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Klaus Ernst

Demokratie und Finanzmarktkapitalismus schließen sich aus

Statement des Parteivorsitzenden Klaus Ernst auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht- Haus im Anschluss an die Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes

Meine Damen und Herren, erst mal wünsche ich Ihnen einen guten Tag. Vier Themen werde ich heute ansprechen: zuerst die Euro-Krise. Zweitens werde ich zur Debatte um Libyen Stellung nehmen und in diesem Zusammenhang auch zu Außenminister Westerwelle. Ich werde etwas zur Mindestrente sagen, die Frau von der Leyen ablehnt und einige Informationen zur Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes geben, die zur Zeit noch läuft.

Zur Euro-Krise: Wir erleben derzeit ein Schauspiel, bei dem deutlich wird, dass die Bundesregierung mit dieser Krise nicht fertig wird. Sie ist dieser Krise nicht gewachsen. Die Menschen machen sich Sorgen um ihr Geld. Diese Sorgen machen sie sich zu recht. Die Stabilität des Euro ist äußerst gefährdet und der Verbleib von Steuergeldern ungewiss. Schwarz-Gelb hat diese Krise nicht verstanden und kann deshalb auch keine vernünftigen Lösungen für diese Krise anbieten. Ökonomisch handelt es sich - und da sind wir uns mit Heiner Flassbeck, dem Chefvolkswirt der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) in Genf vollkommen einig –um eine Lohnkrise bzw. um eine Verteilungskrise. Ich möchte das mit einigen Daten unterstreichen: Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu steigern, erlebten wir in den vergangenen Jahren ein dramatisches Sinken der Löhne in Deutschland. Die Löhne haben in vielen Staaten mit der Produktivität nicht mehr schrittgehalten. In der Bundesrepublik sind die Löhne real sogar gesunken. Um es deutlich zu sagen: Hätte Deutschland noch die Lohnquote des Jahres 2000, hätten wir im Jahre 2008 eine Lohnsumme von 131,9 Milliarden Euro mehr für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehabt. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dies zusätzliche Lohnsteuereinnahmen von fast 30 Milliarden mehr bedeuten würde. Das wären zusätzlich circa 50 Milliarden Mehreinnahmen für die Sozialversicherungssysteme. Es wären 60 Milliarden mehr Nettolöhne für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Addiert man die Umverteilung die sinkende Lohnquote der Jahre 2000 bis 2008, dann ergibt sich eine Summe von knapp 600 Milliarden Euro, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Kaufkraft fehlen.

Warum ist das ein Problem und warum hat das etwas mit der derzeitigen Krise zu tun? Der Entzug von Kaufkraft auf der einen Seite und der Milliarden Zuwachs für Spekulanten auf der anderen Seite haben zu diesen Verwerfungen geführt. Nutznießer dieser Umverteilung waren zuerst die großen Unternehmen und dann die Banken, die mit diesen riesigen Summen an den Finanzmärkten spekuliert haben. Im Ergebnis wurde der Realwirtschaft immer mehr Geld entzogen und in die Finanzmärkte gepumpt. Die Entfesselung dieser Finanzmärkte, die nicht vorhandene Regulierung der Finanzmärkte, führte dann dazu, dass die Realwirtschaft abgewirtschaftet, oder – wie man in Japan sieht – geradezu ruiniert wird. Dort herrscht Stagnation, Depression und Deflation und es gibt eigentlich keine Möglichkeit, aus der Situation wieder herauszukommen. Was wäre die Lösung? Die Lösung wären massiv steigende Masseneinkommen. Sie wären der Schlüssel für mehr Nachfrage, für mehr Investitionen, für mehr Steuereinnahmen und für mehr wirtschaftliche Dynamik. Was jetzt als „Euro-Rettung“ verkauft wird, läuft genau auf das Gegenteil hinaus, weil den hoch verschuldeten Staaten Maßnahmen aufgezwungen werden, die das Gegenteil von dem bewirken, was notwendig wäre. Die Masseneinkommen werden weiter geschwächt. Die ökonomische Entwicklung wird weiter ruiniert. Sie sehen es am Beispiel Griechenland sehr deutlich. Es wird ein Kreislauf in Gang gesetzt, der im Ergebnis immer wieder dazu führt, dass das nächste Programm aufgelegt werden muss, dass auch wieder nicht ausreichend ist.

In der Bundesrepublik Deutschland fragen sich natürlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, ist das ein Fass ohne Boden? Solange man die Ursachen der gegenwärtigen Krise nicht bekämpft, wird es ein Fass ohne Boden bleiben. Deshalb lehnen wir, DIE LINKE, die neuen Rettungsschirme in dieser Form auch ab, bzw. werden diesen nicht zustimmen können.

Die sogenannte Euro-Krise ist letztendlich eine Krise der Demokratie. Warum? Weil die Menschen, inzwischen auch konservative Politiker, den Eindruck gewinnen, dass offensichtlich nicht die demokratisch gewählten Vertreter die Geschicke der Länder, die Geschicke der Politik vertreten, sondern dass sie von relativ anonymen Gruppen dominiert werden, die an den Finanzmärkten herrschen. Das bedeutet: Wir haben keine demokratischen Zustände mehr, sondern die, die Gelder bewegen, beherrschen die Demokratie. Das ist letztendlich auch der Beweis dafür, dass ungeregelte Finanzmärkte, dass ein Finanzmarktkapitalismus und demokratische Zustände nicht zusammenpassen. Demokratie und Finanzmarktkapitalismus schließen sich gegenseitig aus. Letztendlich wird ein Vernichtungskrieg gegen höhere Löhne, gegen Renten, gegen Sozialleistungen, gegen das Bildungssystem und gegen das Gesundheitswesen geführt. All das soll zusammengestrichen werden, damit die Staaten in die Lage versetzt werden, weiter Wucherzinsen an die Finanzmärkte zu zahlen. Das ist der Kern des Problems. Die Demokratie wird dadurch abgeschafft.

Im Ergebnis dieser Entwicklung fürchten wir auch ein stärkeres Aufkommen rechtsradikaler Bewegungen, denn die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Politik kann sich auch in Vorstellungen Luft machen, die sehr national geprägt sein könnten. DIE LINKE weist auf diesen Umstand mit allem Nachdruck hin.

Welche Vorschläge hat DIE LINKE? Der erste Vorschlag ist eine öffentlich-rechtliche Neuordnung des Bankenwesens. Wenn der Staat nicht wieder Eingriff und Zuständigkeit auf die Finanzwelt gewinnt, letztendlich die Regulierung des Finanzmarktes nicht durchsetzen kann, dann wird es umgekehrt laufen. Dann werden die Banken die Staaten privatisieren. Das ist es, was wir zurzeit erleben: Die Bürgerinnen und Bürger Europas sollen für weitere Gewinne des Finanzsektors in Geiselhaft genommen werden.

Was wir brauchen sind entschlossene Regulierungsschritte der Politik, z.B. die Ächtung dieser finanziellen Massenvernichtungswaffen, die nachwievor in allen Ländern erlaubt sind, ohne dass es tatsächlich ernsthafte Bemühungen gäbe, bestimmte Produkte von den Finanzmärkte zu nehmen. Zweitens ist es notwendig, die Staatsfinanzierung von den Finanzmärkten zu entkoppeln. Wir schlagen dazu vor, dass wir eine Euro-Bank für öffentliche Anleihen organisieren, bei der sich Staaten zu niedrigen Zinsen Geld leihen können. Das ist deshalb wichtig, weil die Banken die verschuldeten Staaten mit ihren Wucherzinsen ruinieren. Denn immer dann, wenn ein Land Finanzierungsprobleme seiner Staatsfinanzen hat, steigen die Zinsen gewaltig und die wirtschaftliche Entwicklung wird weiter abgewürgt. Genau das wollen wir mit unseren Vorschlägen verhindern. Im Übrigen sind auch wir für Auflagen, wenn Staaten geholfen werden soll. Wir haben allerdings andere Vorstellungen, wie diese Auflagen aussehen sollen. Wir sind nicht für die Zerschlagung der Sozialsysteme, wie das gegenwärtig von Frau Merkel als Übertragung des Modell Deutschlands auf Europa propagiert wird. Wir haben die Vorstellung, dass solche Rettungsaktionen voraussetzen, dass die Rüstungsausgaben dieser Staaten gekürzt werden, dass die Besteuerung der Vermögenden erhöht, die Besteuerung höherer Einkommen in Angriff genommen wird, um damit auch die Staaten in die Lage zu versetzen, ihre eigene Einnahmeseite zu stärken, ohne ihre eigene Ökonomie abzuwürgen.

Drittens, wir müssen das Lohndumping durchbrechen. Es gibt im globalen Maßstab keine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ist immer nur eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Staaten. Wenn die Bundesrepublik Deutschland ihre Wettbewerbsfähigkeit ganz besonders erhöht, dann ist es zum Nachteil der Anderen, die dann wieder die Steuerzahler ausgleichen müssen, weil wir eben in einer Welt, in einem Europa leben. Wir brauchen deshalb eine koordinierte europäische Lohnpolitik nach dem Maßstab einer gleichmäßigen Entwicklung der Lohnstückkosten. Das ist die Voraussetzung für eine vernünftige Entwicklung. In der Bundesrepublik Deutschland müssten die Löhne 10 bis 15 Jahre über dem EU-Durchschnitt steigen, um die Ungleichheiten, die wir durch Lohnsenkung und durch Sozialabbau in der Bundesrepublik Deutschland durchgesetzt haben, zum Nachteil aller anderen Staaten auszugleichen. Wir sind durchaus als LINKE dazu bereit, gemeinsam über Initiativen zur Euro-Stabilisierung zu reden, aber eben nur unter der Bedingung, dass über Bankenregulierung, Beendigung des Zinswuchers und Durchbrechung dieses Lohndumpings geredet wird. Sonst wird der Euro aus unserer Sicht auch nicht zu halten und in seiner Gänze, in seiner jetzigen Form auch nicht zu retten sein.

Zweites Thema, Libyen und Außenminister Guido Westerwelle: Wir sehen an dieser Debatte eigentlich eine Verschiebung von Werten in der Bundesrepublik Deutschland. Von Westerwelle wurde ein Bekenntnis zur NATO-Kriegspolitik eingefordert. Mit Erfolg. Die Konsequenz ist, dass offensichtlich in Deutschland kein NATO-Krieg mehr ausgelassen werden darf, wenn es nach den Unions-, FDP-, Grünen- oder SPD-Politikern geht, die in dieser Frage offensichtlich die Oberhand gewinnen. Die Beteiligung an NATO-Kriegen wird damit zur Staatsraison erhoben. Das ist für uns nicht akzeptabel. Wir halten nachwievor Krieg für kein Mittel der Politik und halten an Willy Brandts Vermächtnis fest. Er sagte: „Krieg ist nicht die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio“. Und wir haben keinen Grund, von dieser Position abzuweichen. Bei allen anderen Parteien, außer der LINKEN, macht sich fast schon eine Selbstverständlichkeit breit, dass man sich an Kriegen, egal, wo sie stattfinden, beteiligen soll. Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ist in dieser Frage anderer Auffassung. Ich erinnere an die deutliche Ablehnung des Afghanistan-Engagements. Dennoch freuen wir uns selbstverständlich darüber, dass Gaddafis Tage als Diktator gezählt sind. Das ist gut so. Libyen ist zu wünschen, dass es sich auf einem Weg zu einer friedlichen und demokratischen Transformation befindet. Das ist aus unserer Sicht allerdings noch unsicher. Sicher ist dagegen, dass kriegerische Interventionen keinen Beitrag zu friedlichen Revolutionen leisten können. Das zeigt sich auch in Libyen. Im Übrigen ist dann natürlich zu fragen, wenn man solche Einsätze befürwortet, warum man nicht sofort auch in anderen Ländern in dieser Gegend interveniert, wo die Zustände auch nicht besser sind. Nach welchem Maßstäben will man künftig eigentlich dort agieren?

Zur Debatte um die Mindestrente: Heute wird gemeldet, dass Arbeitsministerin von der Leyen eine Mindestrente im Kampf gegen die Altersarmut ablehnt. Diese Haltung ist absolut absurd und auch nicht nachvollziehbar. Ich möchte darauf hinweisen, dass, wer das Rentensystem retten will und die Altersarmut verhindern will, selbstverständlich über die Grundsätze dieses Rentensystems reden muss und Änderungen herbeiführen muss. Denn so, wie das Rentensystem gegenwärtig organisiert ist, erreicht man nicht mehr eine einigermaßen armutsfeste Rente im Alter, und man erreicht schon gar nicht mehr die Sicherung des Lebensstandards im Alter.

Wir wissen, die reale Kaufkraft der Renten ist in den vergangenen 10 Jahren um 7 Prozent gesunken. Das heißt, die Rentnerinnen und Rentner wurden massiv von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt. Wenn heute über wirtschaftlichen Aufschwung geredet wird, dann war es für die Rentner keiner. Wer weniger als 10 Euro pro Stunde verdient, dem droht im Alter eine Rente unterhalb der Sozialhilfe. Das ist inzwischen jeder Fünfte, der vorher in einer Vollzeitbeschäftigung tätig war. Der Abstand zwischen der durchschnittlichen Rente für langjährig Versicherte und dem Sozialhilfeniveau ist seit 1995 mehr als halbiert worden. Die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente liegt bereits heute unterhalb der Sozialhilfe. Nach Schätzungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wird die Durchschnittsrente 2020 unter das Niveau der Sozialhilfe sinken.

Die Rentenansprüche im Osten sind seit 1991 um ein Viertel gesunken. Wer jetzt den grundlegenden Handlungsbedarf leugnet, hat nicht verstanden, dass auf Deutschland eine Welle der Altersarmut zurollt. Ich denke, Frau von der Leyen orientiert sich hier an Helmut Kohl. Sie will das Thema aussitzen. Das wird ihr jedoch nicht gelingen. Wir werden als LINKE genau dieses Thema vorantreiben und werden darauf hinweisen, dass Menschen in diesem Lande, insbesondere die, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, einen Anspruch auf ein einigermaßen vernünftiges Leben auch im Ruhestand haben. Das ist offensichtlich nicht mehr im Interesse der jetzigen Bundesregierung. Wer, wie die Bundesregierung, die Ersetzung der gesetzlichen Rente durch Finanzmarktprodukte wie Riester, Rürup o.ä. praktizieren will, der verkennt die Lage. Wer die Rente über die Finanzmärkte organisieren will, der kann auch Kinderkrankenhäuser auf dem Ätna bauen. Das haut auf Dauer nicht hin und birgt große Risiken. Wir brauchen eine grundsätzliche Rentenreform mit einer neuen Rentenformel. Die Rente muss wieder mit den Löhnen steigen. Wir brauchen eine gesetzlich geregelte Mindestrente. Wer ein Leben lang eingezahlt hat, darf nicht mit Sozialhilfe im Alter abgespeist werden. Das ist unsere Grundbotschaft. Wir wollen, dass niemand im Alter weniger als 850 Euro pro Monat hat. Wir wollen eine andere Finanzierung des Rentensystems, nämlich die Umstellung auf eine Erwerbstätigenversicherung. Wir wollen die Umwidmung von Subventionen für die private Altersversorgung in die gesetzliche Rentenversicherung. Wir haben dieses Thema auf unserer Klausur in Rostock ausführlich besprochen und werden in den nächsten Wochen ein eigenes Konzept als Impuls in die Debatte einbringen.

Zum Schluss noch einige Bemerkungen zur Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes: Sie ist – wie auch unsere Klausurtagung – äußerst sachlich und geprägt von inhaltlichen Debatten. Es gibt in keinster Weise Unstimmigkeiten, sondern es gibt schlichtweg die Einschätzung und die Sichtweise, sich auf die Inhalte zu konzentrieren.

Zweites Thema: Wir haben unseren Parteitag im Herbst inhaltlich vorbereitet und beschlossen, dass wir uns nach den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin intensiv mit unserem Programm auseinandersetzen werden und dass wir deshalb natürlich alle Schwerpunkte und alle Debatten in den nächsten Wochen darauf richten, eine gute und durchaus kontroverse Debatte auf diesem Parteitag zu den Inhalten des Programms zu führen, um dann auch ein gutes Ergebnis, eine breite Zustimmung für unser Programm zu erreichen.

Soviel von meiner Seite. Herzlichen Dank!