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Bonner Parteitag

Bericht der Inklusionsbeauftragten

an die 2. Tagung des 6. Parteitages am 22. und 23. Februar 2019

Barrierefreiheit ist die Grundvoraussetzung für Partizipation und Teilhabe aller Menschen

In Deutschland und in der Europäischen Union ist die volle und wirksame Teilhabe von rund 80 Millionen Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen noch immer nicht gewährleistet. Im Gegenteil: Während Großkonzerne immer höhere Profite einfahren und immer mehr Geld in die Rüstungspolitik gesteckt wird, sind Menschen mit Behinderungen eine der Personengruppen, die in besonderem Maße vom Sozialabbau betroffen sind. Zum anderen zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass viele Menschen mit Behinderungen in Europa noch immer kein Wahlrecht haben (allein in Deutschland sind es etwa 85 000): Diskriminierungen aufgrund von Behinderungen finden weiterhin statt und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem anderen Bereich werden beschnitten oder sogar vereitelt. Und das, obwohl sich Deutschland, die Europäische Union und viele Mitgliedsstaaten mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) dazu verpflichtet haben »sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sei es unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter oder Vertreterinnen, was auch das Recht und die Möglichkeit einschließt, zu wählen und gewählt zu werden.«

Wir als LINKE streben eine inklusive Gesellschaft an. Wir wollen die Forderungen der UN-BRK tatsächlich umsetzen. Deshalb haben wir im März 2014 ein Teilhabekonzept beschlossen, um uns zunächst auf den Weg zu machen, eine inklusive Partei zu werden. In der Schaffung von barrierefreien Strukturen sehen wir eine Grundvoraussetzung dafür, dass

  • alle Menschen am Leben in der Gesellschaft und am politischen Leben in unserer Partei teilhaben können;
  • dass sie zu uns kommen und in unseren Geschäftsstellen Rat erhalten,
  • dass sie unsere Veranstaltungen besuchen und
  • vor allem, dass sie das Parteileben aktiv mitgestalten können.

1 - Zur Umsetzung des Beschlusses »Barrierefreiheit? – DAS MUSS DRIN SEIN! Der Preis für barrierefreie Geschäftsstellen«

Um die Genoss/innen zu ermutigen, inklusive Strukturen zu schaffen und barrierefreie Büros einzurichten, führen wir seit drei Jahren den Wettbewerb »Barrierefreiheit? – DAS MUSS DRIN SEIN! Der Preis für barrierefreie Geschäftsstellen« durch. Wir zeichnen Geschäftsstellen und Büros der Partei und der Fraktionen, die barrierefrei gestaltet sind oder werden, mit einem Preis aus. Deutlich wird dabei: Stufenlose Zugänge zu unseren Büros, behindertengerechte Toiletten, beleuchtete Zugangswege, Dokumente in einfacher oder leichter Sprache und Hörschleifen nutzen nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern alle Genossinnen und Genossen. Und gerade in Hinsicht auf unsere älteren Mitstreiter/innen sind auch eine gute Anbindung an den ÖPNV, Bahnhofsnähe, eigene Parkplätze oder Parkmöglichkeiten in der Nähe des Büros wichtig.

2018 ging der Preis an den Osnabrücker Kreisverband. Durch das Ausscheiden der Partei aus dem niedersächsischen Landtag war die Finanzierung der ehemaligen Büroräume des Kreisverbandes nicht mehr möglich. Bei der Suche nach neuen Räumen waren Barrierefreiheit und eine gute Verkehrsanbindung neben dem Mietpreis die wichtigsten Aspekte für die Entscheidung. Der Kreisverband hat sein Domizil in einem ehemaligen Ladenlokal gefunden, das im Erdgeschoss liegt. Die Bushaltestelle in der Nähe des Büros ist barrierefrei zugänglich. Von den 62 m² des Ladenraumes ist eine Toilette abgeteilt worden – der Eingang weist die erforderliche Breite auf und es ist ausreichend Raum für einen Rollstuhl vorhanden. Außerdem gibt es immer wieder, vor allem im Wahlkampf, Materialien in leichter Sprache oder in Braille-Schrift.

Wir, die Mitglieder der AG Teilhabe Bund freuen uns über jede Bewerbung für diesen Inklusionspreis. Allerdings gab es 2018 nur eine Bewerbung. Und wir finden: Das ist zu wenig. Wir möchten deshalb noch einmal für diesen Wettbewerb werben. Wir suchen gute Beispiele, die verdeutlichen, wie es funktionieren kann. Dabei geht es nicht um Perfektion. Es geht darum zu zeigen, dass wir uns als Partei auf den Weg zu mehr Barrierefreiheit gemacht haben. Deshalb: Traut Euch!

2 – Notwendige Überarbeitung des Teilhabekonzeptes, um Strukturen inklusiver zu gestalten

Neben der Neuauflage des Wettbewerbes wollen wir in diesem Jahr das Teilhabekonzept überarbeiten. Fünf Jahre, nachdem wir das Teilhabekonzept beschlossen haben, sind wir als Mitglieder der AG Teilhabe der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, Bilanz zu ziehen: Was haben wir erreicht? Was ist uns gut gelungen? Wo müssen wir ansetzen, um in der gesamten Partei inklusivere Strukturen zu entwickeln? Welche Kriterien wollen wir auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene anlegen, um allen Genoss/innen zu ermöglichen, unsere linke Politik mitzugestalten? Und nicht zuletzt: Wie können wir das finanzieren?

Um dem Parteivorstand einen Vorschlag für ein überarbeitetes Teilhabekonzept zu unterbreiten, werden wir im März dieses Jahres eine Klausurtagung durchführen – zusammen mit den bereits berufenen Landesinklusionsbeauftragten und ein paar weiteren aktiven Genoss/ìnnen auf dem Gebiet der Inklusion und Teilhabe. Diesen Entwurf möchten wir dann in den Strukturen der Partei breit diskutieren. Wir möchten zeigen: Das Thema Barrierefreiheit ist uns als Partei wichtig, weil wir alle mitnehmen wollen.

3 – Dem politischen Anspruch auf Selbstvertretung getreu dem Motto »nichts über uns, ohne uns« gerecht werden

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, gestattet mir am Ende meines Berichtes ein paar persönliche Gedanken zum Thema Inklusion und Teilhabe. Die rassistischen, zum Teil menschenverachtenden Entwicklungstendenzen in unserer Gesellschaft erfüllen mich mit großer Sorge. Da finde ich es nicht verwunderlich, dass man Menschen mit Behinderungen weder in Deutschland noch in der Europäischen Union insgesamt die volle und wirksame Teilhabe zugesteht, sondern sie als Kostenfaktor hinstellt. Menschen mit Behinderungen sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen und erleben sich oft als macht- und einflusslos, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen. Immer wieder erfahren sie, dass andere für sie denken, für sie planen und für sie handeln. Das alles befördert weder ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben noch eine gleichberechtigte und partizipative Beteiligung in unserer Gesellschaft. Besonders dann, wenn Menschen mit Behinderungen in segregierenden (aussondernden) Strukturen lernen, arbeiten und wohnen.

In unserem Erfurter Parteiprogramm ist verankert: »DIE LINKE kämpft [...] für eine inklusive Gesellschaft, in der jeder Mensch Rahmenbedingungen findet, in denen er seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Talente entfalten kann, niemand außerhalb der Gesellschaft steht und jede und jeder sich einbringen kann.« Doch dass andere für Menschen mit Behinderungen denken, planen und handeln, wird von den Betroffenen zum Teil auch innerhalb unserer Partei so wahrgenommen. Hier sehe ich für uns eine große Verantwortung. Meines Erachtens ist es dringend notwendig, das Recht auf Selbstvertretung innerhalb unserer Partei auf allen Ebenen zu stärken. Denn Menschen mit Behinderungen sind durchaus in der Lage, sich kompetent in die politische Arbeit einzubringen, auch wenn sie zum Teil Unterstützung, Assistenz und Nachteilsausgleiche benötigen.

Wichtig erscheint mir Selbstvertretung aber vor allem aus einem zweiten Grund: Wenn wir als glaubwürdig wahrgenommen werden wollen, wenn wir Politik für die Menschen machen wollen, müssen wir Menschen mit Behinderungen lauter eine Stimme geben. Sie selbst müssen das Wort ergreifen (können). Aufgrund ihrer Diskriminierungserfahrungen und dem so oft erlebten Ausschluss von politischen Entscheidungsprozessen haben sie die Legitimation, sich emanzipatorisch – nicht nur in Behindertenpolitik, sondern in alle Politikbereiche - einzubringen. Lasst uns dafür solidarisch gemeinsam Wege finden.

Solidarische Grüße

Margit Glasow

Inklusionsbeauftragte der Partei DIE LINKE