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Mitregieren - ein Lernprozess für die Linke?

Ausarbeitung von Edeltraut Felfe für die Beratung des Ältestenrates

Was unter gegenwärtigen Bedingungen zu bedenken wäre

Bei dieser Fragestellung ist von Zweck und Zielstellung der Partei, aktuell von ihrem geltenden Programm, auszugehen. Zur Realisierung ihrer Aufgabenstellungen sind Mittel und Wege den Zielen untergeordnet. Dabei geht es um die Verbesserung der gegenwärtigen Lebenslage der Erwerbsabhängigen, der Arbeitslosen, prekär Beschäftigten, der meisten Rentner und eines Großteils der Mittelschichten. Das ist mit dem Einsatz für grundlegende Veränderungen der Gesellschaft zu verbinden. Dadurch würden aktuelle Besserungen dauerhaft gemacht werden können und es würden zugleich Ausgangspositionen für Schritte hin zu einer sozialistischen Gesellschaft verbessert werden. Als Beispiel seien mannigfache Möglichkeiten zur Beschränkung der Herrschaft der Großeigentümer an Produktiv- und Bankkapital genannt. Es geht also auch bei der Frage des Mitregierens darum, die Grundrichtung linker Politik zu verfolgen. Im Programm ist die Rede vom "Richtungswechsel der Politik, der den Weg zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft öffnet, die den Kapitalismus überwindet." (Präambel, S.5) Unverzichtbar sollte die Linke eine Friedenspartei bleiben, die jegliche militärische Einsätze der BRD im Ausland ablehnt und für die Einschränkung der Rüstungsindustrie und ihrer Exporte eintritt. Ebenso gehört internationale Solidarität mit allen Unterdrückten und Ausgebeuteten dieser Erde zu den Grundsätzen der Partei, das schließt den Einsatz gegen deutsches Großmachtstreben in Wirtschaft und Politik zulasten anderer Völker ein.

Regierungsteilhabe ist demnach kein "Wert an sich", wie das möglicherweise noch Anfang der 90er Jahre gesehen wurde. Die Entscheidung darüber ist auch nicht vor allem nach rechnerischen Möglichkeiten nach Wahlen gem. dem bürgerlichen Parlamentarismus und dem üblichen Verhalten anderer Parteien, zu treffen. Eben deshalb gibt es das Einverständnis im Programm über "sinnvolle", "anzustrebende" und "auszuschließende" Regierungsbeteiligungen. (S.74/75) Sie seien anzustreben, wenn dadurch die Lebenslage der Menschen verbessert werden könne. Die Linke wird sich nicht an einer Regierung beteiligen, die Kriege führt, Kampfeinsätze der Bundeswehr zulässt, Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt… (ebenda, S.75) Hier geht es um Mindestanforderungen, die der Ältestenrat unterstützt. Darüber hinaus werden zu Recht Tolerieren und Mitregieren weder unter allen Bedingungen und zu allen Zeiten und gleichermaßen für Bund und Länder abgelehnt noch als generelle Strategie der Partei verfolgt. Für den Bund werden grundlegende Kriterien selbstverständlich anders zu konkretisieren sein als in Bundesländern. Und in Bundesländern, in denen Optionen für Tolerieren oder Mitregieren entstehen, werden die o.g. Grundsätze in den Landesverbänden jeweils detaillierter und gem. Schwerpunkten der Parteipolitik im Lande zu bestimmen sein. Als kontraproduktiv für die gesamte Partei hat sich jedoch erwiesen, wenn die Linke in einer Landesregierung in einer Grundfrage der Politik entgegen der erklärten Position der Bundespartei entscheidet. (wie bei der Zustimmung zur Schröderschen Steuerreform durch die PDS in der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2000). Bei allen Debatten zur Regierungsfrage, die in der internationalen Arbeiterbewegung seit über 100 Jahren und auch von Anbeginn in der PDS und in unserer Partei kontrovers geführt werden, scheinen uns die im Parteiprogramm gefundenen Positionen eine gute Grundlage für gemeinsames Lernen zu sein. Sicher gäbe es auch Übereinstimmung darin, eine Regierungsbeteiligung von Sozialisten/Kommunisten allein aus dem Grund zu befürworten, wenn dadurch eine autoritäre Machtergreifung zu verhindern wäre. Welche zunehmend antidemokratischen Entwicklungen im politischen System, welcher Verlust an gesellschaftlicher Steuerungsfähigkeit durch die gegenwärtige Verfasstheit der bürgerlich-demokratischen Staatsform und ihrer Parteien sind für unsere Fragestellung relevant? Ebenso würde ein widerständischer Aufbruch in der Bevölkerung oder gar eine revolutionäre Situation die Regierungsfrage in neuer Weise stellen. Davon gehen wir im Augenblick nicht aus, wohl aber davon, dass unter den gegenwärtigen sozialen und politischen Krisenprozessen in Europa die Frage von Tolerierung oder Regierungsbeteiligung sozialistischer oder kommunistischer Parteien eine europäische Dimension hat. Das Problem steht auch vor anderen entsprechenden Parteien und - zumindest, was den Bund anlangt - wären sicherlich wechselseitige Konsultationen nützlich. Welche Auswirkungen könnte gleichzeitige Regierungsteilhabe auf die Politik der Europäischen Kommission haben, welche Schwerpunkte wären, in Übereinstimmung mit Prioritäten der jeweiligen Parteien auf nationaler Ebene, im europäischen Rahmen zu verfolgen?

Ohne Dogmen in der einen oder anderen Richtung wäre weiterhin zu bedenken, welche Möglichkeiten unter den konkreten Verhältnissen überhaupt bestünden, mit o.g. Zielstellungen oder Mindestanforderungen an Regierungsbeteiligung, Koalitionspartner zu finden. Grundsätzlich käme wohl nur die SPD wegen Teilen ihrer sozialen Basis und der Wählerschaft sowie der Abhängigkeit der Führung von beiden in Frage. Vor allem deshalb ist sie trotz ihrer politischen Entwicklung und aktuellen Politik nicht mit CDU/CSU und FDP gleichzusetzen. Aber dennoch ist ohne Illusionen in Rechnung zu stellen, dass die Sozialdemokratie in parlamentarischer Opposition sozialer auftritt als sie es in Regierungsstellung unter den gegenwärtigen Klassenkräfteverhältnissen umzusetzen bereit und/oder in der Lage wäre. Auch mit der Gründung der WASG und der Linken ist das soziale und kämpferische Potenzial der SPD vorerst kleiner geworden. Die gegenwärtige SPD ist stabil in den neoliberal agierenden Strukturen des Parteiensystems und der Gesellschaft verankert. Ihr innen- und außenpolitischer Kurs ist auf "Standortsicherung" und Expansion des deutschen Großkapitals gerichtet und in diesem Rahmen und zur Absicherung dieser Strategie taktiert sie vor allem in Vorwahlzeiten mit sozialpolitischen Versprechen. Und welche "Augenhöhe" könnte die Linke mit ihrer wesentlich schwächeren Verankerung in Parlament und Gesellschaft erwarten, wenn sie in Tolerierung oder gar Regierungsteilhabe spürbare und dauerhafte Verbesserungen "heraushandeln" wollte? Und dabei spielt nicht nur eine Rolle, welche ihrer Positionen in welchem Maße und in welchen Bevölkerungskreisen mehrheitsfähig sind, sondern vor allem, ob Gewerkschaften, Initiativen, Bürgerinnen und Bürger für außerparlamentarischen Druck zur Durchsetzung linker Forderungen bereit oder zu gewinnen wären. Könnte eben diese Bereitschaft und Mobilisierungsfähigkeit, auch unter Berücksichtigung der geistigen und medialen Machtverhältnisse in der Gesellschaft, durch eine entsprechende Tolerierungs-oder Regierungsbereitschaft der Partei positiv beeinflusst werden? Ist eine solche Konfliktstrategie zurzeit real und ist sie gewollt? Hier wäre auch an die letzte Regierungszeit von Schröder und Fischer zu erinnern und es bleibt die Erkenntnis: SPD und Grüne sind nicht regierungsfähig, wenn man diese Fähigkeit an der Verbesserung der Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung, an Friedenspolitik und an der Konfliktbereitschaft zur Durchsetzung der eigenen Wahlversprechen gegenüber den wirklich Herrschenden misst. Und auch die Argumentation mit dem "kleineren Übel" kann nicht darüber hinweg täuschen, dass falsche Politik nicht nur ein Verstoß gegen unsere sozialen und friedenspolitischen Grundpositionen ist, sondern auch dass jeder Schritt in eine falsche Richtung falsch ist. Mit dem "kleineren Übel" lässt sich nämlich jede Erosion unserer Grundsätze einleiten. Die solidarische Gesellschaft des demokratischen Sozialismus ist zwar kein fertiges Modell, aber ein Richtungskompass, der im Zusammenhang mit unserem Grundsatzprogramm hinreichend Auskunft über die richtige und die falsche Richtung gibt.

In Anpassungsprozesse vom kleineren Übel gehören bisherige Erfahrungen von ehemals oder gegenwärtig antikapitalistischen oder systemkritischen Parteien hierher, die einen ehernen Integrationsmechanismus der bürgerlich-demokratischen Staatsform belegen, und zwar wirkt der im Parlamentarismus von den Kommunen bis zur zentralen Vertretung und im Regierungsmaßstab in neuer Qualität. Alle Gegenmittel, die bisher besonders streng und komplex von den Grünen in der BRD in Statuten etc. festgelegt waren, wurden sukzessive vor allem im Streben nach Regierungsbeteiligung aufgeweicht und aufgegeben. Ergebnisse empirischer Forschungen belegen: Das Veränderungspotenzial systemoppositioneller Parteien kommt in dem Moment zum Stillstand, "wo es den herrschenden Klassen gelungen sein wird, die Opposition der äußersten Linken zur Mitarbeit in der Regierung selbst heranzuziehen". (R. Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, Stuttgart 1989, S. 343) Oder: Der Integrationsprozess systemoppositioneller Bewegungen ist stets mit der Zuerkennung ihrer Koalitionsfähigkeit als Partei beendet. (V. Beyme, in: B. Guggenberger/U. Kempf, Bürgerinitiativen und repräsentatives System, 1984, S.361; auch P. Tiefenbach, Die Grünen Verstaatlichung einer Partei, Köln 1998.) Bisherige europäische Erfahrungen besagen, dass Herrschaftsstrukturen der gegenwärtigen Gesellschaften, ob national oder in der Europäischen Union, kaum von innen zu verändern oder gar in ihrem Charakter aufzubrechen wären. In weiteren Zusammenhängen gehören hierher auch bittere Erfahrungen mit Regierungsstrategien, Tolerieren und Regierungsbeteiligungen unter anderen der Kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs seit dem Ende der 1970er Jahre. Zu diesen Zusammenhängen gehörten auch undemokratische Entwicklungen und Stagnationserscheinungen im Realsozialismus, die generell zur Schwächung und Spaltung antikapitalistischer Kräfte in der Welt beigetragen haben.

Bedenken wir also wichtige nationale und internationale Faktoren oder Rahmenbedingungen für die Möglichkeit, in einer Bundesregierung sowohl friedenspolitische als auch sozialpolitische Wesenszüge der Linken nicht preiszugeben, ist einzuschätzen, dass für eine Regierungsbeteiligung im Bund gegenwärtig keine Voraussetzungen bestehen. Deshalb sind im Vorfeld der Bundestagswahlen gelegentlich unterbreitete Angebote an die SPD und die Grünen und eine Einbeziehung in einen angeblichen "Lagerwahlkampf" nachteilig für die Interessen derer, die die Linke vor allem vertreten will und für die Partei selbst. In der Argumentation sollte vielmehr in den Mittelpunkt gestellt werden, dass die Linke in konsequenter Opposition wichtige Forderungen wie Mindestlohn, Abschaffung der Studiengebühren, Spitzensteuersatz, Vermögenssteuer etc. auf die Tagesordnung der Gesellschaftsdebatte gesetzt und in der Gesetzgebung indirekt entsprechenden Einfluss ausgeübt hat. Auch das ist politische Gestaltungsmacht der Partei, worauf ihr Vorsitzender kürzlich hingewiesen hat.

Erfahrungen mit Tolerierung und Regierungsbeteiligung der Linken in Bundesländern

Solange diese Art bürgerlicher Demokratie und des Parteienstaates existiert und den Rahmen der Kampfbedingungen systemoppositioneller Kräfte mitbestimmt, kann die Linke unter den gegenwärtigen Bedingungen auf Teilnahme an Wahlen nicht verzichten. Und wenn ihr jeder 4. oder 5. Wähler seine Stimme gibt, wie in ostdeutschen Bundesländern, oder sich andere Konstellationen ergeben, durch eine Regierungsbeteiligung möglicherweise am besten im Sinne des Parteiprogramms wirken zu können, sollte ein solcher Schritt auf der Grundlage der Rahmenbedingungen und Mindestanforderungen geprüft werden. Die Linke wird sich in dem Sinne Kompromissen in die richtige Richtung nicht verweigern und an entsprechenden - auch parlamentarischen - Bündnissen arbeiten.

Erfahrungen zeigen, dass es nicht nur um die Aushandlung von Koalitionsvereinbarungen geht, sondern um die Probleme, die im Prozess des Mitregierens, durch unterschiedliche Interpretation des Vereinbarten, durch veränderte Bedingungen, "Sachzwänge", Verhalten des Regierungspartners etc. entstehen. Mit konkreten, kontrollier- und durchsetzbaren und verbindlichen Mechanismen in der Partei wäre gegen die Regelmäßigkeit der Integration der Partei in das gegenwärtige Herrschafts- system anzukämpfen. Das erfordert eine wache, solidarisch-kritische und kämpferische Mitgliedschaft auf allen Ebenen der Partei. Weiterhin müsste in den Landesverbänden klar definiert werden, dass und mit welchem demokratischen Prozedere Tolerierung oder Regierungsbeteiligung zu beenden wären, wenn z. B. wesentliche Vereinbarungen durch den Koalitionspartner gebrochen werden oder grundlegende Voraussetzungen fürs Mitregieren von Linken während einer Legislaturperiode weggefallen. Und wenn wir mit dem Parteiprogramm eine Regierungsbeteiligung nur dann als sinnvoll ansehen, wenn sie eine "Abkehr vom neoliberalen Politikmodell durchsetzen sowie einen sozial-ökologischen Richtungswechsel einleiten" kann, liegt auf der Hand, dass in Bundesländern gegenwärtig dafür die Voraussetzungen fehlen. Das wäre der mit dem Eintritt der PDS bzw. der Linken in Regierungen in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg versprochene oder verbal angestrebte aber objektiv nicht erreichbare "Politikwechsel". Inzwischen scheint diese Eischätzung für Mecklenburg-Vorpommern und Berlin unbestritten. Die bisherige Regierungszeit in Brandenburg spricht ebenfalls dafür. Was nicht heißt, dass unterhalb dieses Kriteriums des Politikwechsels, also wo es um anzustrebende Lebensverbesserungen der Menschen geht, nicht Erfolge zu erzielen wären.

Gehen wir also davon aus, dass die Option von Tolerieren oder Mitregieren insoweit vor Landesverbänden der Partei, vor allem im Osten, stehen kann, als sie damit zwar keinen Politikwechsel, wohl aber eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen im Rahmen der Gesamtstrategie der Partei anstreben würden. Vor allem unter diesem Gesichtspunkt wären bisherige gute und schlechte Erfahrungen aufzuarbeiten und künftig zu berücksichtigen. Dabei ist interessant, dass bei den gleichen oder vergleichbaren ökonomischen und politischen Grundstrukturen in Abhängigkeit auch von subjektiven Faktoren doch zum Teil sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht wurden. Das zeugt von differenzierten Möglichkeiten, mit Regierungsbeteiligung Grenzen für die Verbesserung von Lebensbedingungen auszuweiten. (Im Folgenden kann es nur um einige wahrscheinlich zu verallgemeinernde Erfahrungen gehen.) Es sind sowohl in Mecklenburg-Vorpommern als auch in Berlin oder Brandenburg selektiv einzelne Verbesserungen im Bildungssystem, bei der Vermittlung von Sozialhilfeempfängern in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, in öffentlich geförderter Beschäftigung, beim Stopp des Sozialabbaus für einzelne Bevölkerungsgruppen und Zeiträume, bei der Kinderbetreuung, teilweise für Flüchtlinge und Asylbewerber, Verbesserungen im Verbraucherschutz, punktuell im Umweltschutz und beim Vorrang für erneuerbare Energien erreicht worden. Wachsende Sozialausgaben waren jedoch kein Indiz für ein Aufhalten der Tendenz des Sozialabbaus sondern eher für erhöhte Ausgaben der Länder für Vor- und Nachsorge bei zunehmender Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, Ausdehnung des Niedriglohnsektors und der Armut. Marktbestimmte Trends sind möglicherweise in der frühkindlichen Betreuung und Schulbildung in allen drei Ländern aufgehalten worden, wahrscheinlich auch zum Teil im Umweltschutz. Als günstig erwiesen sich Möglichkeiten, durch Abstimmungsverhalten im Bundesrat, Forderungen der Linken wie beim Mindestlohn, auf den Weg zu bringen.

Eine wesentliche Erfahrung besagt: Alle Erfolge in Gesetzgebung/Regierungshandeln müssen, (wie allerdings auf anderen Wegen auch) wenn sie nicht auch Interessen der Herrschenden entsprechen, im täglichen Einsatz gegen öffentliche Geldnot, die Macht des privaten Unternehmens/ Geldes und gegen Manipulierung zugunsten der Marktinteressen in ihrer beabsichtigten Wirkung erst durchgesetzt, verteidigt und immer aufs Neue errungen werden. Zunehmend wurden auch mit linker Regierungsbeteiligung öffentliche Mittel in Größenordnungen für die Aufrechterhaltung privater Wirtschaftsstandorte ausgegeben, ohne sie an gemeinwohlorientierte Kriterien wie Sicherung von Arbeitsplätzen, Tarifbezahlung, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, mehr Mitbestimmung etc. zu binden. Insgesamt konnten durch Mitregieren der PDS/Linken die negativen Bundestrends und spezifische Nachteile für Erwerbsabhängige in den für sie wichtigsten Lebensbereichen in den entsprechenden Bundesländern nicht aufgehalten werden. Es gab kaum strukturelle Eingriffe, die zu besseren Ausgangsbedingungen für künftige Entwicklungen, weg vom Neoliberalismus, beitragen würden.

Als besonders nachteilig haben sich erwiesen, dass die versprochene Senkung der Arbeitslosigkeit nicht erreicht wurde, Privatisierungen auch in der Daseinsvorsorge weitergingen, Mietpreisbindungen aufgehoben und bezahlbarer Wohnraum knapper wurde, soziale und kulturelle Freizeitmöglichkeiten wegen Geldnot eingeschränkt, Gebühren für verbleibende oft erhöht wurden. Die Verschuldung von Familien nahm zu. Die Finanznot der Kommunen ist gewachsen und entsprechend die kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt worden. In allen drei Ländern wurde der Sparkurs als Eintrittskarte in die Koalition letztlich mitgetragen. Diese Art und Weise der Haushaltssanierung als "in Zahlen gegossene Politik", als in "Sachzwänge" verkleidete, hier und da modifizierte neoliberale Politik, wurde von den systemtragenden Parteien als Kern der "Regierungsfähigkeit" der Linken bestätigt. In Berlin hat die Partei in der Koalition die Risikoabschirmung krimineller Bankgeschäfte mitgetragen, die Volksinitiative gegen die Privatisierung des Wassers zumindest nicht unterstützt, zum Teil gebremst und in ihrer Regierungszeit sind die Mieten explodiert. In Mecklenburg-Vorpommern hat die PDS in der zweiten Regierungsperiode auf Druck der SPD einer Aufhebung so wichtiger Vereinbarungen im Koalitionsvertrag wie der Ablehnung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf das Niveau der letzteren, wie der Mindestfinanzgarantie für die Kommunen und einem Tariftreuegesetz zugestimmt.

Eine in den Präambeln der Koalitionsverträge und bei allen möglichen Gelegenheiten wiederholte Reduzierung der DDR auf Unrecht, auf "Stasitätigkeit" und "Stalinismus" etc. und pauschale Verurteilung und Distanzierung wurden als Ritual fürs Mitregierendürfen in allen drei Ländern verlangt und geübt.

Regierungsbeteiligungen haben nirgendwo dazu geführt, dass Rechtsextremismus, entsprechende Gewalt und neofaschistisches Gedankengut in der Gesellschaft zurückgedrängt werden konnten. Diese Einschätzung ist nicht an Position und Stärke der NPD gebunden, sondern erfasst das gesamte Phänomen. Als besonders nachteilig erweist es sich, wenn Polizei und andere Staatsorgane in einem von SPD und Linker regierten Land Naziaufmärsche schützen und zugleich gegen antifaschistischen Widerstand eingesetzt werden. Nachteilig auch, wenn in einem solchen Bundesland die Bundeswehr entgegen der erklärten Friedenspolitik der Gesamtpartei, in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen für die Militarisierung der Politik werben dürfen.

Dies zusammengenommen und die Art und Weise der Unterwerfung unter Zeitgeist und SPD-Dominanz hat die Partei Glaubwürdigkeit, vielleicht ihr wichtigstes Gut, gekostet. So hat die PDS in Mecklenburg-Vorpommern nach ihrer ersten Regierungszeit von 1998 bis 2002 von 24,4% der Stimmen bei deutlich geringerer Wahlbeteiligung 8 Prozentpunkte oder 105.234 Stimmen und 8 Mandate verloren. Nach der zweiten Regierungszeit 2006 stimmten nur noch ca. die Hälfte ihrer Wähler von 1998 für die Partei. In Berlin verlor die Linke 2006 im Verhältnis zur letzten Wahl vor Regierungseintritt ebenfalls mehr als die Hälfte der Stimmen. (22,6 auf 13,4% der Stimmen, 2011 gab es nochmals einen Rückgang und zwar auf 11,7%). Günstiger scheint es zurzeit in Brandenburg zu sein. Insgesamt spricht einiges dafür, dass die Koalition mit der Linken das Land im Interesse der Bevölkerungsmehrheit besser regiert als die Vorgängerregierung. Auch hier wären Plus und Minus zu ermitteln und zu diskutieren.

Konkrete inhaltliche Zusammenarbeit mit SPD und Grünen hat die hessische Linke 2008 praktiziert. So hat sie die studentischen Proteste gegen die Studiengebühren aufgegriffen, für eine parlamentarische Mehrheit für die Abschaffung der Gebühren gesorgt und schließlich in einer Tolerierungsvereinbarung mit SPD und Grünen erreicht, dass beide Parteien in ihren Koalitionsvertrag ausdrücklich Haltelinien der Linken (kein Sozialabbau, kein Personalabbau, keine Privatisierungen) aufgenommen haben. In allen drei Parteien hat die Basis diesem Kurs zugestimmt. Gescheitert ist er bekanntlich bei massivem Gegenwind u.a. der wirtschaftlichen Eliten, an einem Putsch des rechten Parteiflügels der SPD, mit Rückenwind aus Berlin.

Lernprozesse?

Bei der immer wieder geforderten innerparteilichen Diskussion bisheriger Erfahrungen in Regierungsbeteiligung oder Tolerierung ginge es nicht um Glaubensbekenntnisse, Schuldzuweisungen, Fehlerdebatten und Rechthaberei, sondern um produktive Analysen, die im Interesse der Mehrheit in der Gesellschaft und im Interesse der Partei gebraucht werden. Dies auch vor dem Hintergrund, dass und weshalb mit einer Regierungsbeteiligung von systemoppositionellen Parteien regelmäßig die innerparteiliche Demokratie beschädigt wird.

Bei Regierungsteilhabe oder Tolerierung in einem Land sollte immer wieder um die Eigenständigkeit des Landesverbandes gegenüber Fraktion und Ministern gerungen werden. Es müsste deutlich werden, dass wichtige Standpunkte/Forderungen der Partei über das hinausgehen, was in ihrer Regierungspolitik möglich ist. Der Landesverband, die Basis der Partei, müsste die Regierungstätigkeit durch Druck von der Straße, von außerparlamentarischen Kräften etc. in Richtung der Parteipositionen unterstützen und Versprechen einfordern. Regelmäßige Rechenschaft über Erreichtes und über Ursachen für nicht zu Erreichendes sollten in der Partei und darüber hinaus üblich sein. Dabei wäre nicht nur die Koalitionsvereinbarung sondern immer auch das Parteiprogramm als Maßstab der Arbeit zu Rate zu ziehen. Auf diese Weise könnten Routine, Bürokratisierung und Integration entgegengewirkt werden. Welche Ideen wären auszuprobieren um neue politische Inhalte auch durch neue Formen des Politikmachens zu verwirklichen? Wichtig wäre, vor wesentlichen Entscheidungen in der Regierung und bei bedeutsamen Abweichungen von Koalitionsvereinbarungen im entsprechenden Landesverband und mit Bürgern, Optionen zu diskutieren, den eigenen Such- und Lernprozess zu demokratisieren. Das ist auch deshalb so wichtig, weil die Mitglieder der Partei "ihre" Regierungstätigkeit vor Ort erklären und vertreten, für die Partei werben wollen. Dabei wären alle Informationswege in der Partei und in die Gesellschaft zu nutzen und Erfolge des Mitregierens der Linken öffentlich darzustellen, damit sie nicht vom Koalitionspartner für sich reklamiert werden.

Auch für die Landespolitiken werden internationale Entwicklungen, die EU- und die Bundespolitik immer wichtiger. Deshalb dürften sich Landesverbände in Regierungen nicht auf Landespolitik gem. Grundgesetz/Landesverfassungen reduzieren lassen, sondern sollten das antiimperialistische, antimilitaristische und internationalistische Profil der Gesamtpartei stärker in den Mittelpunkt ihrer parlamentarischen und außerparlamentarischen Arbeit stellen und wo möglich, zum Teil der Regierungsarbeit machen. Das würde bindenden staatsrechtlichen Vorgaben nicht widersprechen. So sind dank der Linkspartei in der Brandenburger Regierung von diesem Land keine Polizisten nach Afghanistan geschickt worden.

Generell wäre wichtig, Wahlkämpfe, anders als von systemtragenden Parteien, so zu gestalten, dass nicht unerfüllbare Versprechen gemacht werden und dass vor allem nicht versprochen wird, dass dies und jenes mit der Stimmabgabe für die Linke besser werden würde, sondern dass in jedem Wahlauftritt gesagt wird, dass nur durch den Einsatz der Interessierten in ihrem Unternehmen, in der Gewerkschaft, als Mieter, Konsument, als Lernende, als Rentnerinnen und Rentner, als Rüstungs- und Kriegsgegner, tatsächlich Veränderungen zum Besseren erreicht werden können. Wahlen müssten stärker zur Aufklärung über die systembedingten Ursachen für asoziale Zustände und Entwicklungen und damit für grundlegende Positionen der Linkspartei genutzt werden.

Alles in allem scheint die gegenwärtige Situation, in der sich die antineoliberalen und antikapitalistischen Kräfte in Deutschland und europaweit, einschließlich der Linken, befinden, dafür zu sprechen, dass die Partei vor allem an ihrem weiteren Aufbau als eigenständige gesamtdeutsche politische Kraft arbeiten sollte, womit in der Regel ihre auch parlamentarische Opposition verbunden wäre. Wesentlich für eine erfolgreiche Entwicklung dürfte die Arbeit in und mit konfliktbereiten Gewerkschaften und widerständischen Initiativen und Bewegungen sein. In dieser Gesamtstrategie der Partei hat der vor uns stehende Einsatz für eine starke Fraktion im kommenden Bundestag seinen bedeutsamen Platz.