1968 - 2008: 40 Jahre Lehrlingsbewegung
Gerald Kemski
In der Medienöffentlichkeit wird im Hinblick auf das Jahr 1968 fast ausschließlich auf die Studentenbewegung Bezug genommen, als wäre damals nur an den Hochschulen und Universitäten etwas in Bewegung geraten. Das Jahr 1968 steht aber gleichzeitig für den Beginn der Lehrlingsbewegung, den Aufschwung der Gewerkschaftsjugend und die Herausbildung von sozialistischen Zusammenhängen im Bereich der Arbeiterjugend.
Am 6. November 1968 fand in Hamburg die erste selbstständige, von den gewerkschaftlichen Jugendausschüssen initiierte Lehrlingsdemonstration statt. Die Slogans "Brauchst Du einen billigen Arbeitsmann, schaff Dir einen Lehrling an" und "Ausbildung ja – Ausbeutung nein!", unter denen hunderte junge GewerkschafterInnen durch die Innenstadt demonstrierten, waren bald auch auf Demonstrationen in anderen Teilen der Alt-BRD zu hören.
Hintergrund waren die Auseinandersetzungen um die Schaffung eines Berufsbildungsgesetzes. Im Jahre 1968 wurden in der BRD gewerblichen Lehrlinge nach "Omas Gewerbeordnung" aus dem 19. Jahrhundert ausgebildet, für kaufmännische Lehrlinge galten Teile des Handelsgesetzbuches, das ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert datierte. Mindeststandards für die Berufsausbildung gab es praktisch nicht.
Am 14. März 1969 tagte in Hamburg das "Arbeiterjugendgericht". JugendvertreterInnen aus den großen Metall- und Chemiebetrieben der Stadt saßen über die skandalöse Praxis der Berufsausbildung nicht nur in den Handwerksbetrieben, sondern auch in den Großkonzernen zu Gericht. Sie kamen zu einem vernichtenden Urteil angesichts der realen Zustände. Das bundesweit beachtet "Arbeiterjugendgericht" wurde von der SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) organisiert, die sich am 4./5. Mai 1968, dem 150. Geburtstag von Karl Marx, in Essen gegründet hatte.
Bereits damals machte man sich in den Konzernzentralen, so bei Thyssen und Krupp, Gedanken, wie Berufsbildung so organisiert werden kann, dass sie lediglich ein Mindestmaß Qualifizierung für alle, dafür aber möglichst viel Profit für den Konzern mit sich bringt. In der so genannten Stufenausbildung sollten nur wenige die höchste Stufe erreichen, also eine umfassende Ausbildung erhalten. In abgewandelter Form erleben wir heute auf EU-Ebene einen sehr ähnlichen Angriff auf die Qualität der Berufsausbildung für alle. Heute müssen sich Auszubildende und Gewerkschaftsjugend mit der "Modularisierung" der Berufsausbildung auseinandersetzen. Das Wort ist neu, der Inhalt bekannt.
Verdienst der Lehrlingsbewegung, der Gewerkschaftsjugend und linker Jugendverbände wie SDAJ, Jusos und Falken ist es, dass es überhaupt zu einem Berufsbildungsgesetz (BBiG) kam, auch wenn es in sehr vielen Punkten weit hinter dem zurückblieb, was von den Jugendlichen gefordert wurde.
Konfliktpunkt für die Lehrlingsbewegung war auch die Interessenvertretung im Betrieb. "Von den Kollegen gewählt – von den Bossen gefeuert" titelte die "solidarität" (Zeitung der DGBJugend) im Juli 1973. Gemeint war das Schicksal vieler Betriebsjugendvertreter (heute JAV). Aktiver als mancher Betriebsrat setzten sie sich für ihre Kolleginnen und Kollegen ein und wurden oft als Einzige nach der Lehre nicht übernommen. Kündigungsschutz nach dem damals gültigen Betriebsverfassungsgesetz gab es für Betriebsjugendvertreter nicht.
Für die Organisationen, in denen sich die aktiven Lehrlinge betätigten, brachte die Lehrlingsbewegung einen Aufbruch. So waren es vielerorts die gewerkschaftlichen Jugendausschüsse, die nach Jahren der Saalveranstaltungen, die Gewerkschaften am 1. Mai wieder auf die Straße brachten.
Unzweifelhaft ist, dass für die große Mehrheit der Aktiven dieser Bewegung "der Sozialismus" die Perspektive darstellte, selbst für die, die Mitglied der SPD waren. Erbitterte Debatten wurden über den Weg zu diesem Ziel geführt. Wenn auf der Anti-G8-Demo 2007 in Rostock im Block der Linksjugend [’solid] der Ruf "A-Anti-anticapitalista" zu hören war – gibt es die Gewissheit, dass der Kampf weitergeführt wird.
Gerald Kemski ist Mitglied im BundessprecherInnenrat der AG Betrieb & Gewerkschaft und war von 1969 – 1972 Mitglied des Bezirksjugendausschusses der ötv-Hamburg