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Jedes Mitglied sollte jeden Tag demonstrieren: Dies ist meine Partei!

Offener Brief des Ältestenrates an die Mitglieder der Partei

Liebe Genossinnen und Genossen, auch wir, die Mitglieder des Ältestenrates, machen uns angesichts der in den Medien hochgeschaukelten Querelen Sorgen, und zwar Sorgen um unsere Partei, die in dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft unersetzbar ist. Eine Partei wie die unsere gibt es nicht zum Selbstzweck, sie lebt und wirkt durch und mit ihren Mitgliedern. Deshalb wenden wir uns mit den folgenden Überlegungen an Euch:

Unsere junge Partei ist in den vergangenen Jahren dank der Aktivität und des Engagements ihrer Mitglieder zu einer Kraft herangewachsen, die andere gesellschaftliche Kräfte dieses Landes nicht einfach ignorieren oder links liegen lassen können. Wie die letzten Wochen zeigen, geht es aber auch in unserer Partei nicht immer nur aufwärts. Damit fertig zu werden, erweist sich als kompliziert. Ein Signal dafür ist nicht zuletzt eine wachsende Unzufriedenheit der Mitglieder, weil die Stellungnahmen und Erklärungen der Führungsgremien offene und ehrliche Antworten auf die entstandene Situation vermissen lassen. Nicht wenige Mitglieder machen auch ihr Unverständnis darüber deutlich, daß manche GenossInnen, die in leitende Funktionen gewählt wurden, Probleme der inneren Entwicklung der Partei und sogar Personalprobleme in den den Linken nicht gerade freundlich gesinnten Medien diskutieren. Vor allem von den Führungsgremien der Partei erwarten die Mitglieder, daß sie bei aller berechtigten Hervorhebung und Betonung von Erfolgen Mißerfolge nicht kleinreden, sich mit ihnen kritisch und selbstkritisch auseinandersetzen und damit der gesamten Partei Orientierung für die weitere Arbeit geben.

Es läßt sich nicht übersehen, die Partei ist in eine schwierige Situation geraten. Allerdings darf das in die Medien hineingetragene und durch sie verbreitete Bild von der Partei nicht zum alleinigen Maßstab genommen werden, denn in der Mitgliedschaft, in den Basisgruppen, in Zusammenschlüssen wurde und wird sachlich, konstruktiv und solidarisch über die Ursachen der schwierigen Lage und über die nächsten Aufgaben debattiert. Ganz wichtig war und ist dabei die Programmdebatte.

In den vergangenen Wochen taten die Medien alles, um ein Bild der Zerrissenheit der Partei entstehen zu lassen, als wenn DIE LINKE sich nur mit sich selbst beschäftigt. Das Anliegen der überwiegenden Mehrzahl der Medien besteht nicht zuletzt darin, in der Öffentlichkeit ein Bild zu verbreiten, DIE LINKE sei überflüssig. Abgesehen davon, daß die Mehrheit der Parteimitglieder auch in dieser Zeit äußerst aktiv und engagiert gekämpft hat, hat ein solches Medienbild durchaus negative Folgen, nicht zuletzt bei unentschlossenen Wählern. Umso mehr gilt: wir müssen so arbeiten und wirken, daß die Medien DIE LINKE nicht nur zur Kenntnis nehmen müssen, sondern daß sie nicht umhin kommen, über uns sachlich zu berichten, sich mit unseren Argumenten, mit unseren Angeboten, mit unserer Politik überhaupt, auseinanderzusetzen.

Der geschäftsführende Vorstand hat nach intensiver Diskussion am 20. April unter anderem dazu aufgefordert, die "Debatte über das Führungspersonal sofort einzustellen". Soweit, so gut! Aber es hätte deutlich gesagt werden müssen, daß hinter dieser Debatte, die ja nur von einigen wenigen und nicht von der Mehrheit der Partei geführt wurde, in Wirklichkeit unterschiedliche Auffassungen zur Politik der Partei, zur Programmatik und auch zu ganz aktuellen Problemen stehen. In einer pluralistischen Partei wie der unseren sind unterschiedliche Auffassungen normal; es kommt aber darauf an, die Diskussion darüber so zu führen, daß sie dazu beitragen, gemeinsame Grundpositionen zu erarbeiten, die das politische Profil der Partei bestimmen.

Notwendig ist, die Programmdebatte weiterzuführen. In diesem Zusammenhang bekräftigen wir die Aussage in unserer "Erklärung zur Programmdebatte", daß der von der Programmkommission vorgelegte Entwurf eine diskussionswürdige, konstruktive Grundlage für die Erarbeitung eines neuen Programms ist. Zwar werden wir bis zum Parteitag im Herbst auf der Grundlage des voraussichtlich im Juli vorliegenden Leitantrages noch so manche Debatte über konkrete Formulierungen führen, aber mindestens ebenso wichtig – wenn nicht wichtiger – ist, mit der Debatte innerhalb der Partei zu erreichen, daß möglichst jedes Mitglied überzeugt "Ja" zum vom Parteitag zu beschließenden Programm sagt! Und das Programm muß auch für Außenstehende verständlich deutlich machen, wofür DIE LINKE steht, was von ihr zu erwarten ist, welches ihr "Alleinstellungsmerkmal" ist.

Und wir bleiben dabei: Unser Ziel ist der demokratische Sozialismus, d.h. eine Gesellschaft, die von sozialer Gerechtigkeit geprägt ist, die von den Menschen gewollt und gestaltet wird und in der jeder/jede die Möglichkeit hat, sich aktiv an der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu beteiligen. Wir verstehen uns als Partei des Friedens und der internationalen Solidarität. Und zugleich sind wir eine Partei des Alltags für die Menschen, machen alltägliche Politik hier in der Bundesrepublik mit dem Gesicht zu den Menschen, zu den Benachteiligten wie den Leistungsträgern! DIE LINKE verbindet Alltagspolitik und Perspektive!

Die umfangreiche Programmdebatte in den vergangenen Monaten und die vielen Zuschriften und Vorschläge haben nach unserem Eindruck deutlich gemacht, daß es in diesen grundlegenden Fragen der Zielstellung und der Strategie bei der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder weitgehende Einigkeit gibt. Zugleich haben die Meinungsäußerungen in den letzten Wochen gezeigt,daß es zu den praktischen Konsequenzen für konkrete politische Entscheidungen manchen Streit und Diskusionsbedarf gibt. Hier sind Prinzipienfestigkeit und Suchen nach Lösungen auf solidarische Art und Weise gefragt. Und wir müssen solche Diskussionen so führen, daß sie dem politischen Gegner und dessen Medien möglichst wenig Raum lassen, sie für seine Zwecke zu mißbrauchen.

Die Partei ist eine schwierige Situation geraten, ja! Aber wir sind überzeugt, wir haben die Kraft, diese Situation zu meistern! Wir appellieren an alle Mitglieder in Ost und West, ob "einfache" Mitglieder, in Führungsfunktionen tätige oder in Parlamenten wirkende, alles in ihren Kräften und Möglichkeiten Stehende zu tun, um die Partei zu festigen und zu stärken. Von den Führungsgremien der Partei erwarten wir, daß sie die kritischen Stimmen der Mitglieder aufnehmen, ihre Vorschläge bei Entscheidungen beachten und vor allem die Sachkompetenz der in Arbeitsgemeinschaften und anderen Zusammenschlüssen aktiven Genossinnen und Genossen nutzen. Und nicht zuletzt erfordert die Entwicklung der Kampfkraft der Partei, unterschiedliche Meinungen und Positionen auf solidarische Art und Weise innerhalb der Partei auszutragen und unterschiedliche Lösungen, die sich aus unterschiedlichen Bedingungen ergeben, aber auf die Verwirklichung des gemeinsamen Zieles gerichtet sind, zu respektieren. Und es erfordert von jedem/jeder, sich als Mitglied der Partei DIE LINKE in der Öffentlichkeit zu unserem Ziel "Demokratischer Sozialismus" zu bekennen und sich zugleich im Alltag für die Menschen zu engagieren. Jedes Mitglied sollte jeden Tag demonstrieren: Dies ist meine Partei!