Zur Sache: Was erwarte ich vom ver.di-Kongress? Welche Anforderungen gibt es?
Kersten Artus, Delegierte
Eine Woche lang werden im September 1.000 Delegierte in Leipzig beraten. Ein Kongress dieser Größe hat immer eine eigene Dynamik. So erlitt der Vorstand in 2007 eine ungeplante Niederlage, als ihm die Teilnehmenden die Folgschaft für eine Verlängerung des ver.di-internen Kongress-Zyklus verweigerte – von vier auf fünf Jahre. Nun wird anderweitig gespart: Künftig wird es nur noch eine Stellvertreterposition geben.
Gerechtigkeit, Würde, Solidarität – das ist das Motto für 2011. Eine Korrektur der bislang geforderten Höhe eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes auf 8,50 Euro dürfte zur Beschlusslage werden.
Die Bundestagswahl 2013 wirft ihre Schatten voraus: Wird es ver.di gelingen, eine aktive Rolle für eine Weichenstellung hin zur sozialen Gerechtigkeit einzunehmen? Sollte es zu einem Regierungswechsel kommen, sind klare Positionen zur Wirtschaftsdemokratie erforderlich. Der Schuldenbremse muss zudem eine klare Absage erteilt werden, denn sie wird massive Kürzungen der Sozialetats zur Folge haben, weil sie den Staat handlungsunfähig macht. Daran schließt sich die Frage an: Wie gestaltet sich überhaupt noch gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht – auch und gerade vor dem Hintergrund weitgehender Deregulierung von Rechten in der Arbeitswelt? Wer soll – in Anbetracht sinkender Mitgliederzahlen – Tarifrechte überhaupt noch durchsetzen und damit die Urkraft gegen das ruinöse kapitalistische Treiben, die Belegschaften, noch mobilisieren?
Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung von Vollzeitarbeitsverhältnissen, nach dem Generalstreik, für mehr Mitbestimmung, für besseren Gesundheitsschutz in den Betrieben – dies sind Inhalte von Anträgen, die zur Beschlussfassung vorliegen. Gesellschaftspolitisch muss und wird sich ver.di zum Atomausstieg, zur Steuergerechtigkeit und zur Finanzierung des Gesundheitswesens positionieren.
Ein brodelnder Konfliktherd wurde gerade noch rechtzeitig vor dem Kongress befriedet: Der Gewerkschaftsrat erteilte der Tarifeinheit eine Absage. Sie beinhaltete eine Einschränkung der im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheit. Monatelang hatte es offenen Streit auf Konferenzen und in Vorständen gegeben. Ob sich bis September die Gemüter abgekühlt haben, wird sich nicht zuletzt am Wahlergebnis des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske zeigen.