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betrieb & gewerkschaft

Wirtschaftsdemokratie wagen

Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE

Eine entscheidende Frage gesellschaftlicher Veränderung ist und bleibt die Eigentumsfrage. Wirtschaftliche Macht bedeutet auch politische Macht. … Eine soziale, friedliche, umweltgerechte, demokratische Gesellschaft erfordert, dass die ökonomische Macht derer, die an Armut, Ausbeutung, Naturzerstörung, Rüstung und Kriegen verdienen, zurückgedrängt und überwunden wird." (Aus dem Programm der Partei DIE LINKE)

Die Demokratie ist in einer Krise. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass sie wählen können, wen sie wollen - am Ende wird nur für eine reiche Minderheit Politik gemacht, während die Interessen der Mehrheit an guten Arbeitsplätzen und einer sicheren Rente, an bezahlbarem Wohnraum, guten Schulen, Krankenhäusern und einer menschlichen Pflege unter die Räder geraten. Die herrschenden Parteien haben es aufgegeben, sinnvolle Gesetze auch gegen die Interessen mächtiger Unternehmen durchzusetzen. Ihre beliebte Ausrede: Die Reichen könnten ihr Kapital aus Deutschland abziehen, Konzerne könnten Standorte verlagern oder schließen, wenn man es wagte, dem Profitstreben Grenzen zu setzen.

Die Erpressungsmacht der Konzerne bekommen auch Gewerkschaften und Beschäftigte zu spüren. Mit der Drohung, Arbeitsplätze zu vernichten, werden Belegschaften diszipliniert und Löhne geschleift - sogar in Unternehmen, die hohe Gewinne machen. Zwar gab es in den letzten Jahren wieder mehr Gegenwehr in Form von Streiks, diese stoßen aber verstärkt an rechtliche Grenzen, da sie angeblich in die "unternehmerische Freiheit" eingreifen. Doch wie wehrt man sich gegen eine Konzernstrategie, die Teile der Belegschaften in "Billigtöchter" ausgliedern will - wie etwa bei der Deutschen Post oder bei der Lufthansa? Wie verhindert man, dass Beschäftigte wie bei Amazon überwiegend befristete Verträge bekommen? Wie wehrt man sich gegen eine krank machende Arbeitshetze, die durch massiven Abbau von Personal etwa in Krankenhäusern erst entstanden ist?

Eine Antwort auf die letzte Frage lieferten die Beschäftigten der Charité in diesem Jahr: Sie erkämpften einen Tarifvertrag, der die Arbeitgeber erstmals dazu zwingt, die Personalausstattung im Krankenhaus zu verbessern. "Die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers endet dort, wo der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter beginnt", stellte das Berliner Arbeitsgericht in einem wegweisenden Urteil fest. Doch was ist mit dem Schutz von Mitarbeitern in Betrieben, die nicht tarifgebunden sind? Inzwischen arbeitet jeder zweite Beschäftigte zu Löhnen, die kein Tarifvertrag mehr regelt - zu einem Verdienst, der heute um 18 Prozent geringer ist als zur Jahrtausendwende. Millionen Arbeitnehmer werden über Leiharbeit, Werkverträge und Dauerbefristungen zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert - und das Gesetz zu Leiharbeit und Werkverträgen von Arbeitsministerin Nahles sorgt dafür, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Um Geringverdiener und Arbeitslose noch stärker zu disziplinieren, hat die Bundesregierung den Jobcentern in diesem Jahr sogar noch härtere Sanktionsmöglichkeiten an die Hand gegeben. Und obwohl von den Beschäftigten in Deutschland bereits rund 2 Milliarden Überstunden jährlich erpresst werden, will Frau Nahles jetzt auch noch das Arbeitszeitgesetz ändern, was die Norm des Achtstundentags aufweichen wird.

Arbeitsmarkt regulieren, Mitbestimmung ausweiten

"Die CDU einschließlich der Kanzlerin sollte aufhören, die Agenda 2010 als Erfolgsmodell zu preisen, und sollte endlich wieder ein humanes Arbeitsrecht in Deutschland durchsetzen, wenn sie einen deutschen Donald Trump verhindern will." (Heiner Geißler, einstiger CDU-Generalsekretär)

Das sollte sich nicht nur die CDU, sondern auch die SPD hinter die Ohren schreiben! Wir brauchen endlich wieder gute Arbeits- und Ausbildungsplätze für alle. Das Hartz-IV Zwangsregime muss abgeschafft und eine sanktionsfreie Grundsicherung eingeführt werden, die vor Armut schützt. Die Systeme der Sozialversicherung müssen repariert werden, indem man Unternehmen und Reiche stärker in die Pflicht nimmt. Der gesetzliche Mindestlohn sollte auf 12 Euro die Stunde erhöht werden, außerdem muss die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erleichtert werden, damit Lohnerhöhungen auch dort ankommen, wo sie am nötigsten sind. Sachgrundlose Befristungen müssen abgeschafft und Leiharbeitsverhältnisse in normale Arbeitsverhältnisse überführt werden. Das Streikrecht sollte ausgeweitet und Arbeitgeber, die Betriebsräte schikanieren oder Werkverträge zu Lohndumping missbrauchen, sollten hart bestraft werden.

DIE LINKE will den Einsatz für diese Ziele mit einer Offensive für mehr Mitbestimmung verbinden. Demokratie lebt von der Erfahrung, dass man selbst etwas bewegen kann. Je ohnmächtiger und fremdbestimmter sich Menschen fühlen, desto anfälliger werden sie für den Ruf nach einem "starken Führer". In Betrieben mit über 100 Mitarbeitern sollte die Belegschaft daher gleichberechtigt mitentscheiden dürfen. Sonntagsreden über Demokratie oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf reichen nicht: Beschäftigte müssen endlich realen Einfluss auf die eigene Arbeitszeit, auf Personal-und Stellenpläne sowie auf strategische Unternehmensentscheidungen bekommen.

Wirtschaftsmacht begrenzen, öffentliches Eigentum stärken

"Eigentum ist eine Frucht von Arbeit." (Abraham Lincoln, 16. Präsident der USA, 1861-65)

Wirtschaftsdemokratie zielt darauf ab, dass die Menschen die Früchte ihrer Arbeit wieder selbst genießen können. Davon sind wir meilenweit entfernt. Immer mehr Menschen sind arm trotz Arbeit, während auf der anderen Seite die Millionäre und Milliardäre in Deutschland inzwischen fast über die Hälfte aller Vermögen verfügen. Wie im Feudalismus entscheidet nicht mehr die eigene Leistung über die Position in der Gesellschaft, sondern die Herkunft. In Deutschland erben 15 Prozent der Bevölkerung mehr, als die ärmere Hälfte der Bevölkerung in ihrem ganzen Leben verdient. Die reichsten 10 Prozent der Familien besitzen mehr als 90 Prozent des Betriebsvermögens. Und diese Familien werden immer reicher, da sie sich einen Großteil der Gewinne aneignen, die von Millionen Beschäftigten erwirtschaftet werden.

Doch wachsende Ungleichheit ist kein Naturgesetz. Man muss auch nicht erst die Machtverhältnisse in ganz Europa verschieben, um für Abhilfe zu sorgen. Würde man wie in den USA die Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft koppeln und bei Austritt aus der Staatsbürgerschaft eine Exit-Tax von gut 20 Prozent auf das gesamte Vermögen erheben, könnten sich die Superreichen einer saftigen Vermögenssteuer kaum entziehen. Und würde man in Deutschland die Patent- und Lizenzgebühren, die nur dazu dienen, Konzerngewinne in Steueroasen zu verschieben, einfach nicht mehr als gewinnmindernd anerkennen, wäre auch ein Großteil der Steuertricks der Großkonzerne erledigt. Nicht nur über Steuern, auch über neue Rechtsformen für Konzerne ließe sich nachdenken. Je größer und je wichtiger ein Unternehmen für die Wirtschaft eines Landes ist, desto notwendiger ist es, die Rechte privater Eigentümer zu beschränken. Die Zeiss-Stiftung liefert ein Beispiel, wie man Unternehmen mit Erfolg sogar "eigentümerlos" führen kann. Unternehmen, die ihre Geschäftspolitik nicht allein am "shareholder value" ausrichten und nicht so einfach von anderen aufgekauft und zerlegt werden können, die ihre Gewinne in Forschung und Entwicklung investieren, statt sie an Aktionäre auszuschütten und die ohne Millionensummen für Manager auskommen, sondern die Vergütung der Führungskräfte auf das Zehnfache des durchschnittlichen Arbeitslohns beschränken - warum sollte solchen Unternehmen nicht die Zukunft gehören?