Neue Räume schaffen
Wohnungspolitik als politisches Erbe und Auftrag für die LINKE Regierungsbeteiligung in Berlin. Einblicke einer Abgeordneten
Von Katalin Glennburg
In den vergangenen Jahren ist das politische Spielfeld in Berlin durcheinander gewirbelt worden. Das ist zugleich Erbe und Auftrag für uns LINKE in der Regierung.
Als wir im Jahr 2016 in den Berliner Wahlkampf zogen, blickte die Stadt auf zwei bundesweit beachtete Volksentscheide zurück: Für die Freihaltung des Flugfeldes Tempelhof entschied sich im Jahr 2014 wohl auch deshalb die Mehrheit der Abstimmenden, weil niemand mehr daran glaubte, dass die rot-schwarze Landesregierung hier bezahlbaren Wohnraum geschafft hätte. Auf diesen erfolgreichen Entscheid folgte im Jahr 2015 der Mietenvolksentscheid. Der Erfolg in Tempelhof machte den stadtpolitischen Initiativen Mut, per Volksentscheidsgesetz die falsche Wohnraumversorgungspolitik zu korrigieren.
Die Initiatorinnen und Initiatoren des Mietenvolksentscheids forderten, die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften so umzubauen, dass erschwinglicher Wohnraum geschaffen und die Mieten politisch reguliert werden. Darüber hinaus wollten sie die Demokratisierung der Gesellschaften durch Entscheidungsbefugnisse von Mieterinnen und Mieter auch in den Aufsichtsräten herstellen.
Innerhalb kürzester Zeit sammelten Aktivistinnen und Aktivisten tausende Unterschriften. Unterstützergruppen gründeten sich auch jenseits der vielzitierten urbanen Milieus. Der Mietenvolksentscheid kam jedoch nicht zur Abstimmung, denn der rot-schwarze Senat zwang die Initiative in einen unzureichenden Kompromiss. In diesen Tagen wird das Mobilitätsgesetz für Berlin abschließend verhandelt, dessen Umsetzung mit dem im Jahr 2016 gestarteten »Volksentscheid Fahrrad« erzwungen wurde. Ein weiterer Entscheid zur Außenwerbung (»Berlin werbefrei«) sammelt sich bereits zum Erfolg.
Aus dieser jüngeren Geschichte ergeben sich sehr konkrete Handlungsanweisungen für unser Regierungshandeln, zumal die Einführung der Volksentscheidsgesetzgebung seinerzeit ein Reformprojekt von Rot-Rot war. Es ist bemerkenswert, wie sich dieses auf lange Sicht entwickelt und auf die Programmatik der Parteien auswirkt. Dass der Koalitionsvertrag von SPD, LINKEN und GRÜNEN etliche Forderungen des Mietenvolksentscheids in sich trägt und andere Forderungen von mieten- und stadtpolitischen Gruppen, ist dafür klarer Ausweis.
Der Koalitionsvertrag steht unter dem Leitgedanken »Regieren auf Augenhöhe« und »Zuhören statt Ansagen«. Angelehnt an den weltweit von Recht-auf-Stadt-Bewegungen etablierten Slogan »Die Stadt gehört Euch!« hat Die LINKE ein Macht-Umverteilungsprogramm für Berlin auf eine simple Formel bringen können. Wir wollen das wachsende Berlin gemeinsam mit den Menschen gestalten. Landeseigene Grundstücke, die für Wohnungsbau geeignet sind, sollen nur noch in Erbbaurecht vergeben werden. Wir ringen um eine Einigung für eine politisch festgelegte Miete für Sozialwohnungen. Für die Bereitstellung neuer Grundstücke für den Wohnungsbau werden über Vorkaufsrechtssatzungen auch enteignungsgleiche Eingriffe vorgenommen. Ein Blick in unseren Koalitionsvertrag lohnt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir sind bestrebt, die ganze Härte des Ordnungsrechtes und das Baurecht umfassend auszunutzen. Der sozial-ökologische Umbau der Stadt muss eine strategische Raumrückgewinnungspolitik forcieren, damit »enteignete Räume«, ob Wohnungsleerstände oder verfallende Gewerbehöfe, der Spekulation entzogen und den Menschen zurückgegeben werden.
Doch linkes Regierungshandeln besteht nicht nur in der »mechanischen« Umsetzung eines Koalitionsvertrages oder von Forderungen der stadt- und mietenpolitischen Szene. Der Staat und seine Apparate sind ein eigenes, von Machtinteressen durchdrungenes Terrain.
Der Alltag des Regierungshandelns einer Abgeordneten strukturiert sich zwischen Fraktionsarbeit und Regierungswissen, Lebenswirklichkeit und Presseöffentlichkeit. Unsere Senatorin Katrin Lompscher sagt: »Es ist ein Marathon«, und ich würde sagen: Wir alle rennen mit. Es gibt viele Hindernisse: neue Skandale um Investoren und Miethaie oder eine Bau-Verwaltung, die noch nie durch LINKE geführt wurde. Die SPD musste dieses Schlüsselressort unter Schmerzen abgeben und schlägt immer wieder Krawall. Gleichzeitig stehen wir vor dem Erbe des jahrzehntelangen Ausverkaufs des Öffentlichen und der sich daraus ergebenden Handlungsunfähigkeit. Zu wenige Grundstücke in Landeshand, Personalmangel, Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft und die Marktmacht von Wohnungskonzernen und privaten Immobilienspekulanten kommen hinzu. Die alltägliche Mischung aus »Brände löschen«, politische Gefechte durchstehen und eigene Themen setzen sowie schlicht und einfach den Koalitionsvertrag abzuarbeiten, braucht Ideenreichtum und Mut.
Mit der Neuauflage von Rot-Schwarz im Bund stehen auch in Berlin Konflikte ins Haus. Die SPD duldet im Bund einen national-konservativen Heimatminister, der nach der Herdprämie jetzt das Baukindergeld durchgesetzt hat und damit die Eigenheimzulage 2.0 der Berliner Wohnraumversorgungspolitik entgegenstellt. Die LINKE will dem gegenüber eine soziale Wohnraumversorgungspolitik, die eine soziale Bestandspolitik macht. Wir müssen die vielen Spielarten der Immobilienspekulation analysieren und Bodenspekulation, spekulativen Baulandhandel, Zweitwohnungsrenditen und Entmietungsstrategien unterbinden.
Für die Berliner LINKE gibt es eine historische Erfahrung von Regierungshandeln, die mahnend vor uns steht. Der frühere Verkauf landeseigener Wohnungsbestände tritt uns quasi täglich gegenüber. Wir dürfen Fehler nicht wiederholen. Es ist schlau zu wissen, wie sie entstehen und zu verhindern sind. Um die Auseinandersetzungen politisch zu führen, braucht es auch eine wirkmächtige Praxis der Regierungsparteien. Die Schnelligkeit des Regierungshandelns der Exekutive ist mit ehrenamtlichem Engagement nicht einzuholen. Die Frage, wie die in der repräsentativen Demokratie angelegte Aufgabenteilung zwischen Regierung, Parlament und Zivilgesellschaft tatsächlich »auf Augenhöhe!« gelingen kann, müssen wir noch beantworten.
Eine Regierung zu kontrollieren, obwohl man mit Regierungsgeheimnissen konfrontiert ist und personell in einem Verhältnis von circa 1 zu 1000 arbeitet, ist in der Praxis schwieriger als gedacht. Das betrifft auch die regierungsbegleitende Parteiarbeit. Und dennoch ist es richtig, das umzusetzen, was von stadtpolitischen Bewegungen an wohnungspolitischen Forderungen erarbeitet und erstritten wurde und was die LINKE in weiten Teilen unterstützt und damit mit erkämpft hat.
Derzeit ist die Berliner Regierungsbeteiligung der LINKEN laut Umfragen ein Erfolg und wie bei Linken üblich, werden wir an hohen Maßstäben gemessen. Manche diskutieren LINKE Regierungsarbeit als ein vorweggenommenes Scheitern. Ich sehe bei all den Widrigkeiten aber vor allem die Chancen für Berlin und die Notwendigkeit eines linken Staatsumbaus. Und auch deshalb gilt: Will Die LINKE. (nicht nur in Regierungsverantwortung!) bestehen dann muss sie endlich den Fuß in die Tür der etablierten Institutionen, denen sie inzwischen angehört, stellen und Räume öffnen und neue Räume schaffen für eine Stadtpolitik für heute und morgen und vor allem: für alle!
Katalin Gennburg ist Sprecherin für Stadtentwicklung, Tourismus & Smart City der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Parteivorstandsmitglied.