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2023/477

Die Situation im Jemen und die Rolle Deutschlands und Europas

Beschluss der Parteivorstandsberatung vom 26. August 2023

Der Ausbruch des Konflikts im Jemen im Jahr 2014 markiert nicht nur der Beginn einer der schlimmsten humanitären Krisen der jüngeren Geschichte, sondern auch die Fortsetzung einer westlichen Politik der Doppelmoral und der völligen Missachtung der Menschenrechte.

Die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, die seit 2015 in den internen Konflikt verwickelt ist, ist unmittelbar für Menschenrechtsverletzungen auf jemenitischem Gebiet verantwortlich. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und UN-Organisationen berichten über die direkte Beteiligung Saudi-Arabiens an massiven und systematischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung.  Die Bundesregierung hat seitdem Waffen im Wert von 12,6 Milliarden Euro an Länder der Koalition exportiert. Damit hat sie die Verpflichtungen, die sie mit der Ratifizierung des ATT (Arms Trade Treaty) eingegangen ist, ignoriert und macht sich mitverantwortlich an dem furchtbaren Leid der Menschen vor Ort.

In einer Antwort vom 14.03.2023 an die Bundestagsfraktion DIE LINKE bestreitet die Bundesregierung die Kenntnis der Jemen-Blockade. Die zynische Haltung der Bundesregierung wird in dieser Antwort deutlich. Es stimmt zwar, dass technisch gesehen immer noch Waren ins Land gelangen, aber die Realität sieht so aus, dass die See- und Luftkontrollen, die rechtlich von der jemenitischen Regierung ausgeübt werden, in der Praxis aber von den Saudis, zu Kriegszwecken genutzt werden, um zu kontrollieren, welche Waren ins Land gelangen und welche nicht. Dies gilt insbesondere für Treibstoff: Um wirtschaftliche Vorteile der Houthi-Rebellen durch den Weiterverkauf zu verhindern, lässt die jemenitische Regierung keinen Treibstoff ins Land. Ohne Treibstoff ist es praktisch unmöglich, Nahrungsmittel und Medikamente zu transportieren.  David Beasley, Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP), erklärte in einer Sitzung am 11.03.2021 zudem, dass die Treibstoffblockade die katastrophale Folge habe, dass die Krankenhäuser ohne Strom auskommen müssten.

Auch wenn die aktuelle Situation mit dem Waffenstillstand und den Verhandlungen zwischen den verschiedenen Kriegsparteien hoffnungsvoller erscheint, bleibt die humanitäre Lage katastrophal. Die UNO schätzt, dass 2023 21,6 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.  Im Jahr 2022 wurden jedoch nur 52 Prozent der von den Vereinten Nationen für die Bewältigung der Krise veranschlagten Mittel bereitgestellt , 2023 waren es nur noch 28 Prozent .

Vor diesem Hintergrund fordert DIE LINKE:

  • Sämtliche Waffenexporte in Länder, die in Konflikte verwickelt sind, verbieten. Dies gilt auch für Rüstungskooperationsprojekte in der EU.

  • Die diplomatischen Bemühungen verstärken und intensivieren: Die europäischen Staaten sollten dringend alle Parteien - sowohl innerhalb Jemens als auch in den Nachbarstaaten - dazu drängen, sich erneut für ein erweitertes, von den Vereinten Nationen vermitteltes Abkommen einzusetzen.

  • Die EU sollte eine eigene Monitoring-Kommission für Jemen einrichten. Seit 2021 gibt es keine international anerkannte unabhängige Überwachung von Menschenrechtsverletzungen im Jemen.

  • Europäische Unterstützung eines innerjemenitischen Dialogs über die Zukunft des Landes, der Frauen- und Menschenrechtsorganisationen einbezieht. Schweden war 2022 Gastgeber des ersten internationalen Jemen-Forums mit Vertretern aus dem ganzen Land, und die Niederlande werden 2023 ein Folgetreffen ausrichten. Dies könnte ein nützlicher Ort für solche Diskussionen sein.

  • In diesem Zusammenhang sollte sich Europa auch um eine Ausweitung der Finanzierung, der Ausbildung und des Kapazitätsaufbaus für zivilgesellschaftliche Organisationen bemühen, die auf lokaler Ebene eine wichtige - und unterschätzte - Rolle spielen, auch bei der Gewaltprävention. In diesem Zusammenhang könnte beispielsweise die Organisation ‘Mothers of Abductees ’ unterstützt werden.

  • Geflüchtete aus dem Jemen dürfen nicht abgeschoben werden, auch nicht in vermeintlich „sichere Drittländer“.