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Das schwedische Modell und die programmatische Arbeit in der Linken

Diskussionspapier des Ältestenrates

Wir haben in unserem "Angebot zum Fortgang der Programmdebatte" vom März des Jahres auf die Notwendigkeit hingewiesen, die kapitalistische Wirklichkeit möglichst gründlich zu analysieren. Dazu gehört, Einzelnes und Besonderes von Kapitalismen besser zu erkennen – auch, um das Allgemeine, womit es die Linke überall zu tun hat, im Blick zu behalten. Zudem können wir aus der Vielfalt von Untersuchungen, die sich nicht auf die Bundesrepublik beziehen, deutlicher sehen, worin (bei aller Widersprüchlichkeit) abgestimmte Strategien der tonangebenden Kapital- und Finanzgruppierungen zur Durchsetzung ihrer Interessen bestehen. Im Folgenden geht es um zwei inhaltliche Komplexe in linken Debatten, in denen das schwedische Modell, auch expressis verbis, eine Rolle spielt.

I. Schwedische Erfahrungen und die "Systemfrage" oder: Wie könnte die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums zurück gedrängt werden?

II. Der schwedische/skandinavische Wohlfahrtsstaat als Gegenmodell zur neoliberalen Modernisierung oder als Orientierung für eine demokratische und soziale Gestaltung des gegenwärtigen Kapitalismus?

Der Begriff "schwedisches Modell" ist in Wissenschaft und Politik seit 1936 in Europa und darüber hinaus desto fleißiger im Gebrauch, je weniger er definiert wird. Im Folgenden verstehen wir darunter den erfolgreichsten modernen Wohlfahrtsstaat, wie er seit Mitte der 1930er Jahre unter 40jähriger sozialdemokratischer Regierungsmacht mit sehr starken Gewerkschaften bis zur Mitte der 70er Jahre entwickelt und vor allem in der internationalen Sozialdemokratie als Beispiel eines "demokratischen Sozialismus" wirksam wurde. (Willy Brandt verkündete 1969 in seiner Regierungserklärung, einen sozialdemokratischen Modellstaat nach schwedischem Vorbild schaffen zu wollen.)

Wichtigste konstitutive Bestandteile des Modells waren eine aktive Arbeitsmarktpolitik mit Vollbeschäftigung (max.2% Arbeitslosigkeit), eine universelle öffentliche Sozialpolitik auf hohem Niveau auf der Grundlage eines großen öffentlichen Sektors, eine zentralisierte, institutionalisierte Klassenzusammenarbeit auch auf allen staatlichen Strukturebenen (Korporativismus) und die geistige sowie sozialpsychologische und kulturelle Hegemonie von Werten der Arbeiterbewegung wie soziale Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität, dazu ein dominierendes Verständnis von Demokratie, das ihren sozialen Inhalt einbezieht.

Die erklärte Zielstellung maßgeblicher Akteure des Modells bestand darin, mit politischer Demokratie (verstanden vor allem als Wahlrecht) eine soziale Demokratie und im folgenden eine Wirtschaftsdemokratie erreichen zu wollen. (Als spezifisch schwedischer Terminus für den Wohlfahrtsstaat/Welfare State/välfärdsstat ist der Begriff eines "Volksheims" geprägt worden. Der Begriff des Wohlfahrtsstaates ist im Deutschen weniger gebräuchlich, vielfach wird er zwar differenziert aber doch weitgehend gleichbedeutend mit dem Terminus "Sozialstaat" zur Kennzeichnung der kapitalistischen Prosperitätsphase nach dem 2. Weltkrieg genutzt. Mit dem linkssozialistischen Verständnis des "Sozialstaates" im Kontext des "sozialen und demokratischen Rechtsstaates" aus dem deutschen Grundgesetz, wie es etwa von Wolfgang Abendroth vertreten wird, ist er jedoch nicht identisch.)

Zu I.

1. Wenn wir mit Rosa Luxemburg einverstanden sind, dass es keinen Sozialismus ohne Demokratie und keine Demokratie ohne Sozialismus geben kann, und dass letztlich Sozialismus eine Arbeits- und Lebensweise ist, die Humanität und Schutz der Natur vereint und der eine entsprechende Produktionsweise zugrunde liegt, war Schweden zu keiner Zeit eine sozialistische Gesellschaft. Aber es gab (für etwa zwei Jahrzehnte) bei Fortbestehen und Erstarken einer monopolkapitalistischen Wirtschaft, in verschiedenen Lebensbereichen Züge einer sozialistischen Gesellschaft: soziale Sicherheit in allen Lebensaltern und für alle Wechselfälle des Lebens; weitgehend gleiche Chancen für Kinder und Jugendliche der arbeitenden Klassen und in allen Regionen des Landes, ihre Begabungen und Persönlichkeiten zu entfalten; ein hoher etwa gleicher Standard für die Gesundheitsvorsorge und Krankenbehandlung; kaum Armut; Erfolge bei der sozialen Gleichstellung der Geschlechter; eine gesellschaftliche Praxis von Diskussion und Mitbestimmung in alltäglichen vor allem kommunalen Lebensbezügen und die selbstverständliche Einbeziehung von und Hilfe für Menschen, die kollektiven Schutz besonders brauchten, um gleichwertige Lebensbedingungen zu haben. Politische Parteien der Arbeiterbewegung hatten noch vielfach den Charakter von Volksbewegungen und waren mit ihnen sehr eng verbunden. (Arbeiterbildungsvereine, Erwachsenenbildung, Mieter-, Sport-, Abstinenzlervereine, Friedens- und Solidaritätsbewegungen). "Gleichheit" und "Gerechtigkeit" lebten als programmatische und zugleich pragmatisch immer wieder angestrebte, eingeforderte, diskutierte und abzurechnende Ziele und Grundsätze des Zusammenlebens. (Von der Bourgeoisie als Klasse war außerhalb des Arbeitsprozesses und Geschäftslebens und der politischen Topetage nicht allzu viel zu spüren)

Außer den bekannten Ursachen des internationalen Kräfteverhältnisses, der Systemauseinandersetzung, der Wirkungen der kapitalistischen Produktionsweise einschließlich der Klassenauseinandersetzungen, und der Erfordernisse der Entwicklung der Produktivkräfte waren für diese Entwicklung eine Reihe nationaler Besonderheiten ursächlich oder bedingend. Vor allem war es eine außergewöhnliche Mobilisierungsfähigkeit der Arbeiterbewegung. Über 80% der Lohnarbeiter waren wie nirgendwo anders gewerkschaftlich organisiert und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei war in Relation zur Bevölkerung neben der österreichischen die stärkste sozialdemokratische Parteiorganisation weltweit. Nachweislich kamen entscheidende Initiativen und Druck für soziale Reformen aus der Basis der Gewerkschaften, mit denen die sozialdemokratische Regierungspartei abhängig verbunden war, u.a. durch Kollektivmitgliedschaften von Gewerkschaftsgruppen.

Das Produktiv- und Finanzkapital war konzentriert, zentralisiert und ebenfalls hoch organisiert. Es hatte keine Großmacht- und keine militärischen Ambitionen, begriff und nutzte eine Politik der "Bündnisfreiheit im Frieden mit dem Ziel der Neutralität im Kriege" für wirtschaftliche Entwicklung und ökonomische Expansion. Das wirkte sich insgesamt günstig auf demokratische Gepflogenheiten im Innern des Landes aus.

Mitte der 60er Jahre stellte der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Schwedens Tage Erlander fest, dass der "beispielhafte Wohlfahrtsstaat" bei einer Mitgliedschaft des Landes in europäischen Allianzen nicht möglich gewesen wäre.

Für die Beispielfunktion waren auch sogenannte weiche Faktoren der Geschichte, der Kultur und der Sozialpsychologie, die nicht zu "kopieren" sind, relevant. Das Wissen darum bewahrt vor Illusionen und daraus abgeleiteten irreführenden Strategien, ein Modell nachgestalten zu können. (Was den Modellbegriff in Frage stellt) Nachgewiesenermaßen (aber bestritten) spielte u.a. die Kleinheit des Landes (ca.8 Mill. Einwohner) mit einem "Steuerungszentrum", das Regulationsforscher für große Länder nicht ausmachen, eine Rolle.

Sozialdemokratische Reformpolitik für die Verbesserung der alltäglichen materiellen und sozialen Lebenslage von zwei Generationen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung ist nicht abzuwerten, wenn dem Reformismus nicht der Kampf um die Herzen und Hirne der abhängig Beschäftigten überlassen werden soll. Es waren immer zwei Klassenlinien innerhalb der Modell-Politik wirksam. Die gelebte Dialektik von Klassenkompromissen, Arbeiterkämpfen und Aktionen eines kämpferischen Parlamentarismus in Schweden birgt wertvolle, aufzuarbeitende Erfahrungen für den gegenwärtigen, darunter den notwendig antikapitalistischen, Einsatz im Rahmen dieser Gesellschaftsordnung. Eine Bedingung für die Erfolgsperiode in Schweden war die Verknüpfung von Reformarbeit für die Verbesserung der alltäglichen Lebenslage der abhängig Beschäftigten mit einer Vision von sozialer Gleichheit.

2. Von Sozialismus oder einer "sozialistischen Gesellschaft mit privatkapitalistischer Wirtschaft" war der schwedische Wohlfahrtsstaat auch in seinen erfolgreichsten 60er Jahren weit entfernt, weil im Erwerbsleben der Mehrheit der Lohnabhängigen, insbesondere in der Produktion materieller Güter, krasse Unterwerfung der Arbeitenden unter die Bestimmungsgewalt der Kapitaleigner, Entfremdung der Werteschaffenden von ihren Produktionsmitteln und Produkten, Entwürdigung und fehlende Bürgerrechte fortbestanden. Arbeiterinnen und Arbeiter waren einer perfektionierten Ausbeutung ihrer Arbeitskraft ausgeliefert.

Der Staat hat jedoch vor allem durch seine Umverteilung eines Teils des geschaffenen Mehrprodukts verhindert, dass das Ausbeutungsverhältnis im Arbeitsprozess auch alle anderen Lebensbereiche der abhängig Beschäftigten dominiert hat. Insofern sind herrschende Ökonomie und übrige Gesellschaft extrem auseinander gefallen. Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung in ihrem "Leben außerhalb der Erwerbsarbeit" spielten in dem Erfolgsmodell aufseiten aller Akteure eine außerordentlich große Rolle.

Für die aktuelle programmatische Diskussion ist zudem relevant, inwieweit im schwedischen Modell die Verfügung über monopolkapitalistisches Eigentum sozialen Maßstäben unterworfen wurde und – eng damit verbunden aber nicht identisch - ob Interessen von Eigentümern an machtgebendem Produktivkapital und Vermögen denen der arbeitenden Klassen untergeordnet wurden. (Vgl. u.a. "Programmatische Eckpunkte" der Linken, I und III)

Tatsächlich hat der Staat einen Teil des Mehrprodukts, nicht des privaten Eigentums an Produktiv- und Geldvermögen, vor allem über hohe progressive direkte Steuern auf Arbeitseinkommen und über Kommunalsteuern, mit sozialen Zielstellungen umverteilt. Jemand in abhängiger Beschäftigung bezahlte in der Regel die gute Hälfte seines Arbeitsverdienstes an Steuern, von denen dann die öffentlichen Sozialleistungen im wesentlichen bezahlt wurden. Die Steuerquote des Staates lag, gemessen am BNP, immer über 50%. Für Produkte und Dienstleistungen gestaffelt, wurde eine Mehrwertsteuer zwischen ca.18 und 25% erhoben. Der Anteil juristischer Personen, vor allem von Aktiengesellschaften, am Steueraufkommen des Staates war traditionell niedrig und ist ebenso wie das Aufkommen aus Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuern in den 50er und 60er Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Von den hohen Steuereinnahmen des Staates ging ein beträchtlicher Teil als Staatsgarantien, Subventionen, Forschungsförderung etc. an die expansivsten Exportunternehmen. Pro Kopf der Bevölkerung wurde ein Vielfaches mehr für militärische Rüstung ausgegeben als in anderen allianzfreien Staaten. Die Lohnsteigerungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter waren auch in diesen Zeiträumen hinter der Produktivität und weit hinter den Profiten der Unternehmen zurückgeblieben. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis in die 70er Jahre war der Anteil der Lohneinkommen am gesamten Volkseinkommen deutlich zurückgegangen. Entsprechend gewachsen war der nicht der Verfügung des Staates unterworfene Anteil am Mehrprodukt, der nachweislich zu erhöhter privater Kapital- und Vermögenskonzentration und zur stärkeren Abhängigkeit des Wohlfahrtsstaates von dieser Machthäufung führte. Und sukzessive zeigte sich, dass ein hoher Anteil Sozialausgaben am BNP nicht identisch ist mit einer "Verfügung unter sozialen Kriterien", sondern die nahm zugunsten von prophylaktischen und "nachsorgenden" Verwertungserfordernissen und Verwertungspraktiken des Kapitals ab.

3. Kern der spezifischen Regulierungspolitik war etwas anderes:

Die wohlfahrtsstaatliche Politik wurde unter den konkreten Bedingungen nicht gegen sondern im Interesse des Produktiv- und Finanzkapitals entwickelt. Interessen der abhängig Beschäftigten an Bildung, Aus- und Weiterbildung, an Gesundheitsfürsorge, an einer Familien- und Gleichstellungspolitik und Kinderbetreuung etc., die Erwerbstätigkeit unterstützten, wurden genutzt und in das Verwertungsinteresse des Kapitals aufgenommen. Sozialdemokratische Regierungen, Verwaltungsapparate, Gewerkschaftsführungen, maßgebliche Konzerne und der Unternehmerverband haben ihre gesamte Regulierung darauf ausgerichtet, potenzielle, zeitweilige und teilweise Interessenübereinstimmungen von Kapitaleignern und Lohnabhängigen für Strukturrationalisierung, Effektivität und Wirtschaftswachstum produktiv zu machen. Interessengegensätze wurden nicht nur verlagert, gemildert, ausgeglichen oder begrenzt sondern gleiche Interessen der Antipoden, denen gegensätzliche Ursachen und Motivationen zugrunde lagen, wurden ausfindig gemacht, entwickelt, koordiniert und für ein größeres Mehrprodukt in eine "Produktivkraft" verwandelt. Lohnabhängige hatten ihrerseits ein Interesse an der überdurchschnittlichen Steigerung des Mehrprodukts, solange sie über Lohnentwicklung und staatliche Umverteilung Bedürfnisse außerhalb des Arbeitsprozesses besser befriedigen konnten. Das Grundinteresse des Kapitals konnte als allgemeingültig dargestellt und praktisch-politisch zu verallgemeinern versucht werden. Aber nie wurde im schwedischen Modell den Grundinteressen vor allem des mächtigen exportierenden Groß- und Finanzkapitals widersprochen und nie wurde dem Grundinteresse der abhängig Beschäftigten an einem selbstbestimmten Leben ohne Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und Fremdbestimmung entsprochen.

Insofern können schwedische Erfahrungen aus der erfolgreichsten Zeit der Arbeiterbewegung und günstigsten äußeren und inneren Bedingungen des Kräfteverhältnisses, Annahmen nicht bestärken, dass Interessen an der Kapitalverwertung denen der abhängig Beschäftigten bei Fortbestehen der herrschenden Eigentumsverhältnisse am machtgebenden Produktivkapital und Vermögen, untergeordnetwerden könnten und auf diese Weise der Kapitalismus in eine sozialistische Gesellschaft zu transformieren wäre.

4. In der wohlfahrtsstaatlichen schwedischen Politik wurde zum Teil mit ein und derselben Maßnahme, zum Beispiel der solidarischen Lohnpolitik und in der Renten- und Steuerpolitik, sowohl dem Bestreben nach mehr sozialer Gleichheit in der Gesellschaft als auch der Zielstellung eines hohen Wirtschaftswachstums entsprochen. Aber auch diese Politiken erbrachten (etwa Mitte der 70er/80er Jahre gemessen) dass letztlich die Wirtschaftsförderung zum Zwecke eines "Verteilungssozialismus" zur weiteren Kapitalakkumulation, Konzentration und Zentralisation bei den Mächtigsten und schließlich zur Umverteilung des geschaffenen Volksvermögens von unten nach ganz oben und zu einer größer werdenden Zahl von Stiefkindern des Wohlfahrtsstaates beigetragen hatte. Der Staat hat sich auf diese Weise selber stärker von den Wirtschaftsmächtigen abhängig gemacht und konnte seinerseits die wachsende Abhängigkeit der Wirtschaft von Internationalisierungstendenzen und Krisenzyklen nicht verhindern oder aufheben.

Erfolge perfektionierter wohlfahrtsstaatlicher Regulierung auch über theoretisch denkbare Grenzen der Vereinbarkeit fundamentaler Gegensätze hinaus und sie ausweitend, haben an das Ende dieses Klassenkompromisses geführt und zwar von beiden Seiten.

Die bewusste Entwicklung der Produktivkräfte, die Förderung von Bildung, Wissenschaft, Innovation und Wirtschaftswachstum hatten sich als Grundlage für soziale Sicherheit und Wohlfahrt auch der abhängig Beschäftigten zunächst als richtig erwiesen. Unter den gegebenen Eigentums- und Machtverhältnissen zeitigte die entsprechende Politik jedoch zunehmend gegensätzliche, von sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Akteuren auch ungewollte Wirkungen. (Es ging einigen wie dem Zauberlehrling.)

Darin liegt, wie gegenwärtige Diskussionen in der Linken zeigen, eine bisher nicht bewältigte Herausforderung an ihre Politik. Soviel scheint aus dem "Geheimnis des schwedischen Modells" sicher zu sein: Je perfekter die mentale Orientierung und praktische Politik von Sozialdemokratie und Gewerkschaftsführungen auf hohes Wirtschaftswachstum bei fortbestehenden Eigentumsverhältnissen an Produktiv- und Finanzkapital/Geldvermögen, desto mehr potenzieren sich die für eine demokratische, soziale Regulierung kontraproduktiven Ergebnisse des Wachstums. (Von ökologischen Konsequenzen wird hier abgesehen.) Die ökonomische Basis hatte sich nicht als ein zu regulierendes Subsystem wie jedes andere in der Gesamtstruktur der Gesellschaft erwiesen, sondern sich in widersprüchlichen Prozessen letztlich Politiken, Recht, auch Widerspruch und Widerstand zu- oder untergeordnet oder (wie in geistig-sozialpsychologischen Bereichen) Veränderungspotenziale leer laufen lassen, abgeblockt. Die produktiven Potenziale der kapitalistischen Produktionsweise waren von seinen antisozialen, antidemokratischen, unhumanen nicht zu trennen gewesen.

Folglich wurde seit dem Ende der 60er Jahre deutlicher: Die Gesellschaft konnte nicht länger (und wenig widersprochen) als grundsätzlich kooperatives Modell funktionieren und dargestellt werden. Seine antagonistischen Züge waren nicht verschwunden oder für die arbeitenden Klassen unwichtig geworden sondern traten wieder stärker in den Vordergrund.

5. Weil das Modell an seine Grenzen gestoßen war und die Gewerkschaften sich von unten her nicht mehr in der bisherigen Weise einbinden ließen, konnten in den 70er Jahren eine Reihe von Reformen für mehr Arbeiterrechte im Produktionsprozess durchgesetzt werden. Vor allem aber wurde in den Gewerkschaften der Ruf nach Wirtschaftsdemokratie als Voraussetzung für den Wohlfahrtsstaat lauter und in das konkrete Konzept der Lohnempfängerfonds umgesetzt. Wirtschaftsdemokratie wurde in dem Zusammenhang als "Mitbestimmung und Arbeitnehmereinfluss durch Miteigentum" bestimmt.

Gemäß dem gewerkschaftlichen Konzept vom Anfang der 70er Jahre sollten etwa 20% des Gewinns der Unternehmen mit wenigstens 100 Beschäftigten als obligatorische Aktienemissionen des jeweiligen Unternehmens in gewerkschaftseigene Fonds überführt werden und als aktives Kapital erhalten bleiben. Von den schwedischen Firmen hatten zu dieser Zeit etwa 1% mehr als 100 Angestellte, sie verzeichneten aber 80% des Gewinns der schwedischen Industrie, und in diesen Großunternehmen arbeiteten 60% sämtlicher Angestellter in der schwedischen Wirtschaft.

Der Überschuss an Kapitalzuwachs in der Wirtschaft sollte laut Fondvorschlag nicht nur den Kapitalbesitzern, sondern allen, die an der Produktion beteiligt sind, zufallen. Es ging also nicht um Eingriffe in die vorhandene Kapitalsubstanz der Eigentümer, sondern um ein anderes Teilungsverhältnis der zu erwartenden Gewinne. Gemäß Berechnungen des Gewerkschaftsökonomen Rudolf Meidner hätten bei einem Unternehmensgewinn von 20% die Fonds nach 20 Jahren eine Aktienmajorität in den größten Unternehmen gehabt, bei 10% Gewinn in etwa 35 Jahren.

Die Fonds sollten nicht an die jeweiligen Unternehmen gebunden sondern kollektives Eigentum der Gewerkschaften sein, damit auch Angestellte in kleineren Unternehmen einbezogen werden könnten. Individuelle Anteile, Zertifikate oder ähnliches war nicht vorgesehen, weil davon ausgegangen wurde, dass dadurch die angestrebte größere Macht der Lohnabhängigen nicht erreicht werden könnte. Die angesammelten Mittel sollten in geringerem Umfang für die Neuzeichnung von Aktien und ansonsten auch für Ausbildung, Forschung und Entwicklung und für die Schulung der Fondsrepräsentanten eingesetzt werden. Die Gesetzgebung sollte so gestaltet werden, dass sie auch bei Unternehmen in multinationalem oder ausländischem Eigentum Produktionsverlagerungen ins Ausland und kurzsichtigen Niederlegungen hätten entgegen wirken können. Die Kapitalinvestitionen in den Unternehmen sollten im Lande erhöht werden. Die Gewinne sollten in einem zentralen Ausgleichsfonds und nicht nur in Branchen- oder regionalen Fonds gesammelt werden, um den grundsätzlichen Zielstellungen am besten zu entsprechen. Vertreter für die Fondsleitungen sollten auch von den örtlichen Gewerkschaftsorganisationen gewählt werden, um zentrale und lokale Interessen zu berücksichtigen.

Bei verschiedenen Fragen wurden Antworten offen gelassen. Es ging bei dem Vorschlag um die alltäglichen Lebensbedingungen der Arbeiter als Produzenten und um die Investitions- und Rationalisierungspolitik in der Wirtschaft generell. Ausdrücklich sollte die zunehmende Kapitalkonzentration bei den mächtigsten Exportkonzernen aufgehalten werden. Angesichts der krisenhaften Entwicklung der Wirtschaft sollte zudem im Keynesianischen Sinne Kapital für mehr Investitionstätigkeit zur Verfügung gestellt werden – ohne dadurch die Macht Weniger zu stärken. R. Meidner hatte seine Vorschläge1975 in der Gewerkschaftszeitung u.a. so begründet: "Wir wollen die Kapitaleigner ihrer Macht berauben, die sie eben kraft ihres Eigentums ausüben. Alle Erfahrungen zeigen, dass es nicht ausreicht mit Einfluss und Kontrolle. Eigentum spielt eine entscheidende Rolle... Allein Funktionssozialismus reicht ...nicht aus, eine durchgreifende Gesellschaftsveränderung zu erreichen." (LO-Tidningen, Nr.19/1975)

Die "Arbeitnehmerfonds" werden der Hintergrund für folgende Einschätzung des amerikanischen Wissenschaftlers David Harvey gewesen sein: "Wahrscheinlich war in keinem Land der westlichen Welt die Macht des Kapitals stärker durch die Macht der Demokratie bedroht als im Schweden der 1970er Jahre. (Kleine Geschichte des Neoliberalismus, Zürich 2007, S.140)

Dieser revolutionierende Vorschlag war tatsächlich wie eine Bombe eingeschlagen. Von "Revolution in Schweden" schrieb eine große liberale Tageszeitung und der als bürgerliche Überpartei und Gesellschaftsstratege fungierende ressourcenstarke "Arbeitgeberverband" (SAF) blies zum Generalangriff auf den "Fondssozialismus" und das schwedische Modell in seiner Gänze. Später rühmte er sich, das Projekt zu Fall gebracht zu haben. Da hat er sich auch mit fremden Federn geschmückt, denn die sozialdemokratische Parteiführung, die 1976 nach 40 Jahren die Regierungsgewalt an eine bürgerliche Koalition abgeben musste, hatte den Fondvorschlag bis er 1983 im Reichstag Gesetz werden sollte, so verwässert und aufgeweicht, dass von seinem ursprünglichen Inhalt und seiner Zielstellung nichts geblieben war. Er wurde dann schließlich Anfang der 90er Jahre unter einer bürgerlichen Regierungskoalition endgültig entsorgt.

Wenn die Partei DIE LINKE, anknüpfend auch am Godesberger Programm von 1959, wie Lafontaine es fordert, die strategische Aufgabe stellen würde, "den Zuwachs des Betriebsvermögens zur Hälfte der Belegschaft zu überlassen.", wären diese Erfahrungen und in den letzten Jahren in Schweden wieder aufgenommene Debatten um gesellschaftliche Fonds und andere Möglichkeiten, in das Verfügungsrecht der Kapitaleigner über den Kapitalzuwachs einzugreifen, zu berücksichtigen. Oskar Lafontaine war fortgefahren: "Wir wollen eine Neuverteilung des Betriebsvermögens, um endlich mehr Demokratie zu wagen." Er bezeichnet eine solche Zielstellung als "systemverändernd, ja systemüberwindend..." (Referat auf dem 1.Parteitag, in: Disput, Juni 2008, S. 20; alle Zitate ebenda)

Weil in Schweden die Möglichkeiten eines Klassenkompromisses zugunsten der abhängig Beschäftigten so komplex und produktiv ausgeschöpft und erweitert worden sind wie wahrscheinlich in keinem anderen westlichen Sozialstaat, ist das Modell eher als andere an systembedingte Grenzen gestoßen und hat sie überschreiten wollen. Folgerichtig wurde die Eigentumsfrage praktisch-politisch auf die Tagesordnung gesetzt.

Dass ein erfolgreicher Anfang nicht gelungen ist, hat viele Ursachen, die auszuwerten und zu diskutieren wären. Der Misserfolg spricht wohl nicht für einen untauglichen Versuch, macht aber einmal mehr deutlich, wie schwierig Eingriffe in Verfügungsrechte von Eigentümern sind, ohne deren Eigentum selbst anzugreifen. Aus dem Eigentum sind die Machtpositionen erwachsen, die die Fondsidee (zunächst) zunichte gemacht haben.

Erfahrungen belegen auch für das sozialdemokratische Modell, dass das Eigentum an machtgebenden Produktionsmitteln und Vermögen das Kernproblem für die Veränderungvon Kräfteverhältnissen zur Verbesserung der sozialen und rechtlichen Position der Lohnabhängigen im Arbeitsprozess und im alltäglichen Leben ist. Wege zur schrittweisen Vergesellschaftung durch Aufhebung von privatem Großeigentum und durch Eingriffe in Rechte aus dem Eigentum müssen in der widerständischen Praxis gefunden werden. Eine vorrangige (vgl. "Eckpunkte" V)oder alleinige programmatische Orientierung auf Eingriffe in die Verfügungsgewalt über privates Produktiv- und Geldvermögen würde der grundlegenden Erfahrung mit dem schwedischen Modell im Einsatz für einen "demokratischen Sozialismus" und für Wirtschaftsdemokratie widersprechen. Möglicherweise wären Formulierungen aus dem Programm der PDS von 1993, die Wege zur Vergesellschaftung offen lassen (Broschüre, Programm und Statut, 1998, S.8) hilfreich. (Vgl. auch in der Anlage zu diesem Papier eine inhaltliche Kurzfassung des Dokuments der schwedischen Linkspartei (Vänsterpartiet-V) "Die Linke, das Eigentum und die Macht" von 2002.)

Wenn es um einen Sozialismus im 21.Jahrhundert geht, sind es wohl vor allem Erfahrungen mit und Debatten, Ideen und Konzepte zur Zurückdrängung des kapitalistischen Großeigentums, die von schwedischer Seite einzubringen wären.

Zu II.

Das schwedische Modell belegt eine weitere Erfahrung: Reformen, die nicht auch Interessen von ökonomisch Mächtigen unter sich ändernden Bedingungen entsprechen, haben keinen Bestand, wenn sie nicht durch revolutionäre, d.h. qualitative Veränderungen/Reformen/Brüche gesichert werden.

1. Seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre setzte auch in Schweden in nachweislich engen Zusammenhängen mit der globalen Entwicklung eine massive geistig-psychologische und praktisch-politische neoliberale Offensive vor allem des Unternehmerverbandes (SAF), der über den ressourcenstärksten, mächtigsten Propagandaapparat des Landes verfügte, und der konservativen Partei mit Jugend- und Studentenverband ein. Es wurde ein "Staatsstreich im Langsamgang" eingeleitet, der vor allem die Einstellungen und Auffassungen der schwedischen Bevölkerung als Voraussetzung für einen Paradigmenwechsel weg vom bisherigen Modell, verändern sollte. Anfang der 90er Jahre wurde dann die schwerste Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren von einer konservativ geführten bürgerlichen Koalition für nachhaltige Schritte hin zur "Systemwende" genutzt. Sowohl unter sozialdemokratischen als auch bürgerlichen Regierungen wird seitdem, unter Einbindung geschwächter Gewerkschaften, das ursprüngliche schwedische Modell ausgehöhlt und schrittweise absorbiert. Befördert, beschleunigt und befestigt wurde diese Entwicklung durch den 1995 erfolgten Beitritt des Landes zur EU.

Grundzüge neoliberaler Politik und Gesellschaftsentwicklung – zu messen und zu werten in Relation zu den Ausgangsverhältnissen - sind auch für Schweden inzwischen belegt und unstrittig: Privatisierungen in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, Ausverkauf staatlichen Eigentums, "Flexibilisierung" und zunehmend prekäre Arbeitsverhältnisse, Druck hin zu einem Niedriglohnsektor, wachsender finanzieller/sozialer und psychischer Zwang für Arbeitslose und Kranke, zu verschlechterten Bedingungen erwerbstätig zu sein, messbare Schwächung der Gewerkschaften und Angriffe auf das Streikrecht, größer werdende Gräben in den sozialen und finanziellen Lebensverhältnissen, sprunghaftes Anwachsen der Zahl der Milliardäre und wachsende Armut vor allem alleinerziehender Arbeiterinnen und einer größeren Rentnergruppe, Privatisierungen und soziale Spaltung auf dem Wohnungsmarkt, zunehmende soziale Härte, Kälte und Entsolidarisierung. Ebenso sind antidemokratische Tendenzen und Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien vor allem durch die aktive Mitwirkung des Landes im "Antiterror-Kampf" der USA und der EU belegt. All dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht noch immer Anknüpfungspunkte, Mentalitäten und Potenziale aus Geschichte, Kultur und kollektiver Erfahrung für Widerstand gegen Marktradikalisierung und Entsolidarisierung in der Gesellschaft vorhanden und produktiv zu machen wären.

Gegenwärtig jedoch stellt Schweden kein Gegenmodell zum Neoliberalismus dar, sondern eine aus der Sicht des großen Produktivkapitals und des Finanzvermögens "klügere" neoliberale Spielart des Kapitalismus, die den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat noch nicht völlig "zurückgebaut" hat und einige für Kapitalverwertung günstige Erfahrungen aus dem früheren Kompromissmodell aufnimmt. Die zur Zeit regierenden konservativen Widersacher und Abwickler des ursprünglichen sozialdemokratischen Beispiels verkünden nun die "Wiedererrichtung des Schwedischen Modells" mit "Vollbeschäftigung", "Belohnung der Arbeitenden", "Aktivierung" der Arbeitslosen, Kranken, "Außenstehenden" und der noch stärkeren Einbeziehung von Frauen und Einwanderern in die Erwerbsarbeit. Bei allem gehe es um "sozialen Zusammenhalt" als Grundlage von Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand. Diese Ausrichtung wird wie es scheint in der BRD und der EU zur strategischen Orientierung – und zwar unter aktivem Einfluss der schwedischen konservativen Perfektionisten. (CDU-, FDP- und SPD-Ministerinnen und Minister/Politiker berufen sich pauschal oder selektiv auf "das schwedische Modell". Übrigens wird es laut "Spiegel" auch von Rechtsaußen in Europa als das "neue Modell" gefeiert.)

2. Zugleich wird das Land im internationalen statistischen und statischen Vergleich von Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Konkurrenzkraft, Steuerquote, öffentlichen Ausgaben etc. aber auch hinsichtlich Einkommens- und Vermögensunterschieden, Volksgesundheit und Bildung, mit anderen skandinavischen Ländern in der ersten Leistungsgruppe (Daten etwa bis 2005) in der EU bzw. der OECD ausgewiesen.

Das Problem für aktuell-politische und programmatische Arbeit der Linken besteht darin, dass vornehmlich auf der Grundlage dieser schwedischen Leistungsdaten im internationalen Ranking, in Diskursen zu Alternativen zum Neoliberalismus, (allgemein und insbesondere zur Regierungspolitik der BRD) auf "das schwedische Modell" als Vorbild für weiterhin erfolgreiche Wohlfahrtsstaaten und künftige Entwicklungsmodelle verwiesen wird.

Damit stellt sich die Aufgabe, dass wir den gegenwärtigen Kapitalismus konsequent aus der "Sicht von unten" analysieren und bei aller Bedeutung von Wirtschaftswachstum etc. die sozialen Konsequenzen seiner Entwicklung in den Mittelpunkt von Analyse und Politik stellen. Vor allem ist zu untersuchen, wie Wachstum erreicht wird, wem es in welchem Maße und mit welcher Perspektive nutzt. Im Falle des schwedischen Modells wären zudem Tendenzen und Entwicklungstrends aufzuzeigen, auch Tatsachen, dass bestimmte Formen von Privatisierungen der Daseinsvorsorge mit nachgewiesenen negativen Konsequenzen für abhängig Beschäftigte und "Kunden", durchaus vereinbart werden mit im Verhältnis zum BNP zwar abnehmenden aber im internationalen Vergleich immer noch relativ hohen öffentlichen Ausgaben. Insgesamt scheint wichtig, dass nicht Einschätzungen, Strategien und Terminologie des "Zeitgeistes" übernommen werden.

Der Nachweis, dass die schwedische Gesellschaftsentwicklung gegenwärtig in ihren Grundzügen keine Alternative zum Neoliberalismus und keine Orientierung für eine demokratische und soziale Regulierung des Kapitalismus bietet, ist wichtig, um nicht Illusionen zur Grundlage von Strategien und praktischer Politik zu nehmen. In unseren programmatischen Überlegungen ist davon auszugehen, dass das europäische sozialdemokratische Sozialstaats- oder Wohlfahrtsstaatsprojekt der Nachkriegszeit, einschließlich seines Prototyps, weitgehend gescheitert ist und dass seine Wiedererrichtung, Erneuerung oder Wandlung keine realistische Orientierung für eine sozialistische Partei sein kann. (Bereits 1998, als die sozialdemokratische Partei in Schweden mit schriftlichem Vertrag über die Stützung ihrer Minderheitsregierung durch die Grünen und die Linkspartei (V) noch einmal ein "Volksheim" zu errichten versprach, schätzte der bekannte schwedische Wissenschaftler und Publizist Jan Myrdal ein: "Diese Forderung ist heute geradezu revolutionär in dem Sinne, dass sie nicht ohne eine Umgestaltung der ökonomischen Grundlagen verwirklicht werden kann." ND vom 23.10.1998)

Für die ziemlich nachhaltigen neoliberalen Wandlungen in Schweden sind die feste Verankerung der mächtigsten Kapital- und Vermögenseigner im gegenwärtigen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, ihre Rolle als eine (laut "Managermagazin") der "Schaltzentralen der europäischen Wirtschaft" und ihre daraus erwachsenden manifestierten Interessen und sozialpolitischen Zielstellungen maßgeblich. Große Bedeutung kommt der Mitgliedschaft des Landes in der EU und dem Streben wirtschaftlicher und politischer Eliten Schwedens, zu ihrem Kern zu gehören, zu. Dies um so mehr als die neoliberale und nach außen zunehmend expansiv und militärisch ausgerichtete Politik der EU auch durch den Lissabon-Vertrag als Ersatz für den EU-Verfassungsvertrag, ohne grundlegende Veränderung des Kräfteverhältnisses keine Änderung erfahren wird. Nicht zuletzt deshalb lehnt die Linkspartei (V) als einzige im Reichstag vertretene Partei, gem. ihrem geltenden Programm, nach wie vor die Mitgliedschaft des Landes in der EU ab und wirbt für seinen Austritt. Dabei geht sie auch von der notwendigen Verteidigung der Souveränität des Landes, von demokratischen Erfordernissen und davon aus, dass es eine Illusion wäre, zu glauben, dass die EU von innen demokratisiert/reformiert und die Kapitalinteressen zurückgedrängt werden könnten. (2004 hat sich mit der Juni-Liste eine neue bürgerliche Gruppierung von ausschließlich EU-Kritikern gebildet und auf Anhieb in der Wahl zum Europaparlament 14,5% der Stimmen bekommen.)

Abschließend um nicht missverstanden zu werden:

Selbstverständlich müssen sich Linke in Europa mit aller Kraft und ohne Wenn und Aber für die Bewahrung verbliebener sozialstaatlicher Errungenschaften einsetzen und da kann unter Berücksichtigung des oben Gesagten punktuell auf des schwedischen Modells verwiesen werden, aber ein erfolgreicher Kampf gegen die weitere Erosion sozialstaatlicher Strukturen und Politiken und gegen rücksichtslose Vermarktung von Menschen und ihren Beziehungen wird bei allem notwendigen Pluralismus auch antikapitalistisch sein, in herrschende Großeigentums- und Machtverhältnisse eingreifen müssen, um Kräfteverhältnisse in demokratischer und sozialer Richtung verändern zu können. Und dabei geht es nicht ausschließlich um den entfesselten Finanzmarkt.

Mit vorangegangenen Wertungen ist selbstverständlich auch nicht gesagt, dass Fachpolitikerinnen und Politiker der Linken nicht sehen und prüfen sollten, was in Schweden auf einzelnen Gebieten für die Entwicklung von Wissenschaft, Technik und technologischer Innovation, für die Gleichstellung der Geschlechter, in der Familienpolitik und Kinderbetreuung etc. getan wird.

Kurzfassung des Dokuments "Die Linke, das Eigentum und die Macht" (Download als PDF-Datei, 67 kB)