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betrieb & gewerkschaft

"Wir machen das nicht für Euch, sondern mit Euch"

Christoph Ellinghaus ist zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Geschäftsstellen Jena, Saalfeld und Gera mit insgesamt 15.000 Mitgliedern in den Branchen Metall und Elektroindustrie, Holz, Kunststoff, Textil und textile Dienste. Mit ihm sprach Jana Seppelt.

Ihr habt in den letzten Jahren sehr gute Erfahrungen gemacht mit bedingungsgebundener Gewerkschaftsarbeit und Mitgliederzuwächse erreicht, mehr Betriebsräte gegründet, eine steigende Tarifbindung verzeichnet und konfliktfähige Betriebsratsgremien entwickelt. In welchen Bereichen sind diese Organisierungserfolge zu verzeichnen?

Die Leitbranche ist die Metall- und Elektroindustrie mit 35.000 Beschäftigten In Thüringen. Wir haben eine Tariforientierung von ungefähr 75% und eine Tarifbindung von 50% der Beschäftigten in der Branche. In Thüringen finden wir eine gespaltene Betriebslandschaft vor. Einerseits gibt es die tarifgebundenen Betriebe seit den 90er Jahren, andererseits haben wir viele kleinere Betriebe, die entweder in den 90ern/ 2000ern entstanden sind und keine Tarifbindung hatten und bis heute nicht haben. In diesen Betrieben stellen wir fest, dass die Beschäftigten aufgrund unterschiedlicher Ursachen in den letzten 5 Jahren ein großes Interesse an Betriebsratsgründungen und Tarifverträgen entwickelt haben. Sie wenden sich von sich aus an die IG Metall, werden Mitglied und dann ist ihre Erwartung „Macht es für uns“. Wir sagen dann deutlich, wir machen das nicht für Euch sondern mit Euch.

Was sind denn Gründe für dieses Interesse?

Das hat einerseits mit einer stabilen ökonomischen Entwicklung der letzten 10 Jahre zu tun, andererseits auch mit der demographischen Entwicklung. Demographischer Wandel im Osten bedeutet insbesondere Facharbeitermangel und damit sinkende Erwerbslosenzahlen und ein Stück verloren gegangene Angst, bei einem Konflikt gegebenenfalls vor dem Nichts einem Abgrund zu stehen. Das Wesentliche ist aber, dass die Generation, die in den 90er Jahren die Stabilität der Betriebe garantiert, aber auch in den Abgrund geschaut hat, seit 5 Jahren die Betriebe verlässt und nicht mehr den Ton angibt. Die 45- bis 55-Jährigen sind in den Westen gegangen. Die Beschäftigten von 25-35 Jahren haben Ansprüche und stehen vor der Frage, ob sie sich für eine kollektive Auseinandersetzung oder für individuellen Karriereweg entscheiden. Diese Frage ist noch offen, aber in den organisierten Betrieben haben sie sich für die IG Metall entschieden und da gewinnen sie viel.

Wie kommt ihr von der Erwartung „Macht das für uns“ hin zu „Wir machen das mit Euch“?

Wir arbeiten sehr viel beteiligungsorientierter und transparenter, viele Entscheidungen werden auf die Mitglieder verlagert und Prozesse als gemeinsame Auseinandersetzung gerahmt. Es ist also nicht damit erledigt, dass ich Mitglied werde. Wir arbeiten mit Aktivenkreisen, wir arbeiten viel mit Mapping aus dem Organizing und der Ansprache von Nichtmitgliedern. Wir können Kräfteverhältnisse im Sinne der Beschäftigten nur verschieben, wenn wir auch konfliktorientiert gegenüber dem Management vorgehen. Wir wollen keine Stellvertreterpolitik. Wir wissen, dass wir nur zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen vor dem Tor Druck entwickeln können. Warnstreiks müssen so organisiert sein, dass die Beschäftigten vor dem Tor ihre Handlungsmacht und Wirksamkeit spüren und Erfahrungen sammeln können.

Verändert die stärkere Beteiligungs- und Konfliktorientierung die IG Metall?

Da stehen wir erst am Anfang. Positiv geschätzt haben wir 15% unserer Betriebe erreicht. , wir sind damit eine der erfolgreichsten Geschäftsstellen der IG Metall in unserer Region. Gesamtgesellschaftlich gesehen führen wir jedoch höchstens exemplarische Auseinandersetzungen. Trotzdem ist die Perspektive eine positive, weil viele junge Kolleg*innen die Erfahrung machen, dass man was bewegen kann: Gemeinsam, solidarisch und jenseits nationalistischer Zuschreibungen.

Was muss Politik denn tun, damit ihr in der Offensive bleiben könnt?

Wir haben das vor der Wahl von rot-rot-grün formuliert: Lasst uns gemeinsam Absprachen darüber treffen, wie wir miteinander für die Interessen Lohnabhängiger agieren. Ein solches gemeinsames Projekt wird gesellschaftliche Konflikte und harte Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern, der CDU und FDP bedeuten. Das wäre meine Erwartung gewesen, ist aber nicht Teil eines gemeinsamen politischen Verständnisses in der Breite der drei Parteien. Nur so wären gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verschieben, die wir dringend gegen den Rechtstrend brauchen.