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DIE LINKE. NRW

Schlussfolgerungen für DIE LINKE. NRW aus der EU-Wahl

Beschluss der außerordentliche Sitzung des Landesvorstandes am 14. Juni 2019

Analyse

Das Ergebnis der Europawahl bedeutet eine Niederlage für die Linke und kann nicht schöngeredet werden. Die Linke erreichte mit 5,5 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis bei bundesweiten Wahlen seit Bestehen der Partei. Bei der Europawahl gaben 7.968.173 mehr Menschen ihre Stimme ab als vor fünf Jahren. Von diesen fast acht Millionen Menschen hat per Saldo kein einziger das Kreuz bei Die Linke gemacht. Stattdessen sank die Anzahl der Stimmen für Die Linke im Vergleich zur Europawahl 2014 um über einhunderttausend (-112.445). Selbst die PDS hat nur einmal bei einer Europawahl mit 4,7% schlechter abgeschnitten - 1994, kurz nach dem Ende der Sowjetunion.

Große Verluste gab es außerdem bei den Regierungsparteien: CDU/CSU erzielten ihr bislang schlechtestes EP-Wahlergebnis und die SPD fällt auf einen historischen Tiefstand. Erstmalig überholen die Grünen bei einer bundesweiten Wahl die SPD und liegen auf Platz zwei. Die Krise der Sozialdemokratie beschleunigt sich auch in Deutschland. Gegenteilige Entwicklungen gab es nur in Portugal, Spanien und den Niederlanden. Trotz eines Anstiegs der Wahlbeteiligung um mehr als 13 Prozentpunkte/ 8 Millionen Stimmen hat die Linke auch in absoluten Zahlen fast 110.000 Stimmen verloren. In allen ostdeutschen Ländern und Rheinland-Pfalz ging die Zahl der erhaltenen Stimmen zurück, in allen anderen westdeutschen Ländern wurden etwas mehr Stimmen geholt, die aber in keinem einzigen zu einem prozentual besseren Ergebnis führten.

Die Wahlstrategie

Der Wahlkampf zur EU-Wahl war verbunden mit einer massiven medialen Intervention der Eliten. Die Wahlen wurden zur Schicksalswahl deklariert. Landauf und landab hieß es, dass Europa an sich was Gutes sei und nur eine hohe Wahlbeteiligung einen Rechtsruck verhindern könne. Gemeint war damit wohl eher, dass es voraussichtlich im neuen Parlament keine absolute Mehrheit von Christ- und Sozialdemokraten mehr geben würde. Zum einen wurden EU und Europa gleichsetzt und dies als Friedensprojekt verkauft. Dazu kam die die Darstellung, wer nicht für Europa ist, befördere den Nationalismus der Rechten. Immer wieder wurde versucht im Wahlkampf alles auf die Frage zu reduzieren: Bist Du für oder gegen Europa. Das haben sowohl unsere Spitzenkandidatin und unser Spitzenkandidat als auch die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer immer wieder erlebt. Am populärsten wurden diese Verkürzungen von den Grünen aufgegriffen mit Plakaten wie "Europa ist die beste Idee, die Europa je hatte". Damit war die Stimmung gänzlich anders als im Jahr 2014, als die Auswirkungen der Finanzmarktkrise, von Platzbesetzungen über Generalstreiks bis hin zu Blockupy den Wahlkampf in großen Teilen Europas dominierten. Es gab kein Klima von Selbstermächtigung und Systemüberwindung.

Eine abstrakte Kritik, die sich gegen die gesamte EU richtet, ist zwar inhaltlich richtig und nachvollziehbar, von der Mehrheit der Bevölkerung jedoch nicht gewollt. Der Ansatz für die EU-Kritik muss daher an konkreten Versäumnissen und falschen Zielstellung der Kommission liegen.

Die Wahlkampfstrategie hat nicht dazu beigetragen, DIE LINKE als Gegenpol zu den herrschenden Verhältnissen dazustellen. Neben der auf dem Europaparteitag zentralen Losung ‚Für ein Europa der Menschenrechte‘ standen die Slogans "Europa nur solidarisch" und "Macht Europa sozial" im Zentrum. Damit war die LINKE kaum noch unterscheidbar gegenüber anderen Parteien. Auch die SPD wollte "Ein soziales Europa" und bei den GRÜNEN hieß es "Nur ein soziales Europa ist ein starkes Europa".  Bei den sozialen Forderungen nach einem EU-weiten Mindestlohn, einer EU-weiten Arbeitslosenversicherung oder einem einheitlichen Sozialversicherungsausweis gab es kaum Unterschiede. DIE LINKE hat sich weder der Lüge entgegen gestellt, dass die EU 70 Jahre Frieden gebracht habe, noch hat sie offensiv vermittelt, dass die EU für das Sterben im Mittelmeer verantwortlich ist. Schon gar nicht hat sie die Verantwortung aller Bundesregierungen der  letzten Jahre für die Austeritätspolitik in der EU und die Schonung der Konzerne bei  der Steuer- ebenso wie in der Klimapolitik angeprangert. Die Friedensfrage, welche für viele Wählerinnen und Wähler wahlentscheidend war, ging unter im Hochjubeln der EU als Friedensprojekt, die realen Probleme wie massive Aufrüstung und der Aufbau von Armeen wurde dagegen nicht öffentlich bespielt. Die Linke hätte hier einen Unterschied machen können und auf die Aufrüstungsverpflichtung der EU stärker hinweisen und den Umbau zu einer EU des Friedens propagieren können.

Linke Kompetenzen

Das dominierende mediale Thema bei den Wahlen war der Klimawandel sowie die Proteste dagegen. In diesem Bereich wurde den Grünen mit 56% die größte Kompetenz zugeschrieben, während die Linke überhaupt keinen messbaren Wert erzielte, wie die anderen Parteien auch. Ebenfalls keine nennenswerte Kompetenz wurde der linken im Bereich der Wirtschaft und der Vertretung nationaler Interessen zugeschrieben. Die höchste Kompetenz gab es mit 15% im Bereich der sozialen Sicherheit, darauf folgte Flüchtlingspolitik mit 7% und Weiterentwicklung der EU mit 4%. Wahlentscheidend für unsere Wähler war zu 69% der Bereich Soziale Sicherheit, zu 48% der Klimawandel, zu 47 % Friedenssicherung und zu 11% der Bereich Flucht und Migration. Gleichzeitig gelang es uns nicht, unsere Kernkompetenz Soziale Sicherheit so zu betonen und mit aktuellen Themen des Wahlkampfes wie dem Klima-Thema zu verbinden,  dass weitere Menschen von der Linken überzeugt werden konnten.

Die Linke braucht nun eine ehrliche Debatte über ihren zukünftigen Kurs. Folgende Thesen scheinen dabei geeignet zu sein, eine solche Debatte anzustoßen:

Der jahrelange Flügelkampf hat der Partei spürbar geschadet. In der Folge tritt Sahra Wagenknecht, eine der bekanntesten  Politikerinnen der Republik, nicht wieder als Fraktionsvorsitzende an. Ihre Ankündigung vom Rückzug aus der Fraktionsspitze und die innerparteilichen Konflikte kostet DIE LINKE bei den Wählerinnen und Wählern offensichtlich Zustimmung. Zusätzlich haben die Konflikte zu teils schweren Zerwürfnissen in der Partei geführt, welche die gemeinsame Kampfkraft geschwächt haben. Es ist Zeit für einen Neuanfang - sowohl im innerparteilichen Miteinander als auch in der Form, wie innerparteiliche Konflikte öffentlich bearbeitet werden. Die verschiedenen Positionen und Strömungen innerhalb der Partei müssen als notwendig und wichtig für eine Debatte innerhalb der Partei begriffen werden. Nur so kann eine politisch handlungsfähige Linke geschaffen werden, die auf der Grundlage einer konsequenten linken Strategie und einer harten, kompromisslosen Kapitalismuskritik starke außerparlamentarische Bewegungen und Kämpfe anstößt und mitgestaltet.

Die Europawahl zeigt eine deutliche Verschiebung der Wählerinnen und Wähler der Linken: weg von den Klassenmilieus der Arbeiter (Selbstbeschreibung) und Erwerbslosen, was nicht durch ein junges, akademisches Milieu kompensiert werden konnte. Die Linke verlor im Vergleich zur Europawahl 2014 1,9 Prozentpunkte. Dabei hat die Linke überproportional Prozentpunkte bei Arbeitern (-4), Erwerbslosen (-3)  und Selbständigen (-4) verloren. Die Linke schneidet von allen Parteien bei den Arbeitern inzwischen am zweitschlechtesten ab und erreicht bei dieser Gruppe nur noch 6%, noch knapp vor der FDP mit 4%. Selbst bei den gewerkschaftlich organisierten Wählerinnen und Wähler, bei denen unsere Partei deutlich überproportional Zustimmung findet, verlieren wir 2,3 Prozentpunkte und landen bei lediglich 7,4%. 2014 war der Stimmenanteil bei den Arbeitern (10%) noch deutlich überproportional zum Gesamtergebnis (7,4%). 2019 ist das so gut wie nicht mehr der Fall (6% im Vergleich zu 5,5%). 2014 lag der Stimmenanteil von Die Linke und AfD bei den Arbeitern noch gleich hoch. 2019 erzielt die AfD bei Arbeitern einen vierfach so hohen Wert wie Die Linke, bei den Arbeitslosen ist sie inzwischen die stärkste Partei.

Angesichts dieser Entwicklung braucht es endlich eine solidarische, ergebnisoffene Debatte, wie diese Entwicklung gestoppt und umgekehrt werden und Die Linke ihrem Anspruch einer sozialistischen Klassenpartei gerecht werden kann. Die Verluste bei den Arbeitern sind eine Folge der fehlenden Fokussierung im Wahlkampf. Damit eng verbunden ist die Frage, wieso Die Linke von den enormen Verlusten der SPD nicht profitieren kann. Dazu gehört die Einsicht, dass zwischen Klassenmilieus kulturelle Unterschiede existieren. Die Verluste im Bereich der Arbeiter und Arbeitslosen treffen die Linke besonders und sich auch eine Folge des Versuchs auf mehrere Milieus zu fokussieren und zu verdeutlichen, wie diese verbunden werden kann. Eine klarere Sprache, die diese Forderungen in unseren Texten - ob im Wahlprogramm oder Flyer - und Reden einfach und klar transportiert.  Und das Herausstellen von gemeinsamen Interessen im Kampf gegen diejenigen, die die soziale Sicherheit und das Klima gefährden hätte dabei helfen können. Die schwache mediale Präsenz der Linken könnten ebenfalls durch eine klarere Sprache, Abhebung von den anderen Parteien und gezielte Provokationen/Nadelstiche ausgebaut werden. Dafür bedarf es einer Sprache, die sowohl radikal ist als auch klar die bestehenden Verhältnisse kritisiert und konkrete erreichbare Alternativen formuliert. 

Während Die Linke bei den Europawahlen verliert, gewinnt sie im Westen in parallel stattfindenden Kommunal- und Landtagswahlen absolut und relativ dazu. Auch hier gilt es zu diskutieren, wieso Die Linke Wählerinnen und Wähler auf kommunaler Ebene für sich überzeugen kann,  die sich bei der parallel stattfindenden Europawahl für andere Parteien entscheiden.

Der Wahlerfolg der Grünen ist getrieben von zwei Entwicklungen, zum einen der massiven Zunahme der gesellschaftlichen Debatte und Bewegung in Fragen von Klima und Umwelt und zum anderen vom Frust von großen Teilen des sozialdemokratischen Milieus, welches seine Heimat bei dieser Wahl bei den Grünen gesehen hat. Dass es der Linken nicht gelungen ist, die Verluste der SPD für die Linke zu gewinnen und gleichzeitig ein Angebot für all jene Klimaaktivistinnen und Aktivisten zu machen, liegt auch an einer mangelnden Unterscheidbarkeit von den Grünen. Statt Vorschläge zu machen, wie diejenigen für die Klimakrise zahlen können, die sie maßgeblich verursacht haben, wurde im Wahlkampf auf Klimapolitik gesetzt ohne die Unterschiede von den Grünen zu verdeutlichen. Statt die Konzerne für die Folgen des Klimawandels zur Kasse zu bitten und Vielflieger zu  bestrafen, wurde die Idee einer allgemeinen CO2-Steuer übernommen, welche die Ärmeren noch mehr belastet. Es muss deshalb klar herausgearbeitet werden, dass die Grünen ihren bürgerlichen Charakter behalten haben und die Chancen, mit einem "Grünen Kapitalismus" die Welt gerechter zu gestalten, nicht größer werden. Somit fehlte uns für all jene,  die die Linke nicht aus der Praxis kennen ein größeres Unterscheidungsmerkmal zwischen uns und den Grünen.

Schlussfolgerungen

Für Die Linke gilt: Die Bearbeitung des Klima- und Ökologiethemas muss -  wie andere Themenfelder auch - im Kontext des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit, sprich im Kontext einer kapitalistischen Klassengesellschaft bearbeitet und beantwortet werden. Die Linke muss das Klima- und Umweltthema ernst nehmen und stärker bespielen, dazu gehört eine verstärkte Entwicklung von eigenen Konzepten und Ideen,  wodurch uns in der Breite Kompetenzen zugesprochen werden. innerhalb der Partei eine "inklusive" Debatte, an der alle Menschen teilhaben können: Egal ob alt oder jung, mit oder ohne Behinderung, unabhängig von Bildungsabschlüssen und sozialer Herkunft. Unsere Strukturen und unsere Debattenkultur schließen Menschen aus - das müssen wir verändern. klare Positionen, die wir auch auf kommunaler und Länderebene konsequent umsetzen, wie z.B. beim Thema Kohleausstieg, damit wir glaubwürdig sind.

Angesichts der Wahlergebnisse der Europa-Wahl, der Neusortierung der SPD und der Möglichkeit von Neuwahlen im Bund braucht die Partei eine ehrliche Diskussion, wie sie sich neu aufstellt - inhaltlich wie strategisch. Unsere Aufgabe für die Zukunft  muss es sein, all jene Teile des Werkstätigen, Lohnabhängigen und Erwerbslosen zu erreichen, die sich eine Abkehr von der aktuellen neoliberalen Entwicklung sowie einen starken Sozialstaat und ein Ende der Aufrüstungspolitik wünschen.

Konkret steht DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen vor der besonderen Herausforderung im nächsten Jahr die Kommunalwahlen bestreiten zu müssen. Mit Hochdruck ist ein handlungsfähiger Landesvorstand aufgerufen, diese wichtige Aufgabe anzunehmen und in die konkreten Vorbereitungsmaßnahmen einzusteigen. DIE LINKE wird landesweit häufig in der Berichterstattung über die kommunalen Initiativen wahrgenommen. Daher brauchen wir eine geschlossene und zielgerichtete Wahlvorbereitung, die unseren Mitgliedern an der Basis hilft motiviert die bevorstehenden Aufgaben anzugehen. Für uns darf es hierbei nicht um die Vertretung von Glaubenssätzen gehen, sondern muss sich politisch an den Lebensbedingungen der Menschen vor Ort orientieren! Dafür will DIE LINKE streiten.