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betrieb & gewerkschaft

Im Sommer 2015 in Griechenland

Xaver Merk

Zweimal zwischen Mitte Juni und Ende Juli war ich für mehrere Tage auf Kreta. Das Programm verband Besuch bei langjährigen Freunden, etwas Urlaub und politische Gespräche. Dabei waren uns mehrere Eindrücke wichtig: Was halten die Griechen von der aktuellen politischen und sozialen Situation, wie gehen die Menschen mit dieser Situation um und was gibt es für aktuelle Informationen aus dem Parlament bzw. wie macht die Athener Regierung mit welchen Zielen weiter?

So spannend wie manche Entwicklung sich immer wieder darstellt, so überraschend und manchmal auch neu waren manche Antworten.

Wenige Tage vor dem Referendum machten wir uns, mit einer Fahnen der LINKEN im Gepäck, auf den Weg. Eine spontane Einladung zu einer Flash-Mob-Demo der Syriza-Anhänger in Rethimno war die erste Überraschung. Dort wurden uns einige der TeilnehmerInnen vorgestellt: ein Finanzbeamter, ein Immobilienmakler, eine Uni-Professorin für Kunst und Medien, die Stadtratsfraktion mit ihrem Vorsitzenden, eine Lehrerin, Aktive der Syriza-Nachwuchsorganisation, Mitarbeiter in Ministerien und bei Syriza-Abgeordneten. Die Breite der gesellschaftlichen Unterstützung war die nächste Überraschung. Solche Veranstaltungen finden unregelmäßig in vielen Städten Griechenlands statt, um die Regierung in den Verhandlungen mit der EU zu unterstützen.

Die wichtigste Frage war ganz offensichtlich die nach den Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Politik des deutschen Finanzministers Schäuble. Dieser ist der eigentliche "Gegner" und Grund allen Übels. Die Syriza-Mitglieder und Aktiven der Partei sehen sehr wohl die Bemühungen der LINKEN in Deutschland um Unterstützung der griechischen Regierung. Sie sehen aber auch sehr real unsere begrenzten Mittel, hier wirklich Einfluss zu nehmen auf die Austeritätspolitik von Merkel, Schäuble und der EU. Allein schon unser Interesse an ihrer Situation und die gelegentlichen Besuche, um sich vor Ort zu informieren, werden mit viel Aufmerksamkeit und Dank honoriert.

Um die internen Probleme der griechischen Regierung, insbesondere innerhalb der Syriza-Fraktion, zu lösen, sollen nun ein außerordentlicher Parteitag Ende September und eventuell Neuwahlen im November (Redaktion: Inzwischen sind Neuwahlen für den 20. September anberaumt.) organisiert werden. Insbesondere beim Parteitag stehen die Partei-Strategen vor der Frage, wie sie es schaffen, nicht nur Parteitagsdelegierte über die künftige Politik abstimmen zu lassen. Sie wollen diesen Parteitag öffnen - nicht nur für heutige Parteimitglieder, sondern für Freunde der Partei, für Syriza-Wähler vom Januar 2015 oder für Unterstützer beim Referendum. Aber eines scheint sicher zu sein: Die Verlierer dieses Parteitages werden die Partei verlassen, darunter wohl alle entlassenen Minister und die noch amtierende Parlamentspräsidentin. Sie werden eine neue Partei gründen und mit ihr zur geplanten Neuwahl antreten. Dort soll dann die KKE keine Chance mehr haben ins Parlament einzuziehen.

Die zur Zeit immer noch außerordentlich positive Stellung von Syriza in der Meinung der Griechen ist ganz offensichtlich kein Verdienst der Partei selbst, sondern fast ausschließlich in der Person des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras begründet. Dazu habe ich mehrmals den Satz gehört: Tsipras ist der einzige der griechischen Spitzenpolitiker, der sauber ist. Gegen ihn gab und gibt es keine Korruptionsvorwürfe, er arbeite nicht in die eigene Tasche, er sei ehrlich. Tsipras vermittelt den Griechen den Eindruck, dass er alles erdenkliche unternommen hat und auch in Zukunft unternehmen wird, um die negativen Auswirkungen der EU-Zwangsmaßnahmen auf das griechische Volk so gering wie möglich zu halten. Dabei kommt ihm zugute, dass er und seine Regierung von Anfang an mit "offenen Karten" gespielt haben. Transparenz wurde zu einem bis dahin in Griechenland nicht gekannten Politikstil erhoben.

Mein Freund George Kalaitzakis aus Prevelina, ein politischer Kopf der Extraklasse, bestätigt uns Tage später beinahe jede Aussage, die wir im politischen Spektrum gehört haben. Georges kämpft mit seiner Familie gegen die Auswirkung der EU-Erpressungspolitik auf die Menschen in seinem Umfeld. Seine Frau hat einen kleinen Nebenverdienst in der privaten Altenbetreuung, seine Tochter war lange arbeitslos und ist nun mit sehr niedrigem Einkommen in der Gastronomie beschäftigt, sein Schwiegersohn ist bei der Kommune beschäftigt mit nun fast 40% weniger Lohn. Drei Enkelkinder sind in der Schule und am Beginn einer Ausbildung. Georges selber hat das Glück, und damit die ganze Familie, dass er aus einem langjährigen Arbeitsverhältnis in Deutschland eine deutsche Rente bezieht. Und dazu kommt ein kleiner Gemüsegarten, dessen Erträge nun immer wertvoller werden. Die meisten griechischen Familien haben Zugang zu solchen Selbstversorger-Stationen. Etwa ein Drittel der städtischen Einwohner hat eine solche Versorgungsmöglichkeit durch Familienmitglieder, die auf dem Land leben. Dies sichert hunderttausenden Griechen das Überleben und wird nur durch ein Zusammenhalten der Familien und Nachbarn erreicht. Das ist unseres Erachtens die eigentliche Antwort auf die Frage, wie die Griechen eigentlich diese humanitäre Situation schaffen.

Zurück bei der Familie, die unsere Stamm-Taverne in Pitsidia betreibt. Auch hier kommt das Gespräch schnell auf die aktuelle Politik. Unsere Informationen aus dem politischen Leben in Rethimno veranlassten Manolis, den Chefkoch, zur Aussage: Ich habe auch Syriza gewählt! Er und seine Frau sind nach wie vor von der Richtigkeit dieser Entscheidung überzeugt.

Unsere Überzeugungen sind insgesamt gewachsen. Das griechische Volk ist wichtiger als die Partei. Wir haben in Deutschland nicht das Wissen, um das Verhalten der griechischen Regierung, des griechischen Ministerpräsidenten oder gar des Volkes be- oder verurteilen zu können. Nach wie vor gilt über die Berichterstattung in den meisten deutschen Medien: Trau keiner Meldung über das Thema Griechenland. Solange das griechische Volk Vertrauen in Tsipras und seine Regierung hat, solange sollten wir deren Kampf auch unterstützen und dabei versuchen, gegen die humane Katastrophe in Griechenland noch aktiver zu werden. Da nützt keine Besserwisserei, von wem auch immer, gegen wen auch immer.

Xaver Merk, Landessprecher DIE LINKE.Bayern, Mitglied Parteivorstand