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DISPUT

Perforierte Gemeinden

Bau auf, bau auf. Reiß ab! Reiß ab! So einfach ist das nicht. DIE LINKE braucht eine Strategie für eine neue Raumordnung

Von Katalin Gennburg

Bauen, bauen, bauen! schmettert die Hauptstadtpresse angesichts des Stadtwachstums. Doch wie sieht es in den Städten und Dörfern jenseits der »Metropolen« aus? Was, muss man fragen, ist eigentlich im wilden Osten los? Da, wo sogenannte Protestparteien Traumergebnisse erzielen? Wie hat sich die Regional- und Strukturentwicklung in den ländlichen Regionen seit 1990 gestaltet? Was ist aus der strategischen(!) Raumplanung geworden, seit Sparpolitik, Austeritätspolitik und vielerorts Zwangsverwaltung die Städte und Gemeinden regieren?

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Städtebau- und Wohnungspolitik ist ein Zusammenschluss von fachlich Interessierten in und bei der LINKEN. Seit zehn Jahren befassen wir uns unter anderem mit Stadtentwicklung, Mietenwahnsinn und Kommunalpolitik — landauf und landab. Im Januar 2018 verschlug es uns nach Zeitz, in die alte Industriestadt im Länderdreieck Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Unser Thema: das neue Erwachen der Klein- und Mittelstädte im Großraum Leipzig.

Bevor Schlagworte wie »Demographischer Wandel«, »Deindustrialisierung und Strukturwandel« zu Beschreibungen von Umbrüchen und dem Niedergang ganzer Landstriche wurden, produzierte die stolze Stadt Kinderwagen und Puppenwagen, Zucker, die beliebten Knusperflocken von Zetti und vieles mehr. Zählte die Stadt 1984 noch 43.500 Einwohner, sind es heute samt großflächiger Eingemeindungen 29.000 Einwohner.

Die Stadt Zeitz ist das, was die Stadtforschung eine »perforierte Stadt« nennt. Hier zerfallen nicht einzelne Häuser, sondern ganze Straßenzüge. Die Stadtstruktur gleicht einem löchrigen Gebiss. Dem Leerstand beizukommen, ist schwer. Gemäß dem Schlachtruf »Bauen, bauen, bauen!« kommt nun der Abgesang »Abriss, Abriss, Abriss«?! So einfach ist es nicht, denn Städte sind historisch gewachsene Gebilde, sind in den Raum eingeschriebene, lesbare Geschichten.

Zerfall

Über die Stadtumbauprogramme der 1990er Jahre wissen wir heute: Abriss allein macht nicht froh. Niemand kann einfach die Seiten aus den geschriebenen Büchern rausreißen und Sinnzusammenhänge zerstören. Es braucht kluge Konzepte, die integrierend wirken.

Seit den neunziger Jahren werden Förderprogramme in Zeitz und anderswo in Anspruch genommen, um die städtischen Strukturen zu sichern. Immer wieder geht es darum, den Verfall und Abbrüche so zu lenken, dass ein erkennbares und Identität stiftendes Stadtbild erhalten bleibt. In der Gründerzeit wurde die Industrie europaweit zum Städtebauer, in Zeitz genauso wie in Berlin, Bochum, Nürnberg oder Hamburg. Die Städte wuchsen rasant über ihre mittelalterlichen Strukturen hinaus. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Zeitz eine wichtige Industriemetropole der DDR. Dort musste schnell und gut Wohnraum geschaffen werden. So entstand Zeitz-Ost, das, was man heute eine Plattenbausiedlung nennt und was seit Jahrzehnten vor allem eines ist: Das Zuhause etlicher Menschen in »Hallescher Monolithbauweise « — nicht wie anderswo, in »Plattenbaumodulbauweise«.

Seit 1990 wurden in Zeitz 1.700 Wohnungen abgerissen. Damit konnte der Leerstand von 30 Prozent im Jahr 2001 auf 14,8 Prozent im Jahr 2011 verringert werden. »30 Euro pro Quadratmeter kostet idealerweise der Rückbau eines Plattenbaus (Förderung inklusive), und Mengenrabatte sind möglich«, erfuhren wir vom Stadtplaner persönlich. Wir hörten vor Ort, dass »paradiesische Zustände « bei Kinderbetreuung und in Schulen herrschen. Grundstücke mit verfallenden Häusern werden als Grünflächen  überplant und so können von der Gemeinde europäische Fördermittel für klimafreundliche Maßnahmen in Anspruch genommen werden.

Klingt doch gut: Kinderfreundlich und klimaneutral. Dass nebenan in Leipzig, eine halbe Zugstunde von Zeitz entfernt, die Mieten steigen und Freiräume knapp werden, treibt neuerdings Menschen zu den sprichwörtlich neuen Ufern. In Zeitz verrät man uns, dass zwar ein paar Zuzügler angekommen sind, damit ließe sich aber noch lange nicht der Leerstand füllen. Wer sind diese Leute, die Leipzig verlassen? Ist dies schon eine Renaissance oder — wie um 1900 — eine neue Reformbewegung, die den wachsenden Großstädten den Rücken kehrt? Daran glaubt in Zeitz noch niemand.

Eines wird deutlich an diesem Samstag im Burgenlandkreis: Die Leuchtturmpolitik in den neunziger Jahren in den ostdeutschen Flächenländern hat die Peripherisierung von Städten und Menschen erst geschaffen. Dass damit das Grundgesetz missachtet wurde und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht nur für den Moment, sondern für lange Zeit relativiert wurde, ist nicht wieder gut zu machen. So freut sich die AfD hier über ein Direktmandat mit rund 32 Prozent der Erststimmen. Wer Orte wie diesen kennt, weiß, wie sich dieses Abgehängtsein der Menschen anfühlt, und dass es sich in Gelsenkirchen genauso anfühlt wie in Weißenfels und Bitterfeld.

Nun also kommen die Hippies und Alternativen aus Leipzig? Nachdem Leipzig in puncto Bevölkerungszuwachs nach 1990 zunächst vom Umland gewann, verliert es wieder ans Umland — auch an das 30 Minuten entfernte Zeitz.

Heute werden sogenannte Schwarmstädte als »versteckte Perlen « gepriesen, jene Klein- und Mittelstädte, die als Unterzentren die medizinische oder schulische Versorgung in der Region gewährleisten. Die Suburbanisierung der Neunziger ist ein anderer Prozess als das Ausweichen in Klein- und Mittelstädte. Denn heute treibt es jenes »Neue Urbane Milieu « als Raumpioniere in leergefallene Stadtzentren, die früher niemals das Fertigteilhaus auf den Acker gestellt hätten.

Konzept

Wir erfahren von Roman Grabolle, dem Mitglied des Vereins »Haus- und Wagenrat Leipzig«, dass heute circa 2.000 Leute in der Stadt in alternativen Wohnformen leben.

Da die Mieten dort weiterhin steigen und findige Investoren ganze Stadtteile aufkaufen, treibt es manche nach draußen. Große Dreiseithöfe mit Blick auf die Felder, zentral gelegene Bürgerhäuser oder innerstädtische Ladengeschäfte bieten Platz für die Vielfalt der Lebensentwürfe im Zeitalter der Postmoderne.

Man kann diese neue Entwicklung mit Argwohn betrachten oder sich freuen. Für die Stadt- und Raumplanung ergeben sich neue Hausaufgaben, insbesondere für eine LINKE Perspektive auf Strukturplanung und den Kampf gegen die AfD und andere nationalistische Organisationen im flachen Land.

DIE LINKE war immer stark in der Kommunalpolitik und im Kampf um die Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung trotz knapper Kassen. Immer ging es um soziale Politik und gleichwertige Lebensverhältnisse und Teilhabe auch in jenen »abgehängten Regionen«. Mit der Diskussion um neue Milieus und Klassenpolitik, die auch in der LINKEN geführt wird, offenbart sich ein neuer alter Trend: Endlich geht es wieder um Raumordnung, Strukturpolitik und Regionalentwicklung mit politischem Anspruch. Seien wir doch ehrlich: Wir müssen ernsthaft über eine LINKE Strategie für die Raumordnung reden und weg vom technischen Verständnis von Gebietskörperschaften oder gar dem angstvollen Blick auf sinkende Wahlergebnisse oder auf Prognosen zur schrumpfenden Bevölkerung.

Wir brauchen eine neue Raumordnung, die Daseinsvorsorge im kleinsten Kuhdorf garantiert und auch für die riesige Metropole Wachstumsschwankungen aufzufangen vermag. Die Frage lautet doch: Wie können wir die Systemwidersprüche nachhaltig ausgleichen und dafür sorgen, dass Orte nicht zu Getriebenen von Standortlogik und Gemeindefinanzen werden. Diskutiert werden muss,  dass Nachhaltigkeit für alle Gemeinden gleichermaßen an der Grenze des Nachbarn weitergeht und Gebietserweiterungen, allein der Grundsteuereinnahmen wegen, keine LINKE Raumstrategie sein können. Wenn wir darüber reden, dann basisdemokratisch und radikal. Wir wollen nicht den Kuchen in den Dörfern verteilen, wir wollen Bäckereien für alle!

Wie eine solche Strategie aussehen kann, darüber werden wir weiterhin diskutieren und laden alle herzlich ein, in unserer BAG mitzuarbeiten. 

Kontakt: katalin.gennburg@die-linke-berlin.de

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