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Beschlüsse und Erklärungen

BA Beschluss 2020/10

Was uns fehlt? Gesundheit und Gemeineigentum!

Beschluss des Bundesausschusses vom 27. Juni 2020

Die Corona-Krise hat das Scheitern jahrzehntelang (finanz)marktdevoter Regierungspolitik und auf Superprofit getrimmter Sozial- und Gesundheitssysteme weltweit und für alle sichtbar offengelegt. Das Virus macht zwar wenig Unterschied zwischen Arm und Reich, doch es trifft die ärmeren Länder und Schichten am härtesten: diejenigen, die krank werden und um ihr Leben fürchten sowie diejenigen, die den Job verlieren, überabeitet oder allein sind. Die asozialen Raubzüge der Superreichen, das Kranksparen ganzer Gesundheitssysteme und die Privatisierungen der Daseinsvorsorge wirken sich nun in ihrer ganzen Rohheit aus. Die herrschenden Reaktionen auf Corona haben die beginnende Wirtschaftskrise zu einer Wirtschaftskatastrophe werden lassen. Demokratie und Meinungsfreiheit werden von den Regierenden schwer beschädigt. Die Konzern-Lobbyisten und -Medien fangen schon wieder an, von der "schwarzen Null" zu schwärmen, Lohn- und Steuerdumping, Demokratie- und Sozialstaatsabbau als Lösungen anzupreisen. Darum muss DIE LINKE mit neuer Kraft, mit allem Verstand und mutiger Gegenöffentlichkeit für radikal-realistische Schlussfolgerungen und für größere gesellschaftliche Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus kämpfen. Solidarisch: Für die Mehrheit! Mit der Mehrheit!

1. Völkerfreundschaft und Zusammenarbeit statt NATO-Feindbilder! Ohne Frieden und internationale Kooperation ist keine Krise der Welt lösbar. Schluss mit Kriegseinsätzen und Waffenexporten – Nein zur NATO und dafür Stärkung der UN! Wir sagen nein zu Abschreckung, Aufrüstung und dem 2%-Aufrüstungsziel der NATO. Wirtschaftssanktionen gegen jedwedes Land müssen beendet werden! DIE LINKE kämpft für eine Renaissance des Völker- und Menschenrechts, für solidarische Entwicklungszusammenarbeit, die Wiederherstellung des Rechts auf Asyl und für den Ausbau der WHO. Statt der Bundeswehr gehört das demokratische Gemeinde- und Vereinswesen gestärkt (THW, Feuerwehr, Rotes Kreuz, ziviler Friedensdienst usw.). Wir wollen Abrüstung, den zivilen Umbau der Bundeswehr, den Abzug aller Atomwaffen und den Beitritt der Bundesrepublik zum Atomwaffenverbotsvertrag der UN. Zusammen mit Millionen von Menschen weltweit schließen wir uns UN-Generalsekretär António Guterres an: "Sofortiger Waffenstillstand – weltweit!"

2. Krisengewinnler besteuern! Krisenkosten gehören gerecht verteilt.DIE LINKE streitet für die Einführung einer einmaligen "Corona-Abgabe" für Krisengewinner wie Amazon, Apple, Facebook, Big Pharma & Co. Es ist höchste Zeit für Steuererhöhungen für Superreiche durch eine Millionärs-, Erbschafts- und Finanztransaktionssteuer.

3. Krisenschutz durch Gemeineigentums-Offensive! "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung […] in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden."(Art. 15 GG).Eigentum verpflichtet zu Allgemeinwohl, Profitgier steht dem entgegen. DIE LINKE kämpft für eine öffentliche und ausfinanzierte Daseinsvorsorge für ausnahmslos alle Menschen sowie für eine Vergesellschaftung der Pharmaindustrie. Krankenhäuser gehören kommunalisiert, Reprivatisierung von Konzernen gesetzlich ausgeschlossen. Bereiche wie die Deutsche Post oder Bahn gehören wiederaufgebaut: statt auf den Börsenmarkt auf das Allgemeinwohl ausgerichtet. DIE LINKE ist gegen jede Staatshilfe an Konzerne mit Dividendenausschüttung und für eine Vergesellschaftung des Finanzsektors, damit die Investitionen sinnvoll gelenkt werden und die Wirtschaft sozial, nachhaltig und gesundheitsverträglich ausgerichtet wird. Medikamente, Trinkwasser und Hygienemittel müssen weltweit in öffentliches Eigentum und für alle zugänglich werden. Gleichzeitig sind private Kleinunternehmen erheblich zu stärken und bürokratisch zu entlasten. Mit einer Mindestmenge an Großunternehmen in Gemeineigentum wird dann endlich statt monopolkapitalistischer Planwirtschaft eine demokratische Wirtschaftsplanung mit gestärkter Mitbestimmung möglich.

4. Ursachen und Schuldige nicht länger verschweigen! Austerität ist ein brutaler Angriff auf die Daseinsvorsorge und eine zentrale Ursache für die Krise. Seit 1991 wurden in Deutschland rund 500 Krankenhäuser geschlossen, ca. 200.000 Betten und 35 000 Stellen bei den Gesundheitsämtern gestrichen, während die Patientenzahlen gestiegen sind. Pandemiepläne wurden (vollständig) ignoriert. Der Lockdown wurde einzig mit den extremen Engpässen des Gesundheitssystems begründet. Er hat in massenhafte kulturelle sowie soziale Isolation und in eine Wirtschaftskatastrophe geführt, welche ebenfalls Millionen von Menschenleben vor allem von Frauen, Kindern und Alten bedrohen. In der ganzen EU wurden und werden insbesondere auf Druck der Bundesregierung Gesundheitssysteme krankgespart und privaten Investoren preisgegeben. Ver.di, WHO oder Attac haben ständig vor den desaströsen Defiziten beim EU-Katastrophenschutz gewarnt - und wurden einfach überhört. DIE LINKE kämpft seit jeher für ein Ende der Austerität: international solidarisch. Statt der Schuldenbremse und der damit verbundenen Bedienung von Banken brauchen wir finanzielle Schutzschirme für die Kommunen und massive soziale sowie nachhaltige Investitionen in öffentliche Bereiche sowie Infrastruktur.

5. Für Transparenz und Meinungsfreiheit streiten! Niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik sind Grund- und Freiheitsrechte so massiv und flächendeckend eingeschränkt worden wie in der Corona-Zeit. Selbst gegen die 1968 beschlossenen Notstandsgesetze konnte demonstriert werden. Nur mit den Freiheitsrechten für gewerkschaftliche und bürgerliche Aufklärung lässt sich sozialer Fortschritt und demokratische Teilhabe erstreiten. 75 Jahre nach der Befreiung wird von Rechts die Krise auszunutzen versucht, um noch mehr Demokratieabbau, Nationalismus, Antikommunismus und Sozialdarwinismus durchzusetzen und von den eigentlichen Krisenursachen abzulenken. Für DIE LINKE ist klar: AfD und Nazi-Organisationen braucht niemand, jede Form von Rassismus und Entwürdigung gehören unter Strafe gestellt. Künstlerische, Meinungs- und Versammlungsfreiheiten gehören unbedingt geschützt, gelebt und ausgeweitet! Maßnahmen zum Lockdown müssen sozial verträglich sein. Die LINKE unterstützt mit aller Kraft Esther Bejaranos Forderung: Der 8. Mai muss – auch gesetzlich – ein Feiertag der Völker sein!

6. "Runder Tisch zur Krise"! Zusammen mit glaubwürdigen Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft will DIE LINKE über soziale Maßnahmen zur Eindämmung und Lösung der Krise beraten. – als Alternative zu den "Sachverständigenräten" und anderen bevölkerungsfeindlichen "Beratern" setzt DIE LINKE auf eine breite Legitimation durch die Bevölkerung, im Sinne des Allgemeinwohls, für Eingriffe in die Eigentums- und Vermögensprivilegien, für sozialen Ausgleich und öffentliche Investitionen. Die Teilnehmenden dieses "Runden Tischs" müssen glaubhaft gegen eine neoliberale Politik gestanden haben und stehen (anzufragen wären beispielsweise: Esther Bejarano, Sahra Wagenknecht, Daniela Dahn, Annelie Buntenbach, Svenja Flasspöhler, Christoph Butterwegge, Peter Brandt, Frank Bsirske, Konstantin Wecker, Uli Schneider und andere).

7. Mehr Abstand = mehr Atemwegsschutz = mehr öffentlicher Verkehr! DIE LINKE fordertjährlich 15 Milliarden Euro für die Verbesserung der Bahn, finanziert aus dem Rüstungsetat und durch Abschaffung von Steuererleichterungen für Flugbenzin u.a. Pendlerangebote müssen nachhaltig ausgebaut werden. Außerdem fordern wir eine "Bahncard 50" für alle Menschen mit einem Jahreseinkommen von unter 100.000 Euro.

8. Risikoschutz sozial = mehr sozialen Wohnraum! Die Wohnraumkrise verschärft sich durch die Corona-Krise – und andersherum. Drei Generationen in engen Drei-Zimmer-Wohnsilos? Das ist auch ohne Lockdown nicht zumutbar und hat mit Risikoschutz nichts zu tun. DIE LINKE kämpft für einen Mietendeckel nach Berliner Vorbild und die Enteignung privater Immobilienkonzerne, für dieStärkung des gemeinwohlorientierten Wohnungsbaus sowie des öffentlichen Grund und Bodens, für den massiven Ausbau regionaler Daseinsvorsorge, der digitalen Infrastruktur und wohnortnaher Kulturangebote Die Abschirmung von "Risikogruppen" (z.B. Ältere) kann nur auf freiwilliger Basis erfolgen und muss mit neuen sozialen, Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten staatlich finanziert unterstützt werden.

9. Gesundheit aus der Krise - ohne Profitlogik! DIE LINKE wirkt für das Primat gesundheitlicher Prävention, auch gegen zukünftige Epidemien, sowie für eine krisenfeste nationale Schutzmaskenproduktion, notfalls auch durch staatlichen Zwang gegen Konzerne. Aus der Influenza-B-Epidemie von 2017/18 mit 25 100 Toten in Deutschland hätten Konsequenzen gezogen werden müssen! Fallpauschalen gehören also abgeschafft, private Krankenversicherungen durch eine Bürgerversicherung ersetzt. Wir wollen Gesundheitswesen und Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte durch einen Schlüssel nach skandinavischem Vorbild massiv verbessern. Denn: "Krankenhäuser haben der Gesundheit zu dienen, nicht dem Profit!" (Klaus Reinhard v. Bundesärztekammer)

10. Mit höheren Löhnen und Renten gegen die Wirtschaftskatastrophe! DIE LINKE kämpft für die Erhöhung des Mindestlohns, für eine Erhöhung des Kurzarbeitergelds auf 90 % des Nettolohns sowie für Steuererleichterungen für alle mit Jahreseinkommen von bis zu 70.000 Euro. Alle haben das Recht auf einen menschenwürdigen dritten Lebensabschnitt. Statt Altersdiskriminierung als "Risiko" sind wir für Risikospezifizierung und Vorziehung des Renteneintrittsalters! Für die Einführung eines solidarisch finanzierten Rentensystems zur Überwindung von Altersarmut. Es braucht armutsfeste menschenwürdige Grundsicherung, Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe für alle und endlich Abschaffung von Hartz-IV. Vor allem fordern wir die längst fällige Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich - vor allem im Pflegebereich!

Die LINKE ist eine lernende Partei. Sie gliedert sich von unten nach oben, alle Genossinnen und Genossen begegnen sich als Gleiche. Denn die Partei lebt von der kulturvollen und solidarischen Diskussion um Analysen, Forderungen und die Reichweite gesellschaftlicher Veränderung. Nur so können die Partei und ihre Mitglieder initiativ werden gegen neoliberale Deformen, für Frieden und soziale Gerechtigkeit: in Bündnissen, in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten. Daher sind auf allen Ebenen und in allen Organen der Partei Möglichkeiten zur qualifizierten Debatte wichtig, um aktuell die erforderlichen Konsequenzen für die Politik der Partei zu ziehen – was Hand in Hand geht mit einer am Erfurter Programm orientierten, kontinuierlichen Bildungsarbeit.

"Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?"

(Bertolt Brecht: "Fragen eines lesenden Arbeiters";
nachzulesen im Vorwort des Erfurter Parteiprogramms der LINKEN)