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betrieb & gewerkschaft

Autoindustrie: Mobilitätswende statt Arbeitsplatzvernichtung

Stephan Krull

Die Krise der Auto- und Zulieferindustrie ist unübersehbar. Weltweit sinkt der Absatz seit Jahren. In Deutschland lag die Produktion im letzten Jahr um 300.000 Fahrzeuge unter dem Niveau des Krisenjah­res 2009. Corona hat diese Krise nun enorm beschleunigt. Die Zulassungen im Inland sanken im April um 60 Prozent, in den ersten fünf Monaten in der EU um fast 50 Prozent. Millionen Fahrzeuge stehen unverkauft bei den Händlern und in den Werken. Es geht jetzt um hunderttausende Autos, die nicht gebaut werden. Drastisch sinkt die Auslastung der Fabriken, drama­tisch hoch sind die Personalüberhänge. Für eine Ökonomie, die nur auf Wachstum gepolt ist, ist das eine Katastrophe. Viele kleine und mittelgroße Unternehmen haben schon Beschäftigte entlassen, Standorte geschlossen oder Insolvenz angemeldet.

Die verweigerte Mobilitätswende kostet jetzt Arbeitsplätze

Der Kahlschlag greift um sich: Conti, Schaeffler, ZF, Mahle, Schuler, Eisen­mann, Brose, Siemens, Voith, IFA, Veritas, Finoba, Flabeg, Schlemmer und viele kleine, namenlose mehr. „Bosch nutzt Corona, um die Personalkosten zu senken“ sagt der Betriebsratsvorsitzende des Werkes in Bietigheim, das geschlossen werden soll wie die Werke in Bremen und Berlin. Aber die gesamte Autoindustrie nutzt Corona schamlos. Sie buhlt um staatliche Verkaufsprämien und die Aufweichung der Klimaziele der Europäischen Union, um weiter große Spritschleudern und Klimakiller auf die Straße zu bringen. Die Weigerung, eine richtige Mobilitätswende einzuleiten, ist eine Kriegserklärung an die Beschäftigten und an den Klimaschutz.

Der Druck der vielfältigen Bewegung für eine Mobilitätswende war groß genug, um die Abwrackprämie zu verhindern – Vernunft hat sich durchge­setzt, auch wenn prominente Vertreter der IG Metall dagegen polemisie­ren. Die Probleme bei dieser Polemik der IG Metall: Mit dem BUND spricht sie sich für sozial-ökologische Wege aus der Krise aus. Sie ignoriert jedoch die Tatsache, dass die „big three“ Volkswagen, Daimler und BMW über Gewinnrücklagen von 180 Milliarden Euro verfügen. Sie schweigt zu der verfehlten Modellpolitik der Konzerne: VW und die anderen verkaufen lieber große, schwere, schnelle Autos mit drei Liter Hubraum als kleine, leichte und wendige Fahrzeuge mit drei Litern Spritverbrauch – das 3-Liter-Auto hat Volkswagen aus dem Programm gestrichen.

Beschäftigung in nachhaltiger Mobilität nicht geringer als in der gegenwärtigen Autogesellschaft

Eine Untersuchung im Auftrag der Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergeb­nis, dass die Beschäftigung in nachhaltiger Mobilität nicht geringer sein wird als in der gegenwärtigen Autogesellschaft. Dieses „Wunder“ gelingt dadurch, dass nachhaltige Mobilität den Bau anderer Infrastruktur erfor­dert und den Bau und Betrieb von Bussen und Bahnen im Nah- und Fernverkehr, im Personen- und Güterverkehr. Einen Zeitraum von 15 Jahren, also bis 2035, halten die Wissenschaftler*innen für möglich und notwendig.

Solches Handeln ist geboten, um die Klimaziele zu erreichen und mensch­liches Leben zu sichern. Die politischen Weichen sind in diese Richtung zu stellen: Schluss mit der direkten und indirekten Subventionierung der Autoindustrie und dem Neubau von Straßen. Schluss mit der steuerlichen Begünstigung von Spritschleudern, großen Geschäftsfahrzeugen und langen Wegen zur Arbeit. Mehr Platz für sanfte Mobilität in der Stadt, für zu Fuß gehende, Kinderwagen schiebende und Rollstuhl fahrende Personen. Und eine gute Anbindung ländlicher Räume an einen intelligenten öffent­lichen Verkehr durch smarte Angebote. Die Regierung wird sich zu solcher Politik ohne gesellschaftlichen Druck nicht durchringen. Ein demokrati­scher Prozess in Transformationsräten, in regionalen Mobilitätsräten unter Einbeziehung der Gewerkschaften, der Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherinitiativen sowie der ansässigen Bevölkerung könnte genau diesen Druck aufbauen und entfalten. Der Bau von Autos, vor allem Elektroautos, wäre ja nicht vorbei – nur sehr reduziert. Der Verluste an Arbeitsplätzen in diesem Bereich wird kompensiert unter anderem durch zusätzliche Pro­duktionskapazitäten in der Bahnindustrie. Dabei handelt es sich auch um Produktion aus dem Organisationsbereich der IG Metall, so dass die Kraft der Gewerkschaft gar nicht kleiner würde.

Wenn neben der Mobilitätswende noch die kollektive Arbeitszeitverkür­zung auf die Tagesordnung kommt, dann klappt es vollends mit Beschäftigungssicherung und einem guten Leben für Alle.

Stephan Krull ist Koordinator des Gesprächskreises „Zukunft Auto Umwelt Mobilität“ bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung