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DISPUT

Gemeinsam gegen Verdrängung

Genossinnen und Genossen aus Wustermark, Lüneburg und Hamburg berichten von ihren Erfahrungen im Kampf um bezahlbare Mieten.

 

WUSTERMARK

Sozialer Wohnraum fehlt nicht nur in den Städten

Von Tobias Bank

 

Die Bundeshauptstadt vor der Tür und überall Grün. So könnte die brandenburgische Gemeinde Wustermark beschrieben werden. Entsprechend groß ist der Zuzugsdruck aus Berlin und die Investoren stehen Schlange. Einfamilienhäuser schießen auf immer kleineren Grundstücken wie Pilze aus dem Boden. Die Verdichtung nimmt ex­tremere Auswüchse an. In der Wohnraumpolitik der Gemeindeverwaltung haben Wörter wie »sozialer Wohnungsbau«, »kommunaler Wohnraum« oder »Mietgeschosswohnungsbau« kein Gewicht. Unternehmen wie Vonovia und Deutsche Wohnen (DW) sicherten sich schon vor Jahren Filetgrundstücke oder kauften ganze Siedlungsteile auf. Schleichend sind in den vergangenen vier Jahren 90 Prozent der Sozialwohnungen aus der Belegungsbindung gefallen. Bei Neuvermietung liegen die Preise auf Berliner Niveau. Laut einem Gutachten, welches auf Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Gemeindevertretung 2019 erstellt wurde, hätten 25 Prozent der Menschen vor Ort einen Anspruch auf sozial geförderten Wohnraum.
Am Rande einer Veranstaltung im Mai 2019, auf der DIE LINKE über den Verkauf eines Siedlungsteils an die DW die ahnungslosen Mieter*innen informierte, gründete sich eine Mieterinitiative. Auf Anhieb kamen über 100 Unterstützer*innen zusammen, die in mehreren Flugblattaktionen und Zeitungsberichten auf den fehlenden sozialen Wohnraum und den Ausverkauf an die DW aufmerksam machten, das Fernsehen nach Wustermark holten und Unterschriften sammelten. Der öffentliche Druck zeigt Wirkung: Während in den vergangenen Jahren alle Initiativen der LINKEN für sozialen und bezahlbaren Wohnraum mangels Mehrheiten scheiterten, wurden plötzlich Anträge der LINKEN zu Erhaltungssatzungen und der Kappungsgrenze angenommen. Aktuell unterstützen die Genoss*innen die Mieterinitiative bei einer Petition für sozialen Wohnraum. Die Petition kann noch bis zum 28. Dezember 2019 unter gleft.de/3e0 im Internet unterschrieben werden.


Tobias Bank ist Mitglied der Gemeindevertretung Wustermark

 

 

LÜNEBURG

Vernetzung und Kooperation

Vom Kreisverband Lüneburg

 

Welche Probleme sehen wir in der Wohnungsfrage und was kann dagegen wie getan werden? Diese Frage war der Ausgangspunkt der Überlegungen des Kreisverbandes. So hatte sich auch die Situation in Lüneburg verschärft, wie sich in Recherchen, Gesprächen und Anfragen herausstellte. Wir entwarfen im Kreisverband ein Wohnkonzept, das Ursachen, Probleme und Lösungsansätze für Lüneburg formulierte und mit den Mitgliedern beraten und verabschiedet wurde. Anschließend stellten wir es der Öffentlichkeit vor.

Die Frage nach Handlungsmöglichkeiten ist auch eine des Politikverständnisses. Wir wollten keine Stellvertreterpolitik, in der wir für andere die Probleme lösen. Stattdessen war der Anspruch, auf Augenhöhe mit Betroffenen gemeinsam ihre politische Selbstermächtigung zu organisieren. Sie sollten durch praktische Erfahrung Fähigkeiten entwickeln, um selbstständig für ihre Interessen eintreten zu können. Das strategische Ziel hierbei: die kurz- bis mittelfristige Verbesserung der Lage Betroffener. Dies soll durch gemeinsame soziale Kämpfe erreicht werden, die Eigentums- und Machtverhältnisse in Frage stellen. Wichtig ist anfangs nicht die politische Maximalforderung, sondern überhaupt gemeinsam den Kampf aufzunehmen. So können Diskurse gesetzt und durch außerparlamentarischen Druck Einfluss auf die parlamentarische Arbeit genommen werden. Die Berliner Enteignungsdebatte rund um »Deutsche Wohnen« ist ein gutes Beispiel hierfür, sie hat den Mietendeckel erst möglich gemacht.

Von diesem Verständnis aus gründeten wir mit Betroffenen eine Mieter*inneninitiative. Wir unterstützen diese organisatorisch und inhaltlich, sie bleibt jedoch politisch selbstständig. Entscheidend ist die Vernetzung der Initiative mit vorhandenen Akteuren, um für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten zu können. In Lüneburg gründete sich durch Vernetzung und Kooperation das »Netzwerk Lüneburg Sozial« aus vielfältigen Akteuren. Ziel ist eine Wende der Wohnungspolitik in Lüneburg weg von Renditeorientierung, hin zu Wohnen als Menschenrecht. Das kann den Beginn einer verbindenden Klassenpolitik darstellen, denn die Unterschiede treten hinter den Gemeinsamkeiten der Akteure zurück.

Entscheidend sind dabei der außerparlamentarische Ansatz und die Selbstorganisation Betroffener. Strukturen der Gegenmacht und Öffentlichkeit werden durch Netzwerkarbeit geschaffen. Zudem wird damit erst die Grundlage für wirksame parlamentarische Initiativen bereitet.

 

 

HAMBURG

Wahlkampfthema Mietenwahnsinn

Von Florian Wilde

 

Die seit Jahren dramatisch steigenden Mieten haben Hamburg zu einem Epizentrum des Mietenwahnsinns in Deutschland werden lassen. Gleichzeitig hat sich die Stadt aber auch zu einer Hochburg der Proteste gegen hohe Wohnungskosten und Gentrifizierung entwickelt. Seit 2009 hat ein »Recht auf Stadt«-Netzwerk mehrere Großdemonstrationen mit tausenden Teilnehmer*innen organisiert und die Mietexplosion immer wieder mit kreativen Aktionen angeprangert. DIE LINKE war von Anfang an Teil dieser Bewegung. Die Proteste haben dazu beigetragen, dass die Wohnungsfrage in Hamburg, aber auch bundesweit, zu einem zentralen Thema der politischen Agenda geworden ist. Es wurden in Hamburg auch ganz konkrete Erfolge erzielt und eine Reihe von Gebäuden der Verwertungslogik entrissen und in genossenschaftliches Eigentum überführt, wie beispielsweise das Gängeviertel. Allerdings konzentrieren sich diese punktuellen Erfolge auf die innerstädtischen Wohngebiete. Eine umfassende Absenkung der Mieten und konkrete Erfolge auch jenseits der Szene-Stadtteile konnte bisher trotz aller Bemühungen nicht erreicht werden. Gerade DIE LINKE kann bei einer Ausweitung der Bewegung eine wichtige Rolle spielen, verfügt sie doch als fast einzige linke Kraft in Hamburg über Strukturen auch in den Außenvierteln.

Anfang Oktober haben wir unsere Mietenkampagne mit einer Parteitagsaktion gestartet. Entlang der drei Säulen der Bundeskampagne – Mietendeckel, Enteignungen und Sozialwohnungen – wollen wir nun insbesondere während des anstehenden Bürgerschaftswahlkampfes im ganzen Stadtgebiet Aktionen und Kundgebungen gegen den Mietenwahnsinn organisieren. Als Träger der Kampagne bauen wir einen »Offenen Aktionskreis LINKE Mietenkampagne« auf. Er soll mit seinen monatlichen Treffen eine niedrigschwellige und aktionsorientierte Möglichkeit bieten, sich in den Wahlkampf einzubringen, und richtet sich vor allem an Genoss*innen, die bisher noch nicht den Weg in unsere eigentlichen Strukturen gefunden haben.

Am 26. Oktober gab es gleich die erste Aktion: In Fuhlsbüttel demonstrierten wir auf Initiative einer lokalen Stadtteilgruppe vom dortigen S-Bahnhof zu einem Haus mit horrenden Mieten. Es kamen 35 Genoss*innen und Anwohner*innen – gar nicht wenig für diese demonstrationsarme Gegend. Unterstützt wurden wir von unserem aufblasbaren »Miethai«, der hervorragend als Blickfang funktionierte. Am 16. November forderten wir mit einer Kundgebung in Steilshoop die Enteignung der dortigen Vonovia-Wohnungen und steckten unsere »Vonovia enteignen«-Flyer in die Briefkästen der Häuser des Immobilien-Konzerns. Anlässlich der Vorstellung des neuen Mietenspiegels in der Landespressekonferenz protestierten wir am 26. November vor dem Rathaus gegen den Mietenwahnsinn und forderten die Einführung eines Mietendeckels auch für Hamburg. Dabei sangen wir das selbstgeschriebene Stück »Wir wolln den Mie-ten-deckel« (auf die Melodie von »Ster-nen-himmel«). Die Aktion fand ein breites Medienecho. Viele weitere Aktionen sind für die nächsten Monate in Planung, darunter eine Kundgebung am 14. Dezember für die Öffnung des Winternotprogramms auch tagsüber für Obdachlose, und am 21. Dezember eine Aktion in Ohlsdorf, bei der Anzugträger in Zelten und Schlafsäcken auf die Wohnungsnot aufmerksam machen.

Wir hoffen, so auf eine organische Weise den Aufbau einer starken Mieterbewegung insbesondere in den Außenvierteln mit dem Aufbau der LINKEN als wichtige Akteurin dieser Bewegung und mit unserem Wahlkampf zu verbinden. Denn aus der Berliner Erfahrung haben wir gelernt: je stärker die LINKE, desto eher kommt ein Mietendeckel.

 

Florian Wilde ist Mieten-Campaigner der LINKEN in Hamburg

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