Fakten gegen Vorurteile
Gastkommentar von Michaela Rosenberger
Klar ist: Flüchtlinge zu schützen ist und bleibt eine humanitäre Verpflichtung unserer Zeit. Und wer Regeln wie die Genfer Flüchtlingskonvention oder die europäische Menschenrechtskonvention in Frage stellt, stellt auch die Grundlagen unseres Rechtsstaates und unserer demokratische Kultur in Frage. Aber warum verfängt ein auf Parolen und Fremdenfeindlichkeit aufbauender und mit naiver Deutschtümelei garnierter Wahlkampf wie jener der AfD bei so vielen Menschen?
Wenn über 80 Prozent der AfD-Wähler mit dem Funktionieren unserer Demokratie nicht zufrieden sind, wenn zwischen 60 und 70 Prozent der AfD-Wähler ihre Stimme nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung über die anderen Parteien an die AfD gegeben haben und wenn wir wissen, dass ein Großteil der ehemaligen Nichtwähler diesmal nicht mehr nicht, sondern AfD gewählt hat, dann gilt es, diese Zeichen zu erkennen und Schlüsse daraus zu ziehen.
In unserer zunehmend globalisierten und durch eine neoliberale Wirtschaftslogik geprägten Welt driften Gewinner und Verlierer immer weiter auseinander. Staatliche Daseinsvorsorge und soziale Sicherungsmechanismen geraten immer stärker unter Druck. Dafür ist die Rente ein gutes Beispiel: War sie in den 90er Jahren noch Garant für ein würdevolles Auskommen im Alter, sehen heute viele Menschen durch sie nur noch das absolut notwendigste, den Grundsicherungsbedarf, abgedeckt. So droht der Rente die Legitimationskrise und damit verbunden sinkt das Vertrauen in den Staat und die staatliche Fürsorge. In ähnlicher Form gilt Gleiches auch für unser Gesundheitssystem. Es muss uns gelingen, die Menschen mitzunehmen und Vertrauen in den Staat und unser Demokratieverständnis durch eine am Menschen ausgerichtete Politik zu fördern.
In unserer täglichen Arbeit als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben wir eben diese Erfahrung gemacht: Dass wir die Menschen, zum Beispiel bei Tarifauseinandersetzungen, mitnehmen und sie zum Teil des Geschehens machen müssen. Sie zu informieren, sie mitgestalten zu lassen und ihre Sorgen ernst zu nehmen – das ist unsere Aufgabe. Und das gleiche gilt auch für die Frage politischer und gesellschaftlicher Teilhabe.
Wir Gewerkschaften haben jeden Tag Kontakt mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben. Gemeinsam erreichen wir täglich mehr als sechs Millionen Menschen, die bei uns – in den Gewerkschaften des DGB – Mitglied sind. Und das können und müssen wir nutzen. Als Gewerkschaft NGG haben wir etwa unseren Betriebsräten und Mitgliedern in der zunehmend radikalisierten Flüchtlingsdebatte grundlegende Informationen, „Fakten gegen Vorurteile“, an die Hand gegeben, um so zur Versachlichung der Diskussion beizutragen. Auf den gleichen Weg werden wir uns in der Auseinandersetzung mit den von der AfD besetzten Politikfeldern machen. Denn natürlich haben diese auch Auswirkungen auf unsere Branchen und die Arbeitsbedingungen in unseren Betrieben. Und deshalb müssen und werden sie auch Thema in den Mitglieder- und Betriebsversammlungen vor Ort sein. Wir sind überzeugt: Nichts hilft besser gegen Demagogen als Aufklärung und aufgeklärte Menschen. Gerade deshalb gilt es, sich differenziert mit den Wahlerfolgen der AfD auseinanderzusetzen, sie zu analysieren und sich wehrhaft und streitbar den Thesen und Forderungen der AfD entgegenzustellen.
In diesem Sinne liegt in den letzten Wahlergebnissen vielleicht auch die Chance, unsere Sinne zu schärfen und verstärkt neue Impulse für eine couragierte Gesellschaft zu geben.
Michaela Rosenberger ist Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)