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Religionsfinanzierung im säkularen Staat

Diskussionspapier der Kommission Religionsgemeinschaften, Weltanschauungsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft

1. Religionsfinanzierung - ein Thema für die Linke

Die Linke tritt für die institutionelle Trennung zwischen Staat und Kirche und den Religionsgemeinschaften ein. Diese von der Verfassung gebotene Trennung wird durch die bestehende Rechtsform der Kirchensteuer verletzt. Denn die Kirchensteuer ist Teil einer intensiven Verflechtung von Staat und Kirche. Ihre Erhebung erfolgt durch die Finanzämter nach einem staatlichen Kirchensteuerrecht und ist eine Zusatzsteuer zum staatlichen Steuersatz. Von ihrer Entstehung her ist sie ein Relikt einer vordemokratischen Allianz von Thron und Altar. Sie widerspricht dem Grundverständnis eines säkularen Staats und ist ein Fremdkörper in einer multireligiösen, multikulturellen und säkularen Gesellschaft. 

Die Religionsfinanzierung ist hochpolitisch und keine bloß finanztechnische Angelegenheit, die einzig Sache der Religionsgemeinschaften wäre. Denn die Art der Religionsfinanzierung ist die deutlichste Konkretion des Verhältnisses des Staates zu den Religionsgemeinschaften und ein Indikator, an dem die Stellung der Religionsgemeinschaften und ihre Rolle in einer Gesellschaft ablesbar ist. Sofern die Religionsfinanzierung das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben und Rechtsgefüge betrifft, ist sie Thema für die LINKE.

1967 gehörten fast 95 Prozent der bundesrepublikanischen Bevölkerung den beiden Großkirchen an. Das hat sich massiv geändert. Nach 1989 hat sich Deutschland hat zu einer multireligiösen, multikulturellen und säkularen Gesellschaft entwickelt. West- und Ostdeutschland sind religiös getrennte Gesellschaften. Der Anteil derer, die sich in Ost- bzw. Westdeutschland religiös gebunden fühlen, steht im Vergleich zum Anteil der Religionslosen nahezu in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander. Das führt zu der widersprüchlichen Lage, dass die staatskirchenrechtlichen Regelungen gleichermaßen Mehrheits- und Minderheitenrecht sind.

Die Novemberrevolution 1918 wollte mit dem Programm einer Trennung von Staat und Kirche das Recht der Kirchen zur Erhebung von Kirchensteuern aufheben. Nach ihrer Niederschlagung machten die Kirchen in einer Eingabe an die Nationalversammlung in Weimar vier „wirtschaftliche Grundrechte“ mit Nachdruck geltend, die vollumfänglich Eingang in die Weimarer Reichverfassung (WRV) fanden.  1919 wurde das bisherige Praxis und Recht der Kirchen auf Kirchensteuer in der WRV verfassungsrechtlich verankert und nach 1945 sowohl in die erste Verfassung der DDR in Art. 43 Abs. 4 (1949) wie auch der BRD in Art. 140 GG übernommen.

Das Festhalten an historisch überlebten und gesellschaftlich nicht mehr vermittelbaren Regelungen blockiert bis heute die grundgesetzlich und menschenrechtlich vorgeschriebene Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in der Bundesrepublik. Der Auftrag der Weimarer Reichsverfassung, eine demokratische Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat, Gesellschaft und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (und damit lebensfähige und für eine Demokratie lebensnotwendige Zivilgesellschaft, zu er auch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gehören) zu entwickeln, ist noch nicht abgeschlossen, sondern muss entsprechend der heutigen Gegebenheiten weiterentwickelt werden.

Die Weimarer Reichsverfassung wollte die Finanzbeziehungen des Staates zu den Religionsgemeinschaften entflechten. Deshalb verankerte sie einerseits das Gebot in der Verfassung die Staatsleistungen abzulösen und andererseits als Kompensation gewährleistete sie die Kirchensteuer verfassungsrechtlich. Im März 2020 legten die Bundestagsfraktionen von FDP, DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag im Deutschen Bundestag vor, der gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes und Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung die Einlösung und damit auch abschließende Regelung eines seit 100 Jahren offenen Verfassungsauftrages vorschlägt.

Deshalb fordert die LINKE sowohl eine unverzügliche Umsetzung der Ablösung der Staatskirchenleistungen als auch eine Weiterentwicklung der Rechtsformen sowie der Finanzierung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die dem verfassungs- und menschenrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung entspricht.

Die Trennung von Kirche und Staat führte seit Weimar nicht in ein laizistisches System wie in Frankreich, sondern in ein Kooperationssystem. Trotz der Trennung gehört die Kirchensteuer zu den in der Verfassung angelegten Kooperationsverhältnissen zwischen Staat und Kirche. (Art. 140 GG i. Verb. m. Art. 137 Abs. 1 WRV) Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts innehaben, verleiht die Verfassung das Recht auf Kirchensteuer. Immer wieder vorgebrachte Vorschläge, analog zur Kirchensteuer für muslimischen Religionsgemeinschaften eine Moscheesteuer einzuführen, scheitern an zahlreichen rechtlichen Hürden und wird auch nie von Muslimen selbst vorgetragen.  Nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist es dem Staat aber verwehrt, das Kirchensteuerrecht einseitig abzuschaffen oder auszuhöhlen. (BervfGE 19,206)

Alle regelmäßig aufkommenden Kritiken an der Kirchensteuer sind bislang immer wieder folgenlos verhallt. Nach 1989 hätte es erneut ein kleines Zeitfenster zur Abschaffung der Kirchensteuern geben können. Die Kirchen in der DDR waren gegen die Übernahme des westdeutschen Kirchensteuerrechts wie auch gegen den Religionsunterricht und die Militärseelsorge. Es wurde ihnen gegen deren Willen übergestülpt und mit einem politisch-taktischen Meisterstück wurde das westdeutsche Kirchensteuerrecht 1990 in Kraft gesetzt. 

2. Religionsfinanzierung im säkularen Staat

Alle Religionen und Weltanschauungen genießen seit Weimar aufgrund der umfassenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen den gleichen Schutz bei strikter Egalität. Deshalb ist die direkte Finanzierung der Religionsgemeinschaften einem säkularen Staat verwehrt.

Das Kirchensteuerrecht ist verfassungsrechtlich gewährleistet im Grundgesetz, im Reichskonkordat und in Länderkonkordaten sowie zahlreichen Länderverfassungen. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es dem Staat verwehrt, das Kirchensteuerrecht einseitig abzuschaffen oder auszuhöhlen. (BVerfGE 19,206<218>) Der Hauptgrund für die Folgenlosigkeit der regelmäßig auftretenden Kritik ist die außergewöhnlich breite rechtliche Absicherung der Kirchensteuer, die ihre Überwindung – wenigstens für die absehbare Zeit - unmöglich erscheinen lässt. Wenn die Forderung nach einer Ablösung der Kirchensteuer politische Wirkung erzielen soll, dann muss sie einen Veränderungskorridor eröffnen, der zwei Anforderungen ermöglicht:  Eine Neuausrichtung muss erstens unterhalb einer Verfassungsänderung angesiedelt sein, da erforderliche Änderungen des Grundgesetzes in diesem Punkt in absehbarer Zeit unrealistisch sind, und zweitens der multireligiösen, multikulturellen und säkularen Landschaft gerecht werden.

3. Die Religionsfinanzierung im säkularen Staat neu ausrichten

Ein Vorschlag wird in der der Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur „Neuausrichtung der Finanzierung von Religionsgemeinschaften im säkularen Staat“ dargelegt.[2]

Die Studie will eine konsequentere Trennung und Staat und Kirche durchsetzen, bleibt unterhalb der Schwelle einer Verfassungsänderung, respektiert den Rechtsstatus der Kirchen und entwickelt einen praktikablen Reformvorschlag für eine Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in einer pluralen Gesellschaft.

Die Religionspolitische Kommission empfiehlt, das im europäischen Vergleich ungewöhnliche Instrument des staatlichen Kirchensteuereinzugs zu überwinden und es weiterzuentwickeln. Zugleich hält die Religionskommission eine Neuausrichtung der Religionsfinanzierung in der weltanschaulich und religiös pluralen Gesellschaft für notwendig und begrüßt die Debatte um die Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die Studie enthält einen Doppelvorschlag:

  • Erstens wird der Zwangseinzug der Kirchensteuern durch das Finanzamt beendet.

Die Kirchen sollen - wie in Bayern – den Einzug und die Verwaltung der Kirchensteuern selbst vornehmen. Damit wird der Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche durchgesetzt: Die Zusammenarbeit von Staat und Kirche wird beim Einzug der Kirchensteuer auf das Maß zurückgeführt, das die Verfassung vorsieht. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geht der staatliche Einzug der Kirchensteuern durch die Finanzämter über den Gewährleistungsanspruch des Grundgesetzes hinaus. (BVerfGE 2 BvR 443/01) Aus dieser Entscheidung müssen Konsequenzen gezogen werden.

  • Weiterentwicklung des italienischen Mandatsmodells im deutschen Rechtsrahmen

Das italienische Mandatsmodell erlaubt es den Bürgerinnen und Bürgern über den Betrag von 0,8 Prozent des Einkommenssteueraufkommens zu entscheiden und nach ihrer Wahl entweder Religionsgemeinschaften oder staatlichen sozialen und kulturellen Zwecken zuzuwenden. Das Modell der italienischen Kultursteuer, bei der alle zahlen und die Empfänger der Zahlungen an Organisationen der Zivilgesellschaft bestimmen können, kann dabei eine Orientierung geben. Letztlich muss eine solche Weiterentwicklung in einer Neugestaltung und Stärkung des gesamten zivilgesellschaftlichen Sektors münden, dessen Teil Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind. Einer Übertragung dieses Modell stehen verfassungs-, haushaltsrechtliche, aber auch kulturelle Gründe entgegen. Denn das italienische Mandatsmodell sieht nur die Option vor, für Religionsgemeinschaften zu optieren. Die Studie der RLS schlägt deshalb vor, das italienische Modell für den deutschen Rechtsrahmen auszuweiten und auch säkulare Organisationen der Zivilgesellschafft einzubeziehen.

Das Modell der Studie greift das in kommunalen Haushalten bereits vielfach praktizierte Modell eines Bürgerhaushalts auf und plädiert, es auf Bundesebene einzuführen. Beim Bürgerhaushalt können Bürgerinnen und Bürger über die Verwendung eines Teils der Steuern mitbestimmen. Dazu müsste der Staat einen Anteil des Bundeshaushalts als Bürgerhaushalt reservieren. Über dessen Verausgabung können alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern mittels Gutscheine (wie bei Spenden) bestimmen. Sie haben dann die Wahl, ihren Steueranteil religiösen, weltanschaulichen oder säkularen gemeinnützigen Organisationen als Teil der Zivilgesellschaft mit Bürgergutscheinen aus einem Anteil des Bundeshaushalts zukommen zu lassen.  Aus diesem Pool können Bürgerinnen und Bürgern ihren Anteil beispielsweise Attac, einer muslimischen Gemeinde, Greenpeace, dem Humanistischen Verband, einer jüdischen Organisation oder einem Palliativkrankenhaus der Diakonie widmen. Der Einführung eines Bürgerhaushalts wäre unterhalb einer Verfassungsänderung möglich. Rechtlich würde eine Erweiterung des Einkommensteuergesetzes (EstG) und erforderlichenfalls der Haushaltsordnung des Bunds genügen. Eine solche Reform wäre zugleich auch eine Antwort auf die Konflikte um Gemeinnützigkeit von NGOs, wie z.B. ATTAC, die Antifa oder Organisationen, die die Interessen von PoC vertreten.

Die vorgeschlagene Neuausrichtung der Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften garantiert die weltanschauliche Neutralität des säkularen Verfassungsstaats. Sie verbleibt unterhalb der Schwelle einer Verfassungsänderung. Der Vorschlag fördert die Toleranz und den religiösen Pluralismus, achtet die negative Religionsfreiheit der Bürgerinnen und Bürgern und stärkt die Demokratie durch die finanzielle Unterstützung der Vielfalt zivilgesellschaftlicher Organisationen durch die Bürgerinnen und Bürger selbst. Aus der Perspektive des säkularen weltanschaulich neutralen Staats sind die Religionsgemeinschaften als Teil der Zivilgesellschaft zu verstehen. Der Vorschlag, den die Studie macht, verbindet die Religionsfinanzierung mit der Finanzierung der Zivilgesellschaft. Diese Neuausrichtung wird der religionspluralen und säkularen Landschaft in Deutschland gerecht. – Vor allem: Eine lebendige Demokratie braucht eine Grundlegung in einer lebendigen Zivilgesellschaft, deren Teil die Religionsgemeinschaften sind. Dazu gehört auch eine finanzielle Grundausstattung.

Anmerkungen

[1] Verfasst von Franz Segbers und Jürgen Klute.

[2] Die Studie wurde von Prof. em. Dr. Franz Segbers, Fachbereich Evangelische Theologie, Universität Mar-burg, für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellt. Download: www.rosalux.de/publikation/id/43174/neuausrichtung-der-finanzierung-von-religionsgemeinschaften-im-saekularen-staat