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2023/463

Es ist höchste Zeit: Gerechtigkeit für den Osten - Strukturwandel aktiv gestalten

Beschluss der Parteivorstandsberatung vom 8. Juli 2023

Die systematische Vernachlässigung des Ostens hat fatale Folgen. Hier sind nicht nur die Umfragewerte der extremen Rechten am stärksten. 33 Jahre nach der Wende machen viele Menschen in Ostdeutschland immer noch die Erfahrung, abgehängt zu sein. Sie erleben, dass „der Osten“ mit hohen Quoten des Niedriglohns und ungleichen Chancen verbunden ist. Im Vergleich zum Westen ist das Leben im Osten oft durch „weniger“ gekennzeichnet: weniger Rente, weniger Lohn, weniger Wirtschaftsleistung, weniger Vermögen, weniger Erben, weniger Urlaubsgeld, weniger Internet. Und: weniger Optimismus beim Blick in die Zukunft, weniger das Gefühl, das eigene Leben bestimmen zu können, weniger Wertschätzung und Anerkennung. Trotz einiger wirtschaftlich starker Zentren ist Ostdeutschland immer noch die größte zusammenhängende strukturschwache Region. Die sozialen Verwerfungen der Nachwendezeit und die Entwertung ostdeutscher Lebenserfahrungen gaben Spuren hinterlassen. Viele Menschen im Osten haben es satt, sich über „weniger“ zu definieren.

Doch noch immer ist der Osten Niedriglohnland. Fast jede*r Vierte arbeitet in Ostdeutschland im Niedriglohn – und diese Statistik erfasst nur die Vollzeitbeschäftigten. In bestimmten Regionen, wie im Kreis Sonneberg, ist es sogar jeder dritte. Die Lohnunterschiede auch z. B. in den technischen Berufen wachsen wieder stärker (WSI, 2022). Der typische Verdienst als Maschinenbautechniker*in mit 10 Jahren Berufserfahrung liegt im Osten bei 3.480 Euro, im Westen bei 4.170 Euro. 

Der Rentenatlas zeigt: Die ostdeutschen Rentner*innen haben die niedrigsten Renten1. Am wenigsten erhalten Rentner*innen in Thüringen mit 1292 Euro. Trotz der identischen Arbeitsleistung, auch bei identischen Arbeitsjahren, hat die Rentner*in in Thüringen im Durchschnitt monatlich 253 Euro weniger als eine Rentner*in im Saarland.

Löhne und Renten sind im Osten niedriger, dafür die Strompreise höher: Für einen Musterhaushalt (4.000 kWh) in der Grundversorgung liegt der Strompreis 15 Prozent über dem in Westdeutschland (Verivox). Was bedeutet, dass beispielsweise Rentner*innen die in Ostdeutschland im Durchschnitt weniger Geld zur Verfügung haben, als die Rentner*innen in Westdeutschland noch stärker von Armut bedroht, sind aufgrund solcher Preisunterschiede.

Die hohe Inflation trifft Haushalte mit niedrigem Einkommen stärker als Wohlhabende. Die Lebenshaltungskosten sind z. B. im Januar 2023 durchschnittlich um 8,7 Prozent gestiegen. Für Menschen mit niedrigem Einkommen lag die Inflationsrate bei 10 Prozent (IMK), bei den Lebensmittelpreisen war die Inflation teilweise deutlich höher – und mit Blick auf die Niedriglohnquote im Osten betrifft das dort mindestens jede*n vierten.

Ostdeutsche Beschäftigte waren lang bereit, Leistung auch unter harten Bedingungen zu erbringen und eigene Interessen zurückzustellen: im Interesse des Betriebs und mit Blick auf die schlechteren Perspektiven im Osten. Die verlorenen Kämpfe gegen die Treuhand steckten vielen lange in den Knochen. Jetzt wächst wieder die Bereitschaft, zu streiken und zu kämpfen. Der Kampf geht um mehr als »nur« die Lohnhöhe und Arbeitsplätze: Streiks sind zum Symbol geworden für Gerechtigkeit, Anerkennung, mehr Mit- und Selbstbestimmung.

Die extreme Rechte bietet mit ihrer Hetze und ihrem Nationalismus dagegen nur einen schlechten Ersatz für wirkliche Verbesserungen. Sie kochen ihre braune Suppe auf der wachsenden Verunsicherung. Sozial- und wirtschaftspolitisch verfolgt sie eine Politik der verschärften Ausbeutung der Beschäftigten. Dafür bietet sie „nach unten Treten“ gegen Minderheiten und eine beschleunigte Zerstörung unseres Klimas. Dabei haben sie von ihrer jahrelangen Verharmlosung durch konservative Landesregierungen und Netzwerke in den Sicherheitsbehörden profitiert. Auch mit Blick auf die Wahlen nächstes Jahr muss klar sein: Es darf jetzt kein „weiter so“ geben, sonst drohen auch irreparable Schäden für die Demokratie. Wir stehen auf der Seite der Zivilgesellschaft und all jener Menschen, die vor Ort dagegen halten und/oder von der extremen Rechten bedroht werden. Sie müssen praktisch unterstützt werden. Wir kämpfen zudem für eine Politik, die den Menschen das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Demokratie zurückgibt.

DIE Linke fordert:

  • eine Lohnoffensive Ost durch mehr Tarifbindung und flächendeckende Tarifverträge, um die Löhne in den neuen Ländern bis zum Ende der kommenden Legislaturperiode im Jahr 2025 zu 100 Prozent an das Westniveau anzugleichen.
  • Wir streiten für einen Mindestlohn von 14 Euro, der sicher vor (Alters)Armut schützt.
  • Wir wollen einheitliche Tarifgebiete in Ost und West. Dass eine Lohnangleichung möglich ist, hat die IG Bau bewiesen. Die Ost-West-Lohnmauer lässt sich dort überwinden, wo Gewerkschaften besonders einflussreich sind. In vergleichbaren Branchen müssen bundesweit gleiche Arbeitszeiten und Urlaubsregelungen gelten.
  • Solange es noch starke Lohnunterschiede zwischen Ost und West gibt, muss die Umrechnung der Ostgehälter in der Rente erhalten bleiben. Die Angleichung der Ostrenten darf nicht zum Nachteil der heutigen Beschäftigten führen2.
  • Für Zeiten des Niedriglohns wollen wir generell für alle Beschäftigten in Ost wie West eine Hochwertung in der Rente einführen. Darum wollen wir die Rente nach Mindestentgeltpunkten entfristen und verbessern.
  • Bis zum Ende der Preiskrise ein einkommensabhängiges Inflationsgeld für alle Menschen mit unteren und mittleren Einkommen in Höhe von 125 Euro pro Haushalt und Monat! Für jedes weitere Haushaltsmitglied soll es 50 Euro zusätzlich geben. Das stabilisiert auch die Binnennachfrage.

 

Den Strukturwandel aktiv, sozial gerecht & demokratisch gestalten

Die ostdeutsche Wirtschaft hat häufig immer noch eine untergeordnete Funktion in der Wertschöpfungskette: Als eine Art verlängerte Werkbank werden die Werte vielfach woanders – im Westen – realisiert. Das hat die ungleiche Entwicklung dieser Region in der Wirtschafts- und Steuerkraft sowie in der Entwicklung der Einkommen der Beschäftigten seit 1989/1990 zementiert. Umso dringender ist es es, dass der nötige Umbau unserer Wirtschaft sozial gerecht gelingt und die Menschen dabei demokratisch mitbestimmen können. Zwar gibt es inzwischen Mittel für öffentliche Investitionen in den Strukturwandel, aber die Menschen müssen dringend in dessen Gestaltung einbezogen werden. Es braucht mehr Bürgerbeteiligung, präzisere Förderbedingungen zugunsten nachhaltiger und tarifgebundener Industriearbeits- und -ausbildungsplätze sowie eine dezentrale Energieerzeugung mit Stärkung der Kommunen.

 

Unsere Vision für den Osten ist ein Pfadwechsel zu einer Wirtschaft:

  • die Werte vor Ort schafft und realisiert,
  • die Pfade für Erneuerbare Energien und Produktionszentren für Schienen, Bus und Bahn vorsieht und weiß, dass eine gerechte Transformation mit mehr und besseren Arbeitsplätzen verbunden sein kann.
  • Die nicht nur Gelder und Steuervorteile an große Unternehmen verteilt, sondern für und mit den Regionen, mit den Menschen vor Ort berät, was nötig ist und wie es erreicht werden kann.

 

Gegen die Dominanz marktwirtschaftlicher Verwertungs- und Effizienzlogik setzen wir uns für eine gute Versorgung, eine öffentliche Daseinsvorsorge und den Stopp der Privatisierung von öffentlichem Eigentum ein. Wir wollen gemeinwohlorientierte und genossenschaftliche Wirtschaftskonzepte stärken. Wir setzen auf eine regional verankerte Wirtschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen in den jeweiligen Regionen ausrichtet.  Das ist ein Mittel gegen das Gefühl der Zurückgelassenheit, das in den „abgehängten Regionen“ wächst.

 

Die Instrumente der Wirtschaftsförderung können an soziale und beschäftigungspolitische Kriterien gebunden werden.

  • Eine Förderung aus der Wirtschaftsförderung muss an Bedingungen geknüpft werden: Tarifbindung bzw. tarifgleiche Entlohnung; keine Leiharbeit und Minijobs, keine sachgrundlos befristete Beschäftigung, eine verbindliche Ausbildungsquote, Frauenförderung, Beschäftigung benachteiligter Beschäftigtengruppen: Langzeiterwerbslose, Geflüchtete. Regionale Wertschöpfungsketten
  • Die Vergabe öffentlicher Aufträge binden wir an Kriterien: 1. Tariftreue, 2. ökologisches Wirtschaften, 3. kurze Wege und Transportvermeidung.

 

Schluss mit der öffentlichen Armut - die Kommunen stärken

Viele Kommunen sind überschuldet und in der Zwangsverwaltung. Sie können ihre Pflichtaufgaben nur noch mit überbordenden Kassenkrediten bestreiten. Hier braucht es einen Schuldenschnitt. Der Deckel auf den kommunalen Haushalten vermittelt den Menschen: Für zentrale Bedürfnisse des Lebens ist kein Geld da. Und:Interessen der einen Gruppe immer zu Lasten anderer Bevölkerungsgruppen gehen.

  • DIE LINKE tritt für eine Reform der Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer ein. Verbunden mit der Umsetzung von Konnexität können die Kommunen wieder auf verlässliche finanzielle Füße kommen.
  • Die kommunalen Haushalte müssen von den Sozialleistungen entlastet werden. Diese müssen in vollem Umfang vom Bund getragen werden. Kosten, die von Bund oder Ländern verursacht werden, müssen auch von dort finanziert werden (Konnexität).
  • DIE LINKE fordert einen Solidarpakt III zur Bewältigung des Strukturwandels in Regionen in und nach dem industriellen Umbruch. Das finanzielle Volumen muss an den Solidarpakt II anknüpfen, deshalb fordern wir mindestens 10 Milliarden Euro jährlich aus Bundesmitteln für den Strukturwandel und Kohäsion zur Verfügung zu stellen. Unser Solidarpakt III richtet sich an alle strukturschwachen Regionen in Deutschland. Wir schlagen für die Planungssicherheit einen Zeitraum bis 2035 für den Solidarpakt III vor und somit ein Gesamtvolumen von mindesten 150 Milliarden Euro.
  • Die LINKE Vermögensteuer würde im Jahr 60 Mrd. Euro bundesweit einbringen, davon etwa 10 Mrd. für die östlichen Bundesländer.