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Miachel Schlecht

Stuttgart 21 - Merkel 21!

Kommentar von Michael Schlecht, MdB, Chefvolkswirt Fraktion DIE LINKE und Gewerkschaftspolitischer Sprecher im Parteivorstand DIE LINKE

Am 30. September wurde mit einer nicht für möglich gehaltenen Gewalt der Protest gegen Stuttgart 21 nieder geknüppelt. Die Polizei setzte massiv Pfefferspray und andere Reizgase ein. Wasserwerfer schossen mit 20 Bar Druck in die Menge. Der direkte Aufprall auf den Körper führt zu Rippenbrüchen und mindestens zwei Demonstranten haben wohl ihr Augenlicht verloren, weil der Wasserstrahl sie direkt ins Auge traf. Rund 380 verletzte Demonstranten wurden insgesamt gezählt.

Getroffen wurden vor allem Kinder und Jugendliche. Seit Wochen war ihre Demonstration gegen Stuttgart 21 angemeldet. Sie sind nicht nur physisch getroffen, sondern auch traumatisiert. Kampfgestalten, die man sonst nur aus jugendgefährdenden brutalen Computerspielen kennt, haben 13, 14 und 15-jährige Jungen und Mädchen geschlagen, getreten, weggeschleift und mit Kampfgasen traktiert. Für viele ein Alptraum, der Wirklichkeit wurde.

Bürgermeister Schuster, Innenminister Rech und Ministerpräsident Mappus geben den Kindern selbst die Schuld. Zynisch. Und die Behauptung, die Eltern hätten ihre Kinder als Schutzschilde in den Kampf geführt, macht eigentlich nur noch sprachlos.

Getroffen wurden auch viele ältere Bürgerinnen und Bürger. Viele davon ehemalige CDU-Wähler. Eine 60jährige, gutbürgerlich gekleidete Frau ist fassungslos, dass sie von einem Polizisten geschlagen wurde. Ihr Mann, der ihr zur Hilfe kam, erhielt eine Dusche Pfefferspray aus nächster Nähe ins Gesicht. Die 65jährige Landesprecherin der Linken und ehemalige ver.di-Landesvorsitzende - Sybille Stamm - wird von Bundespolizisten kurzerhand ins Gebüsch geworfen und getreten. Gottseidank nur ein verstauchtes Handgelenk. Sie sagt: "Seit 1968 die brutalsten und schlimmsten Exzesse, die ich erlebt habe."

Seit fast einem Jahr wird mindestens einmal wöchentlich gegen Stuttgart 21 protestiert. Seit Beginn der Abbrucharbeiten am historischen Bahnhofsgebäude Ende Juli wird wöchentlich zweimal demonstriert. Ohne Mobilisierung durch eine Großorganisation beteiligen sich daran jeweils Zehntausende. Am letzten Freitag kamen 100.000. Seit Ende Juli haben sich mehr als 250.000 Stuttgarter mindestens einmal an den Protesten beteiligt. Ein wahrer Volksaufstand!

Jedoch wird dies von der politischen Nomenklatura komplett ignoriert. Dies erinnert an die Wirklichkeitsverweigerung des Politbüros der SED 1989. Mappus, Rech und Schuster setzen jetzt auf Radikalisierung der staatlichen Apparate. Sie sind verantwortlich für die ausgestochenen Augen und für die sonstigen Verletzungen.

Die eigentliche Scharfmacherin ist Kanzlerin Merkel. In der Haushaltsrede am 15. September hat sie Stuttgart 21 zu ihrem Kampf erklärt. Merkel 21! Mit Stuttgart 21 würde über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands entschieden. Deutschlands internationale Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel und die Gefahr, dass die Griechen sich nicht an die Kürzungsprogramme halten, die ihnen auf maßgeblichen Druck der deutschen Regierung auf geherrscht wurden.

Deshalb befiehlt Merkel: "Augen zu und durch!" Auch wenn dies heißt, dass Kinder, alte Menschen, CDU-Parteigänger und die Demokratie niedergeknüppelt werden.

Der geplante Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofes und der Neubaustrecke nach Ulm sollen offiziell sieben Milliarden kosten. Bahnunabhängige Gutachter gehen von 13 bis zu 20 Milliarden aus!

Viele Menschen lehnen Stuttgart 21 ab, weil es selbst in der relativ reichen Schwabenmetropole massive soziale Missstände gibt. Die Kinderarmut ist hoch und 3000 Kita-Plätze fehlen. In vielen Schulen bröckelt der Putz von den Decken. Und an den Hochschulen herrscht Mangelverwaltung.

Das alles passt nicht zusammen mit der Verpulverung von Milliarden für ein Wahnsinnsprojekt. Es kommt hinzu, dass in Stuttgart 21 die Milliarden vergraben werden, die für Neubau und Ertüchtigung vieler anderer ökologisch wichtiger Bahnprojekte auf Jahrzehnte fehlen werden. Insoweit ist nicht nur ganz Baden-Württemberg betroffen, sondern auch andere Bundesländer.

Merkel lehnt eine sofortige Volksbefragung ab. "Die Landtagswahl im nächsten Jahr ist die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs, über Stuttgart 21," so Merkel. Mit dem sich abzeichnenden Untergang von Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg wird sie sich selbst eine weitere, schwere Niederlage einhandeln.