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Bayern: Die Linke in den Landtag

Von Fritz Schmalzbauer, Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE

Am 28. September wählen die Bayern ihren neuen Landtag. Der "Freistaat" – ausgerufen durch den Linkssozialisten und ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner – wurde bei den Wahlen 2003 von 44% seiner rund 9 Millionen Wähler/innen ignoriert, wodurch sich Stoiber auf eine Zweidrittelmehrheit im Landtag stützen konnte. Wenige Jahre später klopft "DIE LINKE" an den Haupteingang des Maximilianeum, dem Sitz des bayrischen Landtages.

Die schönen Zeiten scheinen vorbei zu sein. Die CSU steckt in der Krise, ohne dass die SPD davon profitieren könnte. Den Grünen geht es dabei vorübergehend blendend, sodass sie dieser Tage sogar mit einer Koalition liebäugeln, durch die man eine schwächelnde CSU an der Macht halten könnte und dabei selbst hoffähig würde. Fritz Dürr, Fraktionsvorsitzender der Grünen im bayrischen Landtag, wünscht sich eine "modernisierte CSU" mit schönen grünen Konzepten. Sein SPD-Kollege Franz Maget, seit seiner langweiligen Aschermittwochrede selbstgekürter Ministerpräsident "dieses schönen Landes", durfte sich also nur kurzfristig freuen, dass der Münchner SPD-Oberbürgermeister überragend bestätigt wurde. Die bayrische SPD bleibt im Keller. Und jetzt auch noch DIE LINKE – klein geredet, verleumdet, aber offenbar wahrgenommen und vom bayrischen Polit-Establishement mit Argwohn beäugt – offen und verdeckt.

Die Linke in den Landtag – das ist das Wahlziel, die CSU in der Minderheit das Traumziel. Dabei ist eine linke Präsenz in diesem parlamentarischen Schlafsaal zur Standortabsicherung von Finanzkapital (Allianz, Münchner Rück), korrupter Weltfirmen (Siemens), Arbeitsplatzvernichter (BMW), Rüstungs- und Medienproduktionen und neokonservativer Ideenschmieden naturgemäß äußerst störend. Ein großer Teil der bayrischen Bevölkerung bekommt jedoch durch die Landtagsfraktion "Die Linke" ähnlich wie im Bundestag wieder eine glaubwürdige Stimme: Schüler und Studenten aus weniger bemittelten Elternhäusern, durch eine verfassungswidrige Sozialpolitik verarmte Menschen, ältere Mitbürger/innen, Leute in prekären, zeitbegrenzten Arbeitsverhältnissen, Arbeitssuchende, und bei all dem ein überproportionaler Anteile an benachteiligten Frauen. Hinzu kommt das Wohlstands- und Bildungsgefälle Südbayern, Nord- und Ostbayern.

Für eine Politik, die diesen Menschen und ihren Organisationen (Gewerkschaften, Sozialverbänden, engagierte Kirchengruppen und Umweltverbänden) nützt, haben wir vor drei Jahren den Grundstock einer neuen Partei gelegt – und zwar in Bayern. Es kommt jetzt darauf an, die Kräfte zu bündeln, die kluge Vorstellungen einer tatsächlich freien, gleichen und solidarischen Gesellschaft entwickeln (ATTAC, fortschrittliche Hochschullehrer, hauptamtliche Gewerkschafter/innen, fortschrittliche Kirchenleute, vernünftige "Intellektuelle", die ihren neoliberal gewendeten Parteien den Rücken gekehrt haben). Es kommt darauf an, eine Partei DIE LINKE zu präsentieren, in der sich wesentliche Teile der bayrischen Bevölkerung wieder finden – nicht nur in unseren Programmen, sondern auch in den Personen, die zur Wahl stehen. Bei den Kommunalwahlen ist dies an mehreren Orten, insbesondere aber in Schweinfurt (bekannte Gewerkschafter, über 8%) und im Donauries (bekannte ehemalige Sozialdemokraten, über 10%) gelungen. Es geht also. Es kommt schließlich darauf an, in kürzester Zeit eine "Message" rüberzubringen: Die Linke in den Landtag – Bayern für alle. Warum, das versteht jeder, der es verstehen will. Dies zeigt vor allem die Reaktion unserer Gegner und Mitbewerber. Sie wissen genau, warum eine kritische und in ihren Vorschlägen alternative Stimme stört.

Es ist eigentlich ein Binsenweisweit. Wir brauchen den Menschen nichts einreden, sondern nur ihre Bedürfnisse und Interessen zur Sprache bringen. Ganz deutlich wird das am Beispiel der Schul- und Hochschulpolitik. Ein überwiegender Anteil befragter bayrischer Eltern sähe es gerne, wenn ihre Kinder länger gemeinsam zur Schule gehen könnten – bis zum 15. Lebensjahr, wie im benachbarten Frankreich üblich. Den meisten ist auch klar, dass nicht reines "büffeln" von Faktenwissen, sondern Denken in Zusammenhängen – möglichst ohne Stress – ein Schulziel wäre. Lehrern und Schülern größere Freiheiten und kleinere Klassen zu ermöglichen – wer sollte das nicht begrüßen. Wem käme es nicht gelegen, wenn Berufsschulen besser ausgestatten würden oder der Schulbus nicht stundenlang und überfüllt durch die Gegend schaukelt. Wer wäre nicht für Lernmittelfreiheit und die sofortige Abschaffung von Studiengebühren, außer einer privilegierten Minderheit, die sich am liebsten in firmengesponserten Privat-Unis wieder findet. Die CSU hat über Jahrzehnte eine Schul- und Hochschulpolitik der systematischen Gesellschaftsspaltung betrieben und als Eliten-Förderung verkauft. Damit hat sie die Persönlichkeitsentwicklung vieler Talente aus weniger bemittelten Haushalten abgewürgt und gegen die bayrische Verfassung verstoßen. Gleiches gilt für zahlreiche andere Politikfelder, etwa der Regional- und Strukturentwicklung, der Verkehrpolitik (über 60% der Bayern sind gegen den Transrapid Marke "Stoiber"), der besonders rigiden Innenpolitik, unter der vor allem zugewanderte Bayern zu leiden haben oder der "Umweltpolitik", die quer durch Bayern Atomkraftwerke verstreute. Es wäre wirklich interessant, wie sich die zur Wellness-Partei gemauserten Grünen in diesen Fragen mit der CSU zu verständigen gedenken.

DIE LINKE findet in Bayern etwas vor, was im südbayrischen Dialekt als "g'mahte Wies'n" (gemähte Wiese, freies Feld ohne Hindernisse) bezeichnet wird. Zugegeben, die derzeitigen Umfragen – mit 3% unter dem Ergebnis der Bundestagswahlen – sind eine wenig stimulierende Ausgangslage – wäre da nicht die Summe an Möglichkeiten, die sich durch das Schwanken der vermeintlichen Staatspartei ergibt. Rein äußerlich liegt das an dem Gespann Huber-Beckstein, dem das rechte Sexappeal, die Fähigkeit, in den Bierdunst und in die Rauchschwaden hinein ein unverständliches Geplärre à la Strauß zu posaunen, zu fehlen scheint. Tatsächlich hat die CSU mit ihrer Entscheidung für einen fränkisch-protestantischen Ministerpräsidenten gegen ein Naturgesetz verstoßen, das schon Graf Montgelas (18.Jahrhundert, Begründer des modern en Bayerns nach französischem Modell) den Kopf gekostet hatte. Erst stolpert Stoiber über Frau Pauli – auch das noch, denken sich zahlreiche Stammtische -, dann schaffen sie das Rauchen ab und riskieren, wie weiland bei einer Bierpreiserhöhung, eine allgemeine Volkserhebung. Soweit die Oberfläche. Darunter brodelt etwas viel wichtigeres: Die Eckpfeiler der politischen Ökonomie wanken, Bayern ist wieder einmal (das letzte Mal Anfang des 16. Jahrhunderts durch die Achsenverschiebung des Welthandels zur Hanse) von der Globalisierung erfasst.

Nicht die CSU bestimmt, was im Wirtschaftsgeschehen sinnvoll ist und was nicht. Sondern die globalisierten und nach Renditegesetzen agierenden Manager der großen Konzerne. Die Schelte des Herrn Ramsauer, diese Trottel in den Führungsetagen von Siemens und BMW hätten mit der Verkündung ihrer Arbeitsplatzvernichtungspläne bis nach den Kommunalwahlen warten können, zeigt, wo der Hase im Pfeffer liegt. Die Staatswirtschaft im Dreigestirn Stoiber – Siemens – Sinn (IfO) gehört der Vergangenheit an. Schluss ist es mit den Zeiten, in denen im Hinterzimmer der Staatskanzlei die Pleite der Hypobank samt ihres CSU-Clans der Ritter vom heiligen Grab (Boss und Betriebsratsvorsitzender in gleicher Ordenstracht) durch ein Verschmelzen mit der "protestantischen" Vereinsbank abgewendet werden konnte. Heute regiert dort das italienische Finanzkapital. Schluss mit regionalpolitischen Erfolgen bei gezielter Arbeitsplatzvernichtung zu unchristlichen Spekulationszwecken – AEG (Nürnberg) wurde vom schwedischen Konzern Elektrolux weggefegt und mit ihr die Politik des ausgeschiedenen IG-Metallbevollmächtigten Gerd Lobodda, ("Beschäftigungs- statt Sozialpläne"). Bei all dem geht es um die Vernichtung X-tausender tarifvertraglich gesicherter Arbeitsplätze. Zur Komödie gerät Ramsauers Bemerkung, "von denen (Manager der Großkonzerne) brauchen wir uns in der Politik weiß Gott nichts mehr sagen zu lassen." Erstens hat er und mit ihm die CSU vergessen, dass immer noch der, der zahlt, auch anschafft und zweitens kann er froh sein, wenn ihm die "Manager" überhaupt noch eine Audienz gewähren. Wer nichts mehr bewirken kann, hat keinen politischen Grenznutzen.

Der eigentliche "Hammer" war allerdings die zu erwartende Pleite der bayrischen Landesbank. Seit langer Zeit war klar, dass dieses eigentlich der Öffentlichkeit verpflichtete Teilstaatsunternehmen – wieder einmal – in der Weltgeschichte nach Zusatzprofiten jagt, statt einheimischen Initiativen unter die Arme zu greifen. Das einzige, was zur Ehrenrettung der CSU-Aufsichtsräte zu sagen wäre, ist, dass man andernorts genau so blind war und die jetzt empörte SPD sich nie darum gekümmert hat, was der eigentlich Auftrag einer Landesbank ist. Hinzu käme noch eine ellenlange Liste des Verkaufs öffentlichen Tafelsilbers, durch das die Möglichkeit einer gemeinwohlorientierten Einflussnahme noch weiter schrumpft. Kurzum: Die CSU ist zunehmend ein Globalisierungsopfer und die SPD-Spitze in Bayern begreift es nicht. Wer zu spät kommt…

Politiker und ihr Interessensumfeld werden aggressiv, wenn es um die Substanz der Machtsicherung geht. Deshalb wird DIE LINKE in Bayern noch weniger zu lachen haben. Ausgerechnet die Strauß-Nachfolger, die über Jahre durch Kredite die DDR über Wasser hielten und eine nicht unbedeutende Figur noch heute am bayrischen Tegernsee beherbergen, werden selbst bei sprachlich eindeutigen Vertretern der Linken (bayrisch-fränkisch-schwäbisch) nach den Erben der jüngeren deutschen Geschichte fahnden. Aus gutem Grund gelten natürlich Nazizeit und Nachkriegsentwicklung als abgeschlossen. Auch diverse Leichen, die den Aufstieg der CSU begleitet haben – die förmliche Hinrichtung der Bayernpartei, die Ministerjahre von Herrn Strauß, die Amigo-Affäre usw. – sollen im Dunkel bleiben. Was nicht mehr geht ist der wohlgemeinte Rat in den goldenen 70zigern: "Dann geh' doch rüber". Nun hat sich aber die Substanz der bayrischen Linken  erst vor drei Jahren formiert. Und zwar wegen einer Politik, die Schröder/Fischer unter der Agenda 2010 angekündigt hatten, einen ersten deutschen Kriegseinsatz ohne UNO-Mandat im Ausland rechtfertigten (Jugoslawien) und durch diverse Forderungen aus Bayern noch übertroffen wurde (Rente ab 67, verlängerte unbezahlte Mehrarbeit für Beamte, popularisiert durch Herrn Stoiber). DIE LINKE, erst seit Mai 2007 als gesamtdeutsche Kraft auch "im Westen" durch großen Mitgliederzulauf bestätigt, kann nur auf dem Terrain gewinnen, auf dem sie angetreten ist: Gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit, Frieden und Völkerverständigung, Bildung statt Wissensverwertung, Armutsbekämpfung, eine glaubwürdige Umweltpolitik, Teilhabe an Kultur und Sport, Bürger- und Freiheitsrechte, kurz: Bayern für alle – nicht nur für eine Minderheit, die sich "dieses schöne Land" leisten kann.