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Lorenz Gösta Beutin

Der sozial-ökologische Umbau ist abgesagt

Zur klimapolitischen Dimension des Sondierungspapiers von SPD, Grünen und FDP

Wo die Musik spielt bei der Klimapolitik von SPD, Grünen und FDP wird zu Beginn deutlich: „Neue Geschäftsmodelle und Technologien können klimaneutralen Wohlstand und gute Arbeit schaffen.“ Übersetzt heißt das: Der Markt regelt das mit dem Klima schon, der Kapitalismus wird etwas grün angemalt. Dass die Politik nicht geeignet ist, die Herausforderung der Klimakrise zu bewältigen geschweige denn die Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad zu gewährleisten, war eine Grunderkenntnis der Klimabewegung schon vor der Bundestagswahl.

Fehlende soziale Dimension der Klimapolitik

Die größte Leerstelle verweist auf das fast komplette Fehlen der sozialen Dimension im Klimateil des Sondierungspapiers: Was tun gegen explodierende Energiepreise, etwa Verbot von Strom- und Gassperren? Oder den CO2-Preis auf die Vermieter*innen umlegen? Oder sofort die Stromsteuer deutlich senken? Oder Sozialtarife für Bezieher*innen niedriger Einkommen bei den Stadtwerken? Oder die vollständige Übernahme der Stromkosten bei Hartz IV? Und wenn richtigerweise die Geschwindigkeit bei energetischen Sanierungen beschleunigt werden soll, wie wird verhindert, dass Mieter*innen infolgedessen rausgeschmissen werden, weil sie sich den Mietenwahnsinn nicht mehr leisten können? Kein Gedanke, kein Wort, Fehlanzeige. Das eingangs angeführte Zitat macht deutlich: Dass Klimaschutz nur klappen wird, wenn er sozial gerecht ist, diese Erkenntnis ist eine Binsenweisheit, die dennoch nicht in die Ampel-Sondierungen eingeflossen ist, weil sie der neoliberalen Logik entgegensteht. Das kann sich noch bitter rächen.

Bekenntnis zur Begrenzung auf 1,5 Grad als leeres Versprechen

Schaut man sich die Ziele an, könnte man den Eindruck haben, SPD, Grüne und FDP haben auf die Appelle der Klimabewegung gehört: Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen und zur Begrenzung auf 1,5 Grad. Das wäre erfreulich, wäre das mit den notwendigen Maßnahmen unterfüttert. Das Klimaschutzgesetz soll mit einem Sofortprogramm weiterentwickelt werden. Neben Energie werden die Sektoren Bauen/Wohnen, Verkehr, Landwirtschaft, Industrie. Aufhorchen lässt aber die Formulierung, dass die Klimaziele in einer „mehrjährigen Gesamtrechnung“ „sektorübegreifend“ überprüft werden sollen. Umweltministerin Schulze hatte sich immer dagegen gewehrt, dass die fehlenden Fortschritte in einem Sektor (naheliegend etwa Verkehr oder Wärme) durch Einsparungen in einem anderen (etwa Energie) ausgeglichen werden können. Diese Formulierung öffnet für solche Tricksereien Tür und Tor, zumal die Überprüfung nicht Jahr für Jahr erfolgen soll – was eigentlich angesichts der Dringlichkeit notwendig wäre, sondern in „mehrjährigen“ Zeiträumen. Hier deutet sich eine Schwächung des derzeitigen (eh zu laschen) Klimaschutzgesetzes an. Diese Forderung ist von der FDP in der vergangenen Legislaturperiode im Bundestag vorgetragen worden, wahrscheinlich hat sie sich an dieser Stelle durchgesetzt – zulasten wirksamer Klimapolitik.

Massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien, aber mit welchen Hebeln?

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll massiv beschleunigt werden, auch durch Abbau von Planungshindernissen (hier dürfen nicht Demokratie und Beteiligung auf der Strecke bleiben). Eine Ausweisung für zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft an Land ist eine dringende Notwendigkeit. Wie das allerdings funktionieren soll mit festen Windkraftabständen in den Bundesländern wie in Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen oder gar der absurden 10-H-Regelung (Zehnfaches der Höhe der Anlage als Abstand zur Wohnbebauung) in Bayern steht in den Sternen. Hier wird sich die künftige Koalition mit den Bundesländern anlegen müssen. Das Bekenntnis zum dezentralen Charakter der Energiewende und zur finanziellen Beteiligung von Kommunen ist erfreulich. Nur müsste die Dezentralität durch Maßnahmen unterfüttert werden (wie können Genossenschaften, Bürgerenergie, Stadtwerke gegenüber den großen Konzernen bestehen?). Ein erster Schritt wäre, die „De-Minimis“-Regelung der europäischen Ebene, die vorsieht, kleinere Bürgerenergie-Projekte bis 18 Megawatt Leistung von Ausschreibungen auszunehmen, endlich auch in Deutschland anzuwenden. Für Photovoltaik soll es eine Pflicht für Neubauten geben – allerdings nur fürs Gewerbe. Wie für Privathaushalte das gewährleistet werden soll, ist schleierhaft. Hier war die Forderung der LINKEN richtig, sowohl für Neubauten generell als auch bei umfassenden Sanierungen eine PV-Pflicht einzuführen, natürlich bei entsprechender finanzieller Unterstützung. Dass nun neue Gaskraftwerke gebaut werden sollen, die auf Wasserstoff umstellbar sind, verstärkt die Gefahr, dass das Ziel der Klimaneutralität in weitere Ferne rückt. Jedenfalls lässt das die Formulierung befürchten, sie sollten dem Zweck dienen, „wettbewerbsfähige Preise“ zu erzielen: Die Energiewende braucht für eine Übergangszeit Gaskraftwerke, die flexibel einspringen, wenn sie gebraucht werden, aber eben keine, die Volllast die ganze Zeit durchlaufen – ein Plan für einen Gasausstieg bleibt notwendig. Wenn nun in diesen auf Perspektive Wasserstoff verballert werden soll, wäre das auch Sicht der Effizienz absurd – auch dies muss die absolute Ausnahme bleiben.

Markt statt Ordnungsrecht bei EEG und CO2-Preis

Dass die Förderung des Ausbaus der Erneuerbaren durch über den Strompreis beendet werden soll, hatte bereits die FDP gefordert. Wenn das bedeuten würde, dass es für die EEG-Umlage kleinen gleichwertigen Ersatz gibt – jedenfalls steht im Sondierungspapier nichts – hieße das, der Energiewende einen Bärendienst erweisen. Ein Grund für die hohe EEG-Umlage, die gigantischen Ausnahmen für Konzerne, die Milliarden-Profite garantieren auf Kosten der Verbraucher*innen, werden im Papier nicht angesprochen. Dabei wäre es eine notwendige, dass diese rasch abgeschmolzen werden. Das „Brennstoffemissionshandelsgesetz“, sprich der CO2-Preis für Verkehr und Wärme, soll überarbeitet werden, orientiert am europäischen Emissionshandel. Der von den Grünen geforderte „Ökobonus“ – eine notwendige Voraussetzung eines CO2-Preises – wird im Sondierungspapier nicht erwähnt. Das ist ein gefährlicher Weg, der da in den Bereichen Verkehr und Wärme beschritten werden soll: Ja, es ist möglich, dass ein Emissionshandel wirkt, das zeigt der Strombereich, doch zur Wahrheit gehört, dass auch dort Konzerne jahrelang Milliarden-Profite zulasten der Steuerzahler*innen gemacht haben. Wirksamer wäre gerade in den Bereichen Verkehr und Wärme ein klares Ordnungsrecht und die Schaffung entsprechender Alternativen (Erneuerbare Wärme und Verkehrswende). Kommt es, wie es sich die FDP wünscht und wie es sich beim EEG und beim CO2-Preis andeutet, würde das die soziale Spaltung in der Energiewende weiter verschärfen.

Kohleausstieg 2030, oder doch nicht?

Abgefeiert wird jetzt der Kohleausstieg 2030. Zur Wahrheit gehört, dass davor das Wörtchen „idealerweise“ steht. Tatsächlich ist der Kohleausstieg spätestens 2030 eine Notwendigkeit, um überhaupt eine Chance zu haben, dem Pariser Klimaabkommen gerecht zu werden. Doch das setzt voraus, die Energiewende entsprechend zu beschleunigen, und ob die oben beschriebenen Schritte dafür geeignet sind, ist zweifelhaft. Dass dafür auch der Strukturwandel in den Kohleregionen beschleunigt und finanziell abgesichert werden muss, ergibt sich daraus. Was aber nun eine „Stiftung oder Gesellschaft“ zum Rückbau der Kohleverstromung und zur Renaturierung der betroffenen Orte soll, erschließt sich mir nicht, denn das wäre eigentlich Aufgabe der Kohlekonzerne, deren Entschädigung mit Milliarden bereits von SPD und Union festgeklopft worden ist. Sollen die Kohlekonzerne, ähnlich wie beim Atomausstieg, nun auch noch aus ihren eigentlich gesetzlich festgeschriebenen gesetzlichen Pflichten entlassen werden, auf Kosten der Allgemeinheit?

Keine Verkehrswende in Sicht

Noch vor 2035 sollen nur noch „CO2-neutrale Fahrzeuge“ zugelassen werden. Das beinhaltet allerdings im PKW-Bereich nicht das Ende für den Verbrennungsmotor. Im Gegenteil wird explizit der Einsatz synthetischer Kraftstoffe genannt, eine teure Energieverschwendung, die an dieser Stelle im Sondierungspapier festgeschrieben wird, im Namen der „Technologieoffenheit“. Was das bedeutet beim Ausbau paralleler Infrastruktur – auch mit dem Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur für PKWs wird ja weiter ein totes Pferd geritten – ist noch nicht absehbar. So wird die Energiewende unnötig verteuert und erschwert, denn der dafür notwendige Energiebedarf muss irgendwo herkommen. Gerade im PKW-Bereich wäre es eigentlich notwendig, das Kriterium des effizienten Einsatzes von Energie anzulegen. Dass dann festgeschrieben wird, dass es kein Tempolimit geben wird, ist nur logisch: Schließlich ist unsere Mobilität auf motorisierten Individualverkehr ausgerichtet, Alternativen werden bewusst ausgebremst. Das unbegrenzte Rasen auf deutschen Autobahnen zu beenden wäre eigentliche eine Erfordernis des „gesunden Menschenverstands“ (Scheuer), denn es schont nicht nur Umwelt und Menschenleben, es ist auch eine Maßnahme, die mit sehr geringem Aufwand rasch CO2 einspart. Dass ansonsten bei der Verkehrswende eine riesige Lücke klafft – bis auf irgendwelche „intelligenten Systemlösungen“, die nicht weiter ausgeführt werden – ist folgerichtig: Für eine echte Bürgerbahn, die preiswert und zuverlässig ist, müsste man die Eigentumsform der Deutschen Bahn ändern und massiv etwa in die Reaktivierung von Stecken investieren. Für weniger PKWs auf den Straßen müsste man sich mit der Autoindustrie anlegen. Für einen guten, auf Perspektive kostenfreien ÖPNV in Stadt und Land müsste man sich vom Dogma der schwarzen oder wahlweise roten Null verabschieden. Um Kurzstreckenflüge überflüssig zu machen, müsste man sie schlicht verbieten und die Alternativen massiv ausbauen. Mit den bisherigen Vorschlägen fiele die Verkehrswende aus, alle Versprechungen, sich ans Pariser Klimaabkommen halten zu wollen, wären damit Makulatur.

Wenn sich in den Koalitionsverhandlungen die Linie des Sondierungspapiers fortsetzt, werden die nächsten vier Jahre einer Ampel-Regierung verlorene Jahre für den Klimaschutz, auch wenn es beim Ausbau der Erneuerbaren Energien zur notwendigen Beschleunigung kommen sollte (was Stand jetzt alles andere als ausgemacht ist). Ganz abgesehen davon, dass die globale Dimension der Klimagerechtigkeit keine Rolle in dem Papier spielt, ist der fast vollständige Verzicht auf ordnungspolitische Maßnahmen die Garantie, dass das Versprechen, auf die Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad zu orientieren, heiße Luft bleibt. Was es jetzt braucht, ist massiver Druck aus der Klimabewegung, die mehrheitlich verstanden hat, dass Klimagerechtigkeit nicht zu haben ist ohne einen grundlegenden Systemwandel, und der setzt voraus, sich auch mit den Kräften, die am „Weiter So“ festhalten anzulegen – wenn die sich aber in der Regierung befinden, wird es schwer.

Für DIE LINKE steht die Aufgabe, ihre Alternativen, die im „Aktionsplan Klimagerechtigkeit“ der Linksfraktion beschrieben und im Wahlprogramm noch einmal an einigen Stellen präzisiert worden sind, zu konkretisieren, zu verinnerlichen und weiterzuentwickeln. Diese Regierung, egal wie sie aussieht, wird Druck von links brauchen, gerade in der Klimapolitik. Und eine LINKE, die das nicht begreift, dass sie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit im Projekt des sozial-ökologischen Umbaus zusammenbinden und die Klimakrise als zentrale soziale Frage unserer Zeit verstehen muss, wäre nicht zukunftsfähig. Wenn es ihr aber gelingt, Alternativen von links populär in die Öffentlichkeit zu bringen, auch über die Bühne des Bundestags, könnte sie ihr Profil schärfen und als tatsächlich Alternative für eine klimagerechte, solidarische Gesellschaft wahrgenommen werden.

Dank an Uwe Witt für wichtige Hinweise.


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