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Für ein stärkeres politisches Mandat der Gewerkschaften

Frank Deppe

"Auf der Ebene des Staates, also der Regierungspolitik, entscheiden sich der Erfolg und die Richtung der Krisenbewältigungspolitik. Selbstverständlich bleibt die betriebliche Interessenvertretung und die Tarifpolitik das "Kerngeschäft" der Gewerkschaften.

Dennoch sind die "allgemeinen gesetzlichen Regelungen" und die Finanzierung von Aufgaben der Daseinsvorsorge und der Bereitstellung einer funktionierenden gesellschaftlichen Infrastruktur – neben den klassischen Aufgaben der Sicherheit – auch für die Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft immer wichtiger geworden.

Hier sind also die Bündnisbeziehungen der Gewerkschaften mit sozialen und politischen Akteuren von besonderer Bedeutung. Deshalb ist die Ebene der Sekundärverteilung (also der Steuerpolitik, über die der Staat in die Primärverteilung eingreift und gleichzeitig die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums steuert) auch für die Gewerkschaften immer wichtiger geworden – wenn auch unter der Herrschaft des Neoliberalismus der Kampf gegen den Abbau von Sozialleistungen, gegen Privatisierung und gegen eine Steuerpolitik, die die Reichen reicher macht, im Vordergrund zu stehen hatte.

Mit der "Rückkehr des Staates" (1) ist auch die Diskussion darüber entbrannt, dass eine grundlegende Korrektur der Umverteilungspolitik der vergangenen Jahre, die die Polarisierung der Einkommen und Vermögen forciert hat, notwendig ist. Die Schaffung von "Investitionsfonds", die durch Steuern der Vermögenden und Spitzenverdiener finanziert und demokratisch (mit gewerkschaftlicher Beteiligung) verwaltet werden, könnten ein wichtiges Steuerungsinstrument sein, das in früheren Debatten über Investitionslenkung (im Anschluss an Keynes) schon einmal gründlich diskutiert wurde.

Gleichzeitig konzentriert sich diese Debatte auf die Höhe der Mittel, die eingesetzt werden müssen, um die Konjunktur zu beleben, und auf die Bereiche, für die sie zur Verfügung gestellt werden. Hier geht es darum, dass sich die Gewerkschaften dafür einsetzen, dass diese Mittel im Bereich der Infrastruktur, der Bildung, der Wissenschaft, im Gesundheitswesen sowie im Pflegebereich eingesetzt werden (und auch beschäftigungsfördernd wirken).

Diese Option für eine keynesianische Wirtschaftspolitik (wie sie auch die Gruppe "Alternative Wirtschaftspolitik" vertritt) ist freilich nur dann eine adäquate Reaktion auf die Tiefe der gegenwärtigen Krise, wenn sie mit der Forderung nach einem breiten öffentlichen und gemeinwohlorientierten Sektor verbunden ist, der die Folgen der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Leistungen (im Sozialbereich) revidiert und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigung leistet.

Schließlich sollten die Gewerkschaften in dieser Debatte ihre Vorstellungen über den Ausbau der Wirtschaftsdemokratie erneuern und präzisieren (2). Die Elemente dieser alternativen Programmatik bilden einen Zusammenhang, der weit über den Wunsch nach der Rückkehr zur "sozialen Marktwirtschaft" hinausweist. Wer für ein "gutes Leben" streitet, der sollte –zumal unter den gegenwärtigen Krisenbedingungen – begreifen, dass dies nur in einer "neuen Gesellschaft" möglich sein wird.

Die Überwindung der strategischen Lähmung setzt eine kluge und realistische Vermittlung dieser verschiedenen Ebenen der Politik und der Interessenvertretung voraus. Wenn es zutrifft, dass in der gegenwärtigen "großen Krise" zugleich das Verhältnis von Ökonomie und Politik, von Kapital und Arbeit neu "justiert" wird und dass die Dynamik der sozialen und politischen Kämpfen über die Richtung der Re-Regulation entscheidet, dann ist die strategische Vermittlung der verschieden Ebenen für die Gewerkschaften eine geradezu existentielle Herausforderung.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors gekürzt aus :"Die große Krise und die Gewerkschaften" isw-report 78, München, September 2009