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betrieb & gewerkschaft

Wirtschaftspolitik konkret: Leerstellen füllen, Kenntnisse erweitern und breiter kommunizieren

Christian Christen

Oft haftet Wirtschaftsthemen in unserer Partei ein negativer Beigeschmack an. Alle Menschen sollen in gut entlohnte, abhängige Beschäftigungsverhältnisse integriert werden, selbstständige Erwerbsformen fristen ein Nischendasein und Unternehmen werden meist als klein-/mittelständische Einheiten positiv überhöht oder perspektivisch nur als Genossenschaften gedacht. Große Unternehmen gilt es direkt zu verstaatlichen. So lassen sich viele wirtschaftspolitische Debatten nicht bestehen, da wir schlicht an ihnen vorbeireden, wie z. B. bei der Produktion und Wertschöpfung, technologischen Entwicklungen oder strukturellen Brüchen in ganzen Branchen. Hier helfen keine abstrakten Metaerzählungen von der großen Transformation des Kapitalismus - mögen sie noch so berechtigt sein. Hier werden die Ebenen verwechselt. Im politischen Alltag ergeben sich daraus keine praktischen Antworten, die über eine Sicherung von Beschäftigung und Einkommen des Status Quo hinausgehen.

Unzweifelhaft gibt es die politische Diffamierung und den bewussten medialen Ausschluss linker Positionen, aber eben auch die argumentative Selbstbeschränkung. Ersteres ist nicht eigenständig zu ändern, letzteres hat DIE LINKE selbst in der Hand. Wir sollten uns nicht leichtfertig der Möglichkeit berauben, über unser Stammklientel und uns gewogene Sympathisanten hinaus gehört zu werden. Ein Orientierungsansatz bietet die Konzentration vorhandener Forderungen und Überlegungen auf die "Mehrheit der Vielen", wie es die jüngste Labour-Kampagne in Großbritannien erfolgreich zeigte. Hier ging es nicht allein um die Mehrheit der Beschäftigten, Steuerzahler oder Verbraucher im Unterschied zu den Eliten. Es ging auch um die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler, die immer mitgedacht und angesprochen werden können. Sinnvoll und kritisch.

Umbrüche in der Automobilindustrie und im Einzelhandel

In der Automobilindustrie steht ein Mobilitätswandel an, dessen technologische wie ökonomische Änderungen außerhalb Deutschlands weit fortgeschritten sind. Entwicklungen der Antriebs- und Speichertechnologie und neue Akteure, neue Mobilitätsdienstleistungen, Car Sharing und ein verändertes Konsum- und Nutzungsverhalten sind hier zentrale Faktoren. Nun kann man die Umbrüche weiter abwarten, um dann bei Zuspitzung - wenn die Werke geschlossen werden - relativ hilflos Beschäftigungssicherung und öffentliche Bürgschaften politisch anzumahnen. So kritisiert man aber höchstens moralisch und ohne eigene progressive Zielsetzung. Die Forderung, alle steigen jetzt aufs Rad um, ist angesichts der berechtigten Ängste und Sorgen vieler Beschäftigter, sowie der ökonomischen Konsequenzen des Strukturbruchs, eher dürftig und letztlich auch apolitisch. Es geht nicht um ein "entweder oder", sondern um ein "sowohl als auch", um hier als DIE LINKE öffentlich vorzukommen und überhaupt ernst genommen zu werden.

Im Einzelhandel beschleunigt die zunehmende Konzentration, kombiniert mit dem wachsenden Onlinehandel, einen Strukturbruch im Handel und der Logistikbranche - mit städtebaulichen und zugleich verkehrspolitischen Folgen. Schon heute kann man viele der kommenden Entwicklungen von den Großstädten bis ins Dorf beobachten, die unterschiedliche Fragen aufwerfen: Wie wird die Versorgung mit Produkten und Dienstleistungen jenseits der Ausweitung des Lieferverkehrs überhaupt möglich? Wie weit wird der Zuzug in die Großstädte und Metropolenregionen die Zersiedlung und das Sterben im Einzelhandel fördern? Lassen sich die massiven Wettbewerbsvorteile von Amazon und Co. praktisch noch abbauen und wenn ja, wie? Wir brauchen Antworten darauf, wie Leben und Wirtschaft jenseits der Belieferung über zentrale Logistik- und Verteilzentren möglich wird und welche städtebaulichen Konsequenzen sich aus der radikalen Schrumpfung des stationären Handels und der Dienstleistungsanbieter vor Ort ergeben.

Herausforderungen wirtschaftspolitischer Diskussion in der LINKEN

DIE LINKE muss wirtschaftspolitische Diskussionen konkreter führen: Wie ist die Digitalisierung der Produktion und wie sind technologischen Entwicklungen und deren Einsatz etwa bei personennahen Dienstleistungen (u.a. E-Health, Pflege) und der Vernetzung (Smart Grid, Smart Mobility etc.) einzuordnen? Unsere Antworten, Ideen und Konzepte sollten dabei über die Utopie vom Ende der Arbeitsgesellschaft und Überwindung des Kapitalismus durch Robotik, Computernetzwerke und Softwarelösungen hinausgehen. Wie sich DIE LINKE eine gerechte und friedliche Gesellschaft vorstellt, ist idealtypisch vielleicht manchen noch klar. Wie aber für diese Gesellschaft in den nächsten Jahren geforscht, was, wie und warum dazu finanziert werden soll, wie von wem produziert und welche Dienstleistungen bereitgestellt werden sollen, ist dagegen kaum ausgeführt. Hier liegen inhaltliche Leerstellen, die es mit positiven Bildern und eigenen Zielsetzungen zu füllen gilt.

Dr. Christian Christen ist Referent für Wirtschaftspolitik in der Bundestagsfraktion DIE LINKE