Donnerstag, 22. September 2022

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

nach unserem virtuellen Bewegungsratschlag am 27. September 2022 schicken wir euch hier den Bericht mit der Zusammenfassung der zentralen Diskussionspunkte und Fragen.  

Es war der erste Bewegungsratschlag, zu dem die beiden neuen Parteivorsitzenden, Janine Wissler und Martin Schirdewan, eingeladen haben. Dabei stand der Ratschlag einerseits unter dem Eindruck der Kämpfe um die Bezahlbarkeit des Lebens und der Energiepreiskrise in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Dazu gehörte die Frage, wie es der gesellschaftlichen Linken gelingen kann, die Auseinandersetzungen um den „heißen Herbst“ von links zu prägen. Anderseits ging es um die aktuelle Lage der LINKEN vor dem Hintergrund einer drohenden Abspaltung oder andersherum dem „Gespenst der Nicht-Spaltung“, wie einige von Euch dies nannten. Denn klar ist, wiederholte Äußerungen und Aktivitäten von gerade auch prominenten Teilen der LINKEN erschweren massiv die Bemühungen um ein fortschrittliches Profil, auch der aktuellen Proteste.

Vorweg: Es gab eine ehrliche und offene Debatte mit wichtigen Wortmeldungen, Kritiken und Einsprüchen. Mit dabei waren Vertreter*innen des Klima-Strategie-Netzwerk, von Campact, von Attac, von Aufstehen gegen Rassismus, von medico international, von der Interventionistischen Linken, von Fridays for Future, von Deutsche Wohnen & Co Enteignen Berlin und Hamburg Enteignet, vom ehemaligen Unteilbar-Bündnis, dem Movement-Hub, Aktiven von ver.di, vom Jacobin Magazin und Genug ist Genug, von Greenpeace, DaMost sowie dem Konzeptwerk Neue Ökonomie.

Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei Euch bedanken, dass Ihr so zahlreich gekommen seid. Besonders bedanken möchten wir uns auch für die lebendige Diskussion und die offenen Worte!

Zentrale Punkte, die wir als Vorbereitungsgruppe mitnehmen, waren für uns:

Der Protest gegen die Politik der Ampel ist in der aktuellen Krise sozial wie ökologisch dringend notwendig. Hier gab es große Einigkeit. Trotz aller „Entlastungspakete“ bleibt eine massive soziale Schieflage, soziale Ungleichheit nimmt zu und diese gefährdet immer mehr auch  die Demokratie. Denn zum Teil wird mit geplanten Entlastungen eine weitere Umverteilung von unten nach oben gefördert, statt die besonders betroffenen Gruppen zu entlasten. Jeder Forderung nach Umverteilung von oben nach unten – sei es in Form von Übergewinnsteuern, der dauerhaften Aufhebung der Schuldenbremse und gezielter Entlastung der besonders betroffenen Gruppen – wird eine Absage erteilt. Diese massive Interessenspolitik gefährdet Demokratie und sozialen Zusammenhalt – sowohl im Innern als auch international. Zudem blockiert der fossile Rollback den so dringend nötigen Klimaschutz und den Ausstieg aus unserer Abhängigkeit von fossilen Energieträgern.

Das ist wichtig festzuhalten, denn die Ausrichtung der Proteste gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung ist umkämpft. Entscheidend ist dabei: Was steht im Zentrum der Proteste? Sind es sozialpolitische Forderungen mit ökologischer Perspektive? Oder etwas Anderes? Die Krise um die Unbezahlbarkeit des Lebens, die mit der Inflation und den explodierenden Energiepreisen massiv zugespitzt ist, könnte in diesem Sinne auch eine Chance sein, um eine praktische Verbindung von Themen wie Mieten und Aufstehen gegen Rechts, Kämpfe um Klimagerechtigkeit und Übergewinnsteuer zu suchen. Lokal gibt es dafür vom Rheinland über Frankfurt, von Erfurt nach Hamburg, von Stendal nach Berlin bereits eine ganze Reihe von Beispielen. Auch in Leipzig hat ein Zusammenspiel von antifaschistischer Bewegung und Partei Anfang September im Ergebnis gut funktioniert, obwohl das Zustandekommen berechtigterweise in die Kritik geraten war. Aber das ist nur die eine Seite: Denn es gibt eine ganz andere Ausrichtung von Protesten, bei denen nationalistische Interessen, Geopolitik und Verschwörungstheorien im Vordergrund stehen und die Unsicherheit rund um die Energiepreiskrise nur als Instrument dienen, rechter Sichtbarkeit eine Bühne zu bereiten und dem Aufbau rechter Hegemonie voranzutreiben (mit allen Folgen für den öffentlichen Raum und der Angst und Unsicherheit, die das für viele bedeutet). Dies ist vor allem bei den Protesten im Osten augenfällig. Die rechten Mobilisierungen sind eine riesige Herausforderung für das Leben vor Ort, für die fortschrittliche Zivilgesellschaft und die solidarischen Sozialproteste.. [CG1] 

Die für den 22. Oktober geplanten Demonstrationen in sechs großen Städten unter dem Motto #solidarischer Herbst (https://www.solidarischer-herbst.de/), die breit angelegte Kampagne von Genug ist Genug (https://www.wirsagengenug.de/), die vielen regionalen Bündnisse gegen Teuerung und solidarische Sozialproteste wie auch die kommenden Tarifauseinandersetzungen können dagegen eine Gelegenheit sein, von links wieder sichtbarer zu werden, verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Themen nachhaltig miteinander zu verbinden und die Umverteilungsfrage – auch als Frage des Eigentums und der Vergesellschaftung – ins Zentrum zu rücken. Dafür ist neben einer klaren Kante gegen rechts allerdings auch entscheidend, dass es nicht bei einmaligen Mobilisierungen großer Verbände und Organisationen bleibt: Es braucht eine praktische Verzahnung von größeren Mobilisierungen, die Hoffnungen machen, mit langfristigen Organisierungsprozessen an der Basis – wie sie etwa „Genug ist Genug“ bundesweit anstrebt. Und dafür müssen wir auch, wie einige von Euch stark gemacht haben, mit der Ritualisierungen dessen, was linken Protest oft auszeichnet und wie wir schnell und immer wieder an Organisierung herangehen, brechen und uns auf neue Formen und Experimente einlassen. Davon ist niemand ausgenommen.

Voraussetzung für die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Dynamik von links ist zugleich aber auch, dass DIE LINKE sich verändert. Es gibt zu Recht einen tiefen Frust gegenüber der LINKEN, wie sie gerade ist und sich öffentlich darstellt. Für einige von Euch ist erscheint DIE LINKE gerade sogar nicht mehr als ein verlässlicher Bündnispartner sozialer Bewegungen. Das tut weh. Denn alle von euch haben die Notwendigkeit einer linken, progressiven Partei geteilt, die auch jene Bereiche der Gesellschaft einbezieht, die aktive Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen seltener erreichen.  In ihrem aktuellen Zustand jedoch fällt es der LINKEN schwer, eine produktive Rolle einzunehmen beim Versuch, gemeinsam Druck auf die Ampel für eine gerechtere, friedlichere und ökologischere Politik aufzubauen. Da hilft es offenbar auch wenig, dass die übergroße Mehrheit der Partei, in Landesregierungen oder ihren entsprechenden Beschlüssen auf Bundesparteitagen für eine klare Positionierung stehen (z.B. für Sanktionen gegen Putins Machtapparat und die Verurteilung des russischen Angriffskrieges). Und obwohl die LINKE weiterhin oft die einzige Partei ist, die eine fortschrittliche Kritik an der Regierung ins Parlament trägt. Das wir in der LINKEN unseren inneren Konflikt lösen müssen, ist „angekommen“.

Sicher scheint uns vor diesem Hintergrund: Die kommenden Monate werden entscheidend – für die weitere Entwicklung der LINKEN wie für die gesellschaftliche Dynamik als Ganzes.

  • Wir sehen uns auf der Straße – ob am 15.10. in Leipzig, Apolda oder Potsdam, am 22.10. in den sechs Städten, und am 29.10. in HH und drüber hinaus.
  • Offene Frage ist dabei: wo fließen die Erfahrungen aus den Protesten „die Vielen“ im Herbst zusammen, wie können wir gemeinsam daraus lernen und im Winter vielleicht dann auch in neuen  Konstellationen über gemeinsame, mit dem Ritual brechenden Protestformen, gute Zuspitzungen und klare Inhalte, die eine reale Durchsetzungsperspektiven haben, arbeiten?

Wir nehmen diese Fragen mit in die kommenden Wochen und werden versuchen sie, gemeinsam im politischen Handgemenge und den nächsten Austauschen zu beantworten.

Solidarische Grüße und euch allen einen langen Atem,

Corinna, Kerstin, Kenja, Tim und Jan

 

 

 

 

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