Zivilgesellschaft und Partei
Horst Schmitthenner
Angesichts der bestehenden Machtverhältnisse sowie der Vielfalt der gesellschaftlichen Bedingungen und Akteure ist keine Partei auf sich alleine gestellt in der Lage, politische Projekte für die Allgemeinheit, geschweige denn den Weg in eine bessere, sozial gerechte Gesellschaft erfolgreich durchzusetzen. Schon gar nicht, wenn sie sich auf das politische Feld konzentriert. Der zentrale Ort sozialen Wandels ist die Zivilgesellschaft. In ihr finden die hegemonialen Auseinandersetzungen statt. Zivilgesellschaftliche Organisationen können durch Aufklärung, phantasievolle Aktionen, zivilen Ungehorsam Druck in der Gesellschaft und auf die Politik erzeugen, der der Partei den Handlungsrahmen schafft, um in den Parlamenten die gemeinsam gewollten politischen Projekte in Gesetze, Verordnungen usw. umzusetzen.
Ein herausgehobener zivilgesellschaftlicher Akteur in Deutschland sind die Gewerkschaften, in zweifacher Hinsicht:
Erstens sind sie weiterhin die mit Abstand größten Mitgliederorganisationen. Ihre Organisationsmacht zeigt, in welchem Maße es ihnen gelingt, die Vereinzelung und Konkurrenz in den Reihen der abhängig Beschäftigten aufzuheben, um gemeinsam dem Kapital Widerstand entgegen zu bringen und für humane Arbeits- und Lebensbedingungen streiten zu können.
Zweitens unterscheiden sie sich von allen anderen sozialen Kräften und Bewegungen dadurch, dass sie nicht nur in der Zivilgesellschaft agieren, sondern ihre Verankerung in der Arbeitswelt haben. In den Zentren der Arbeitsgesellschaft, in der Demokratie bis heute weitgehend an den Toren oder Drehtüren von Industrie, Handwerk und Dienstleistungen endet, sind sie die einzige demokratische Interessenvertretung.
Das große Projekt der sozialen Emanzipation, die Durchsetzung von Freiheit und Demokratie, muss gleichermaßen ein arbeits- wie ein zivilgesellschaftliches Projekt sein. Es gibt keinen halbierten Fortschritt. Deshalb sind Gewerkschaften bedeutende Bündnispartner in einer linken Bewegung, für die die Emanzipation des Einzelnen die Bedingung und Voraussetzung für die Emanzipation aller ist.
Die zivilgesellschaftlichen Kräfte wissen, dass sie Akteure in den Parlamenten brauchen, die willens und fähig sind, die Anliegen der sozialen Bewegungen und Kräfte umzusetzen. So wie wir andererseits wissen, dass wir ohne Engagement der Zivilgesellschaft, ohne soziale Proteste und Aktionen nicht erfolgreich Politik im Interesse der Allgemeinheit umsetzen können.
Aus diesem aufeinander angewiesen sein ergibt sich für uns als Partei, dass wir uns als Teil der sozialen Bewegung definieren mit der speziellen Aufgabe, die Umsetzung des politischen Wollens in den Parlamenten zu organisieren.
Dies setzt voraus, dass zwischen den sozialen Kräften und Bewegungen und uns ein Verhältnis besteht, das Agieren auf gleicher Augenhöhe erlaubt. Wir werden unsere sicher auch strittige Zusammenarbeit nicht in den Strukturen der sozialen Bewegung und auch nicht in denen der Partei etablieren können. Wir werden einen partei- und bewegungsneutralen Raum organisieren, in dem Bewegungen und Partei bzw. deren Vertreter um gemeinsame politische Inhalte, Strategien und Handlungsweisen ringen. Aus diesen Verständigungsprozessen können gemeinsame Verabredungen erwachsen, die in die Willensbildungsverhältnisse der sozialen Bewegungen und der Partei einfließen und damit verbindlichen Charakter annehmen.
Horst Schmitthenner, ehemaliger Vorstand der IG Metall, ist im Verbindungsbüro Soziale Bewegungen der IG Metall für den Kontakt zu Parteien und Gruppen zuständig.