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BA Beschluss 2018/018

Nulltarif für Bus und Bahn als Offensive für eine sozial und ökologisch gerechte Verkehrswende

Beschluss des Bundesausschusses vom 22. September 2018

Wir wollen soziale und ökologische Mobilität für alle - mit weniger Verkehr. Es geht um unsere Lebensqualität, um soziale Teilhabe und um noch mehr: Der fortschreitende Klimawandel bedroht die Lebensgrundlage vieler Menschen und wird vom Verkehr befeuert. Um Öl werden Kriege geführt, Rohstoffe wie Eisenerz oder Lithium werden unter zerstörerischen Bedingungen geplündert, für "Bio"-Sprit wird Ackerland missbraucht …. Die herrschenden Verkehrsverhältnisse gehen auf Kosten der Armen - hier und im globalen Süden. Daran wird sich nichts ändern, wenn künftig die Motoren elektrisch sind und die Kfz autonom fahren.

DIE LINKE streitet für eine gerechte Verkehrswende. Der motorisierte Individualverkehr (MiV) kann und muss deutlich reduziert werden. Geschwindigkeitsbegrenzung und viel geringere Emissionsgrenzwerte sind nötig und Ersatz für fossile Brennstoffe bei Bussen, Taxen und car-Sharing-Fuhrparks.

Wir machen uns für Alternativen stark. Gemeinsam mit Gewerkschaften und Umweltinitiativen. Für Ausbau der Bahn in der Fläche und für öffentlichen Nahverkehr der überall in Stadt und Land verlässlich und in gutem Takt zur Verfügung steht. Für attraktive Arbeit im öffentlichen Verkehr.

Im Zentrum steht: "Nahverkehr für alle" und schrittweise zum Nulltarif

Unser mittelfristiges Ziel ist ein bundesweiter ÖPNV-Nulltarif und die Halbierung des Autoverkehrs. Nur so können wir die klimapolitischen Versprechen einhalten und Lebensqualität in den Städten merklich verbessern. Dafür hat DIE LINKE einen Stufen-Plan vorgelegt. Wir starten mit drei Paketen:

1. Modellprojekte

für einen ÖPNV zum Nulltarif ab 2019 in den 15 Städten, die von besonders hoher Stickoxid- und Feinstaub-Belastung betroffen sind. Die Kommunen werden in die Lage versetzt, eine Nahverkehrsabgabe für Unterthemen einzuführen. Der Bund unterstützt die Modellstädte mit Förderung von bis zu 90 Prozent. Die Erfahrungen werden ausgewertet und verallgemeinert.

2. Ausbau des ÖPNV

Jährlich werden 8 Milliarden Euro in bundesweite Sofortmaßnahmen zum Ausbau und zur Verbesserung der Qualität von Bus und Bahn investiert: Vor allem in ländlichen Räumen und in Metropolregionen mit vielen Pendlerinnen und Pendler: Für dichtere Takte, mehr Personal, Qualifizierung und bessere Bezahlung.

3. "Freie Fahrt für Kinder & Jugendliche in Bus & Bahn":

Alle Menschen unter 18, Schülerinnen und Schüler, Azubis und Hartz IV-Betroffene fahren ab 1. Januar 2019 zum Nulltarif. Diese Kosten übernimmt der Bund vollständig.

Geld ist genug da - Umverteilung ist möglich und nötig!

Bei einem flächendeckenden konsequenten Nulltarif müssten jährlich rund 11 Milliarden Einnahmeverluste aus Fahrscheinverkäufen im ÖPNV ersetzt werden. Hinzu kommen bis zu 5 Milliarden Euro pro Jahr für den Ausbau der Mobilitätsinfrastruktur. Insgesamt 16 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich für Bus und Bahn. Aber eigentlich kein Problem:

Wir fordern, dass endlich die Subventionen von Dieseltreibstoff beendet wird: derzeit 7,5 Milliarden Euro pro Jahr. Auch die Steuervorteile für Dienstwagen sind zu streichen: 3 Milliarden Euro jährlich. Dazu rund 1 Milliarde Zuschüsse für Elektroautos, die den Autokonzernen zufließen und in den ÖPNV umgeleitet werden müssen. 

Außerdem fordern wir eine Sonderabgabe der Automobilindustrie, zweckgebunden als "Abgabe zur Verbesserung der Luftqualität": fünf Jahre lang je 4 Milliarden. Laut Straßenverkehrsgesetz kann "das Feilbieten nicht genehmigter Fahrzeuge" mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden. (Bei mindestens 5 Millionen illegalen Diesel-PKW also rund 25 Milliarden Euro Strafe, die bei den Profiteuren einzutreiben sind).

Im Übrigen sparen die Kommunen mit der angestrebten Verlagerung vom MiV auf den Umweltverbund schon alleine dadurch Geld ein, da ÖPNV, Fuß- und Fahrradverkehr deutlich geringere Kosten verursachen als der Autoverkehr. Der Autoverkehr hat den geringsten Kostendeckungsgrad und kostet die öffentliche Hand rund das Dreifache des ÖPNV; der Fuß- und Fahrradverkehr ist nochmals deutlich günstiger .[1]

Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit für die Kommunen wäre eine Nahverkehrsabgabe für Unternehmen. Die sind Nutznießer des ÖPNV: Beschäftigte und Kundinnen und Kunden können mit dem öffentlichen Verkehr anreisen und Kosten für Parkplätze entfallen.

Fuß- und Fahrradgerechtigkeit gehört dazu

Auch die Bedingungen für Fuß und Fahrrad müssen deutlich verbessert werden. Schließlich handelt es sich dabei um die umweltfreundlichste und preiswerteste Fortbewegung. Für umwelt- und menschengerechte Verkehrsverhältnisse spielt das alltägliche Fahrradfahren eine wesentliche Rolle; die meisten Wege - sowohl in der Stadt, als auch im ländlichen Raum - sind kürzer als 10 Kilometer.

Für Massenmotorisierung wurden hunderte Milliarden in autogerechte Straßen investiert. Das Verkehrsrecht wurde aufs Auto ausgerichtet und das Fahrrad an den Rand gedrängt. Das wollen wir ändern und den Straßenraum umverteilen.

Fuß- und Fahrradgerechtigkeit ist Teil der sozialökologischen Verkehrswende: Sichere Fuß- und Fahrradwege auf allen Straßen, Kinder die wieder alleine zur Schule radeln und entspannte Fußwege sind unser Ziel. Tempo 30, echte Strafen für "Gefährder" und Verkehrsregeln, die Autos nicht bevorzugen, all das kann dazu beitragen.

Und ein "Verkehrswendefonds", mit dem der Bund den Kommunen Geld für den Umbau zur Verfügung stellt, anstatt noch mehr Autobahnen zu bauen

Die Verkehrsverhältnisse zum Tanzen bringen

Mit dem "Dieselskandal" kam Bewegung in die Diskussion um die Zukunft der Verkehrspolitik. In einigen Städten drohen Fahrverbote, weil die Kommunen für den Gesundheitsschutz der Bewohnerinnen und Bewohner gerichtlich verantwortlich gemacht werden. Die Bundesregierung überraschte mit dem Vorschlag, Nulltarif in einigen konkret benannten Städten einzuführen - für weniger Autoverkehr (vorgetragen in einem Brief an die EU-Kommission, um eine Klage wegen Nichteinhaltung der Stickoxid-Grenzwerte abzuwenden).

Mit dem Volksentscheid Fahrrad Berlin wurde gezeigt, dass notwendige Veränderungen von unten angestoßen und durchgesetzt werden können; "Changing Cities e.V." unterstützt jetzt deutschlandweit Initiativen und Projekte für nachhaltige Mobilität und lebenswerte Städte dabei, genauso erfolgreich zu sein.

Und 71 Prozent der Bevölkerung finden den Vorschlag gut, "den öffentlichen Fern- und Nahverkehr aus ökologischen und verkehrspolitischen Gründen ab 2020 kostenfrei zu machen". [2]

Es gibt also Rückenwind; den wollen wir nutzen!

Der Bundesausschuss beschließt:

1. DIE LINKE unterstützt die Forderung nach Einführung von Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr als zentralen Baustein für eine sozial-ökologische Verkehrswende und wird sich auf allen Ebenen dafür einsetzen

  • mit Beschlüssen und Bundesratsinitiativen aus den Ländern mit unserer Regierungsbeteiligung,
  • mit Anträgen in den Kommunalparlamenten, in den Landtagen und im Bundestag.
  • mit Ratschlägen und Veranstaltungen zur Vernetzung von Aktiven
  • mit eigenen Materialien und Aktionen in der Öffentlichkeit

2. Der Parteivorstand soll eine "Aktionswoche Nulltarif" vorbereiten, in der interessierte Kreisverbände bei lokalen Aktionen unterstützt werden.

Anmerkungen 

[1] Prof. Carsten Sommer u. a.: NRVP - Kostenvergleich zwischen Radverkehr, Fußverkehr, Kfz-Verkehr und ÖPNV anhand von kommunalen Haushalten, Universität Kassel 2015.

[2]  Infratest-dimap, Januar 2018.