Was wird aus TRANSNET?
Hans-Gerd Öfinger
Als Anfang Mai die Nachricht vom Wechsel des bisherigen TRANSNET-Vorsitzenden Norbert Hansen in die Chefetage der Deutschen Bahn AG (DB) durchsickerte, schlug dies an der Gewerkschaftsbasis wie eine Bombe ein. Zwar versuchte der geschäftsführende TRANSNET-Vorstand, allen voran der zum Nachfolger Hansens gekürte Lothar Krauß, diesen Vorgang als ein normales Stück "deutscher Mitbestimmungskultur" darzustellen. Doch während ähnliche Karrieresprünge in der bundesdeutschen Geschichte meistens ohne Aufschrei zur Kenntnis genommen wurden, haftete an Hansens Seitenwechsel von Anfang an der Verdacht des vorsätzlichen Verrats.
Als dann eine Woche später Hansen noch den DB-Lokführern mehr Flexibilität und Arbeitseinsatz beim Aufräumen von Zügen empfahl, brach für viele loyale TRANSNET-Funktionäre, für die "der Norbert" stets als kluger und erfolgreicher Vorsitzender gegolten hatte, endgültig eine Welt zusammen. Hansen, der damit offenbar zeigen wollte, dass er zu 150 Prozent in der Chefetage angekommen war, zwang selbst DB-Chef Mehdorn zu einer Art Distanzierung von solchen Aussagen, die "unnötigerweise" Öl ins Feuer gießen mussten.
Der spektakuläre Vorgang macht deutlich, dass Hansen wohl seit Monaten, wenn nicht Jahren ein persönliches Motiv hatte, um die Kapitalprivatisierung der DB zu propagieren und herbeizuführen. Noch vor 10 Jahren galt der frühere Hamburger TRANSNET-Bezirksleiter, der sich nach der Hauptschule in der Bahn und im Gewerkschaftsapparat Schritt für Schritt hochgedient hatte, als kämpferischer Hoffnungsträger im Übergang zum 21. Jahrhundert. Auf dem Gewerkschaftstag 2000 war er mit seinen Attacken auf den Börsenkurs des damals neuen DB-Chefs Hartmut Mehdorn der gefeierte Star. Der Kongress positionierte sich klar gegen jede Form von Zerschlagung und Privatisierung der Bahn. Doch wenig später galt dies für Hansen nicht mehr; nun war eine gemeinsame Front mit Mehdorn und Kanzler Schröder angesagt, um durch einen "integrierten Börsengang" vorgeblich eine Zerschlagung zu verhindern. Hansen präsentierte vor den Delegierten 2004 Mehdorn als Manager, der das deutsche Mitbestimmungsmodell ernst nimmt. "Norbert und ich haben früher gemeinsam die Revolution geplant, die wir heute verhindern müssen"; erklärte Kanzler Schröder beim Gewerkschaftstag 2004 unter starkem Applaus; beide kennen sich aus gemeinsamen Zeiten im Juso-Bundesvorstand Ende der 70er Jahre.
Auch wenn jetzt Lothar Krauß beteuert, er strebe keine Karriere im DB-Management an, so sind er und viele seiner Vorstandskollegen doch Nutznießer des "Systems Hansen". In diesem System wurde der Gewerkschaftsapparat gezielt auf den Börsengang orientiert und die Mitgliedschaft entpolitisiert. Kritische Diskussionen über die Privatisierung wurden in den gewerkschaftseigenen Medien unterbunden. Viele Kritiker wurden mit Zuckerbrot und Peitsche integriert bzw. mundtot gemacht. Manche wurden durch Aufsichtsratsmandate bei der DB oder Tochterunternehmen, bei der DEVK-Versicherung oder Sparda-Bank eingebunden und kamen dadurch in den Genuss eines kleinen Zubrots. In anderen Fällen wurden aufmüpfige Betriebsräte durch gezielte Intrigen des Gewerkschaftsapparats aus wichtigen Positionen entfernt.
Nach Hansens Abgang forderten wichtige TRANSNET-Untergliederungen wie der Bezirk Nord-Ost, die Region West oder die Ortsverwaltung Bonn weit reichende Konsequenzen bis hin zum Rücktritt des geschäftsführenden Vorstands und Neuanfang, der Einberufung eines außerordentlichen Gewerkschaftstags und der Abkehr vom bisherigen Börsenkurs Hansens. Einige Gliederungen fordern auch Hansens Ausschluss. Doch der geschäftsführende Vorstand möchte die aktuelle Krise aussitzen und hofft, dass Fußball-EM und Sommerpause den Hansen-Schock überwinden und vergessen helfen und danach wieder der Alltag einkehrt.
Ob sich TRANSNET nach der jüngsten Austrittswelle längerfristig wieder stabilisieren kann, muss sich zeigen. Während andere Gewerkschaften, insbesondere ver.di, IG Metall und GDL, insgeheim auf den Zustrom abtrünniger TRANSNET-Mitglieder hoffen, fordert die TRANSNET-Basisinitiative "Bahn von unten" die Mitglieder auf, die Gewerkschaft wieder von unten nach oben in die eigene Hand zu nehmen und zu einer kämpferischen Interessenvertretung zu machen: "Für alle, die ihre Wut in eine positive Bewegung umsetzen wollen, gilt: Reintreten und TRANSNET umkrempeln!", heißt es in einem aktuellen Flugblatt.
Hansens finaler Verrat liegt darin, dass er mit der Propagierung des jetzt eingeleiteten Holdingmodells, also der "Teilprivatisierung" der neuen ausgegliederten DB Mobility Logistics AG (ML AG), nicht nur mit verantwortlich ist, wenn drei Viertel der Belegschaft direkt dem Renditezwang ausgesetzt werden. Er hat damit auch einer widersinnigen Zerschlagung des lebendigen Organismus Bahn Vorschub geleistet, die er angeblich immer verhindern wollte. Denn vieles deutet darauf hin, dass die ML AG über kurz oder lang wichtige Tochtergesellschaften aus dem Service-Bereich – etwa Reinigung, Sicherheit, IT, Werke, Technik – ganz verkaufen wird.
TRANSNET hat eine Existenzberechtigung als Bahngewerkschaft im DGB und in einer einheitlichen Bahn. Es mag sein, dass eine auf kurzfristige persönliche Vorteile und Prestige bedachte Führung durch ihre Unfähigkeit zum Bruch mit dem System Hansen, zur Abkehr vom Börsenkurs und zum Neuanfang diese Existenzberechtigung über kurz oder lang gefährdet. Noch lohnt es sich aber, für eine transparente und kämpferische TRANSNET einzutreten. Noch ist keine Aktie verkauft. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren.