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Leipziger Parteitag

Überzeugende Konzepte

Rede von Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen

Liebe Genossinnen und Genossen! Ich bin froh, dass ich eine rote Jacke und eine Mütze habe. Da steht drauf Konfusionsbeauftragter. Diese Jacke und diese Mütze habe ich bekommen, als wir uns aus der PDS und der WASG aufgemacht haben, eine gemeinsame deutsche linke Partei, die dauerhaft links von der SPD ist, die gemeinsam dieses Land sozialer und gerechter gestaltet, zu gründen.

Ich erlebe gerade eine lebhafte Diskussion. Ich sage dem Parteitag Danke für die lebhafte Diskussion, denn es hilft gar nichts zu glauben, dass man Themen unter dem Teppich kehren kann. Wir werden dann nur über den Teppich stolpern. Und ich denke, wir müssen dann auch kontrovers über die unterschiedlichen Sichten auf das, was wir tun und zu verantworten haben, reden. Welche Funktion hat man, wenn man Ministerpräsident ist, und welche Freiräume hat ein Ministerpräsident und welche hat er nicht?

Das sage ich nicht als Selbsthilfegruppe jetzt vor dem Parteitag, sondern weil mehrere Redner gesagt haben, es wäre doch schön, wenn die Länder, die links mitregiert oder wie in Thüringen von mir verantwortet werden, nicht mehr abschieben würden. Ich teile diese Auffassung. Und auch diejenigen, die es mir nicht glauben, denen sei gesagt, dass ich immer wieder öffentlich erwähnt habe, dass für mich jede Abschiebung eine menschliche Niederlage in meiner Arbeit ist. Es sind Bundesgesetze, die zu vollziehen sind. Sie werden so vollzogen, dass wir jedes Mal gezwungen werden, auf der Ebene mit Polizeieinsätzen etwas zu machen, was ich erbärmlich finde. Und, Genossinnen und Genossen, die Frage müsst ihr euch beantworten: Wenn wir das verändern wollen, brauchen wir Mehrheiten im Bund, die mir den Rücken freihalten, damit das nicht mehr geschieht. Dazu müssen wir dann auch die Bundesebene verändern. Ich mache das an einem Beispiel fest: Ich lehne Hartz IV ab, und ich war froh, dass die gemeinsame Partei DIE LINKE das Plakat hatte "Hartz IV ist Armut per Gesetz". Und als Gewerkschafter habe ich gesagt, Hartz IV ist nicht nur Armut für die, die Hartz IV bekommen, sondern Hartz IV und alle Hartz-Gesetze haben die Solidarität in den Betrieben zerstört, haben Leiharbeit zur Regelarbeit gemacht, haben dazu geführt, dass Leiharbeitnehmer als Lohndrücker eingesetzt worden sind. Deswegen habe ich Hartz IV abgelehnt. Und wenn wir das verändern wollen, brauchen wir eine Mehrheit im Bund, damit wir die Regeln auch umsetzen können. Wenn wir Armut überwinden wollen, dann müssen wir uns über Armut verständigen bzw. über Armut reden, also nicht nur von Reichtum reden, den wir besteuern wollen. Wir müssen auch deutlich machen wie wir Armut überwinden wollen. Drei Millionen Kinder, die unter Hartz IV-Bedingungen groß werden, sind für mich drei Millionenmal Schande für unser Land. Und wenn wir verstehen wollen, warum Menschen auf einmal AfD wählen oder glauben, "Deutsche zuerst" würde ihr Problem lösen, indem man Inländer und Ausländer gegeneinander stellt, indem man die Schwachen gegen die Schwächsten stellt und den Konkurrenzkampf immer weiter nach unten drückt.

Wenn wir gegen dieses neoliberale Modell etwas entgegnen wollen, brauchen wir Konzepte, die uns Wählerinnen und Wähler auch abnehmen, die sie auch glauben. Deswegen will ich mal ein Beispiel sagen: Das mag euch paradox vorkommen. Aber das unser Hund Hundefutter kriegt und für Hundefutter 7 Prozent Mehrwertsteuer gezahlt wird, dass aber für Schulessen 19 Prozent Mehrwertsteuer erhoben wird. Ich möchte nicht, dass mein Hund Schulessen kriegt, und ich möchte nicht, dass Kinder Hundefutter kriegen. Ich möchte, dass wir Kinder in den Vordergrund stellen und dass wir sagen, alles, was für Kinder da ist, wird auf 7 Prozent Mehrwertsteuer gesenkt, und zwar alles. Dienstleistungen, Klamotten - alles, was Kinder brauchen. Gleichzeitig möchte ich, dass Bildung und Betreuung beitragsfrei wird.

Ich danke Janine Wissler und den Hessen. Die Hessen haben durchgesetzt, dass die Studiengebühren abgeschafft worden sind. Wir haben es uns als Vorbild genommen. Und ich sage, richtig so. Studiengebühren gehören abgeschafft. Aber wenn die Studiengebühren abgeschafft sind, warum erheben wir dann noch Beiträge für den Kindergarten? Deswegen ist es nicht ganz banal wer ein Land regiert. Wir haben jetzt das letzte Kindergartenjahr vor der Einschulung beitragsfrei gestellt. Brandenburg hat es mittlerweile auch getan. Wenn mir dann immer entgegengehalten wird, ja, Rheinland-Pfalz hat es komplett freigestellt, dann bitte ich darum, mal ins Detail zu gehen. Ob man in einem Kindergarten sechs Stunden Service hat oder zehn Stunden, wie es bei uns ist. Wir halten zehn Stunden Servicezeit für die Kindereinrichtungen vor. Wir haben den Hort an der Schule. Ich möchte, dass Kinder gekochtes Essen in ihren Einrichtungen bekommen, und zwar nicht von einer XY-Firma, die chinesische Erdbeeren hat, sondern aus der Nachbarschaft, wo per Hand gekocht wird. Und auch darüber müssen wir reden. Deswegen, Bildung und Betreuung beitragsfrei. Und das nicht nur in Thüringen und Brandenburg, sondern deutschlandweit. Das muss unsere Aufgabe sein.

Liebe Genossinnen und Genossen! Es war der 6. September 2015. Da kam der erste Flüchtlingszug aus Wien über München nach Thüringen. Er kam nach Saalfeld, den Ort, wo sonst immer Nazis demonstrieren. Das war der Grund, warum ich am 06.09. meine Reise abgebrochen habe und nach Saalfeld gefahren bin und persönlich dabei war als die ersten Flüchtlinge nach Thüringen kamen. Ich bin solange dabei geblieben, bis alle Flüchtlinge untergebracht waren. Das hat mir bei allen Nazis und der AfD den Beinamen Inschallah-Bodo eingetragen. Und es ist die AfD, die Sharepicks gemacht hat, wo ich als Muezzin abgebildet bin, weil ich mich für Religionsfreiheit und Religionsgewährung und Toleranz einsetze. Und es war die AfD, die ein Sharepick von mir gemacht hat, wo mein Gesicht in einer Statur im Po zu sehen ist, weil ich für die Magnus-Hirschfeld-Tage in Thüringen die Schirmherrschaft übernommen habe. Wenn ihr also wissen wollt, ob es egal ist, wer regiert, dann müsst ihr darüber nachdenken, ob ihr euch solidarisch an die Seite eines Ministerpräsidenten stellt, der sich da klar erkennbar zeigt.

Und Genossinnen und Genossen, die kritisch nachgefragt haben, warum müsst ihr Bundesrecht umsetzen, könnt ihr nicht einen Abschiebestopp verhängen. Dazu brauche ich einen Rechtsrahmen. Wir hatten ihn beim Winterabschiebestopp. Das hat drei Monate funktioniert, und dann gingen die Klagen gegen uns los. Wir sagen im Moment, nach einer gewissen Uhrzeit darf nicht mehr in ein Haus reingegangen werden. In die Schule darf nicht reingegangen werden. Das ist nur die mildere Form, aber löst das Thema nicht. Deswegen brauchen wir eine Altfallregelung für alle Menschen, die da sind. Und, liebe Genossinnen und Genossen, genau das habe ich am Freitag im Bundesrat als einziger Ministerpräsident gesagt: Wir beteiligen uns nicht an der Verschärfung dieses Praxis, dass die Familien zusammen, dieser Nachzug nicht erfolgen kann.

Ich bitte deshalb, dass ich an der Konferenz auch teilnehmen kann, damit wir uns einbringen können, wir aus unserer Sicht auch den Vollzug von Ausländerrecht, Flüchtlingsrecht und Asylrecht verbessern können, weil wir praktische Vorschläge haben, wie wir die gute Nachbarschaft von Menschen organisieren können, weil wir aufpassen müssen, dass wir die hunderttausend Menschen, die ehrenamtlich sich um Flüchtlings- und Integrationsarbeit kümmern, dass wir ihnen nicht vor dem Kopf schlagen mit einer akademischen Debatte, die sie nicht verstehen. Deswegen, Genossinnen und Genossen: Ich bin für die Konferenz und danke den vier für den Vorschlag. Aber ich werbe auch dafür, dass ein Ministerpräsident immer wieder auch deutlich macht, dass er ein Parteibuch einer Partei hat, auf die er stolz ist, eine muntere Partei, eine laute Partei, eine Partei, die Widersprüche wenigstens thematisiert und keine Partei, die einfach beim neoliberalen Diskurs mitmacht. Deswegen bin ich auch froh, dass meine Partei noch nie im Bundestag bei Auslandseinsätzen und Militäreinsätzen zugestimmt hat, bei Asylrechtsverschärfungen nicht zugestimmt hat.

Und ich sage, als in Rojava die Situation eingetreten ist, dass Rojava frei wurde, habe ich die Vertreter von Rojava nach Thüringen in die Staatskanzlei eingeladen und habe sie selbstverständlich empfangen. Und als Afrin vom NATO-Partner Türkei besetzt wurde war ich derjenige, der als Ministerpräsident getwittert hat, Solidarität mit Afrin. Wir müssen die NATO-Frage auf die Tagesordnung setzen. Wir dürfen der Türkei nicht durchgehen lassen, dass sie jetzt auf einmal so tut als wenn die NATO keine Wertegemeinschaft wäre. Genossinnen und Genossen, ich habe gelernt - zumindest habe ich das in Westdeutschland in der Schule gelernt -, die NATO sei eine wertebasierte Verteidigungsgemeinschaft. Herr Erdogan verteidigt keine Werte von mir. Meine Werte sind das nicht, sondern da wird Menschenrecht gebrochen. Deshalb ist es eben kein Wunder, als ich meine Solidarität mit der YPG und mit Afrin getwittert habe, dass die türkischen Faschisten mich zum größten Gegenstand ihrer Kampagne gemacht haben, und zwar zum Negativsten. Meine Frau wird bedroht. Ich werde bedroht, und zwar mit Bildern, die hier niemand sehen möchte. Wenn man dann zur Kenntnis nimmt, dass jetzt die AKP mit mir Wahlkampf in der Türkei macht und sagt, ich sei Teil der Verschwörung, der gegen die Türkei arbeitet, weil ich mich solidarisch auf die Seite der Kurden stelle, dann sage ich, ich will auf der Seite der Kurden stehen, und zwar mit euch gemeinsam.

Aber ich würde gerne den Nachbarn bei uns in den Wahlkreisen auch zurufen, wofür wir stehen: zum Beispiel für die Abschaffung des Ehegattensplittings - und das Geldvolumen gewandelt in Kindergrundsicherung, zum Beispiel Bildung und Betreuung beitragsfrei, zum Beispiel Mehrwertsteuer senken für alles, was für Kinder ist. Wir müssen deutlich machen: DIE LINKE kümmert sich um Kinder und um den Weg der Kinder in diese Welt, weil wir jeden Einzelnen brauchen werden. Armut darf nicht ausgrenzend sein. Wir müssen gemeinsam Armut bekämpfen und Armut überwinden. Dafür braucht es ein gerechtes Steuersystem. Als Christ sage ich, einer trage des anderen Last, und wer mehr auf die Schulter nehmen kann, trage auch bitte etwas mehr.