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Bernd Riexinger

In Griechenland droht eine humanitäre Katastrophe

Statement des Vorsitzenden der LINKEN, Bernd Riexinger, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus:

Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte mich heute zu vier Themen äußern: Erstens zu den Aussagen von Sigmar Gabriel am Wochenende zu den Banken, zweitens zu Wirtschaftsminister Rösler, der Griechenland den Austritt aus dem Euro nahegelegt hat, drittens zur Situation in Syrien und letztlich zu den Ergebnissen der Beratung des Geschäftsführenden Parteivorstandes.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat am Wochenende schwere Bankenschimpfe geübt. Er sagte, die Banken würden den Staat erpressen und wenn es schiefgeht, müsste die Allgemeinheit dafür gerade stehen. Natürlich begrüßen wir diese Äußerungen. Sie könnten auch von der LINKEN sein. Er hat sogar Formulierungen der LINKEN wortwörtlich übernommen, z.B. den Begriff der "Schuldensozialisten", den Lafontaine und Wagenknecht geprägt haben.

Wenn man aber über Erpressung redet, dann gehören ja bekanntlich zwei dazu: die einen, die erpressen und das gehört dort ja praktisch schon zum Geschäftsmodell und die anderen, die sich erpressen lassen. Leider muss man dazu sagen, dass die SPD immer dabei war, wenn es darum ging, sich erpressen zu lassen. Sie haben nicht nur einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die Finanzmärkte zu deregulieren, sondern sie haben auch allen Rettungspaketen - aktuell auch wieder der Bankenrettung in Spanien - zugestimmt. Da müssen sich die Leute natürlich veräppelt vorkommen, wenn man auf der einen Seite verbal die Praktiken der Banken kritisiert, andererseits aber allem zustimmt, damit es gerade so weitergeht, wie gehabt.

Deswegen werden wir die SPD hier beim Wort nehmen: Es geht nicht darum, die Banken zu beschimpfen, sondern es geht darum, die Finanzmärkte zu regulieren. DIE LINKE hat dazu sehr viele Vorschläge gemacht. Es geht auch nicht einfach nur darum, die Banken gesundzuschrumpfen. Das wird sowieso nicht funktionieren. Gesundschrumpfen hieße nur, dass die größeren Banken die kleineren, die sich gesundschrumpfen, übernehmen. Uns als LINKE geht es um eine tatsächliche Regulierung. Dazu gehört, dass Banken grundsätzlich öffentlich sein müssen, dass sie kleiner sein müssen, dass sie nicht an Spekulationsgeschäften teilnehmen dürfen, sondern für Zahlungsverkehr, für Investitionen, für die Spareinlagen der Sparerinnen und Sparer da sind. Das wird ein ganz entscheidender Punkt für die Zukunft sein. Wir werden sehen, mit wem dann die SPD diese Politik machen will.

Außerdem hat Herr Gabriel auch kritisiert, dass die Banken zu hohe Dispo-Zinsen verlangen. Das kritisiert DIE LINKE schon lange. Aber daran zu appellieren, dass etwas freiwillig geschehen soll, wird nicht fruchten. Vielmehr geht es darum, tatsächliche Zinsobergrenzen gesetzlich vorzuschreiben. Wir sagen, es darf auf keinen Fall mehr sein als 5 Prozent über den Refinanzierungskosten, die die Banken selbst haben. Es ist ja längst widerlegt, dass die Banken große Verwaltungskosten haben, wenn sie Dispo-Zinsen einräumen.

Wenn man über die Bankenpraktiken spricht, wird es insbesondere auch darum gehen, die Entkoppelung der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten voranzutreiben. Es ist ja fast schon peinlich, wenn man sieht, wie hier die Politik am Nasenring durch die Arena geführt wird. Wir werden dieses Problem nicht lösen, solange die Finanzmärkte gegen gewählte Regierungen und gegen die eigene Währung spekulieren können. Deswegen brauchen wir nicht nur die Regulierung, sondern wir brauchen auch die Direktvergabe der Kredite durch die EZB oder durch eine öffentliche Bank. Dazu sage ich nachher noch etwas.

Zweitens: zu den Äußerungen von Herrn Rösler zum Austritt von Griechenland aus der Euro-Zone: Wir sind der Auffassung, dass ein Austritt von Griechenland aus der Euro-Zone eine humanitäre Katastrophe für die griechische Bevölkerung zur Folge hätte. Wenn wir davon ausgehen, dass dann Abwertungen von 50 bis 70 Prozent erfolgen würden, könnte Griechenland seine Importe nicht mehr bezahlen. Es würden buchstäblich die Leute auf ihren Energiekosten sitzen bleiben. Sie würden nicht mal mehr die nötigen Nahrungsmittel importieren können. Also ein solcher Vorschlag ist sowohl aus humanitären und sozialen Gründen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht akzeptabel.

Tatsächlich lenkt Herr Rösler nur von der desaströsen Politik zur Lösung der Euro-Krise ab. Genau das ist eingetreten, was DIE LINKE die ganzen letzten Monate, ja Jahre, schon sagt: Die Art und Weise der Euro-Rettung, die in Wirklichkeit nichts anderes als eine Bankenrettung gewesen ist oder nicht einmal das, ist erfolglos, führt wirtschaftlich und sozial in die Irre, ist schlicht desaströs.

Wir haben die Situation, dass Griechenland hohe Auflagen erteilt wurden, im Prinzip Kürzungs- und Verarmungsprogramme. Sie haben zum wirtschaftlichen Niedergang von Griechenland geführt, bzw. diesen wahnsinnig beschleunigt. Wenn man alles zusammenzählt, wird das Minuswachstum in Griechenland fast ein Fünftel der Wirtschaftskraft betragen. Es wird das Geheimnis von Frau Merkel und Herrn Rösler bleiben, wie mit Lohnsenkungen, wie mit Rentenabsenkungen, wie mit der Verarmung von großen Teilen der Bevölkerung tatsächlich eine wirtschaftliche Zukunft von Griechenland organisiert oder hergestellt werden kann.

Wir haben aber nicht nur die Situation in Griechenland, über die ja schon viel diskutiert worden ist, sondern wir sehen gerade die Entwicklung in Spanien. Die Entwicklung in Italien wird nicht weniger problematisch sein. Da trifft es Länder, die nicht mehr mit solchen Rettungsschirmen gerettet werden können. Wir müssen sagen, dass inzwischen die Situation in Spanien dramatisch ist. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird viele elementare Dinge des normalen Lebens verteuern. In Madrid gibt es täglich 40 Räumungen, weil Wohnungseigentümer Kredite nicht mehr zurückzahlen können. Der Wohnungsmarkt ist praktisch zusammengebrochen und die Immobilienblase geplatzt. Sie hinterlassen ein Milliardengrab in Spanien. Über eine Million Familien in Spanien haben keinerlei Einkommen mehr. Das muss man sich einmal vorstellen. 25 Prozent sind arbeitslos. Das ist eine extrem hohe Rate. Die Jugendarbeitslosigkeit ist extrem groß, Jugendliche sind perspektivlos. Man konnte am Wochenende auch lesen, dass die Jungen inzwischen von der Rente ihrer Eltern oder Großeltern leben müssen. Das sind unzumutbare Zustände, die zeigen, in welchem Ausmaß die Eurokrisenpolitik gescheitert ist.

Wenn wir daran etwas ändern wollen, dann müssen diese Fehlkonstruktionen der Krisenpolitik beseitigt werden. Wie gesagt: Das erfordert die Abkoppelung der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten. Wir brauchen die direkte Finanzierung durch die EZB oder eine öffentlichen Bank. Es gibt gar keinen Grund, den Banken billiges Geld hinterherzuwerfen, die dieses dann teuer an die Schuldenländer weiterverleihen. Wir brauchen praktisch Wirtschaftshilfe an die Schuldnerländer. Es wurde dort versäumt, eine entsprechende industrielle und infrastrukturelle Basis zu schaffen - diese muss dringend hergestellt werden. Das wird man nicht mit Verarmungs- und Kürzungsprogrammen erreichen.

Wir hoffen, dass unsere Klagen zum Fiskalpakt und zum ESM erfolgreich sind, sodass die Chance besteht, hier eine Neuorientierung der Wirtschaftspolitik tatsächlich durchzusetzen. Wir freuen uns auch, dass diese Sicht von der Mehrheit der Bevölkerung inzwischen geteilt wird und die Klagen unterstützt werden. Wir sagen ganz klar, dass Reiche und Vermögende in ganz Europa zur Finanzierung der Krise herangezogen werden müssen. Es wird die Krise nur weiter verstärken, wenn die Binnenmärkte, die Kaufkraft der Bevölkerung, der Rentner, der Arbeitenden, abgebaut werden.

Deswegen ist es unerlässlich, eine Vermögenssteuer zu erheben - wir sagen Millionärssteuer dazu. Es ist auch unerlässlich, eine einmalige Vermögensabgabe zu erheben. Wir freuen uns, dass beide Forderungen der LINKEN inzwischen in der gesellschaftlichen Mitte angekommen sind. Es wird sowohl von den Gewerkschaften als auch von den Wohlfahrtsverbänden eine Initiative in diese Richtung gestartet. Auch andere Kreise unterstützen diese Initiativen. Wir haben den Vorschlag vom DIW gehört - all das geht in die gleiche Richtung. Wir werden die Krise nicht beseitigen, wenn hauptsächlich Rentner und Rentnerinnen sowie Erwerbstätige belastet werden.

Wir haben zudem das Problem, dass die Art der Krisenlösung wie ein Bumerang auf Deutschland zurückkehren wird, wenn die Exportmärkte zunehmend - in Griechenland sowieso, aber auch in Spanien, Italien und anderen Ländern -zusammenbrechen. Es wird die Arbeitsplätze und die soziale Lage in Deutschland selbst betreffen. Wir müssen davon ausgehen, dass wir ein Wirtschaftsmodell, das dauerhaft Defizite in den anderen Ländern produziert, nicht aufrechterhalten können, sondern wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die den eigenen Binnenmarkt stärkt und die auch hier die öffentliche Daseinsvorsorge voranbringt.

Wir haben nach wie vor erhebliche Defizite beim Ausbau der Kindertagesstätten. Wir haben Defizite bei der Bildung. Wir haben Defizite beim ökologischen Umbau. Es gebe also in Deutschland genügend praktischen Bedarf für öffentliche Investitionen. Die Löhne müssen in Deutschland dringend steigen, und die prekäre Beschäftigung muss zurückgedrängt werden.

Die Losung, alles zu tun, um das Vertrauen der Finanzmärkte zu gewinnen, oder wie wir sagen, sich dem Diktat der Finanzmärkte unterzuordnen, erweist sich mit zunehmendem Fortgang als völlig erfolg- und hilflos. Wenn wir nicht dringend zu einer anderen Politik kommen, besteht tatsächlich die Gefahr, dass der Euro in hohem Maße von den Leuten gefährdet wird, die die ganze Zeit sagen, wir wollen den Euro retten.

Zu einem weiteren Thema, zu Syrien: Es gibt keinen Zweifel. Assad ist ein Diktator, ein nicht gerade freundlicher Diktator. Teile der Bevölkerung und auch der Eliten laufen ihm davon. Wir erleben eine humanitäre Katastrophe in Syrien. Der UN-Flüchtlingskommissar, António Guterres, bettelte in der vergangenen Woche in der Welt um Geld, um humanitäre Hilfe für Syrien. Ich habe noch nicht gehört, dass Deutschland für humanitäre Hilfe mehrere Millionen Euro oder mehrere hundert Millionen Euro zur Verfügung stellen will, um die größte Not der Flüchtlinge zu lindern. Warum eigentlich nicht? Der Vorschlag von de Maiziere, mit Schiffen der Bundeswehr humanitäre Hilfe zu leisten, trägt nicht zur Entspannung bei, sondern zu Zuspitzungen.

Der militärische Komplex - und das ist unsere tiefste Überzeugung - muss sich aus diesem Konflikt raushalten. Wir müssen direkte humanitäre Hilfe über die UN leisten. Es ist ein völliger Irrtum, dass dieser Konflikt mit militärischen Mitteln gelöst werden kann. Es wird keine Kriegsgewinnler geben, sondern nur Verlierer. Die Hauptverlierer sind die Menschen in Syrien, die zum Teil mit Tod und mit viel Elend die ganze Zeche für diesen Konflikt bezahlen müssen.

Die wichtigste Aufgabe ist, dass die Belieferung mit Waffen an beide Seiten aufhören muss. Deutschland gehört zu den großen Waffenexporteuren. Indirekt über Saudi Arabien und über andere Länder, die von Deutschland Waffen bekommen, werden dort auch die etwas dubiosen Rebellen oder Aufständischen aufgerüstet. Das kann kein Beitrag zur Lösung des Konfliktes sein. Wir bleiben hier ganz klar bei unserer Position: Dieser Konflikt kann nur durch Verhandlungen, kann nur durch Unterstützung von der Initiative von Kofi Annan gelöst werden.

Zum vierten Punkt, zur Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes und zu unserer Sommertour, die heute beginnen wird. Wir haben uns erneut eingehend mit der Euro-Krise und der Situation in Griechenland beschäftigt. Wir haben gesagt, wir werden als LINKE eine europäische Initiative unterstützen, die verschiedene Gewerkschafter, Künstler, auch Linke darunter, wie Alexis Tsipras, Pierre Laurent, Heinz Bierbaum von der deutschen LINKEN, befördert und jetzt in die Wege geleitet haben, nämlich zur Gründung einer europäischen öffentlichen Bank für soziale, ökologische und solidarische Entwicklungen. Dies wurde inzwischen bei der EU-Kommission angemeldet. Und es ist ja möglich, wenn man eine Million Unterschriften europaweit sammelt, dass das dann die Kommission als Thema aufgreifen muss. Diese Initiative wird gestartet. DIE LINKE in Deutschland wird diese Initiative unterstützen und wird dazu beitragen, dass mehrere hunderttausend Unterschriften in Deutschland dafür gesammelt werden.

Zur Sommertour: Ich persönlich freue mich sehr auf die Sommertour, insbesondere auch durch die östlichen Bundesländer. Damit lösen Katja Kipping und ich ein Versprechen ein, das wir kurz nach unserer Wahl gegeben haben: Wir wollen zuhören, wir wollen die Kommunikation in der Partei verbessern, wir suchen das Gespräch.

Die Tour führt durch Thüringen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Ich war ja jetzt auch am Samstag auf dem Landesparteitag in Sachsen-Anhalt, in Magdeburg. Es war ein toller Parteitag. Die Positionen der neuen Parteiführung haben dort viel positive Resonanz hervorgerufen. Wir werden am 10. August eine Staffelübergabe in Hannover machen. Sie wissen, in Niedersachsen sind am 20. Januar 2013 Landtagswahlen - diese hat für uns eine große Bedeutung. Deswegen werden wir auch einige Stationen in Niedersachsen anfahren. Wir freuen uns, dass die Partei in Niedersachen für diesen Wahlkampf sehr motiviert ist. Es gibt eine neue Umfrage der BILD-Zeitung, die uns ja nicht immer wohlgesonnen ist, die DIE LINKE gerade in Niedersachsen bei 5 Prozent sieht. Wir wollen uns darauf natürlich nicht ausruhen, aber wir sehen doch eine gewisse Chance, den Trend zu drehen und in Niedersachsen wieder in das Landesparlament einzuziehen. Die Landespartei dort und die Fraktion DIE LINKE macht eine sehr gute Arbeit, und sie hätten den Einzug in den Landtag auf alle Fälle verdient. Vielen Dank!