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DIE LINKE – ihr künftiges Profil und ihr Platz in der bundesdeutschen Gesellschaft

Positionspapier des Ältestenrates

Die schwerste internationale Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten hat auch Deutschland erfasst und stellt alle politischen Kräfte, nicht zuletzt auch die Partei DIE LINKE vor neue Herausforderungen.

Die Krise ist das Resultat der Produktions- und Verteilungsverhältnisse des modernen Kapitalismus und jener neoliberalen Politik, die die Polarisierung von arm und reich weltweit und im eigenen Land auf die Spitze treibt. Ohne weitreichende gesellschaftliche Veränderungen und einen Politikwechsel, der auf eine sozial und ökologisch ausgewogene und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung abzielt, wird es sehr schwer, die Krise und ihre Folgen in absehbarer Zeit zu überwinden.

Wenn die aktuelle Krise etwas bewiesen hat, dann dies: Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ist nicht eine Privatangelegenheit von einer Hand voll Spitzenmanagern und einigen Großkapitalisten – neue Wege der Demokratisierung in Wirtschaft und Gesellschaft müssen beschritten werden – die Rechte der Betriebsbelegschaften und der Gewerkschaften, der Verbraucher- und Umweltschutzverbände, der Menschenrechtsorganisationen und sozialen Bewegungen müssen gestärkt und ausgebaut werden. Das ist auch unabdingbar, um bürgerliche Freiheiten und soziale Menschenrechte gegen eine Politik der Einschränkung der Bürgerrechte und des Sozialabbaus verteidigen zu können.

In relativ kurzer Zeit vollzogen sich Siegeszug und Krise eines grundlegenden Paradigmas der Kapitalherrschaft, des Neoliberalismus. Der Siegeszug wurde begünstigt durch den Wegfall des europäischen Sozialismus als Antipode des Kapitalismus. Die Rede von der "Krise des Neoliberalismus" darf nicht verschweigen, dass die wesentlichen Ziele dieser Ideologie und Politik erreicht wurden und weiter reproduziert werden.

Ökonomisch-politisch-ideologische Typen des Kapitalismus scheinen in rascher Reihenfolge einander abzuwechseln, ohne am Wesen dieser Formation etwas zu ändern. Der im letzten Jahrzehnt die "Realwirtschaft" weitgehend dominierende "Finanzkapitalismus" scheint mit dieser Finanzkrise an seine Grenzen gestoßen zu sein. Die Bundesregierung weist in ihrem Jahreswirtschaftsbericht für das Jahr 2009 darauf hin, dass es nur durch abgestimmtes Vorgehen in der internationalen Gemeinschaft möglich war, den Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems im Jahre 2008 zu verhindern. In den nächsten Monaten muss sich zeigen, ob es den Herrschenden möglich ist, sich international auf eine "neue Finanzarchitektur" zu verständigen, um derartige Katastrophen in Zukunft zu vermeiden – und ob es erforderlich ist, im Interesse der Stabilität des Finanzsystems und der Geld- und Kreditversorgung der Bevölkerung, der Wirtschaft und des Staates, weite Teile des Bankensektors zu vergesellschaften.

Höhen und Tiefen erlebten die Machthaber der USA mit dem Konzept und der bisherigen Praxis einer US-imperialistischen Weltherrschaft nach dem Ende der Systemauseinandersetzung: Imperialistische Aggressivität kann Anfangserfolge verbuchen, zunächst auch durchaus stabile Resultate zeitigen (Balkan), weist dann aber häufig Stagnationserscheinungen und kontraproduktive Effekte auf (naher und mittlerer Osten) oder gerät an Grenzen (militärisches Potential der USA, Entwicklung Russlands, Chinas und Lateinamerikas zu machtpolitischen Hindernissen).

Das Wechselspiel von im Prozess der Globalisierung sich herausbildenden zwischenimperialistischen Gegensätzen und Gemeinsamkeiten in ihren ökonomischen, politischen und ideologischen Dimensionen ist in Bewegung und markiert eine entscheidende Herausforderung für die marxistische Analyse. Nicht weniger anspruchsvolle Aufgaben der Analyse ergeben sich in Bezug auf die aktuelle Krise und ihre Folgen: Steuert die kapitalistische Gesellschaft mit dieser Krise auf eine neue Spielart des "staatsmonopolistischen Kapitalismus" zu oder gelingt es der herrschenden Elite zum Status quo vor der Krise, d. h. zum neoliberalen Finanzkapitalismus, zurückzukehren? Wird mit dem Sozialstaat auch die bürgerliche Demokratie zu Grabe getragen und der Übergang zu einem Überwachungs- und Polizeistaat vollzogen? Oder gibt es einen demokratischen Ausgang aus der Krise, mit dem die Rechte der Lohnabhängigen gestärkt und die sozialen Menschenrechte voran gebracht werden können?

Zu den vor allem im Zusammenhang mit der weiteren Arbeit am Parteiprogramm zu klärenden Grundfragen gehört die Positionierung der Partei zu gewissen "Megatrends" esellschaftlicher Entwicklung: Wenn die Lösung existenzieller Fragen der Menschheit im Zusammenhang mit extremer Armut, Klimaveränderung, Versiegen von Naturressourcen, Umweltbelastung nicht zügig über entsprechende weltweite Kooperation in Angriff genommen wird, könnte die Welt bereits in Kürze für Jahrzehnte in gewalttätige, kriegerische Auseinandersetzungen versinken, denen sich kein Land und keine Region entziehen kann. Stichworte: Imperialistische Kämpfe um Energie- und Rohstoffquellen; der Abbau von Demokratie und die Herausbildung faschistoider Staaten als Reaktion auf sich zuspitzende soziale Widersprüche; der Ausbau der Instrumente der "inneren" und "äußeren" Sicherheit im Kampf gegen "Terrorismus", gegen "organisierte Kriminalität" und zur Niederhaltung der sozial Ausgegrenzten. Nicht zuletzt führen die Auseinandersetzungen mit den Folgen der Umweltzerstörungen bereits heute zur Frage: Weltweite Hilfe für die Opfer oder Mauer und Stacheldraht gegen umwelt- und armutsbedingte Migrationsströme? Wie lange lässt sich die heute in den wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern vorherrschende Produktions- und Lebensweise noch fortsetzen? Welches Recht haben wir, wesentliche Existenzbedingungen nachfolgender Generationen durch eine letztlich nur am Ziel der kurzfristigen Profiterwirtschaftung orientierte Produktionsweise aufs Spiel zu setzen?

Grundlegende ökonomische, soziale und ökologische Widersprüche spitzen sich aktuell außerordentlich zu. Die daraus resultierenden Probleme lassen sich nicht mit den von den imperialistischen Großmächten bisher praktizierten Methoden geopolitischer Konkurrenz und militärischer Gewalt, sondern nur mit Länder- und Regionen übergreifender friedlicher Zusammenarbeit lösen.

Neoliberale Politik und kapitalistische Globalisierung haben neue Marktbedingungen geschaffen, Marktbedingungen, durch die ein wachsender Teil der Weltbevölkerung zu "Verlierern der Globalisierung" werden. "Fairer Handel", "gerechte Weltwirtschaftsordnung" und eine Entwicklungshilfe, die diesen Namen tatsächlich verdient, stehen mehr oder weniger in den Sternen – die Hauptverlierer sind Menschen in den ärmsten Ländern der Welt. Aber auch der Durchschnittsbürger, insbesondere der lohnabhängige Durchschnittsbürger in den alten Industrieländern, muss seinen Tribut an die kapitalistische Globalisierung entrichten: Der rigorose Konkurrenzkampf auf den Märkten und die hohen Gewinnziele des internationalen Großkapitals führen dazu, dass Rationalisierung und Steigerung der Arbeitsproduktivität tendenziell das Wirtschaftswachstum übertreffen. Es ist eine einfache Rechnung, wenn die Arbeitsproduktivität stärker wächst als die Produktion – gleichbleibende Arbeitszeit je Beschäftigten vorausgesetzt – werden Arbeitskräfte "freigesetzt" und es entwickelt sich eine "strukturell bedingte Massenarbeitslosigkeit". Zu Recht hebt die Arbeitsgruppe für alternative Wirtschaftspolitik ("Memorandum – Gruppe") in ihrem letzten Gutachten hervor, dass nach wie vor diese Massenarbeitslosigkeit das zentrale gesellschaftliche Problem in Deutschland ist. Unmittelbar und besonders hart betroffen sind hiervon in erster Linie die Arbeitslosen selbst, in zweiter Linie die Beschäftigten, die durch den Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt und die gegenwärtige Arbeitsmarktpolitik zur Annahme prekärer und unterbezahlter, befristeter und ungeschützter Arbeitsverhältnisse gezwungen sind.

Da die Massenarbeitslosigkeit mittels neoliberaler Politik nicht zu überwinden ist, und das "Normalarbeitsverhältnis" mehr und mehr von nichtsozialversicherungspflichtigen prekären Arbeitsverhältnissen abgelöst wird, gerieten die Sozialversicherungen in wachsende Schwierigkeiten: Für die Finanzierung des Sozialstaates blieben so nur zwei Möglichkeiten – man stellt die Finanzierung auf neue Grundlagen, erschließt neue bzw. zusätzliche Quellen zur stabilen Finanzierung der Sozialversicherung oder man baut die Leistungen des Sozialstaates ab.

Die politischen Eliten in Deutschland haben sich im Bündnis mit den ökonomisch Mächtigen, getreu der neoliberalen Doktrin, dass Sozialleistungen nur ein Klotz am Bein im internationalen Konkurrenzkampf sind, klar für den zweiten Weg, den Abbau der staatlichen Sozialversicherungen, entschieden. ,Und sie werden, wenn nicht eine breite Protestbewegung der Bevölkerung sie daran hindert, die Krises und ihre Folgen dafür nutzen, die Reste des Sozialstaates in Deutschland beseitigen.

So hat die sozialökonomische Entwicklung in den letzten Jahren für breite Kreise der Bevölkerung zu empfindlichen Einkommensverlusten geführt, und die Zahl derer, die auf die Armenfürsorge angewiesen sind, stieg beträchtlich. Suppenküchen und "second-hand-Läden" haben Hochkonjunktur, während das Vertrauen der Bevölkerung in Politik und Parteien einen Tiefpunkt erreicht hat. Die Vermögens- und Einkommensverteilung sowie der Abbau des Sozialstaates werden von der Masse der Bevölkerung als ungerecht empfunden. Die Prozesse der sozialen Erosion und die Akzeptanzkrise neoliberale Politik werden durch die Weltwirtschaftskrise in den nächsten Jahren verstärkt werden. Angesichts der Tatsache,

  • das ein bedeutender und weiter wachsender Teil der Bevölkerung von normaler existenzsichernder Erwerbsarbeit ausgeschlossen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird;

  • dass das kapitalistische Wirtschaftswachstum an die Grenzen sowohl der verfügbaren natürlichen Ressourcen als auch der bereits hochbelasteten Umwelt stößt;

  • dass die durch die Polarisierung von Einkommen und Vermögen bewirkte Überakkumulation von Geldkapital wiederkehrend zu Finanzspekulationen in Ausmaßen führt, die den normalen Ablauf der Reproduktion in der "Realwirtschaft" zunehmend beeinträchtigen,

stellt sich die "Systemfrage" mit Nachdruck: Es ist an der Zeit, um die Ablösung überholter kapitalistischer Machtstrukturen durch demokratische Gesellschaftsverhältnisse mit einer sozial und ökologisch regulierten Wirtschaft zu ringen, die menschenwürdige Lebensbedingungen für die Gesellschaft als Ganzes sichert! Hier wird die Partei DIE LINKE nicht hinter den Sozialbewegungen und nicht hinter den Forderungen engagierter Umweltschützer zurückstehen. In der "Frankfurter Erklärung" bündelt sie fünf entscheidende Vorschläge für den Weg aus der Wirtschaftskrise – Banken vergesellschaften, Finanzmärkte regulieren – öffentliche Einrichtungen ausbauen, Privatisierung stoppen – Mitbestimmung und Beteiligung von Belegschaften durchsetzen – Reichtum gerecht verteilen, Millionenvermögen besteuern – Arbeitsplätze sichern, in die Zukunft investieren.

 

Die politische Entwicklung in Deutschland ist gegenwärtig und wohl noch auf eine nicht absehbare Zeit durch einen tiefgreifendenden Widerspruch gekennzeichnet. Einerseits zeichnen sich starke Bemühungen des Groß- und Finanzkapitals ab, die Finanz- und Wirtschaftskrise zur weiteren Stabilisierung bzw. Reproduktion ihrer Klassen-Macht zu nutzen. Imperialistische Aktivitäten nehmen zu. Andererseits wächst zwar die Unzufriedenheit mit den durch die Krise verstärkten sozialen Folgen der neoliberalen Politik, diese macht sich jedoch bislang nur bedingt im politischen Verhalten der betreffenden Bevölkerungsschichten geltend. Die Kritik am Neoliberalismus und am `Krisenmanagement´ der CDU bzw. der Großen Koalition wird von steigenden Umfragewerten für die CDU und die FDP sowie von sinkenden Werten für die SPD begleitet. Nach einer vorübergehenden Umorientierung zu einer ansatzweise stärkeren Rücksichtnahme auf die katastrophalen Konsequenzen der Schröder-Politik sucht die SPD einen Ausweg aus ihrer eigenen Krise durch eine weitere Unterordnung unter die Interessen und Forderungen des herrschenden Großkapitals.

Es ist davon auszugehen, dass die Fortexistenz des Kapitalismus in der BRD und als Weltsystem von starken Turbulenzen und der Verschärfung verhängnisvoller Gebrechen und Gefahren begleitet sein wird. Das bestehende parlamentarische Parteien-System wird Belastungen ausgesetzt sein. Tendenzen der Herausbildung autoritärer Herrschaftsstrukturen verdichten sich.

Für die Analyse ergeben sich zwingende Fragen: Wie geht die mit gravierenden Verletzungen persönlicher und gesellschaftlicher Interessen einhergehende Macht des Kapitals mit deren politischer Hinnahme durch die Mehrheit der Bevölkerung zusammen? Wie erklärt sich der Kontrast zwischen kritischen Einstellungen und praktischer Gleichgültigkeit oder politischem Desinteresse? Welche Faktoren sind für die bisherige Lähmung oppositioneller Denkweisen und Haltungen verantwortlich?

Die europäische Linke insgesamt befindet sich nach wie vor in einer Krise.

Maßgeblich dafür ist nach wie vor die Niederlage von 1989/91. Insbesondere das Vertrauen in die Realisierbarkeit einer Alternative zum herrschenden Kapitalismus bzw. in die Chancen emanzipatorischer Aktion überhaupt, sind nachdrücklich erschüttert. Dass dies in besonderem Maße für Europa und die USA zutrifft, ist unumstritten.

Zugleich muss berücksichtigt werden, dass ein Niedergang der Linken in den entwickelten kapitalistischen Ländern im Gefolge eines Komplexes von Problemen und Widersprüchen bereits vor dem Bruch von 1989/91 eingesetzt hat. Ohne dem hier im einzelnen nachgehen zu können, sei auf tiefgreifende sozialstrukturelle Verschiebungen, auf desorientierende Wirkungen des Klassenkompromisses der Nachkriegszeit, auf opportunistische Positionen in der Arbeiterbewegung und auf den nachhaltigen Ausbau des kapitalistischen Herrschaftsapparates verwiesen.

In dieser Situation ist die Existenz der Partei DIE LINKE von großer Bedeutung. Zur Einschätzung ihrer gegenwärtigen Verfasstheit, sind eine Reihe von Faktoren in Rechnung zu stellen.

Die doppelte Vergangenheit der Partei und ihrer Mitglieder.
Das derzeitige Gewicht der Partei DIE LINKE im politischen und parlamentarischen System beruht zum einen auf den Hinterlassenschaften der SED und der DDR. Die Masse der ostdeutschen Mitglieder und ehemaligen Kader haben praktische Ansätze einer realen gesellschaftlichen Alternative zur Herrschaft des Kapitals erlebt. Sie sind mit bestimmten Erfahrungen antifaschistischer und sozialistischer Praxis sowie einer mehr oder weniger grundsätzlichen Distanz zur Wirklichkeit des historisch-konkreten Kapitalismus ausgestattet, die seit einigen Jahren mit einer weder zu hoch noch zu gering einzuschätzenden zunehmend kritischen Wahrnehmung dieser Wirklichkeit durch breitere Bevölkerungskreise einhergeht. Die Wirkung dieses Faktors unterliegt allerdings – von den biologischen Gegebenheiten abgesehen – durch die aus der politischen und sozialen Logik des parlamentarischen Systems resultierenden Anpassungszwänge einem zunehmenden Verschleiß.

Es beruht zum anderen auf dem Eintritt neuer Mitglieder aus den alten Bundesländern – enttäuschten linken SPD- und Gewerkschaftsmitgliedern und –Funktionären. Dadurch wurde die politische Kompetenz der Partei durch wichtige Kampferfahrungen verstärkt, die nur auf dem Boden einer entwickelten kapitalistischen Ordnung angeeignet werden können. Darüber hinaus sind Menschen aus der ganzen Breite des linken Spektrums mit unterschiedlichen und konträren Erwartungen zur Partei gestoßen.

Das politische und ideologische Profil der Parteimitgliedschaft einschließlich leitender Gremien wird in der nächsten Zukunft beträchtliche Differenzierungen aufweisen. Das für zielgerichtete Aktionen unentbehrliche Minimum an einheitlichem Wollen und Handeln wird nur über einen langwierigen, widerspruchsvollen und kollektiven Prozess zu erreichen sein. Gegenseitiges Verständnis und das Prinzip der Pluralität sind unverzichtbar.

Die Stärke der LINKEN beruht zur Zeit auf dem alltäglichen Einsatz der Mitgliederbasis, auf der strikten Interessenvertretung der Wähler in Wahlfunktionen und Gremien sowie auf der durch relativ gute Wahlergebnisse auf Landes- und Bundesebene erzwungenen Präsenz in der Öffentlichkeit.

Allerdings ist die Tendenz unübersehbar, dass die Parlamentsarbeit, die Arbeit der Fraktionen, die Vorbereitung von Wahlen einschließlich des Streites um Kandidaturen und Listenplätze und die Werbung von potentiellen Koalitionären im Vordergrund der Partei bzw. ihrer leitenden Gremien stehen. Das Streben nach Regierungsbeteiligung beherrscht weitgehend das öffentlich wahrnehmbare Wirken.

Wahlergebnisse sind bislang kaum Resultat einer Verankerung der Partei in bemerkenswerten Massenaktionen oder –Bewegungen. Als Hindernis für die Ausweitung der politischen Rolle und des Masseneinflusses der LINKEN erweist sich das unzureichende Zusammengehen mit Gewerkschaften. Das ist gewiss nicht oder nicht nur auf das Fehlen einer entsprechenden Orientierung seitens der LINKEN zurückzuführen sondern hängt mit der Entwicklung der Gewerkschaften – nicht nur in Deutschland – in den letzten Jahrzehnten zusammen. Andererseits signalisieren Beispiele immer wieder, dass die Kapitalseite den Einfluss einer kämpferischen Interessenvertretung durch Gewerkschaften und Betriebsräte auch im Betrieb durchaus ernst nimmt. Auf großen Zusammenkünften und Konferenzen der konsequenten Linken (Rosa-Luxemburg-Konferenzen, Marxismus-Konferenzen, ATTAC-Kongresse) und in sozialen Bewegungen ist die die Partei DIE LINKE kaum oder unzureichend präsent. Eine nachhaltige quantitative und qualitative Stärkung der Partei setzt vor allem die Gewinnung neuer Mitglieder aus den Reihen der bestehenden oder neuen Basisbewegungen voraus. Gerade auf diese Weise wird am ehesten eine Verjüngung der Partei zu erreichen sein.

Insofern hat der Widerspruch zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Rolle der LINKEN bisher noch keine produktive Bewegungsform gefunden. Eine Vernachlässigung der parlamentarischen Arbeit würde den Masseneinfluss der Partei in Frage stellen. Um den an den unmittelbaren Interessen der Arbeiter und Angestellten, der Arbeitslosen und Ausgegrenzten, der Opfer von Neoliberalismus und Krise orientierten parlamentarischen Kampf auf allen Ebenen führt kein Weg vorbei. Andererseits würde die alleinige und verabsolutierte Ausrichtung der Partei an den Erfordernissen parlamentarischer Erfolge, die Unterordnung des Parteivorstandes unter die parlamentarische Vertretung und deren Apparat die Substanz der Partei gefährden. Der Weg zu einer reinen Wahlpartei bzw. die weitere Ausprägung als linkssozialdemokratische Partei verspricht nur solange Erfolg, wie die SPD ihr Profil als sozialdemokratische Partei abbaut. Eine deutliche Linksentwicklung der SPD würde selbst eine links orientierte sozialdemokratische Partei DIE LINKE sehr schnell überflüssig machen.

Der Weg der Partei DIE LINKE zu einer sozialistischen Massenpartei wird durch das Fehlen programmatischer Orientierungen und Ziele behindert. Die Dringlichkeit der Arbeit an einem Parteiprogramm wird durch aktuelle Umstände unterstrichen.

Zum einen markiert das Stichwort "Systemfrage" ein entscheidendes Feld grundlegender ideologischer Auseinandersetzungen. Warnungen im herrschenden politischen Feuilleton, das Stellen der "Systemfrage" nicht der prinzipiellen Opposition zu überlassen, sind symptomatisch. Die Linke reagiert auf die gegenwärtige Krise hauptsächlich durch  - notwendige und fundierte - theoretische Analysen und durch – völlig zu Recht - praktische Vorschläge und Programme zur wirtschaftspolitischen Schadensbegrenzung. Was fehlt, ist die Mobilisierung der gesamten Partei DIE LINKE auf allen Ebenen und in allen Wirkungsrichtungen, um den Systemcharakter der gegenwärtigen Probleme, ihre Verbindung mit und ihr gesetzmäßiges Hervorgehen aus den grundlegenden Verhältnissen der kapitalistischen Produktionsweise sowie der politischen und ideologischen Herrschaft des Kapitals an den Pranger zu stellen.

Zum anderen besteht eine wesentliche Ursache für die Schwäche linker Praxis in der fehlenden Überzeugung von der Möglichkeit anderer Verhältnisse bzw. des Weges zu einer besseren, humanen, sozialistischen Gesellschaft. Auch diese Defizite werden nicht zu bewältigen sein, wenn nicht die grundlegenden Ursachen der gegenwärtigen Misere ins Blickfeld gerückt werden.

Hier und jetzt die "Systemfrage" zu stellen, kann nicht darauf hinauslaufen, den Sturz des Kapitalismus als "Tagesaufgabe" (wie seinerzeit Schumacher) zu proklamieren.

  • Vor allem kommt es darauf an, die realen Wirkungen und Erscheinungsformen des kapitalistischen Systems in den gegenwärtigen Krisenprozessen und Widersprüchen aufzuhellen. Die Gesellschaft, in der wir leben, muss unmissverständlich als das charakterisiert werden, was sie ist: Kapitalismus. Die Partei DIE LINKE muss eine Analyse und Kritik dieses Kapitalismus liefern, die die Barbarei (Kriege, Ungerechtigkeit, Armut, Hunger, Zerstörung der Umwelt) nicht als korrigierbare Auswüchse oder Folge von Fehlverhalten sondern als Ausdruck seines Wesens zeigt und zu der Erkenntnis führt, dass diese Ordnung überwunden werden muss, wenn die Menschheit überleben will.

Es bedarf einer deutlichen, an der Nutzung des theoretischen Erbes von Marx, Engels, Lenin, Luxemburg und weiteren sozialistischen Denkern für die Analyse der heutigen Welt orientierten Verstärkung der Bildungsarbeit.

  • Die Partei DIE LINKE muss bestrebt sein, bei der Formulierung  und Begründung ihrer tagespolitischen und mittelfristigen Vorschläge und Forderungen die Kritik des Kapitalismus und die Alternative eines Sozialismus sichtbar machen.
  • Es wird darum gehen, anhand der aktuellen und historischen Krisen-Erfahrungen die grundsätzliche Frage nach der Reformfähigkeit des Kapitalismus neu zu stellen und eigene taktische und strategische Konzepte zu überprüfen. Die Diskussion darüber muss in Gang kommen, was im Rahmen des Kapitalismus durch Reformen zu erreichen ist und was nicht, wo grundlegende Veränderungen über den Kapitalismus hinaus vorauszusetzen sind.
  • Im Programm müssen Aussagen darüber getroffen werden, was Sozialismus unter den Bedingungen des 21. Jahrhundert bedeutet. Darüber und über mögliche Zwischenschritte muss eine breite gesellschaftliche Diskussion initiiert werden. Es muss deutlich gesagt werden, dass derartige Vorstellungen durch eine politische Partei zwar angeboten werden müssen, dass jedoch angesichts der heutigen Umbruchsperiode noch viele massenhafte Erfahrungen zur Beantwortung dieser Fragen gesammelt werden müssen.

In diesem Kontext sollten zentrale Grundübel der gegenwärtigen Gesellschaft zum Gegenstand einer breiten gesellschaftlichen Debatte gemacht werden: der Skandal des anhaltenden Ausschlusses von Menschen aus produktiver Tätigkeit; der Skandal einer zunehmenden Schere zwischen Reichtum und Armut; der Skandal massenmedialer Instrumentalisierung der Vernunft, des Einsatzes höchstentwickelter Wissenschaft und Technik zur Verdummung, Manipulation und Konditionierung der Menschen; der Skandal einer heuchlerischen Umweltpolitik, die immer wieder in die Grenzen vorrangiger Profitinteressen eingezwängt wird.

Es gilt, die klassenbedingte Borniertheit der herrschenden Politik bei der Inangriffnahme von Lösungen zu zeigen. Vorstellungen zu einer Bewältigung dieser Probleme im Interesse der Mehrheit der Gesellschaft, vor allem der Arbeiterklasse, der Benachteiligten und Armen müssen kämpferisch vertreten werden.

In diesem Kontext dürfen die Eigentums- und die Machtfrage nicht umgangen werden.

Ist die Partei DIE LINKE für die Enteignung des Großkapitals (Banken, Versicherungen, Konzerne, Boden, Naturschätze) und ihre Überführung in Gemeineigentum oder reicht staatliche Kontrolle über die Verfügung aus? Welches private Eigentum an Produktionsmitteln wird im Sozialismus gesichert und gefördert?

Wie stellt sich die Machtfrage heute? Wie könnte ein demokratischer Weg zum Sozialismus aussehen? Was ist Demokratie im Sozialismus?

Es kann nicht Aufgabe dieser Ausarbeitung sein, die im künftigen Programm zu erhebenden Forderungen der Partei DIE LINKE im Einzelnen auszuarbeiten. Aber wir möchten betonen, dass wir die Entwicklung derartiger Forderungen in drei Richtungen für unverzichtbar halten:

- In dieser Situation bestehen gute Chancen für die Entwicklung der LINKEN zu einer linkssozialistischen Partei, die für die Ideen eines erneuerten solidarischen Sozialstaates kämpft, die neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik vorbehaltlos attackiert (auch wenn sie sich damit von anderen Parteien den permanenten Vorwurf des "Populismus" einhandelt) und politische Vorschläge zur Systemveränderung einbringt.

Das alles mit dem Ziel, nicht nur einen Politikwechsel herbeizuführen, sondern darüber hinaus die Rolle der Politik und des Staates insbesondere gegenüber der Wirtschaft neu zu bestimmen: Der Markt kann nicht alles richten – das "Allgemeinwohl" und nicht die "Wettbewerbsfähigkeit" sind das Staatsziel – die "Sozialpflichtigkeit des Eigentums" muss neu bestimmt werden – die Politik trägt die Hauptverantwortung für ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit, für Chancengleichheit und soziale Sicherheit sowie für eine zukunftsorientierte Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung. Derartige Forderungen durchzusetzen, dürfte nur auf der Grundlage demokratischer Veränderungen von Macht- und Eigentumsverhältnissen möglich sein. Die Linke muss - gerade angesichts wachsender Resignation in der Bevölkerung - mit dem von ihr zu erarbeitenden Programm für ihre Zukunftsvorstellungen werben!

Die Verteidigung des Sozialstaates kann sich nicht auf das Rückgängigmachen einzelner Maßnahmen des vorangegangen Sozialabbaus beschränken – notwendig sind vor allem Maßnahmen zum nachhaltigen Abbau der Massenarbeitslosigkeit mittels einer alternativen Wirtschaftspolitik und mittels Arbeitsmarktreformen, die den Namen "Reformen" verdienen (zu beidem gibt es zahlreiche, gut durchdachte und begründete Vorstellungen und Vorschläge in der Partei).

Ferner: Internationale Erfahrungen zeigen, dass die Überlebenskraft des Sozialstaates (in einer neoliberalen, also sozialstaatsfeindlichen "Umwelt") vor allem von drei Faktoren abhängig ist:

  • von einem starken öffentlichen Sektor, der vor allem den gesamten Bereich der "Daseinsvorsorge" und Bereiche der Bereitstellung öffentlicher Güter umfasst;

  • vom Grad der gewerkschaftlichen Organisiertheit der Lohnabhängigen und der Kampfkraft und Kampfbereitschaft der Gewerkschaften;

  • von der "mentalen Hegemonie" von Werten der Arbeiterbewegung (Solidarität, Soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, u.a.m.) in der Vorstellungswelt der Bevölkerung.

- Von ähnlich prinzipiellen Gewicht, wie die kompromisslose Verteidigung des Sozialstaates ist für Profil und Wirksamkeit der Partei DIE LINKE ihre konsequente Friedenspolitik. Die weitverbreitete Hoffnung, dass nach dem Ende der Systemauseinandersetzung die Welt friedlicher werden könnte und aus weltweiter Abrüstung zusätzliche Mittel in die Entwicklungs– und Sozialpolitik fließen könnten, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil – insbesondere die Konzeption der US – amerikanischen Eliten vom "US-amerikanischen Jahrhundert" hat dazu geführt, dass militärische Abenteuer und Rüstungsausgaben weltweit seit der Jahrtausendwende wieder in kontinuierlichem Anstieg begriffen sind. Der Einsatz von Waffengewalt kostet Jahr für Jahr etwa 800 000 Menschen das Leben und die Sachschäden gehen in die zig Milliarden Dollar jährlich, allein die Rüstungsausgaben der USA belaufen sich auf etwa das zehnfache dessen, was die "reichen" Industrieländer insgesamt an staatlicher Entwicklungshilfe für die ärmeren Länder bereitstellen. Die Androhung militärischer Gewalt gehört heute wieder zu den legitimen Mitteln imperialistischer Politik, kaum ein Staat ist bereit, auf Mittel der "militärischen Abschreckung" zur Durchsetzung seiner geopolitischen Ziele und Interessen zu verzichten – die Versuche, militärische Gewalt in den internationalen Beziehungen zu ächten, war kein entsprechender Erfolg beschieden und vom deutschen Friedensversprechen der Nachkriegsära – "Von Deutschen Boden soll nie wieder Krieg ausgehen" - kann seit der Beteiligung der BRD am völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg keine Rede mehr sein. Es ist aber gerade die deutsche Geschichte, die linke Politiker in Deutschland dazu anhalten sollte, sich deutschen Militäreinsätzen jeglicher Art zu verweigern, auch sogenannten "Friedenserhaltenden Maßnahmen", solange die internationalen Institutionen, die hierüber zu entscheiden haben, nicht so demokratisch umgestaltet sind, dass die Ausnutzung derartiger Maßnahmen als Deckmantel für den Einsatz militärischer Gewalt zur Durchsetzung geopolitischer Ziele ausgeschlossen werden kann. Die deutsche Außenpolitik sollte sich ausschließlich der Diplomatie bedienen und die friedliche Lösung heranreifender Konflikte ins Zentrum ihrer Bemühungen stellen. Gerade angesichts der gewaltigen Probleme menschlicher Entwicklung weltweit zählt jeder Dollar, der durch Abrüstung eingespart, eben für diese Entwicklung eingesetzt werden kann, doppelt.

Politiker der Linkspartei sollten sich von der konsequent auf Friedenserhaltung und friedliche Konfliktlösung in der Außenpolitik ausgerichteten Position der Partei keinen Schrittbreit entfernen – genauso wenig, wie von der prinzipiellen Verteidigung der Sozialstaatsidee im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

- Angesichts heraufziehender Klima – und Umweltkatastrophen und zunehmender Verknappung von Rohstoffen dämmert die Einsicht, dass die Fortsetzung des bisherigen Wirtschaftswachstums Raubbau an den Lebensbedingungen nachfolgender Generationen beinhaltet. Gefordert wird ein nachhaltiges Wachstum, mit dem ökonomische, soziale und ökologische Stabilität auf lange Sicht gesichert werden können. Der Übergang zu einem neuen Typ des Wirtschaftswachstums ist nicht widerspruchsfrei zu haben: Arbeitsplatzsicherheit kollidiert mit Umweltschutz, Umweltschutz kollidiert mit Sicherheit der Energieversorgung u.a.m. Notwendige Kompromissbereitschaft bei der Auflösung widerstreitender Interessen darf nicht einfach zur Verlagerung von Problemen auf nachfolgende Generationen führen. Dem profitgesteuerten Raubbau an den Ressourcen und der Umwelt müssen Regelungen und Standards mit internationaler Wirkung entgegengesetzt werden.

Verlässt die Partei die oben skizzierte Grundlinien – die Verteidigung des Sozialstaates, die Lösung internationaler Konflikte mit ausschließlich friedlichen Mitteln, des Überganges zu einer ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltigen Wirtschaftspolitik - etwa als "Preis" für eine "Regierungsbeteiligung", besteht die Gefahr, dass das von Anhängern und Wählern als Verrat an ihren Interessen und Anliegen wahrgenommen wird. Das haben linke Parteien in Frankreich und Italien schmerzhaft zu spüren bekommen. Diese Grundlinien dürften im Übrigen auch das Bindeglied für die Flügel und verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei sein.

Aus strategischer Sicht bleibt für die Zukunft die Forderung nach einer antikapitalistischen Alternative, die sich die sozialistische Bewegung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Ziel gestellt hat. Dabei kann es sich auch nach Niederlagen und gewonnenen Erfahrungen im 20. Jahrhundert nur um einen Sozialismus im 21. Jahrhundert handeln der weltweit zur Debatte steht.

So wie auch die anderen Papiere des Ältestenrates, ist auch dieses ein Angebot und eine Teilnahme an einer ganz unbedingt notwendigen Debatte in der Partei und für die Gestaltung ihrer aktuellen Politik sowie für die Bestimmung ihrer Ziele, ihres Profils, womit sie auch ihren Platz in der bundesdeutschen Gesellschaft anstrebt.