Zum Hauptinhalt springen
2023/459

LINKE Anforderungen an eine Krankenhausreform: Integrierte Versorgung statt Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft

Beschluss der Parteivorstandsberatung vom 8. Juli 2023

1)   Einleitung. 3

2)   Krankenhausfinanzierung: Von der finanziellen Steuerung zur Sachsteuerung. 4

Betriebskosten. 4

Investitionskosten. 6

Transformationskosten. 7

Kritik an den aktuellen Reformvorschlägen. 7

3)   Integrierte Versorgung und Planung: Wie und wo sollen Bedarfsplanung und Bedarfssteuerung stattfinden?  8

Sektoren überwinden - Versorgungszentren einführen 10

Digitalisierung. 10

Kritik an den aktuellen Reformvorschlägen. 11

4)   Entprivatisierung in gemeinwohlorientierte Trägerschaft12

Kritik an den aktuellen Reformvorschlägen. 12

5)   Mehr Personal und sichere Versorgung durch bessere Arbeitsbedingungen 13

Fachkräftemangel, Leiharbeit und Stammbelegschaften. 13

Kritik an den aktuellen Reformvorschlägen. 14

Einleitung

Die Reform der Krankenhausfinanzierung ist notwendig und eine große Chance, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern, wieder am Gemeinwohl auszurichten und sie damit langfristig zu sichern. Die Krankenhausreform bietet die Möglichkeit für einen Systemwechsel in der Krankenhauspolitik, der den ökonomischen Druck von den Krankenhäusern nimmt. Der Zweck eines Krankenhauses ist nicht, Profite zu erwirtschaften, sondern die Bevölkerung bedarfsgerecht zu versorgen. Krankenhäuser sind Teil des Sozialstaats. Profite und Insolvenzen zu ermöglichen und sie mittels finanzieller Steuerung in einen wirtschaftlichen Wettbewerb zu zwingen waren politische Fehler, die korrigiert werden müssen.

Die Schäden, die das System der Fallpauschalen (DRGs) in den letzten knapp 20 Jahren verursacht hat, sind gravierend – für die Patient:innen, für die Beschäftigten, für die Versorgungsstrukturen und für die Gemeinschaft. Die Unterfinanzierung der Krankenhäuser durch zu geringe Investitionsmittel der Bundesländer verschärfen die Probleme. Ebenso wie fehlende politische Handlungsmöglichkeiten und fehlender politischer Wille, eine bedarfsgerechte Krankenhausplanung umzusetzen.

Der Veränderungsdruck ist hoch, eine grundlegende Reform unabdingbar. Der aktuelle Reformprozess, der im Wesentlichen auf den Vorschlägen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung beruht, benennt zwar viele der Probleme. Die vorgeschlagenen Konzepte werden diesen Problemen aus unserer Sicht aber leider an vielen Stellen nicht gerecht. Die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern markiert in vielerlei Hinsicht ein inhaltsleeres Kompetenzgerangel und keine produktive Diskussion. So oder so lassen viele Vorschläge eher eine Verschlechterung der Situation vermuten. Nur wenn die Krankenhausreform spürbare Verbesserungen schafft, wird sie in der Bevölkerung auf Akzeptanz treffen und nicht als Sozialabbau wahrgenommen.

Nach unserer Auffassung müssen Krankenhäuser nach Bedarf, Behandlungsqualität und Gemeinwohl organisiert und finanziert sein. Statt Profit und Kostendruck muss eine hochwertige Versorgung der Patient:innen im Mittelpunkt stehen. Diese setzt zwingend gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten voraus. Ein bedarfsgerechter, nichtdiskriminierender Zugang zur Krankenhausversorgung erfordert eine demokratisch legitimierte und an sozialen und gesundheitlichen Zielen orientierte Steuerung – keine ökonomischen Zwänge.

Dass betriebswirtschaftliche Ziel eines Krankenhauses ist es, die genannten Versorgungsziele vollständig – bei effizienter und wirtschaftlich sparsamer Betriebsführung – zu erreichen. Betriebswirtschaftliche Strategien und Zwänge zur Gewinnerzielung und Verlustvermeidung, finanzielle Anreize zum „Abarbeiten von Fällen“ und die Ausnutzung der moralischen Verpflichtung des Personals gegenüber den Patient:innen stehen im Gegensatz dazu und müssen beendet werden.

Im Folgenden legen wir unsere Anforderungen an eine Krankenhausreform in diesem Sinne dar, für die wir uns vor Ort in den Kommunen, in den Ländern und im Bund einsetzen. Wir werden uns entschieden gegen eine Reform stellen, die aus Kostengründen Krankenhäuser schließt oder Betten abbaut und damit die Versorgungsqualität verschlechtert.

Wir fordern ein, dass der Krankenhaussektor nicht isoliert von den Bereichen der ambulanten und niedergelassenen Versorgung sowie der Pflege und der psychosozialen Versorgung betrachtet und Veränderungsnotwendigkeiten in den Bereichen bearbeitet werden. Sowohl der ambulante wie auch der stationäre Sektor brauchen grundlegende Strukturreformen. Beide Prozesse müssen zusammen gedacht und zusammengeführt werden. Folgerichtig muss auch die Bedarfsplanung beide Sektoren umfassen.

Die Zukunft muss darin bestehen, dass Gesundheitszentren in öffentlicher Trägerschaft das Rückgrat der wohnortnahen Versorgung sind und ambulante, stationäre und notfallmedizinische Leistungen aus einer Hand erbringen. Im Mittelpunkt der Reform muss ein integriertes Gesundheitssystem stehen, das die bestmögliche Prävention und Versorgung, das Wohl der Patientinnen und Patienten und die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in den Mittelpunkt rückt.

Krankenhausfinanzierung: Von der finanziellen Steuerung zur Sachsteuerung

Betriebskosten

Finanzielle Steuerung ist in der Krankenhausfinanzierung fehl am Platz

Die derzeitige Finanzierung der Krankenhäuser steht im Gegensatz zu den sozialstaatlichen Grundsätzen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG). Das oberste Prinzip des KHG, „die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser“ (§1), wird einerseits durch das Finanzierungssystem der diagnoseorientierten Fallpauschalen (DRGs) und andererseits durch die ungenügende Finanzierung der Investitionskosten durch die Bundesländer untergraben.

Mit den DRGs werden leistungsabhängige Erlöse erzielt, wobei Leistung einseitig als erbrachte Prozedur definiert wird. Das Verständnis davon, was eine Krankenhausleistung ist, wird durch das DRG-System betriebswirtschaftlich verstümmelt und geht an der Realität der Krankenhausversorgung vorbei. Die umfassende Leistung der Krankenhäuser als Säule der Gesundheitsinfrastruktur wird von den DRGs nicht abgebildet. Der Zweck des KHG, die Krankenhäuser wirtschaftlich zu sichern und eine bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen, kann mit dem DRG-System nicht erreicht werden. Denn dieses System ist ja gerade nicht zum Zwecke der wirtschaftlichen Sicherung, sondern zur Erzielung von Überdeckungen (Gewinne) und Unterdeckungen der Ausgaben (Verluste) geschaffen worden.

Die bislang angedeuteten Reformvorschläge seitens der Regierung werden entgegen aller Ankündigungen das Fallpauschalensystem erhalten. Die Krankenhäuser werden weiterhin auf das Erzielen gewinnbringender Fälle angewiesen sein. Auch die versprochene zweite Säule, seitens der Regierungskommission als Vorhaltekosten bezeichnet, unterläuft nicht die finanzielle Steuerung: Nach allem, was bislang bekannt ist, wird die zweite Finanzierungsäule eine nachgelagerte Fallpauschale, zumindest aber eine Budgetierung, die Sparmaßnahmen an den falschen Stellen erzwingt.

Die erlösorientierte finanzielle Steuerung der Krankenhäuser führt zu vielfältigen Fehlanreizen, die gravierende negative Auswirkungen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten wie für die Arbeitsbedingungen der im Krankenhaus Beschäftigten haben. Der Zwang, mit leistungsbezogenen Erlösen die wirtschaftliche Existenz sichern zu müssen, führt in den Krankenhäusern einerseits zur Strategie, auf Mengenausweitungen bei lukrativen Diagnosen und Behandlungen zu setzen (z.B. Operationen, apparative Diagnostik). Auf der anderen Seite ist es für Krankenhäuser wirtschaftlich lukrativ, verlustbringende Behandlungen zu vermeiden, also Patientinnen und Patienten zu selektieren, deren Behandlung innerhalb des Abrechnungssystems „unwirtschaftlich“ erscheint. Nicht mehr das Wohl der Patientinnen und Patienten, sondern die Ökonomie steht im Vordergrund. Auch die Folgen für die Versorgungsstruktur sind schwerwiegend: Regelmäßig werden Stationen oder ganze Krankenhäuser aus betriebswirtschaftlichen Gründen geschlossen, obwohl der Bedarf vorhanden ist und obwohl sie eine qualitativ gute Versorgung leisten.

Die Grundlage für Systemwechsel und Entökonomisierung in der Krankenhausfinanzierung ist eine Selbstkostendeckung 2.0

Eine sozialstaatliche und gemeinwohlorientierte Gesundheitspolitik muss die marktwirtschaftlichen Mechanismen und die daraus hervorgehenden erlösorientierten Verhaltensweisen der Krankenhäuser wieder zurückdrängen. Die Entscheidungen über diagnostische, therapeutische und pflegerische Maßnahmen müssen frei sein von betriebswirtschaftlichem Kalkül. Damit medizinische Entscheidungen sach- und bedarfsgerecht getroffen werden können, dürfen sie keinen Einfluss auf die Bilanzen der Krankenhäuser haben. Die Leistungserbringung muss von der Vergütung getrennt und mit dem Ziel der bestmöglichen Versorgung gesteuert werden..

Es sind bundeseinheitliche Qualitätskriterien festzulegen, nach denen Leistungen anzubieten sind. Qualitätskontrollen, Transparenz und Mitbestimmung von Patient*innen müssen in einem kostendeckenden System der Standard werden. Auch wenn es häufig behauptet wird, besteht zwischen Selbstkostendeckung und Wirtschaftlichkeit kein Widerspruch. Gemeinwohlorientierung bedeutet, mit guter Qualität effizient und kostendeckend zu wirtschaften. Nur die Selbstkosten eines wirtschaftlich arbeitenden Krankenhauses werden gedeckt. Die Leistungs- und Kostenstruktur der Krankenhäuser kann dabei problemlos transparent gemacht werden, um sie auf ökonomische Rationalität und die Qualität der Versorgung hin zu überprüfen. Die Kostenträger führen Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch. Eines wird man in den Bilanzen nicht mehr finden: Profite. Gewinne und Verluste widersprechen dem Prinzip der Selbstkostendeckung und sind dann nicht mehr möglich.

Eine neue Selbstkostendeckung muss das Elend des Outsourcings beseitigen

Zu den gravierenden Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre gehört auch das weit verbreitete Outsourcing von Beschäftigten. In vielen Krankenhäusern wurden Stellen abgebaut, um die Dienstleistungen von externen, teils dem Krankenhaus gehörenden Servicegesellschaften erledigen zu lassen. Dies betrifft mehrere zehntausend Beschäftigte – im Jahr 2021 haben die Krankenhäuser mehr als 5 Mrd. Euro für ausgelagerte Dienstleistungen ausgegeben.

Der einzige Zweck dieser Maßnahme ist das Unterlaufen von Tarifverträgen der Krankenhäuser und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen und Entlohnung. Die Belegschaften werden damit gespalten und es verwundert nicht, dass dies insbesondere die Beschäftigtengruppen betrifft, die auf dem Arbeitsmarkt eine schwächere Position haben.

Um in den Krankenhäusern ein umfassendes In-Sourcing ausgelagerter Bereiche zu erreichen, wird die Finanzierung der Personalkosten im Rahmen der Selbstkostendeckung nur dann übernommen, wenn eigene Beschäftigte unter Beachtung der Tarifverträge eingesetzt werden. Auftragsvergabe an Dritte ist so zu beschränken, dass sie nur auf sachlich notwendige Fälle begrenzt wird (z.B. Einkauf von spezialisierten IT-Leistungen, als Krankheitsvertretung bei einem besonders hohen Krankenstand oder wenn der (regionale) Arbeitsmarkt bei Mangelberufen keine andere Wahl lässt).

Investitionskosten

In den aktuellen Reformvorschlägen wird die Frage der Investitionsmisere ausgeklammert. Aber eine umfassende Krankenhausreform benötigt auch eine Lösung dieses Problems. Denn trotz der Verpflichtung der Bundesländer zur Übernahme der Investitionskosten in Krankenhäusern sind in den vergangenen Jahrzehnten die Investitionen der Länder ständig zurückgegangen. Krankenhäuser sind deshalb regelmäßig gezwungen, Investitionen in nennenswertem Umfang aus den laufenden Betriebsmitteln zu zahlen, was zulasten des Personals und damit der Behandlungsqualität geht, für die diese Gelder eigentlich vorgesehen sind. So sind die mangelhaften Investitionen der Länder eine wichtige Ursache für den Personalmangel an den Krankenhäusern.

In vielen Krankenhäusern ist ein immenser Investitionsstau entstanden, der die Krankenhausplanung aushöhlt. Jährlich fehlen mit rund drei Mrd. Euro Investitionsmitteln mindestens derselbe Betrag, den die Länder derzeit aufbringen. Seit vielen Jahren ändert sich an diesen Verhältnissen nichts – ob aus politischem Unwillen oder finanziellen Begrenzungen sei dahingestellt. In jedem Fall ist nicht zu erwarten, dass der bestehende Investitionsstau ohne Eingreifen des Bundes beseitigt wird.

Eine öffentlich organisierte und bedarfsgerecht finanzierte Krankenhausversorgung erfordert auch, die Länder in die Lage zu versetzen, eine flächendeckende Krankenhausinfrastruktur zu sichern und für Neuanschaffungen, An- und Umbauten sowie Modernisierungen die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Insbesondere, da in dem von uns vorgeschlagenen Finanzierungskonzept keine Möglichkeit für Überschüsse mehr besteht, müssen für künftige Investitionen alle notwendigen Mittel bereitgestellt werden, wenn ein Investitionsantrag unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit für die Krankenversorgung vom regionalen Planungsausschuss und dem zuständigen Landesministerium genehmigt worden ist (s.u.).

Deshalb muss sich der Bund zeitweilig an zukünftigen Mehraufwendungen der Länder beteiligen – ohne dass die Länder aus ihrer Verantwortung genommen werden. Dies kann erreicht werden, indem jeder von den Ländern zusätzlich finanzierte Euro, der über den aktuellen (Durchschnitts-)Betrag der Investitionsförderung hinausgeht, mit einem Euro aus Bundesmitteln bezuschusst wird. Wir schlagen seit langem vor, dass der Bund hierfür eine Maximalsumme von 2,5 Mrd. Euro pro Jahr für eine Dauer von zehn Jahren aufbringt.[1]

Mittel- bis langfristig müssen die Bundesländer für den Investitionsbedarf mindestens sieben Prozent des jährlichen Gesamtbudgets der Krankenhäuser des jeweiligen Bundeslands in der Haushaltsplanung berücksichtigen.

Transformationskosten

Der vom Bundesgesundheitsministerium angestrebte Transformationsprozess der Krankenhauslandschaft wird hohe Investitionskosten verursachen – zusätzlich zur ohnehin notwendigen Beseitigung des Investitionsstaus. Einzelne Mitglieder der Regierungskommission Krankenhäuser haben diese Transformationskosten auf bis zu 100 Mrd. Euro geschätzt. Minister Lauterbach sieht im Gegensatz dazu keinerlei Kosten durch die Reform.

Dabei sollte klar sein: Wenn es eine Veränderung der Krankenhausstrukturen geben soll, dann ist dies mit Kosten verbunden – und wenn Bund und Länder gemeinsam das Krankenhaussystem reformieren, müssen sie auch gemeinsam die notwendigen Kosten der Transformation tragen. Nur gemeinsam ist die substanzielle Steigerung der Ausgaben möglich. Dabei ist eine Staffelung der Länder nach den finanziellen Möglichkeiten denkbar. So könnte sich der Bund bei finanziell schwächer aufgestellten Ländern stärker einbringen, während finanziell besser dastehende Länder zur Übernahme eines größeren Anteils der Investitionskosten verpflichtet wären.

Kritik an den aktuellen Reformvorschlägen

  • Die Vorhaltepauschalen sind ein Etikettenschwindel. Der Name suggeriert, dass vorgehaltene Leistungen unabhängig von der variierenden Inanspruchnahme, also mengenunabhängig, finanziert würden. Wenn die Vorhaltebudgets über Leistungsgruppen zugeteilt werden, sind aber Mindestmengen vorausgesetzt. Zudem ändert eine lediglich anteilige Vorhaltefinanzierung, wie sie derzeit in der Debatte ist, nichts an den betriebswirtschaftlichen Optimierungsanreizen. Ein Krankenhaus hat 100 Prozent Kosten und muss seine Einnahmen darauf ausrichten, diese Kosten einzuspielen. Wenn lediglich 60 Prozent der Kosten durch Vorhaltepauschalen gedeckt sind, werden die Controller trotzdem 100 Prozent des Betriebs auf die Erzielung der Einnahmen hin optimieren (müssen). Die Vorhaltepauschalen dürfen nicht als Summe der bisher erzielten DRGs errechnet werden. Wir brauchen eine vollständige Entökonomisierung durch kostendeckende Finanzierung und eine versorgungs- und qualitätsorientierte Steuerung.
  • Eine solch umfassende Strukturreform des Gesundheitswesens kostet Geld. Wer die Qualität durch Konzentration und Spezialisierung sowie durch Ambulantisierung steigern will, muss die nötigen Transformationskosten in die Hand nehmen und sich an den dauerhaft notwendigen Investitionen beteiligen. Die Bundesländer sind durch die Schuldenbremse und mangelnde steuerliche Autonomie nicht in der Lage, diese Herausforderung zu bewältigen. Diese Reform ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von herausgehobener Bedeutung. Das Vorgehen der Bundesregierung, die Verantwortung für die Finanzierung abzuladen, halten wir für unverantwortlich.
  • Die unverantwortliche Art und Weise, wie diese tiefgreifende Reform derzeit diskutiert, im Eiltempo beschlossen und ab dem kommenden Jahr ohne klare Finanzierungsperspektive umgesetzt werden soll, stürzt das Krankenhaussystem in große Unsicherheit. Banken versagen Kredite, weil Unklarheit über die Zukunft der Häuser besteht. Der Fachkräftemangel verschärft sich, weil Menschen ihre Bewerbungen aus diesen Gründen zurückstellen.
  • Der aktuell drängendsten Frage verweigert Lauterbach sich vollständig: Wie können die vielen Kliniken, die derzeit inflationsbedingt hohe Defizite verbuchen, überhaupt bis zur Reform überleben?

Integrierte Versorgung und Planung: Wie und wo sollen Bedarfsplanung und Bedarfssteuerung stattfinden?

Ohne eine Integration der verschiedenen Sektoren des Gesundheitswesens bleibt eine Krankenhausreform unzureichend. Die strikte Unterscheidung zwischen den Sektoren bei Planung und Versorgung muss zugunsten einer sektorenübergreifenden integrierten Bedarfsplanung überwunden werden. Weder die ambulante noch die stationäre Bedarfsplanung gewährleisten momentan eine bedarfsgerechte Versorgung oder wirtschaftliche Mittelverteilung. Weder werden Versorgungslücken effektiv geschlossen, noch Überkapazitäten abgebaut oder dem Bedarf entsprechend umgewidmet.

Wir setzen auf einen Interessensausgleich von Gebietskörperschaften (Länder, Kommunen), Leistungserbringenden (Kassenärzteschaft, Krankenhäuser, Beschäftigtenvertretungen, perspektivisch die weiteren Leistungserbringer), Kostenträgern (Krankenkassen) und Patientenvertretung, um einer gemeinwohlorientierten Planung der Gesundheitsversorgung möglichst nahe zu kommen. Damit diese Akteure gemeinsam Verantwortung für die gesundheitliche Versorgung in einer Region tragen können, muss ein in dieser Weise zusammengesetztes Gremium geschaffen und mit dem Sicherstellungsauftrag ausgestattet werden.

Perspektivisch müssen auch Pflege, Heilmittel (Physiotherapie, Ergotherapie etc.), Apotheken, Hebammen, psychosoziale Angebote, Therapie und Beratung umfasst sein. Nur so können überhaupt Versorgungslücken identifiziert und politische Gegenmaßnahmen zur Versorgungssicherung ergriffen werden.

Der Bedarf sozial benachteiligter Schichten und Regionen muss in einer gemeinwohlorientierten Planung besondere Beachtung finden. Ein vorrangiges Ziel ist der gute Zugang von marginalisierten und anderweitig benachteiligten Bevölkerungsgruppen für eine bessere Gesundheitsversorgung. Zu diesem Zweck muss die Sozialstruktur der Versorgungsregionen möglichst exakt durch Sozialindikatoren beschrieben und berücksichtigt werden. Ziel ist, dass reiche Gebiete nicht länger eine höhere Versorgungsdichte aufweisen als benachteiligte Gebiete. Im Gegenteil: Der höhere Behandlungsbedarf armer und marginalisierter Bevölkerungsgruppen erfordert mehr Versorgung und insbesondere mehr aufsuchende und andere niedrigschwellige Angebote.

Die integrierte Planung der ambulanten und stationären gesundheitlichen Versorgung muss in den Versorgungsregionen anhand bundeseinheitlich definierter und evidenzbasierter Kriterien erfolgen.[2] Insbesondere für die Strukturen der Primärversorgung (Allgemeinmedizin, amb. Gynäkologie, amb. Pädiatrie) und die Akutversorgung (Bereitschaftsdienst, Rettungsstelle/-dienst, Kreißsaal, Akutchirurgie etc.) ist die Wohnortnähe entscheidendes Planungskriterium. Entsprechend kleinräumig müssen der Bedarf ermittelt und Behandlungsangebote geplant werden. Das gilt auch für den großstädtischen Raum, wo sich heute oft die Praxen in reicheren Vierteln mit einem hohen Anteil an Privatversicherten konzentrieren. Je spezialisierter die ambulante oder stationäre Behandlung wird, umso größer werden die akzeptablen Anfahrtswege zugunsten der Qualität und auch die Bedeutung der überregionalen Planung (z.B. Mitversorgereffekte, Häuser der Maximalversorgung, spezialisierte Behandlung seltener Erkrankungen etc.). Die Planung darf nicht an Landkreis- oder Ländergrenzen haltmachen, wenn sie die reale Versorgungssituation vor Ort verbessern soll.

Bis zur Einrichtung einer sektorenübergreifenden Bedarfsplanung gilt es, auch kurzfristig die Landeskrankenhausplanung deutlich zu verbessern. Ein wesentliches Kriterium der Planung muss die Erreichbarkeit sein. Im Notfall ist dies die gesamte Zeit von der Alarmierung bis zur Versorgung im Krankhaus, im Normalfall die gute Erreichbarkeit – auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln.  

Um bundesweit einheitliche Planungsgrundlagen für die stationäre Versorgung zu etablieren, sind die Funktionskriterien für Krankenhäuser der Grundversorgung, der Zentralversorgung und der Maximalversorgung gesetzlich festzulegen (Versorgungsauftrag). Komplexe Leistungen und hochspezialisierte Eingriffe müssen dabei Krankenhäusern höherer Versorgungsstufen vorbehalten sein. Eine Leistungsplanung kann ein Hilfsmittel für die Planung in Versorgungsstufen sein. Dabei dürfen die Versorgungsstufen und die Leistungsgruppen aber nicht für den Ausschluss von Krankenhäusern aus wirtschaftlichen Gründen missbraucht werden.

Auch die Versorgungsdichte (Einrichtungen der Erstversorgung vor Ort, Erreichbarkeit des nächsten Krankenhauses der Grundversorgung und der Einrichtungen der zentralen Notversorgung mit invasiver Kardiologie, Stroke Units, Intensivstationen etc.) ist verbindlich vorzugeben, um damit den Prozess der stationären Versorgungsplanung unter Berücksichtigung der heutigen medizinischen Standards zu optimieren. Zielsetzung für diese Vorgaben ist die Herstellung einer flächendeckenden Versorgung auf gleichem Niveau in städtischen und ländlichen Regionen, die nicht nur auf dem Papier besteht.

Aufgabe der Landeskrankenhausplanung als Teil einer integrierten Gesundheitsplanung sollte sein, den konkreten regionalen Bedarf zu ermitteln und daraus abzuleiten, was für eine flächendeckende Versorgung in einer Versorgungsregion notwendig ist. Für die als bedarfsnotwendig ermittelte Versorgung muss eine kostendeckende Finanzierung sichergestellt werden – einschließlich der Investitionskosten.

Sektoren überwinden – Versorgungszentren einführen

Um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen, muss die Versorgung mit kurzen Wegen – wohnortnah – garantiert sein. Hierfür sind gut vernetzte Strukturen notwendig, in deren Zentrum kommunale Versorgungszentren stehen sollen. Die Finanzierung dieser Zentren muss kostendeckend erfolgen, also ohne Gewinne und Verluste. Versorgungszentren sollen zur tragenden Säule der Grund- und Notfallversorgung vor Ort werden. Um eine bessere Qualität in der Fläche zu erreichen, ist eine gleichmäßige Verteilung dieser Zentren in den Versorgungsregionen erforderlich.

Sie dienen als zentrale Anlaufpunkte bei medizinischem Behandlungsbedarf, organisieren zugleich aber auch die Versorgung in der Peripherie. Rotationspraxen und Patientenshuttles für entlegen Gemeinden oder auch fahrende Praxen können besser als das heutige System der Niederlassungen flexibel auf die Anforderungen vor Ort reagieren. Sie können besser in den ÖPNV eingebunden sein und komplexe Behandlungen ohne „Praxishopping“ gewährleisten. Gesundheitszentren bilden anders als Niederlassungen nicht nur eine gute Grundlage, für Ärzt:innen und andere Berufsgruppen die gewünschten familienfreundlichen und kooperativen Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Sie bieten auch ideal den Raum, die Kompetenzen neuer Berufsbilder wie Community Health Nurses / Advanced Practice Nurses zum großen Vorteil in der Patientenversorgung einzusetzen und die Gesundheitsversorgung multiprofessionell und kooperativ aufzustellen.

Der „gemeinsame Tresen“ gewährleistet eine standardisierte Patientensteuerung in den individuell angezeigten Behandlungszweig (Allgemeinmedizin, spezialisierte Versorgung, Notfallversorgung etc.). Sie hätten Überwachungsbetten und Eingriffsräume sowie alle notwendigen diagnostischen Einrichtungen: Rettungsstelle/Rettungsdienst, Kreißsaal, Akut-/Unfallchirurgie, Pädiatrie, Kapazitäten für kurzstationäre Aufenthalte. Die vor Ort benötigten medizinischen Fachrichtungen der Grundversorgung wären auf Facharztniveau vorhanden (24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche) und zusätzlich telemedizinisch an ein Krankenhaus eines höheren Versorgungslevels angebunden. Durch eine fachärztliche Quote ist die Qualität der Versorgung abzusichern.

In einer Fahrtzeitentfernung von höchstens 30 Minuten muss überall ein Versorgungszentrum der Primär- und Notfallversorgung zur Verfügung stehen. Unter dieser Maßgabe müssen Zahl und Lage der Notarztstandorte und Notarztteams festgelegt werden. Nur so kann die flächendeckende Versorgung in ländlichen Gebieten auf hohem Niveau gewährleistet werden. Wenn in einer Region ein Krankenhaus nicht versorgungsnotwendig ist, sollte es in ein Versorgungszentrum umgewandelt werden, das in Kooperation mit den vor Ort vorhandenen ambulanten Strukturen (medizinische und therapeutische Praxen, Pflegeeinrichtungen/-dienste, Apotheken etc.) nach den Vorgaben der Planungsausschüsse die wohnortnahe Versorgung organisiert.

Digitalisierung

Zur stärkeren Integration ist auch der verbesserte Austausch von Daten innerhalb des gesamten Versorgungssystems zu zählen. Mehrfachdiagnostik kann so vermieden, Behandlungsdauern reduziert und Behandlungsfehler durch mangelnde gegenseitige Information können reduziert werden. Die elektronische Patientenakte (ePA) bietet dafür ein sehr großes Potential. Voraussetzung dafür ist, dass sie klar patientengeführt bleibt, insbesondere auch für Menschen mit eingeschränkter Digitalkompetenz konzipiert wird, von Anfang an ein kleinteiliges Zugriffsmanagement erlaubt und nicht nur technologisch, sondern vor allem auch organisatorisch eine sehr gute Datensicherheit gewährleistet. Die geplante opt-out-Lösung darf nicht dazu genutzt werden, Zustimmungs- und Widerspruchsrechte der Versicherten zu beschneiden. Die Schnittstellen der Krankenhaussysteme sollten standardisiert werden. Auch für die Forschung und Innovationen in der Versorgung sind aggregierte Datenbestände, natürlich anonymisiert, unabdingbar. Hier hinkt Deutschland weit hinter anderen Ländern hinterher.

Die Digitalisierung kann einen starken Beitrag für eine bessere Versorgung im ländlichen Raum leisten. Digitale Sprechstunden, Telekonsile mit Fachärzt:innen, die ehealth-gestützte Integration neuer Gesundheitsberufe oder therapeutischer Versorgung müssen im Patienteninteresse erprobt werden und ggf. in die breite Versorgung gelangen. Die digitalen Möglichkeiten dürfen allerdings nicht dazu gebraucht werden, den Anspruch an eine wohnortnahe Versorgung aufzuweichen und eine Art „Billigmedizin“ für den ländlichen Raum einzuführen.

Kritik an den aktuellen Reformvorschlägen

  • Eine genauere Definition des Versorgungsauftrags durch die Einteilung in Leistungsgruppen ist grundsätzlich sinnvoll, weil damit verhindert wird, dass komplexe Krankheitsbilder in geringer Zahl in Krankenhäusern ohne die notwendigen strukturellen und fachlichen Voraussetzungen behandelt werden. Allerdings sind bei fortbestehender finanzieller Steuerung (DRGs und Vorhaltebudgets) negative Auswirkungen auf die flächendeckende Versorgung zu befürchten.
  • Es bleibt ein grundsätzliches Problem, dass detaillierte Definitionen hohe Hürden darstellen und missbraucht werden können, um Krankenhäuser von der Versorgung auszuschließen. Naiv ist, wer glaubt, dass solche Überlegungen in der Kommission und im Gesundheitsministerium nicht angestellt würden. Dennoch bleibt der Ansatz richtig und wir müssen den politischen Kampf gegen einen Missbrauch solcher Festlegungen führen.
  • Die Reform krankt daher besonders daran, dass der Prozess von Anfang an nur auf den Krankenhaussektor reduziert und mit dem erklärten Ziel der Bettenreduzierung aufgesetzt worden ist. Wer die Qualität der Versorgung verbessern will, muss einer präziseren Funktionszuschreibung im Krankenhaussektor eine komplementäre Struktur im ambulanten Bereich zur Seite stellen. Wir schlagen dafür Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft vor, die erste wohnortnahe Anlaufstelle sind. Werden Krankenhäuser geschlossen, ohne dass die Gesundheitsversorgung insgesamt ausgebaut und verbessert wird, verstärkt dies in der Bevölkerung verständlicherweise die Wahrnehmung, sozial abgehängt zu sein – und bietet damit weiteren Nährboden für rechtspopulistische und rechtsextreme Agitation.

Entprivatisierung in gemeinwohlorientierte Trägerschaft

Seit 1991 hat sich die Zahl der privaten Krankenhäuser verdoppelt, ihr Anteil an Betten mehr als verdreifacht. Die Kommerzialisierung der Krankenhäuser wird hier auf die Spitze getrieben. Am Ende werden die aus Sozialversicherungsbeiträgen erzielten Gewinne an private Eigentümer und Aktionäre ausgeschüttet. Die Privatisierung von Krankenhäusern ist ein Irrweg, den es zu verlassen gilt. Gesundheitsversorgung ist kein Markt und darf nicht als solcher organisiert sein.[3]

Die Orientierung auf Profite und Rendite steht im Gegensatz zum Auftrag der öffentlichen Daseinsvorsorge. Eine sinnvolle Bedarfsplanung ist aus der Sicht privater Träger eine betriebswirtschaftliche Beschränkung ihres Geschäftsmodells. Gegen Planungsvorgaben, die ihren Plänen zuwiderlaufen, gehen sie häufig mit Verweis auf die Berufsfreiheit im Grundgesetz vor (Artikel 12). Der 1984 in das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) aufgenommene Grundsatz der Trägervielfalt verstärkt dieses Problem. Er hat die private Krankenhausindustrie gestärkt, auf Kosten der öffentlichen Träger. Das Gebot der Trägervielfalt (KHG § 1 Abs. 2) soll deshalb ersetzt werden durch das Ziel einer Trägerschaft auf gemeinwohlorientierter und nicht-kommerzieller Basis.

Mit dem Konzept der Selbstkostendeckung 2.0 verbinden wir die Erwartung, dass sich das Problem der privaten Krankenhausindustrie relativ schnell lösen wird: Wo keine Gewinnmöglichkeit, da keine profitorientierten Unternehmen. Aber die Entprivatisierung der Krankenhauslandschaft benötigt einen finanziell abgesicherten Rahmen. Ein Bundesfonds zur Rekommunalisierung soll Länder und Kommunen dabei unterstützen, die Fehlentwicklungen der Privatisierung zu korrigieren und die Krankenhauslandschaft zu entprivatisieren.

Auch der ambulante Sektor krankt an der überwiegend privatwirtschaftlichen Organisation. Für die Integration des ambulanten und stationären Sektors muss auch hier der Einstieg in eine Entprivatisierung geschaffen werden, zum Beispiel durch kommunale Gesundheitszentren (siehe oben) oder Polikliniken/Stadtteilzentren.

Kritik an den aktuellen Reformvorschlägen

  • Die derzeitige Reform überwindet keine Fehlsteuerungen und Dysfunktionalitäten des Krankenhaussystems. Profitorientierung wird zwar vom Bundesgesundheitsminister öffentlich problematisiert, soll aber in keinerlei Hinsicht effektiv eingeschränkt werden, private Träger sollen weiterhin hohe Profite aus den Krankenhäusern ziehen können.
  • Konzentrationsprozesse im Rahmen der Reform könnten diese Gewinne sogar noch vergrößern. Zudem wird die Konzentration auf besonders lukrative Felder („Cherrypicking“) nicht wirkungsvoll eingedämmt. Diese Prozesse sind der Hauptgrund für deutschlandweit verlustreiche kommunale Großversorger, während in vielen privaten Häusern Gewinne gemacht werden.
  • Statt auf profitorientierte Trägerschaft setzen wir auf starke kommunale Häuser, die mit hoher Qualität arbeiten und den Goldstandard bei Arbeitsbedingungen und Kooperation mit Forschung, Öffentlichem Gesundheitsdienst (ÖGD), psychosozialen Angeboten und wohnortnaher Versorgung darstellen können. Zudem lassen sich Synergien zwischen kommunalen Häusern und kommunalen Versorgungszentren heben. Besonders Reformen im skandinavischen Raum haben gezeigt, dass sich Strukturreformen im Sinne von mehr Qualität wesentlich besser umsetzen lassen, wenn die Gesundheitsversorgung komplett in öffentlicher Hand ist.

Mehr Personal und sichere Versorgung durch bessere Arbeitsbedingungen

Krankenhäuser sind für die Patientensicherheit besonders sensible Bereiche. Die dort Beschäftigten benötigen daher die Zeit, um ihre Aufgaben verantwortungsvoll wahrnehmen zu können. In allen Bereichen können patientengefährdende Fehler passieren, von der Pflege über die ärztliche Behandlung bis hin zum Reinigungsdienst. Insbesondere solange es ein Finanzierungssystem mit Anreizen für die Krankenhausleitungen gibt, möglichst viele, möglichst schwere „Fälle“ mit möglichst wenig Personal zu „machen“ ist eine Personalbemessung in allen Bereichen dringend notwendig. Auch die in den Krankenhäusern Beschäftigten brauchen dringend arbeitsentlastende Maßnahmen. Ihre Gesundheit darf genauso wenig aufs Spiel gesetzt werden wie die der Patientinnen und Patienten.

Die Voraussetzung für eine gute und sichere Versorgung im Krankenhaus sind verbindliche und bedarfsgerechte gesetzliche Personalvorgaben für alle Berufsgruppen. Wissenschaftlich fundierte Personalvorgaben bringen eine Vielzahl positiver Effekte mit sich: Sie verbessern die Patientensicherheit, erhöhen die Transparenz durch Veröffentlichung in den Qualitätsberichten, bilden die Grundlage für die Verhandlung der Personalbudgets (Wirtschaftlichkeit) und verbessern die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.

Die Einhaltung der Vorgaben muss kontrolliert und bei Verstößen durch verbindliche Leistungsreduzierung seitens der zuständigen Aufsichtsbehörde wirksam unterbunden werden, z.B. durch zeitweise Reduzierung der Patientenzahlen oder der vorgehaltenen Betten.

Fachkräftemangel, Leiharbeit und Stammbelegschaften

Personalmangel und Leiharbeit sind Symptome schlechter Arbeitsbedingungen in der Krankenhauspflege. Krankenhäuser nehmen Leiharbeit in Anspruch, weil sich der notwendige Personalbedarf mit den zumeist ausgezehrten Stammbelegschaften nicht mehr decken lässt. 65 Prozent der Häuser haben Leiharbeiter*innen in der Pflege beschäftigt, 57 Prozent im ärztlichen Bereich. 93 Prozent der Häuser, die Leiharbeit einsetzen, hätten nach eigenen Angaben die Versorgung der Patient*innen ohne diese nicht aufrechterhalten können.

Anders als beispielsweise in der Bau- oder Reinigungswirtschaft bietet Leiharbeit in der Gesundheitsversorgung für Beschäftigte oft die Chance, Beruf und Privatleben besser zu vereinen sowie in aller Regel eine höhere Vergütung. Aber oft verhindert die Leiharbeit das Entstehen dauerhafter vertrauensvoller Zusammenarbeit in den Teams, was auch die Versorgung / Sicherheit der Patient:innen beeinträchtigt. Außerdem entziehen die Gewinne der Leiharbeitsfirmen dem Solidarsystem finanzielle Ressourcen, die besser in der Versorgung aufgehoben wären. Deswegen wollen wir die Erträge der Leiharbeitsfirmen begrenzen.

Eine Lösung muss bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ansetzen – nicht zuletzt im Interesse der Patient:innen. Erst wenn die Bedingungen für die reguläre Belegschaft deutlich verbessert werden, treiben rechtliche Einschränkungen der Zeitarbeit nicht mehr die dringend benötigten Fachkräfte aus dem Beruf. Wir wollen starke politische Anreize für die Krankenhäuser setzen, die Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaften zu verbessern, z.B. durch verlässliche Dienstpläne, höhere Schichtzulagen, Vier-Tage-Woche und gute Personalschlüssel.

Kritik an den aktuellen Reformvorschlägen

  • Die Frage der Arbeitsbedingungen ist – bezeichnenderweise – kein Gegenstand der aktuellen Reformdiskussion. Aber eine Finanzierungsreform auf Höhe der Zeit muss jeden finanziellen (Fehl-)Anreiz zur Optimierung auf Kosten des Personals und der Arbeitsbedingungen vermeiden. Der Personalmangel in praktisch allen Beschäftigtengruppen im Krankenhaus ist ansonsten nicht zu stoppen.

 

 

 


[1] Da mit dem Krankenhauszukunftsfonds bereits ein ähnlicher, wenn auch finanziell deutlich schlechter ausgestatteter Mechanismus beschlossen wurde, können die hier seitens des Bundes verausgabten Mittel von der neuen Förderung abgezogen werden. Bei der Regelung muss aber im Unterschied zu aktuellen Zuschussregelungen klargestellt werden, dass die von den Ländern aufzubringenden Gelder nicht durch Eigenmittel der Krankenhäuser ersetzt werden können, da dies zu einer Konzentration der Fördermittel auf finanziell starke Krankenhausträger oder solche mit Zugang zum Kapitalmarkt führen würde.

[2] Auch die erforderlichen Ressourcen zur Vorhaltung von Behandlungskapazitäten in Notfallsituationen sind in diese Planung einzubeziehen (insbesondere bei einem Massenunfall, Epidemien, Umwelt- oder Naturkatastrophen etc.).

[3] Dass Kartellbehörden bei sinnvollen Zusammenschlüssen kommunaler Krankenhäuser einschreiten und sie z.T. verhindern wirft ein Schlaglicht auf die Absurdität dieses Organisationsprinzips.