Zum Hauptinhalt springen
2023/412

Frieden für die Ukraine. 7 Schritte zur Deeskalation in Russlands Krieg

Beschluss der Parteivorstandsberatung vom 23. April 2023

14 Monate dauert der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Über ein Jahr später kämpft Russland noch immer auf einer über 1.200 km langen Frontlinie in der Ukraine und hat inzwischen empfindliche Niederlagen einstecken müssen. Beide Seiten haben ihren Einsatz fortwährend erhöht, der Krieg eskaliert schrittweise weiter.

Der verbrecherische Krieg Russlands richtet sich auch gegen die Zivilbevölkerung, durch gezielte Zerstörung von Infrastruktur, massive Menschenrechtsverletzungen und erschütternde Gräueltaten.  Die in der Ukraine vor allem von russischer Seite verübten Kriegsverbrechen müssen aufgeklärt und Schuldige völkerrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Unsere Solidarität gehört allen ukrainischen Menschen, aber auch jenen russischen Menschen, die sich gegen den Wahnsinn dieser russischen Aggression stellen.

Dieser Krieg ist nicht nur ein langwieriger und verlustreicher Stellungskrieg. Unsummen fließen in die Rüstungsindustrien, die massiv am Krieg verdienen.

Immer neue Jahrgänge werden auf beiden Seiten zum Krieg eingezogen. Insbesondere in Russland hat die fortlaufende Mobilisierung die Rolle der radikalen Rechten in den Staatsapparaten weiter gestärkt. Es ist noch nicht einmal sicher, ob Russland wirklich die Entscheidung auf dem Schlachtfeld sucht, oder auf eine langfristige materielle und vor allem personelle Überlegenheit spekuliert. Auch deshalb fordern wir die Bundesregierung zum wiederholten Male auf, Kriegsdienstverweigerung als Asylgrund anzuerkennen.

Als linke und internationalistische Partei verurteilen wir jeden Imperialismus, Nationalismus und Krieg, das gilt auch in Bezug auf Russland. Wer über umfassende mobile nukleare Erst- und Zweitschlagskapazitäten zu Land und zur See verfügt, kann von keinem Akteur ernsthaft existenziell gefährdet werden. Als LINKE haben wir deshalb die inkonsequente Weiterführung europäischer Sicherheitspolitik im Geist der KSZE-Schlussakte über das Ende der Blockkonfrontation hinaus, das Nichtumsetzen der Ziele der Charta von Paris und die Osterweiterung der NATO stets kritisiert. Doch kann dies keineswegs als Begründung für den russischen Angriff auf die Ukraine herhalten. Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen.

Die souveräne Entscheidungsgewalt, bis zu welchem Punkt ein Verteidigungskrieg geführt wird, liegt immer bei den Angegriffenen. Unser Eintreten für Verhandlungen negiert nicht das Recht auf Selbstverteidigung, sondern zielt auf eine Erweiterung von Handlungsoptionen. Die Verengung auf eine rein militärische Perspektive ist mit hohen Risiken, nicht nur für die Ukraine und Russland verbunden, sondern gefährdet inzwischen die globale Sicherheit. Sollte sich bestätigen, dass die NATO 97 Spezialkräfte in der Ukraine im Einsatz hat, wie es kürzlich geleakte US-Geheimakten offenlegen sollen, fördert das die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges über die Ukraine hinaus. Die NATO müsste ihre Spezialkräfte umgehend abziehen.

Als DIE LINKE haben wir Waffenlieferungen in Kriegsgebiete stets abgelehnt und tun das auch weiterhin. Hinter den Lieferungen von immer mehr Waffen ist keine Strategie für ein Ende des Krieges zu erkennen. Wir plädieren für Verhandlungen statt immer weiterer Waffen. Die Mehrzahl aller Kriege wurde in Verhandlungen beendet. Das Ausfechten von Kriegen bis zum militärischen Ende ist historisch nicht die Regel und sollte es auch in diesem Falle nicht sein. Schon allein deshalb nicht, weil jede Verlängerung weiteres unsagbares Leid bringt, mehr und mehr Menschen sterben, von den fortwährenden Angriffen traumatisiert sind, mehr Menschen in die Flucht getrieben werden, Familien noch länger getrennt sind, Zukunftsträume zerstört werden. Jede weitere Zerstörung von Infrastruktur erschwert das Leben vor Ort und den Wiederaufbau. Und jede Fortsetzung von Waffenlieferungen und Verschleiß an Kriegsmaterial ist ein irrsinniger Verbrauch von Ressourcen und Energie, die nicht nur in einer Welt am Rande des Klimakollapses dringend anders verwendet werden sollten, als für Kriege.

 

Aus der reinen Forderung nach Verhandlungen allein entspringt noch kein ernstzunehmender diplomatischer Prozess. Dazu bedarf es des diplomatischen Drucks und auf beiden Seiten die Einsicht, dass die Fortführung des Krieges im Sinne ihrer Interessen zu riskant ist, dass es mehr zu verlieren als zu gewinnen gibt. Daher treten wir für die Formulierung einer Nachkriegsperspektive ein. Mit der gegenwärtig einzig militärisch gedachten Strategie der Verteidigung der nationalen Einheit der Ukraine und westlicher Rüstungshilfe wird kein schnelles Ende des russischen Angriffskrieges, ein Waffenstillstand oder gar Verhandlungsoptionen kurzfristig möglich sein.

Verhandlungsperspektiven im Ukraine-Krieg – (Diese hier formulierten Punkte dienen als Ergänzung unserer Vorschläge vom 17. Dezember 2022 „Für eine Verhandlungsperspektive - Schritt zur Deeskalation im Ukraine-Krieg“)

 

  1. Verhandlungen sind kein idealistischer Traum, sondern Realpolitik, wenn sie reale Kräfteverhältnisse zur Kenntnis nehmen. Die Aussicht auf umfassende Friedensverhandlungen scheint aktuell durch die von der Ukraine und Russland öffentlich genannten Bedingungen in weite Ferne zu rücken. Es gibt allerdings offizielle Gespräche zwischen den Konfliktparteien. Das Format zu den Verhandlungen der Getreideabkommen sollte auf Dauer gestellt und ausgeweitet werden, in ersten Schritten für kleinere, regionale oder anlassbezogene Waffenstillstände zu bspw. Feiertagen oder für die Aushandlung von Schutzzonen um Krankenhäuser, Kindergärten oder Atomkraftwerke. Außerdem darf die Ernährungssicherheit von Drittstaaten, insbesondere in Ländern des globalen Südens nicht zum Spielball geopolitischer Interessen werden.

  2. Die bedingungslose, dauerhafte Verlängerung des Getreideabkommens kann zur vertrauensbildenden Maßnahme für weitere Schritte zur Verreglung des Konfliktes werden, denn Voraussetzung für den Eintritt in Verhandlungen ist das Ruhen der Kampfhandlungen als Schritt zur schnellstmöglichen Beendigung des Krieges. Die kurzfristigen Ziele von Verhandlungen wären ein russischer Rückzug hinter die Linien des 24. Februars 2022 und Demilitarisierung der „Volksrepubliken“. Die langfristigen Ziele beträfen eine Regelung der Verhältnisse auf der Krim, in Luhansk und im Donzek auf Basis der gegenseitigen Anerkennung von Sicherheitsinteressen, lokaler Autonomie und der Integrität der Grenzen von 1991.

  3. Wir machen uns für Sanktionen stark, die gezielt die Fähigkeit Russlands zu Kriegführung treffen. Sanktionen sollen kein Mittel der Bestrafung sein, sie können nur als ein klar definiertes zielgerichtetes Instrument Wirkung entfalten. Wer sie über das Ende des Krieges hinaus aufrechterhalten möchte, sendet zwar starke innenpolitische Signale, aber stärkt auf russischer Seite jene Kräfte, die für Isolation und Fortführung des Krieges sind. Perspektivlosigkeit darf nicht zu einer weiteren Faschisierung der russischen Staatsapparate führen.

  4. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für den Schuldenschnittund Wiederaufbau einzusetzen. Die Ukraine hat dem russischen Versuch eines militärischen Regimewechsels standgehalten, konnte aber bislang die Invasoren nicht entscheidend besiegen. Es ist nicht sicher, ob eine ukrainische Offensive die entscheidende Wende zur Befreiung des gesamten Staatsgebietes herbeiführen wird. Selbst, wenn sie gelänge, der Preis wäre hoch: Weitere große Verluste von Menschenleben, Zerstörungen von Infrastruktur und Wohnraum wären unvermeidbar. Es ist fraglich, ob ein Krieg, der rein militärisch ohne politische Lösung endet, eine Beteiligung Russlands an den Kosten des Wiederaufbaus der Ukraine brächte. Die aber wäre die hochverschuldete Ukraine von ebenso hoher Bedeutung, wie ein Erlass ihrer Schulden.

  5. Die Bundesregierung muss sich für Deeskalation und Verhandlungen einsetzen und Risiken klar benennen. Wir fordern einen Stopp von allen Waffenlieferungen, durch immer mehr Waffen wird eine weitere Eskalation riskiert. Der Ausgang des Krieges ist offen, die Komplexität nicht erfassbar. Jede Eskalation birgt weitere Risiken. Es ist sowohl eine Ermattung beider Seiten im jahrelangen Stellungskrieg als auch der Zusammenbruch einer der beiden kriegführenden Seiten im Rahmen des Denkbaren, wenn die Fähigkeit zur fortwährenden Mobilisierung erlahmt. Diese Situation erfordert Umsicht, Vorsicht und eine Verregelung des Konfliktes als Einstieg in seine umfassende diplomatische Bearbeitung. Deshalb sollte sich Deutschland innerhalb der EU dafür stark machen, diplomatische Initiativen wie die vom brasilianischen Präsidenten Lula oder des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu unterstützen.

  6. Einberufung einer neuen Konferenz für Sicherheit, Umwelt- und Energiepolitik und Zusammenarbeit 2.0, die aktiv Wege und Mechanismen für eine neue Sicherheitskonzeption auf dem europäischen Kontinent erarbeitet. Von einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur war Europa schon vor dem Krieg weit entfernt, auch der Westen war daran nicht unbeteiligt, durch den russischen Angriff ist sie vollends zerbrochen. Dialogprozesse und Dialogformate in der internationalen Diplomatie idealisieren nicht die Gegenseite, sondern kommen dort zum Einsatz, wo Vertrauen zerbrochen ist. Vom Dialogprozess zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung ist es ein weiter Weg. Dennoch bedarf es eines permanenten Rahmens der kontroversen Austragung divergierender Interessen. Ähnlich der OSZE hat dieser auf der wechselseitigen Anerkennung der Souveränität und Sicherheitsinteressen all ihrer Mitglieder zu basieren.

  7. Nichteinsatz von Nuklearwaffen: Russland und der Westen müssen den Nichteinsatz von nuklearen Waffen sicherstellen. Mit fortschreitender Abnutzung der konventionellen militärischen Potentiale steigt schleichend das Risiko nuklearer Kriegführung. Eine Rückkehr zu einer nuklearen Rüstungskontrolle ist noch während des laufenden Krieges anzustreben, auf ihre Realisierung kann nicht bis zur Beilegung des Ukrainekonfliktes gewartet werden.

Wir fordern einen Stopp von allen Waffenlieferungen, durch immer mehr Waffen wird eine weitere Eskalation riskiert.