitet, die Selbstorganisierung der Arbeiterinnen und Arbeiter zu stärken. Damit Zanon selbst überlebt, und damit weitere Betriebe von Arbeiterinnen und Arbeiter selbst verwaltet werden, brauchen wir auch antibürokratische Strömungen in den Gewerkschaften.

Wladek Flakin, freier Journalist aus Berlin und Redakteur der Nachrichtenseite "Klasse Gegen Klasse"