Der Betrug mit Hartz IV
Gregor Gysi
Der Bundestag hat mit der Mehrheit von Union und FDP Neuregelungen für Hartz IV beschlossen, nachdem das Bundesverfassungsgericht die einst von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Regelsätze für Erwachsene und Kinder für verfassungswidrig erklärte. Fünf Euro mehr für Erwachsene und keinen Cent mehr für Kinder und Jugendliche haben mit einem menschenwürdigen Existenzminimum nicht das Geringste zu tun. So behauptete die Bundesarbeitsministerin, die neuen Regelsätze würden von niedrigen Erwerbseinkommen abgeleitet. Das ist nachweislich falsch, denn unter der willkürlich zusammengestellten Referenzgruppe zur Ermittlung des Existenzminimums befinden sich 20 Prozent Erwerbslose und 38 Prozent Rentnerinnen und Rentner, also Personen, die über keine Erwerbseinkommen verfügen. Das hat nichts mit Transparenz, aber viel damit zu tun, die Leistungshöhe so lange zurechtzubiegen, bis sie den Haushaltswünschen entsprechen.
Darüber hinaus handelt es sich um deutliche Leistungskürzungen. Den Mehrausgaben für die Regelsätze und ein Bildungspäckchen für Kinder und Jugendliche von 1,1 Mrd. Euro stehen Einsparungen in Höhe von 3,8 Mrd. Euro gegenüber, denn allein bei Hartz-IV-Beziehenden werden 2,3 Mrd. Euro durch die Streichung des Elterngeldes und der Rentenbeiträge gespart. Darüber hinaus entfällt künftig das Übergangsgeld von Arbeitslosengeld I zu Hartz IV in Höhe von 210 Mio. Euro. Der so genannte Eingliederungstitel, das heißt die Ausgaben für Weiterbildung, Umschulung und Trainingsmaßnahmen für Arbeitslose, wird im kommenden Jahr um 1,3 Mrd. Euro gekürzt. Die Bundesregierung spart also netto rund 2,7 Mrd. Euro allein im nächsten Jahr bei den Arbeitslosen ein.
Kinder und Jugendliche erhalten keine Regelsatzerhöhung, sondern ein diskriminierendes Bildungspäckchen über 10 Euro monatlich. Damit lassen sich weder der Förderunterricht, noch kulturelle und sportliche Teilhabeangebote verwirklichen.
So kostet allein die musikalische Früherziehung rund 30 Euro und die Mitgliedschaft in einem Sportverein sechs bis acht Euro im Monat. Wer nur zweimal im Jahr ins Theater gehen, das Kino und ein Museum besuchen und obendrein ins Schwimmbad gehen möchte und sich einmal jährlich einen Zoobesuch leisten will, benötigt mindestens einen Betrag von rund 45 Euro im Monat.
Die Regelung geht davon aus, dass alle Kinder, egal wo sie aufwachsen, den gleichen Zugang zu sportlichen und kulturellen Einrichtungen haben. Da das nicht der Fall ist und eine Schülerin aus dem vorpommerschen Dargun nicht die Möglichkeiten einer Berliner oder Hamburger Schülerin besitzt, ist sie von vornherein von der Wahrnehmung dieser Angebote ausgeschlossen.
Die Hartz IV-Neuregelungen ließen sich noch verhindern, wenn die SPD die Mehrheit im Bundesrat nutzte und die Gesetze der Bundesregierung ablehnte. Ob sie endlich den Mut dazu aufbringt und sich aus der Hartz IV-Logik löst, ist noch offen.
Darüber hinaus bleibt der erneute Gang nach Karlsruhe, denn das vom Bundesverfassungsgericht geforderte schlüssige und transparente Verfahren hat es bei den Berechnungen des Existenzminimums für Erwachsene, Kinder und Jugendliche nicht gegeben.
Zu einer vernünftigen Regelung zur sozialen Grundsicherung gehört unbedingt ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro brutto je Stunde, um Lohndumping zu bekämpfen und damit der Abstand zwischen Lohn und Transferleistung stimmt.