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betrieb & gewerkschaft

Globalisierung sozial gestalten

Dr. Dierk Hirschel

Der Streit über den Nutzen des Freihandels hat eine lange Geschichte. Vor fast 200 Jahren veröffentlichte David Ricardo seine „Principles of Political Economy and Taxation“. Die zentrale Botschaft dieses Klassikers lautete: Grenzenloser Handel schafft Wohlstand für Alle.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. 150 Jahre nach Ricardo zeigte Nobelpreisträger Paul Krugman, dass Freihandel den wirtschaftlich Starken nutzt. Vom Abbau der Handelsschranken profitieren reiche Industrieländer und transnationale Konzerne.

Aktuell verhandelt die EU-Kommission drei große Investitions- und Freihandelsabkommen: Das transatlantische Freihandelsabkommen- und Investitionsabkommen (TTIP), das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen (CETA) und das Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (TISA). Alle drei Handelsabkommen streben nach einer umfassenden Liberalisierung von Dienstleistungen.

Die Freihandelsbefürworter versprechen mehr Wachstum und Jobs. Nach einer EU-Kommissions-Studie soll TTIP bis 2027 dem alten Kontinent ein jährliches Wachstum von 0,034 Prozent bescheren. Eine Massenkarambolage auf der A3 hat vermutlich einen stärkeren Effekt.

Die jüngsten Abkommen bringen Gefahren und Risiken mit sich. Durch TTIP und CETA sollen private Schiedsgerichte eingeführt werden. Dort können private Investoren Staaten auf Schadensersatz verklagen, wenn sie der Auffassung sind, dass ihre erwarteten Profite durch politische Entscheidungen beeinträchtigt werden. Die private Schiedsgerichtsbarkeit schafft ein paralleles privates Rechtssystem, welches die staatliche Souveränität einschränkt.

Doch damit nicht genug. Der Abbau nicht-tarifärer Handelsschranken (Zulassungsverfahren, Umwelt- und Sozialstandards, etc.) kann dazu führen, dass der steigende Wettbewerbsdruck zu Lasten der Beschäftigten geht. In den USA endet die Demokratie am Werkstor. Die Vereinigungs- und Kollektivverhandlungsfreiheit ist eingeschränkt. Die USA und Kanada haben nur zwei bzw. sechs von acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert.

Die öffentliche Daseinsvorsorge ist für das Gemeinwohl unverzichtbar. TTIP und CETA sind aber Handelsabkommen mit einem allgemeinen Liberalisierungsgebot. Einzelne Dienstleistungsbereiche können nur auf Wunsch der Verhandlungspartner ausgenommen werden (Negativlisten-Prinzip). Ein solches Liberalisierungsgebot erhöht den Liberalisierungsdruck für den gesamten Dienstleistungsbereich.

Unter dem Strich überwiegen die Gefahren und Risiken der jüngsten Freihandelsinitiativen. Deswegen ziehen die Gewerkschaften rote Linien:

Arbeitnehmerrechte und Handel müssen eng verknüpft werden. Zu diesem Zweck sollten alle ILO-Kernarbeitsnormen von allen Vertragspartnern vollständig ratifiziert, umgesetzt und überwacht werden. Öffentliche Dienstleistungen sind aus Handelsabkommen auszuklammern. Negativlisten müssen durch Positivlisten ersetzt werden. Darüber hinaus lehnen die Gewerkschaften private Schiedsgerichte kategorisch ab.

Diese Mindestanforderungen an Handelsabkommen ermöglichen eine soziale Gestaltung der Globalisierung. In den nächsten Monaten wird ver.di gemeinsam mit seinen Bündnispartnern die Handelsabkommen zum Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen machen.

Dr. Dierk Hirschel, Bereichsleiter Wirtschaftspolitik, ver.di Bundesverwaltung