Neue EU-Richtlinie zu Gesundheitsdiensten: Binnenmarktfreiheit für Betuchte
Klaus Dräger
Die Europäische Kommission hat am 2. Juli 2008 eine neue EU-Richtlinie über die Anwendung von Patientenrechten bei grenzüberschreitenden Gesundheitsdiensten vorgeschlagen. Diese greift die gleichen Themen im Gesundheitsbereich wieder auf, die im ursprünglichen Entwurf der EU-Dienstleistungsrichtlinie schon einmal enthalten waren, dann aber ausgeklammert wurden. Es geht also wieder um "Bolkestein durch die Hintertür".
Der Entwurf stützt sich auf die einschlägigen Urteile des Europäischen Gerichtshofs, dass das Gesundheitswesen durch die EU-Binnenmarktregeln grundsätzlich erfasst ist, auch wenn seine Organisation und Finanzierung allein den Mitgliedstaaten obliegt. Insbesondere will die Kommission den Zugang zu und die Übernahme der Behandlungskosten von Gesundheitsdienstleistungen im EU-Ausland nach dem Kostenerstattungsprinzip lösen. Entsprechende Behandlungskosten sind von Patienten vorab aus eigener Tasche zu zahlen. Sie sollen dann zuhause bis zur Höhe der Kosten einer vergleichbaren Behandlung vom inländischen Sozialversicherungsträger erstattet werden.
Die von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen zur Kostenerstattung verstärken den Trend zur Zwei-Klassen-Medizin, denn siefördern eine EU-weite Patientenmobilität für den betuchten Euro-Jetset. Diese Klientel kann so daheim Wartelisten entfliehen und Angebote der besten Spezialisten EU-weit suchen und "einkaufen". Die Gleichheit in der Gesundheitsversorgung unabhängig vom Einkommen der PatientInnen und den Kosten der Behandlung wird bei dieser Art von EU-weiter Patientenmobilität aber aufs Gröbste verletzt. Für eine normale Verkäuferin, einen Stahlarbeiter oder eine Mini-Jobberin kommen die schönen "Binnenmarktfreiheiten" der Kommission kaum in Frage. Sie können sich in der Regel Reisekosten, Unterbringung etc. im Ausland kaum leisten. Wegen sprachlicher Barrieren und Unsicherheit über die rechtliche Lage im EU-Ausland erscheinen Normalbürgerinnen die Risiken einer gezielten Suche nach Angeboten von Gesundheitsdiensten zudem als zu hoch. Und eine Rumänin oder ein Bulgare wird auch kaum auf diesem Weg in Deutschland oder Frankreich eine Behandlung finden, weil ihre jeweilige Krankenkasse nicht einmal einen Bruchteil der dort anfallenden Kosten erstatten würde.
Der Entwurf schlägt eine europaweite gegenseitige Anerkennung von Rezepten vor. Damit könnten auch Medikamente im eigenen Land erworben werden, die in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind, zuhause aber nicht. Rezepte könnten auch in elektronischer Form (E-Rezept) verschrieben werden. Das öffnet Tür und Tor für dubiose Praktiken via Internet ("Organisierung" von EU-Auslandsrezepten für Tablettensüchtige oder für zuhause nicht zugelassene Medikamente) und entfacht einen Wettbewerb um Rezeptgebühren, Zuzahlungen und dergleichen.
Der Entwurf würde der Europäischen Kommission zusätzliche Kompetenzen im Bereich der Gesundheitspolitik verschaffen (Telemedizin, EU-Referenznetzwerke und -zentren zu seltenen Krankheiten, Definition von Krankenhausleistungen usw.) – häufig selbst ohne ausreichende Kontrolle durch das Europäische Parlament.
DIE LINKE lehnt diese Richtlinie komplett ab. Gesundheit ist keine Angelegenheit von Wettbewerb und EU-Binnenmarkt, sondern Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Sozialschutzsysteme.
Klaus Dräger ist Mitarbeiter der Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL)