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Den Grundkonsens erneuern. Für eine feministische LINKE

„Anfang des 19. Jahrhunderts erstarkte die Frauenbewegung. Sie kämpfte für die politische, ökonomische, soziale und kulturelle Gleichberechtigung der Frauen und für eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse auch im Privaten. Wir beziehen uns auf politische Theorien der Frauenbewegung und des Feminismus, die die Kritik an allen Herrschaftsverhältnissen, die Frauen unterdrücken und benachteiligen, in den Mittelpunkt stellen und weltweit die Durchsetzung der Menschenrechte für die Frauen und die Abschaffung jedweder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts fordern.“

(Erfurter Programm, Kapitel „Woher wir kommen, wer wir sind“, verabschiedet 2011 mit 96,9 Prozent der Stimmen auf dem Parteitag und mit 95,8 Prozent im Mitgliederentscheid.)
 

DIE LINKE versteht sich als feministische Partei. Viele Feminist*innen organisieren sich genau deshalb in der LINKEN und feministische Themen sind prägend für unsere politische Arbeit.

Für uns steht fest: Sexualisierte Gewalt und sexistische Strukturen haben in unserer Partei keinen Platz.

Leider kann kein Gesellschaftsbereich von sich behaupten, frei von Sexismus zu sein: Er kommt vor im Sport, in der Kultur, in der Politik, im Bildungswesen, am Arbeitsplatz, auf der Straße, im Privaten und im Club. Jeder einzelne dieser Bereiche ist gefragt, Strukturen zu schaffen, die Übergriffe verhindern und Betroffene schützen. Sexismus ist in der LINKEN nicht stärker als im Rest der Gesellschaft, auch wenn es gerade so erscheinen mag.

Als linke Partei mit einem erklärten feministischen Selbstverständnis sind wir jedoch mehr als andere herausgefordert sowohl für eine feministische Organisationskultur nach innen als auch für die Überwindung von patriarchalen Machtverhältnissen in der Gesamtgesellschaft einzutreten.

Beides ist Teil unseres Kampfes für eine bessere und gerechtere Gesellschaft. Wir verändern uns, um die Gesellschaft zu verändern.
 

Gründliche Aufarbeitung

Im April dieses Jahres haben wir eine mediale Debatte über Fälle von sexistischen Übergriffen und Machtmissbrauch in unserer Partei erlebt. Es war gut, dass der Jugendverband das ausgesprochen hat. Für eine Partei mit feministischem Anspruch sind wir auf Fälle sexualisierter Gewalt zu schlecht vorbereitet, das muss ehrlich und selbstkritisch festgestellt werden. Der Aufschrei hat gezeigt, dass wir dringend handeln müssen. Wenn Fälle von sexueller Belästigung, Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt auftreten, müssen diese unabhängig aufgearbeitet werden, am besten mit Hilfe einer externen Begleitung mit professioneller Expertise. Wir wollen herausfinden mit welchen Arten von Gewalt wir es zu tun haben und wie hoch das Ausmaß an sexualisierter Gewalt, Machtmissbrauch und sexueller Belästigung in unserer Partei wirklich ist. Aus repräsentativen Untersuchungen wissen wir: Die meisten Betroffenen sprechen nicht offen über das Erlebte. Daher

 

müssen wir davon ausgehen, dass das tatsächliche Ausmaß viel größer ist als uns bisher bekannt. Nun ist unsere Chance das Momentum zu nutzen und für echte Aufklärung und Aufarbeitung zu sorgen! Dafür brauchen wir eine vertrauliche Möglichkeit für alle Genoss:innen ehrlich über ihre Erfahrungen zu sprechen. Eine anonyme Studie ist hierfür der geeignete Weg. Dabei sollte an geeigneter Stelle ein möglichst offenes Antwortformat angewandt werden, um Genoss:innen in den Schilderungen ihrer Erfahrungen nicht einzuschränken. Die Studie soll ebenfalls den Zusammenhang von sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt mit Mehrfachdiskriminierung aufdecken können. Erst mit geeigneter Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention können wir als Partei anfangen zu heilen. Die Betroffenen müssen ernst genommen, geschützt und ihnen muss zugehört werden. Der Parteivorstand hat hierfür erste konsequente Schritte beschlossen, wie etwa einen Pool externer Expert*innen, an die Betroffene schnell und unkompliziert vermittelt werden können. Diese richtigen Schritte müssen jetzt konsequent weiterverfolgt werden.

In Aufarbeitungsprozessen sollten auch unsere Genossen Verantwortung übernehmen, denn die Aufklärung und Bekämpfung von Sexismus und sexualisierter Gewalt kann nicht auf Frauen, nicht- binäre, trans-, intergeschlechtliche und queere Menschen abgewälzt werden. Wir alle sind verantwortlich.

 

Klare, verbindliche Leitfäden/Protokolle

Um richtig zu handeln, ist es wichtig zu differenzieren: zwischen Sexismus oder sexistischen Belästigungen und zwischen sexualisierter Gewalt, Nötigung oder Vergewaltigung. Für alle sind Machtgefälle und Machtmissbrauch eine Grundlage, aber es bestehen zwischen Taten graduelle Unterschiede, die unterschiedliches Handeln verlangen. Für jeden spezifischen Fall brauchen wir verbindliche und klare Leitfäden und Verfahrensweisen, die jeweils in Gang gesetzt werden, mit denen wir 1. sorgsam und respektvoll handeln, 2. Betroffene schützen und 3. gleichzeitig die Rechte aller Beteiligten gewährleisten können. Die Unschuldsvermutung ist ein hohes Gut, diese darf nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Betroffenen eingesetzt werden. Solche Leitfäden würden auch das parteiliche Umfeld, das mit einem Fall umgehen muss, aus der Ohnmacht holen.

Wir brauchen nachhaltige, vertrauensvolle Strukturen, die Betroffenen nicht re-viktimisieren, sondern es ihnen ermöglichen, ohne Ohnmacht und Scham (wieder) Handelnde zu werden. Wir brauchen Strukturen, die sexuelle Belästigung und Übergriffe eindämmen und langfristig auflaufen lassen. Wir brauchen konkrete Arbeit an Machtstrukturen, die den Boden für Sexismus und sexualisierte Gewalt bereiten. Wir müssen an die Wurzeln des Problems.

 

Kontinuierlicher Prozess transformativer Gerechtigkeit

Feministinnen in der LINKEN fordern seit langem, dass DIE LINKE eine Partei sein muss, in der Frauen und queere Menschen sich willkommen fühlen, eine Partei, in der sexistisches Verhalten nicht hingenommen oder unter den Teppich gekehrt wird und in der alle dafür die Verantwortung übernehmen. Wir wollen, dass sich bei uns alle engagieren können, in einer solidarischen Kultur des Umgangs. Wo patriarchale Unkulturen auftreten, wollen wir sie überwinden. In der Partei und in der Gesellschaft.

In der öffentlich geführten Diskussion ab April sind viele Verletzungen entstanden, sie war für viele

 

Mitglieder der Partei sehr schmerzhaft. Sie hat aber auch in aller Dringlichkeit aufgezeigt, dass wir handeln müssen. Wir wollen die aufgebrochene Diskussion als Chance wenden, für einen echten feministischen und solidarischen Aufbruch in der LINKEN als Teil der Erneuerung der Partei zu streiten, die unser gemeinsames Anliegen ist. Das sind wir auch den Wählerinnen, Sympathisantinnen und Frauen in diesem Land schuldig: DIE LINKE muss als politische Kraft wieder auf die Beine kommen!

Wir sind überzeugt davon, dass die programmatischen Bekenntnisse zu einer feministischen Linken von der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder und Mandatsträger*innen geteilt werden. Daran, sie im Alltag selbstverständliche Praxis werden zu lassen, müssen wir gemeinsam arbeiten.

Sexualisierte Gewalt gedeiht in einer entsprechenden Kultur, in der Machthierarchien aufrechterhalten, ausgenutzt und missbraucht werden.

Sie ist Bestandteil einer misogynen Kultur, in der Frauen abgewertet werden – und es ihnen nahe gelegt wird, andere Frauen abzuwerten, um von männlich geprägten Machtnetzwerken zu profitieren. Sexismus und Gewalt wachsen in einer Kultur, in der Menschen schweigen und vertuschen, weil sie negative Außenwirkung fürchten, weil es ihnen nützt, dass die Zustände so bleiben, wie sie sind und in der diejenigen, die aufbegehren, als Störenfriede und Nestbeschmutzer*innen dargestellt werden. Wir wollen, dass hingeschaut wird, dass zugehört wird, dass Machtgefälle reflektiert und kollektiv kritisch bearbeitet werden.

Uns geht es dabei um einen gemeinsamen kollektiven Lernprozess. Eine feministische Organisationskultur lässt sich nicht durch Beschlüsse herbeiführen, sondern erfordert auf Dauer angelegte Anstrengungen von uns allen auf allen Ebenen der Parteiarbeit. Wir wollen, dass in einer solidarischen Kultur Grenzen deutlich gemacht werden können und respektiert werden. Wir wollen eine solidarische, eine feministische LINKE, denn unsere Partei wurde als eine feministische gegründet.

Diesen Grundkonsens müssen wir ständig erneuern.

 

Wir schlagen konkret für die Bundesebene und die Landesverbände vor:

Die Einrichtung von den Parteihierarchien unabhängiger Ombudspersonen/-Gruppen bzw. Vertrauenspersonen/ -Gruppen mit eigenem Budget als Anlaufstellen bei sexistischen Belästigungen und Übergriffen im Zusammenhang mit der Partei. Für die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist mindestens eine spezielle Schulung / Bildungsveranstaltung dazu zu besuchen, welche durch die Partei finanziert wird. Weiterführend werden professionelle Angebote der Supervision und der Weiterbildung für die Ombudspersonen/-Gruppen bzw. Vertrauenspersonen/

-Gruppen angeboten. Den Landesvorständen wird empfohlen, mit externen Beratungsstellen zusammenzuarbeiten.

Weiterführung und bei Bedarf Ausbau des Expert*innenpools, den der Parteivorstand bereits begonnen hat, zur Aufklärung von Vorfällen und zur konkreten Unterstützung Betroffener.

Einsetzung einer feministischen Kommission bestehend aus Expert*innen innerhalb und außerhalb der Partei, die verbindliche Leitfäden/Protokolle für Fälle von Sexismus, sexualisierter Belästigung und Gewalt in ihren verschiedenen Formen erarbeiten soll, wie sie in vielen anderen

 

Linksparteien auf der Welt bereits existieren und angewendet werden. Diese Protokolle sollen spätestens in einem Jahr durch einen Parteitag beschlossen werden.

Diese Leitfäden/Protokolle sollen mindestens enthalten:

  1. Arbeit mit den Betroffenen, die sie ernst nimmt und eine Re-Viktimisierung verhindert.
  2. Auseinandersetzung mit der Person, die eines Übergriffs beschuldigt wird, um eine Möglichkeit der Weiterentwicklung zu geben.
  3. Arbeit in der Partei durch spezifische Reflexionsrunden und Fortbildungen für die Mitglieder betroffener Strukturen.
  4. Kollektive Verantwortung für die Gewährleistung der Persönlichkeitsrechte aller Personen in diesem Prozess.

Maßnahmen zur Überwindung einer patriarchalen Kultur, die Sexismus und sexualisierte Gewalt ermöglichen, und für die Herausbildung einer aktiven, solidarischen Parteikultur, in der Fälle von Sexismus und Machtmissbrauch bearbeitet werden können.

Awarenessstrukturen bei Veranstaltungen mit klar definierten Aufgabenbereichen, die Vertrauen genießen.

Kontinuierliche Beschäftigung der Genossen mit Feminismus und Sensibilisierung für diese Themen (zB gut vorbereitete Männerplena als Pendant zu Frauenplena).

Verpflichtende Seminare/ Weiterbildung zur Sensibilisierung für Sexismus/sexualisierte Gewalt für Mandatsträger*innen und Personen in leitender Funktion sowie Mitarbeiter*innen der Partei DIE LINKE und der Linksfraktionen.

Es sind Bildungsangebote in ausreichendem Umfang für die Kreis- und Ortsverbände zu Feminismus, Sexismus und Misogynie und feministischer Arbeit in den Landesverbänden und auf Bundesebene. Die Landes- und Kreisvorstände werben bei den Genoss*innen für die Teilnahme an den Veranstaltungen und sensibilisieren dafür.

In den Parlamenten sollten sich Abgeordnete dafür einsetzen, dass für Mitarbeitende der Fraktionen, der Abgeordneten und der Verwaltung unabhängige, fraktionsübergreifende Beschwerde- und Beratungsstellen geschaffen werden.

Anstehende Strukturreformen müssen mit dem Ziel eines Abbaus von Hierarchien durchgeführt werden.

All diese Elemente müssen bedarfsgerecht ausfinanziert werden. Dafür müssen auf den verschiedenen Ebenen (Bund / Landesverbände) finanzielle Mittel bereitgestellt werden und ein Solidarprinzip zwischen den Landesverbänden vereinbart werden.

Ein Verhaltenskodex zu sexuellen oder diskriminierenden Übergriffen wird erarbeitet und dauerhaft veröffentlicht.

Die Mitglieder aller Schiedskommissionen werden für das Thema sexuelle oder diskriminierende Übergriffe durch Schulungen sensibilisiert.

Eine Beschleunigung von Schiedsverfahren in dringlichen Fällen sexueller oder diskriminierender Übergriffe wird angestrebt.