Zuviel Zeit?! Bildungsurlaub als Klassenkonflikt
Kolja Griebner
Können wir unsere erkämpften Rechte überhaupt noch wahrnehmen? Nicht nur bei den Reallohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen der letzten Jahrzehnte kommen an diesem Punkt manchmal Zweifel auf. So gibt es in den meisten Bundesländern (nicht in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen) einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Bildungsurlaub. Dennoch wird dieses Recht nur von einem verschwindend geringen Anteil der Beschäftigten wahrgenommen. Auch die Ausweitung von unsicheren und atypischen Arbeitsverhältnissen führte in letzter Zeit zu weniger Beteiligung an Bildungsurlaubsangeboten. Die Verfügung über die eigene Arbeitskraft ist auch hier der Kernkonflikt: Es geht um indirekte Lohnkürzungen!
Um den Gegenwert von Bildungsurlaub zu verdeutlichen, eine kleine Beispielrechnung: Eine Woche Bildungsurlaub entspricht der Verfügung über Stunden im Umfang der Wochenarbeitszeit pro Jahr. Bei einer 40 Stundenwoche also 40 Stunden. Bei 25 Urlaubstagen bleiben 47 Arbeitswochen im Jahr. Teilen wir die 40 Stunden, über die wir in unserer Woche Bildungsurlaub verfügen können, durch die 47 Arbeitswochen im Jahr kommen wir auf 0,85 Stunden Wochenarbeitszeit.
40 Stundenwoche/47 Arbeitswochen = 0,85 Wochenarbeitsstunden
Es sind also rechnerisch 51 Minuten verschenkte Arbeitszeit, wenn wir unseren Bildungsurlaub nicht nehmen. Pro Woche! Das entspricht über 2 %, wahlweise vom Lohn oder der Arbeitszeit, die massenhaft - um es noch mal zu sagen - verschenkt (!) werden.
Neben der materiellen Seite von Bildungsurlaub bilden die kulturellen Aspekte ebenfalls mindestens zwei Ansatzpunkte für positive gesellschaftliche Entwicklung. Erstens die direkt an die Verfügung über Zeit anknüpfenden, bei der Wahrnehmung von erkämpften Rechten gemachten Erfahrung. Und zweitens die konkreten, fachlichen und inhaltlichen Erkenntnisse, die sich aus dem gemeinsamen Lernen mit Kolleginnen und Kollegen aus ganz unterschiedlichen Betrieben ergeben.
Die Möglichkeiten, die angerissenen Punkte, oder auch etwas ganz anderes, in Form von Bildungsurlaub gemeinsam zu vertiefen, sollten wir vermehrt nutzen und bekannt machen. Denn die praktische Verfügung über unsere Zeit hat eine Menge Potenzial. Bildungsurlaubsangebote von partei- und gewerkschaftsnahen Veranstaltern können vor Ort erfragt werden oder finden sich im Internet beispielsweise unter www.dgb-bildungswerk.de
Wir sehen uns dort!
Kolja Griebner (30) ist aktiv in ver.di Hamburg.