Zum Hauptinhalt springen
Katja Kipping, Bernd Riexinger, Jörg Schindler und Harald Wolf

Für eine solidarische Zukunft nach Corona

Vorschläge zur strategischen Positionierung der LINKEN

von Katja Kipping, Bernd Riexinger, Jörg Schindler und Harald Wolf, Mai 2020
 

Die Corona-Pandemie ist schon jetzt eine Zeitenwende. Covid-19 ist eine Pandemie, die an keiner Grenze haltmacht. Sie verdeutlicht wie kaum ein Ereignis zuvor: Die Welt, wie wir sie kennen, ist aus den Fugen geraten. Knapp ein Drittel der Erdbevölkerung, also ca. 2,6 Milliarden Menschen, lebte allein Ende März in einer Ausgangssperre. Ein einmaliger Vorgang. Ein unsichtbares Virus legt die uns vertraute Welt still. Es ist ein Ereignis von historischer Tragweite, das uns allen ein Umdenken auferlegt. Die Corona-Krise ist eine globale und gesamtgesellschaftliche Krise. Aus dieser kann uns nur ein sozialökologischer Systemwechsel herausführen: Es gilt, die gesellschaftlichen Spaltungen zu überwinden, die epochale Weltwirtschaftskrise zu bewältigen und dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Die Corona-Pandemie zeigt uns auf dramatische Weise, wie soziale Gerechtigkeit, Gesundheit, Klimaschutz und Frieden zusammengehören.

Wir stehen vor einer Rezession historischen Ausmaßes. Allein Europa droht einen wirtschaftlichen Schock zu erleben, wie es ihn seit der großen Depression nicht mehr gegeben hat. In den USA erfasst die Erwerbslosigkeit mehr Amerikaner*innen als in den 1930er Jahren. Auch für Deutschland müssen wir mit der größten Rezession seit der Nachkriegszeit rechnen. Wir gehen von ökonomischen Verwerfungen und beinharten Verteilungskämpfen aus. Diese verlangen von allen linken und fortschrittlichen Kräften ein beherztes Auftreten und möglichst gemeinsames Vorgehen.

Es ist eine Binsenweisheit: Armut macht krank, und die berechtigte Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes ist nicht gesund. Eine Maske kann – richtig angewandt – vor dem Corona-Virus schützen, aber eben nicht vor Armut und Abstiegsangst. Genau hier muss jede sozial verantwortliche Politik beginnen: Wie kann es gelingen, unsere Gesellschaft aus dieser Krise herauszuführen? Die Linke kann hier im Zusammenspiel mit vielfältigen anderen gesellschaftlichen Akteuren und Bewegungen ein solidarischer Lotse sein. Möglich ist das, wenn es uns gelingt, soziale Gerechtigkeit und demokratische Freiheit zu verbinden.

In gesellschaftlichen Umbruchphasen wie diesen zeigt sich, inwieweit eine linke Partei lebendig und aktiv ist. DIE LINKE ist in vielen Auseinandersetzungen verwurzelt, sie ist aktiv in Kampagnen gegen Pflegenotstand, für den Mietendeckel, gegen Rassismus, für kostenfreien ÖPNV und bessere Lebensbedingungen auf den Land, für die Rekommunalisierung und Wiederaneignung von öffentlichem Eigentum. Sie hat wahrnehmbar die Forderung nach einer Pflegezulage von 500 Euro als Einstieg in eine grundsätzlich bessere Bezahlung stark gemacht. DIE LINKE ist an drei Landesregierungen beteiligt und stellt einen Ministerpräsidenten. Hier, zum Beispiel beim Berliner Programm für Kunstschaffende oder beim Schutzschirm für Wohnungslose, zeigt sie gerade auch in der Corona-Krise, dass es einen sozialen und demokratischen Unterschied macht, wenn fortschrittliche Parteien gemeinsam regieren. Die Linksfraktion streitet im Deutschen Bundestag wie keine andere Partei für soziale Gerechtigkeit, demokratische Freiheitsrechte und eine konsequente Friedenspolitik. Mehr denn je geht es jetzt darum, unsere Kräfte zu bündeln und um einen Richtungswechsel  zu kämpfen.

Corona hat gezeigt: Die alten Rezepte des Marktfundamentalismus kosten Leben und „der Markt“ kann eine Gesellschaft nicht retten. Privatisierung und Deregulierung haben sich als unfähig erwiesen, im notwendigen Maße Güter und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Die ökonomische Form des Neoliberalismus ist in keiner Weise krisenfest.

 

Viele private Unternehmen müssen derzeit durch massive staatliche Hilfen selbst gerettet werden (manche nutzen auch nur die Gelegenheit).

Auch deshalb gilt es, für einen gesellschaftlichen Neuanfang unter veränderten Prämissen zu streiten.  Corona zeigt:

  • Wir brauchen einen starken öffentlichen Sektor mit guter Arbeit, Mitbestimmung, betriebs- und wirtschaftsdemokratischen Elementen, die flexibel auch auf veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse reagieren können.
  • Wir brauchen den Ausbau und die Demokratisierung des Sozialstaates, der sowohl allen hier lebenden Menschen individuell und in allen Lebenslagen soziale Garantien und Sicherheit bietet, als auch die soziale Basis für die Verteidigung der Demokratie schafft.

Die Corona-Krise stellt uns als Partei mit ihren Einschränkungen im öffentlichen Leben vor besondere Herausforderungen. Linke Politik braucht den öffentlichen Raum wie die Luft zum Atmen. Eine linke Partei sucht das direkte Gespräch mit den Menschen. Sie spricht im Bundestag wie bei Streiks oder auf Demonstrationen. Deshalb schmerzen uns die aktuellen Einschränkungen in jeder Hinsicht. Eine Videokonferenz ersetzt kein zwischenmenschliches Gespräch und ein Online-Protest ist eben doch keine Demonstration im öffentlichen Raum. Dennoch führen wir unseren im Herbst 2019 begonnenen Strategieprozess weiter. Es besteht enormer Diskussionsbedarf zur inhaltlichen Klärung offener Fragen und um die weitere Richtung unserer Politik. Das zeichnet uns als lebendige linke Partei aus.

Schon vor Corona haben wir gesagt: Wir befinden uns inmitten eines gesellschaftlichen Umbruchs. Wirtschaftlich deutete sich bereits vor Corona eine Rezession an, die Aufschwungsphase nach der Wirtschaftskrise von 2008 ging zu Ende. Elektromotorisierung und Digitalisierung haben schon vor Corona neue Rationalisierungs- und Transformationsprozesse eingeleitet. Die Parteienlandschaft kam in Bewegung. Die Klimakrise stellte die vorherrschende globale Wirtschafts- und Lebensweise grundsätzlich in Frage. Inmitten dieser wirtschaftlichen Umbruchphase breitet sich die Corona-Pandemie weltweit aus. Sie wirkt wie eine Vollbremsung auf der Überholspur. Die globale Realwirtschaft wurde angehalten, Lieferketten pulverisierten sich und nahezu alle Länder sind direkt oder indirekt Leidtragende der Krise. Das Corona-Virus ist kein isoliertes Naturereignis. Schon jahrelang warnen Biolog*innen, Virolog*innen und Ökolog*innen vor neuen und vermehrt auftretenden gefährlichen Infektionskrankheiten. Die kapitalistische Hyperglobalisierung und der Ressourcenabbau führen in einer Welt endlicher Ressourcen und begrenzt belastbarer Ökosysteme nahezu zwangsläufig in Katastrophen, wie wir sie jetzt erleben. Der Begriff des „externen Schocks“ führt deshalb in die Irre. Epidemien haben auch mit der Abholzung der Wälder, dem Raubbau an der Natur, aber auch schwachen öffentlichen Gesundheitssystemen zu tun. Das gilt für die SARS-Pandemie der Jahre 2002 und 2003, die in China ihren Ausgang hatte. Das gilt für die Ebola-Epidemie in den Jahren 2014 und 2015 in Westafrika. Und es gilt für Corona. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Wir haben es mit einer globalen Pandemie zu tun, die weltumspannende Lieferketten unterbrochen und Wirtschaftskreisläufe (teilweise) zum Erliegen gebracht hat.  

Die Antwort der Bundesregierung auf die zuvor unterschätzte Gefahr der Corona-Pandemie waren radikale Kontaktbeschränkungen, die wie nie zuvor in unsere Grundrechte eingriffen. Das Recht auf Versammlung im öffentlichen Raum wurde stark eingeschränkt und nahezu jede soziale Mobilität und Begegnung unterbrochen. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind dramatisch. Die Corona-Pandemie übertrifft die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09. Aber anders als damals war nicht der Finanzsektor der Auslöser der Krise. Mit dem Lockdown wurden viele wirtschaftliche Aktivitäten in ein künstliches Koma versetzt. Schon jetzt sind die Folgen für Millionen Menschen spürbar. Ca. 10 Millionen Beschäftigte wurden in Kurzarbeit geschickt, zum Teil mit erheblichen Lohneinbußen. Die Erwerbslosigkeit steigt. Zahlreiche Soloselbständige, Kunstschaffende und Kleinunternehmen verlieren ihre Existenzgrundlage.

Allerdings stellen wir eine Differenz zu vorangegangenen Krisen fest: Schneller als jemals zuvor sind billionenschwere Rettungsschirme aufgestellt worden, um Massenarbeitslosigkeit, Firmenzusammenbrüche und Finanzkrisen zu verhindern. Laut IWF wurden weltweit bereits Maßnahmen im Umfang von rund 8 Billionen Dollar auf den Weg gebracht. Die G20-Staaten haben allein 7 Billionen mobilisiert. In Deutschland summieren sich die haushaltswirksamen Leistungen auf 353 Milliarden und die staatlichen Garantien auf 820 Milliarden. Ein großer Teil davon kommt privaten Großbetrieben und Konzernen zugute, die in den letzten Jahrzehnten außerordentlich hohe Gewinne gemacht haben – und zum Teil noch machen. Ungeniert kassieren zum Beispiel VW und Daimler Kurzarbeitergeld in dreistelliger Millionenhöhe und zahlen trotzdem Dividende an ihre Aktionäre aus. Laut einer Anfrage der Linksfraktion haben alle 30 DAX-Unternehmen Beteiligungen in Steueroasen. Die Konzerne werden alles dafür tun, um die Verluste auf den Staat und ihre Belegschaften abzuwälzen.

Die Auswirkungen der Krise treffen die Staaten in der EU und im Euroraum unterschiedlich stark. Italien, Spanien, Griechenland droht ein Absturz der Wirtschaftsleistung nach einer Prognose der EU-Kommission von mehr als 9 Prozent, Frankreich von über 8 Prozent, während Deutschland mit einem Minus von 6,5 Prozent rechnen muss. Damit werden die Ungleichgewichte in der EU noch größer. Klaus Busch (Professor i. R. für Europäische Studien) warnt vor einer Existenzkrise der EU in Folge der Pandemie. Die Krise trifft die Länder am stärksten, die wie Italien, Spanien und Griechenland besonders unter den Folgen der Austeritätspolitik der EU leiden mussten. Und mit Frankreich trifft es die zweitstärkste Volkswirtschaft in der EU. Wie schon während der Eurokrise hat Deutschland auch in der gegenwärtigen Krise zusammen mit den Niederlanden finanzpolitische Solidarität mit den von der Krise besonders stark getroffenen Ländern verweigert, die Forderung nach Cornona-Bonds blockiert und eine Politik des „Germany First“ verfolgt.  Politisch hat die Krise die Spaltungslinie zwischen den süd- und nordeuropäischen Staaten nochmals vertieft. Ihre Fortsetzung spielt rechtsextremen Kräften wie Salvini, Le Pen und Vox in die Hände. In Ungarn und Polen hatten die rechten Regierungen unter dem Vorwand der Krise parlamentarische Rechte suspendiert und die Unabhängigkeit der Justiz beseitigt. Renationalisierungstendenzen und die ungelösten Strukturprobleme der Eurozone blockieren eine adäquate Antwort auf die Krise.

So bleibt das Maßnahmepaket der EU weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Die Finanzkraft des ESM ist angesichts der Tiefe der alle EU-Staaten erfassenden Krise viel zu gering. Mit der von der Niederlande erzwungenen Beschränkung der Leistungen auf gesundheitspolitische Maßnahmen geht er an den Erfordernissen einer wirtschaftlichen Stabilisierung vorbei. Kredite aus dem ESM erhöhen zudem die Schuldenlast für bereits hochverschuldete Staaten wie Italien, Spanien, Griechenland und auch Frankreich. In Ländern wie Italien und Spanien wächst die Enttäuschung und Wut über die EU, weil gerade die Bundesregierung erneut Staatsanleihen in Form von Corona-Bonds blockiert. So wird die Europäische Union nicht gerettet, sondern will sich die Merkel-Regierung auf Kosten von Europa retten. Entsprechend sinkt das Vertrauen in die europäische Idee in dramatischem Maße. Ob sich daran etwas ändert, ist auch eine Frage unseres Tuns. Darum wird es in den nächsten Monaten gehen: Gegen den ökonomischen Nationalismus der Bundesregierung und für europäische Solidarität zu streiten.

Die Staatsverschuldung wird in allen Ländern steigen. Nach der bisherigen Lage würde nach der Corona-Krise der Zwang der Schuldenbremse und des Europäischen Stabilitätspakts wieder greifen. Was jetzt den Unternehmen an Hilfen gezahlt wird, müsste dann aus den öffentlichen Haushalten gegenfinanziert werden. Die Frage wird daher sein: Wer trägt die Kosten der Krise? Gelingt es progressiven Kräften im Verbund mit Gewerkschaften und Sozialverbänden, dass Superreiche und Vermögende – zum Beispiel mit einer Vermögensabgabe – an den Kosten der Krise beteiligt werden, oder werden die Krisenlasten auf den Schultern der Lohnabhängigen, Rentner*innen und Erwerbslosen abgeladen? Die Finanzierung eines (europäischen) Konjunkturprogramms muss durch die EZB unterstützt werden und einen Teil der Staatsschulden in ihre Bilanz nehmen. In Ländern wie den USA oder Japan ist es normal, dass die Zentralbanken die Regierungen bei der Finanzierung ihrer Haushalte unterstützen. Auch jetzt schon kann die EZB vertragskonform die Emission großer Mengen an Corona-Bonds mit langen Laufzeiten durch die Europäische Investitionsbank absichern und dadurch den europäischen Staaten den nötigen finanziellen Handlungsspielraum verschaffen.

 

 

LINKE Aufgaben

1. Ein sozialer Schutzschirm für alle

DIE LINKE steht an der Seite an der Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentner*innen. Wir machen Druck für einen sozialen Schutzschirm, der alle schützt.

So fordern wir:

  • ein Kurzarbeitergeld von 90 Prozent,
  • einen Corona-Zuschlag von 200 Euro im Monat auf die Sozialleistungen,
  • ein Corona-Überbrückungsgeld für Kleinstunternehmen, Kunstschaffende und Soloselbstständige und Minijobbende,
  • Mietmoratorium und Kündigungsschutz,
  • bedarfsdeckende Finanzierung der Krankenhäuser und Zulagen in der Pflege als Einstieg in höhere Gehälter,
  • Kredite und Hilfen für Selbstständige.

Wir vertreten die Interessen der Arbeiter*innenklasse, der Ausgegrenzten und Marginalisierten.

Wir haben erfolgreich Druck gemacht, und die Bundesregierung musste einige unserer Forderungen teilweise übernehmen (Mieterschutz, Erhöhung des Kurzarbeitergeldes, Zulagen in der Pflege). DIE LINKE ist seit Jahren aktiv im Kampf für bessere Bedingungen in der Pflege und für ein besseres Gesundheitssystem. Gerade in den kommenden Verteilungskämpfen ist das wichtig.

Unser Auftrag lautet auch weiterhin: Die Verteidigung all jener, die schuften und sich abrackern, die sich wenig oder nichts leisten können und die sich nicht mehr repräsentiert fühlen. Bei ihnen dürfen die Kosten der Krise auf keinen Fall  abgeladen werden. Gleichzeitig wissen wir: Diesen ureigenen Auftrag jeder linken Partei können wir nur erfüllen, wenn wir mit der Verteidigung der sozialen und demokratischen Interessen auch die Frage einer alternativen gesellschaftlichen Ordnung auf die Tagesordnung setzen. Deshalb formulieren wir bei unserer Interessenvertretung immer auch einen unmissverständlichen Veränderungsanspruch: Den Interessen des Kapitals Grenzen setzen und diese zurückdrängen, der gerechten Gesellschaftsordnung schrittweise zur Durchsetzung verhelfen. Denn diejenigen, die seit Jahrzehnten ausgeplündert werden und die unter dem zu erwartenden Wirtschaftsschock am meisten zu leiden haben, reichen weder Trost noch radikale Worte. Sie brauchen spürbare Veränderungen, die ihr Leben würdevoller und sicherer machen.  

 

2. Die Gleichheit der Menschen verteidigen: gegen Diskriminierung von Alten und Geflüchteten

In den Debatten um Lockerungen wird immer wieder die unheilvolle Idee propagiert, „Risikogruppen“ zu isolieren oder das Leben älterer Menschen als weniger schützenswert anzusehen. DIE LINKE lehnt diese Ansätze kategorisch ab. Diese Vorstöße sind ein böses Gift in unserer Gesellschaft. Bereits vor Corona gab es eine strukturelle Altersdiskriminierung. Sie zeigt sich in der Art und Weise, wie ältere Menschen im Job missachtet werden, wie unsere Altenheime und der Lebensabend überhaupt ökonomisiert wurden, wie die Rente oftmals nicht den Lebensstandard sichert. Wer jetzt der Meinung ist, dass ältere Leute zu Hause bleiben sollten, damit die Wirtschaft wieder in Gang kommt, vergeht sich nicht nur an der Lebensleistung der Betroffenen, sondern macht das Alter zum Risiko statt die rücksichtslose Ökonomisierung des Lebensabends in Frage zu stellen.

Überall, wo Menschen auf engem Raum untergebracht sind, ist das Infektionsrisiko besonders groß. Der Pflegenotstand in den Altenpflegeeinrichtungen ist katastrophal. Hart trifft es auch die Geflüchteten. Vielfach sind Sammellager, wie im baden-württembergischen Ellwangen, schon zu Infektionsherden geworden. Genauso entschieden kritisieren wir den rechtswidrigen Umgang mit den Flüchtlingen auf den griechischen Inseln und fordern humanitäre Sofortmaßnahme durch die Aufnahme von 10 000 Geflüchteten. Diese Lager müssen evakuiert und die Menschen in die europäischen Länder verteilt werden. Leave no one behind – niemanden zurücklassen!

 

3. Politische Grundrechte verteidigen

Das Virus zu stoppen bedeutet ausdrücklich nicht, dass der Infektionsschutz als Vorwand missbraucht wird, um pauschal politischen Protest und demokratische Grundrechte, wie die Versammlungsfreiheit, auszusetzen oder arbeitsrechtliche Standards wie den 8-Stunden-Tag auszuhebeln. Inzwischen entwickeln die verschiedenen Initiativen Protestformen, die deutliche Botschaften setzen und trotzdem mit Infektionsschutzregeln vereinbar sind. So setzte Fridays for Future statt auf eine Demo von vielen auf ein starkes Bild mit unzähligen selbstgestalteten Plakaten auf der Wiese vorm Bundestag. Gerade angesichts der bevorstehenden harten Verteilungskämpfe, die uns bevorstehen, sind eine aktivierte Zivilgesellschaft und eine lebendige Protestkultur wichtig. Als LINKE organisieren und unterstützen wir deshalb unter strenger Berücksichtigung des Infektionsschutzes politische Aktionen im Netz und auf der Straße, zum Beispiel zum Tag der Pflege, für Frieden und Abrüstung, gegen Rassismus, für internationale Solidarität oder für bezahlbares Wohnen.

 

4. Für eine solidarische Gesellschaft kämpfen, sozial-ökologischen Systemwechsel vorantreiben

Jetzt wird entschieden, wie diese Krise aufgelöst wird. Jetzt wird entschieden, wer profitieren wird, wer die Folgen tragen und die Kosten bezahlen muss. Der Klimaschutz darf nicht wieder nur auf der Reservebank sitzen. Denn die Gelder, die jetzt für Investitionen freigemacht werden, können kein zweites Mal ausgegeben werden. Sie müssen den sozial-ökologischen Umbau und die Wirtschaftsdemokratie voranbringen. Staatliche Hilfsgelder und notwendige Investitionen müssen wir sinnvoll miteinander verbinden, damit nicht nur der krisenverursachende bzw. krisenanfällige Status quo wiederhergestellt wird, sondern unsere Gesellschaft in eine neue Betriebsweise überführt wird. Deshalb müssen staatliche Hilfsgelder an strukturbestimmende und für den sozial-ökologischen Umbau bedeutsame Unternehmen mit dem Erwerb von Eigentumsrechten und dem Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen verbunden werden bis hin zu einer möglichen Vergesellschaftung. Investitionen wiederum sollen vorrangig den Einstieg in ein sozial-ökologisches öffentliches Wirtschaften sowie der Ausweitung betriebs- und wirtschaftsdemokratischer Gestaltung dienen, etwa über regionale Wirtschaftsfonds mit Regionalräten, der Stärkung von Belegschafts- und öffentlichem Eigentum, zum Beispiel der Kommunen.  Auch auf unserer Kasseler Strategiekonferenz im Februar 2020 wurde deutlich, dass die Verbindung von sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz einen wesentlichen Kern linker Politik ausmacht. Wir haben hier als LINKE unterschiedliche Schwerpunkte, aber uns eint das Wissen um den gesellschaftlichen Zusammenhang von sozialer Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit. Nur wenn sich Klimaschutz alle leisten können, ist er gerecht und kein Privileg der Besserverdienenden.

 

Drei mögliche Zukunftspfade

Der globale Kapitalismus war schon vor der Pandemie im Umbruch und der Neoliberalismus in einer Legitimationskrise. Dabei zeichnen sich drei mögliche Pfade ab:

 

Erstens: Herausbildung eines autoritären Kapitalismus

In Ländern wie den USA, Großbritannien, Ungarn, Türkei oder Polen, aber auch in Indien und Brasilien, sind autoritäre, nationalistische Regierungen die rechte Antwort auf die neoliberale Ära. Sie verbinden nationalistisch-exklusive Wohlstandsversprechen mit Ausgrenzung von bestimmten ethnischen oder religiösen Bevölkerungsgruppen, mit Abgrenzung gegenüber Migranten*innen und Geflüchteten. Sie begründen ihre Siege bei Wahlen nicht nur mit dem Versprechen der Rückkehr einer besseren Vergangenheit, sondern auch mit den real erlittenen Erfahrungen der sozialen Verrohung und kulturellen Verluste im Zuge der neoliberalen Globalisierung. Bislang konnte die alte und die neue Rechte in Deutschland nicht von der Corona-Krise profitieren. Das ist gut so und umso mehr gilt es, all jenen aufklärerisch zu begegnen, die tatsächlich glauben, dass sich hinter der Corona-Pandemie ein geheimer Plan zur Erringung der Weltherrschaft verbergen würde. Zugleich gilt: Die nationalistische Antwort auf die Krise des Neoliberalismus verkennt, dass die Welt bereits umfassend und unauflösbar miteinander verbunden ist – sozial, wirtschaftlich, auch ökologisch. Folglich können die Probleme auch nur in solidarischer Kooperation, nicht aber „in einem Land“, schon gar nicht „für unser Volk“ gelöst werden. 

 

Zweitens: Modernisierung des Kapitalismus

Auf diesem Pfad – in Frankreich wird er durch Macron verkörpert, hierzulande steht Schwarz-Grün dafür –  werden die Leittechnologien und Produktlinien umgebaut. Klimaschutz wird in unterschiedlicher Weise – kommunikativ oder materiell – Bezugspunkt dieser Modernisierung. Grundlagen der Marktwirtschaft, der Eigentumsformen oder das Exportmodell Deutschland werden nicht in Frage gestellt. Auch Niedriglöhne und prekäre Arbeit, billige Arbeitskraft auf den Weltmärkten werden nicht in Frage gestellt. Die internationale Arbeitsteilung bleibt unverändert, ebenso die strukturelle Ausbeutung der Ressourcen im globalen Süden. Die Handelsbeziehungen sollen stärker reguliert und Kompromisse einkalkuliert, Interessen nicht einfach mit dem Recht des Stärkeren durchgesetzt werden. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass die nötige Infrastruktur (Ladestationen, digitale Infrastruktur, usw.) aufgebaut und – mittels der öffentlichen Haushalte – finanziert wird. Dieses Modell ist mit staatlicher Regulierung und Investitionen als Übernahme der Kosten der Innovation durch den Staat verbunden. Diese Linie findet sich auch in den Forderungen der Industrie nach Staatshilfe in der Corona-Krise.

Die ökologische Ausrichtung eines solchen grün modernisierten Kapitalismus soll mit marktwirtschaftlichen Wettbewerbselementen, etwa Öko-Steuern und CO2-Bepreisung, erreicht werden.  Grundsätzlich gehen die Anhänger*innen dieses Kurses davon aus, dass die Modernisierung nicht gegen die Konzerne durchgesetzt werden muss, sondern in kooperativer Zusammenarbeit und auf Basis von Markt und Wettbewerb. Verteilungskämpfe werden hierbei jedoch ausgeklammert oder zu Lasten der ärmeren Schichten entschieden. Es droht latent die Wiederkehr eines neoliberalen Marktmodells mit grünen Aspekten. Verlierer*innen dieses Modells sind die, die sich Ökologie als Wettbewerb unter dem Regime von Preis und Markt potenziell nicht leisten können.

 

Drittens: Sozial-ökologischer Systemwechsel oder: Für einen linken Green New Deal

DIE LINKE steht für eine Alternative zum autoritären wie zum grün-modernisierten Kapitalismus. Wir verbinden den Kampf um soziale Gerechtigkeit mit konsequentem Klimaschutz, Demokratie und Frieden. Wir stehen für ein neues, sozial gerechtes und klimagerechtes Wohlstandsmodell, das die Lebensqualität verbessert.

Elemente eines solchen Projektes sind:

  • Ein ehrgeiziges Investitionsprogramm in die soziale Infrastruktur und den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. So schaffen wir zugleich die Infrastruktur für ein besseres Leben und eine krisenfestere Gesellschaft. Mit dem Aufwuchs der öffentlichen Daseinsvorsorge und kollektiver Mobilität/ÖPNV entstehen Millionen neue Arbeitsplätze.
  • Sinnvolle Arbeit, kürzere Arbeitszeiten und Löhne, die für ein gutes und sicheres Leben reichen. So können wir auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zurückdrängen, indem wir alle wirklich gesellschaftlich notwendigen („systemrelevanten“) Berufe anerkennen und die Arbeit auch zwischen den Geschlechtern gerechter verteilen können.
  • Soziale Sicherheit für alle. Alle garantiert vor Armut schützen. Den Sozialstaat durch soziale Garantien verstärken und alle Menschen wirksam gegen die Risiken von Krankheit und Erwerbslosigkeit schützen, einen guten Lebensstandard für alle in allen Lebenssituationen, vor allem aber auch im Alter garantieren.
  • Gerechter Klimaschutz. Im Zentrum stehen hier der Ausstieg aus der Kohle, der Ausbau der regenerativen Energien, eine ökologisch nachhaltige Mobilitätswende, der Umbau der Landwirtschaft und energetische Gebäudesanierung. Dabei muss DIE LINKE lokal und global denken. Es geht auch um die Verantwortung der globalen Wirtschaftszentren gegenüber den globalen Armutsregionen. Wir benötigen eine neue Weltwirtschaftsordnung, die verantwortlich und nachhaltig mit dem Ressourcenverbrauch umgeht, Fluchtursachen zurückdrängt und Klimagerechtigkeit herstellt.
  • Ökologische Transformation der Industrie mit Konversion klimaschädlicher Industrien, einer Arbeitsplatz- und Einkommensgarantie und mehr Demokratie in der Wirtschaft.
  • Umverteilung von Einkommen und Vermögen ist eine zentrale Voraussetzung dieses Projektes. Es geht nicht nur um die stärkere Belastung der Reichen, Vermögenden und Kapitalbesitzer, vielmehr um ein gesellschaftliches System der Verteilungsgerechtigkeit und der Herausbildung neuer Eigentumsformen. Gesellschaften mit geringerer Ungleichheit schaffen mehr Innovationen und ermöglichen ein besseres Leben für die Vielen.

Für all das braucht es solidarische Kämpfe und politische Mehrheiten. Wir sind davon überzeugt, dass es gerade jetzt möglich ist, für diese Perspektive ein Fenster in der Gesellschaft zu öffnen. Das Bewusstsein, dass es so nicht bleiben kann und darf, ist längst da. Gerade DIE LINKE ist in der Lage, diese Elemente zu einem neuen gesellschaftlichen Projekt  zusammenzuführen. Wir wollen die Auseinandersetzung und die Kämpfe für ein solches Projekt  mit dem Einstieg in einen demokratischen Sozialismus verbinden, der die gleichberechtigte soziale Teilhabe für jede und jeden ermöglicht und die Bedingungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit schafft. Mit einem Produktions- und Lebensmodell, das in Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen steht.

 

Ansatzpunkte in und nach der Corona-Krise

In der Corona-Krise ist deutlich geworden, welche Berufe und Tätigkeiten für die Gesellschaft besonders wichtig und versorgungsrelevant sind. Und es ist deutlich geworden, welche brutale Verwüstung die neoliberale Politikzum Beispiel im Gesundheitswesen angerichtet hat. Es ist im Alltag präsenter denn je, dass Privatisierung und herbeigesparter Pflegenotstand eine wesentliche Ursache für den Zustand im Gesundheitswesen sind. Die Corona-Pandemie verdeutlicht, dass Profit und Wettbewerbslogik einer vorsorgenden Gesundheitsversorgung im Wege stehen. Unser Konzept eines nach dem Bedarf ausgerichteten Gesundheitssystems mit öffentlichen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, ausreichendem Personal, besserer Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen, finanziert durch eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung, wird unterstützt und ist geeignet, breite Bündnisse mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Patientenorganisationen zusammenzubringen.

Das Gesundheitswesen steht exemplarisch für die Gesamtheit der öffentlichen Gemeingüter, wie Bildung, Kultur, Erziehung, Wohnen, öffentlicher Verkehr, Strom- und Wasserversorgung. Sie müssen in öffentlichem, gemeinnützigem oder genossenschaftlichem Eigentum organisiert werden, unter demokratische Kontrolle und am Bedarf ausgerichtet. Damit verbunden ist ein neues Wohlstandsmodell, eine neues Verständnis von gesellschaftlichem und individuellem Wohlstand: Der gebührenfreie, für alle gleichberechtigte Zugang zu einem ausgebauten Gemeinwesen wird den Wohlstand und die Lebensmöglichkeiten aller verbessern. Das neue, soziale Wohlstandsmodell orientiert sich nicht einfach am BIP oder am Wachstum von Kapital und Profit. Wir brauchen darüber hinaus andere Parameter der Zufriedenheit und des gesellschaftlichen Glücks. Zum Beispiel soziale und ökologische Nachhaltigkeit, die (niedrige) Spreizung von Einkommen, einen (niedrigen) Gini-Koeffizienten als Maßstab für Ungleichheit, die (niedrige) Quote von prekärer Beschäftigung und Löhnen unterhalb der Niedriglohngrenze, die (verringerte) Zahl der Erschöpfungsdepressionen, der gleiche Zugang zu Bildung, die Elternunabhängigkeit des beruflichen Aufstiegs. Nicht zufällig sind das nicht allein im engen Sinne wirtschaftliche Faktoren, sondern solche, die die menschlichen und gesundheitlichen Kosten – und Zugewinne – des Wirtschaftens einbeziehen.

Wir haben das verschiedentlich als „Infrastruktursozialismus“ bezeichnet. Der Begriff war in der LINKEN nicht immer oder nicht bei allen beliebt. Zwischenzeitlich wird dieser Begriff von Wissenschaftlern wie Nachtweih oder Heckl aufgegriffen. Wolfgang Streeck spricht von Infrastrukturen als „Fundamentalökonomie“, die anderes Wirtschaften erst ermöglicht – und um die die regionale Wirtschaft kreisen müsste. Wir können es auch eine universelle Grundversorgung nennen, auf die alle Bürger*innen ein Recht haben.

Der Stand der Produktivkräfte, der Reichtum unserer Gesellschaft würde längst ermöglichen, dass das Leben nicht um die Arbeit kreist, sondern die Arbeit um das Leben. Der Kampf um kürzere Arbeitszeiten war immer auch ein kultureller: Es geht um die Eroberung selbstbestimmter Zeit, um ein anderes gleichberechtigtes Verhältnis der Geschlechter, um Emanzipation.

Basis eines solchen Modells sind sichere Arbeitsplätze, die gut bezahlt werden, tariflich reguliert sind, betriebliche Mitbestimmung garantieren und sinnvolles Arbeiten ermöglichen. Viele haben in der Corona-Krise ihren Dank und ihrer Anerkennung wichtiger Beschäftigungsgruppen, wie Verkäufer*innen, Postboten, Logistik und Pflege, durch Beifallklatschen ausgedrückt. Diejenigen allerdings, die für bessere Löhne und Tarifverträge sorgen können, dürfen sich nicht hinter preiswertem Lob verstecken. In der Krise ist das Selbstbewusstsein der Beschäftigten gewachsen – es könnte in bessere Organisierung und Kampfbereitschaft umschlagen. Wir wollen das befördern.

Wie wichtig Sozialsysteme sind und wie schmerzhaft das Fehlen von sozialen Garantien ist, hat die Corona-Krise verdeutlicht. In Ländern ohne Kurzarbeitergeld und ohne allgemeine Krankenversicherung, wie den USA, steigen die Krankheits- wie auch die Erwerbslosenzahlen sprunghaft an und Millionen fallen in extreme Not, auch ethnische Spaltungen vertiefen sich. Die Schlangen an den Suppenküchen und Lebensmittelausgaben werden länger und länger. Auch bei uns ist plötzlich deutlich geworden, wo überall Lücken unseres Sozialstaates durch Tafeln, Suppenküchen und die alltäglichen Hilfen im Alltag gestopft werden – und wie existenziell es für die Betroffenen ist, wenn die plötzlich wegfallen. Deshalb muss der Sozialstaat ausgebaut und für alle zugänglich, damit tatsächlich krisenfest gemacht werden. Die Angriffe der Kapitalverbände und ihrer politischen Lobbyisten auf die öffentlichen Kassen werden nicht lange auf sich warten lassen.

Wir können es drehen und wenden: Die Bewältigung der Klimakrise und die Verhinderung der Erderwärmung über 1,5 Grad bleibt auch nach Corona eine historische Ausgabe. Diese ist ohne einen grundlegenden sozial-ökologischen Systemwechsel nicht zu bewältigen. Die sozial-ökologische Transformation ist die zentrale Herausforderung unseres Jahrhunderts. Sie wird ohne eine weitgehend Emissions-neutrale Ökonomie nicht zu haben sein. Dafür braucht es auch eine Demokratisierung der Wirtschaft selbst und damit auch Eigentumsstrukturen, die öffentliche, genossenschaftliche und belegschaftseigene Beteiligung garantieren, oder wie es Hans-Jürgen Urban sagte: „Nicht Privatkapitalismus, sondern Wirtschaftsdemokratie lautet die Perspektive“.

Die Kosten eines solchen Umbaus sind enorm. Die Forderungen nach Investitionsprogrammen setzen bereits ein. DIE LINKE will diese Investitionen für den Ausbau der öffentlichen und sozialen Infrastruktur sowie für den klimagerechten Umbau der Wirtschaft verwenden. Das wird einhergehen mit dem Kampf um stärkere Besteuerung der Superreichen und Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Es stehen harte Verteilungskämpfe bevor. DIE LINKE kann hier eine wichtige Funktion in der Verbindung und Organisierung einnehmen: Eine verbindende Klassenpolitik entwickeln und den Begriff der Solidarität inklusiv fassen.

Ein sozialökologischer Spurwechsel, ein linker Green New Deal, wird nur gegen die geballte Macht der großen Konzerne und gegen die Kapitalverwertungsinteressen der ökonomisch Mächtigen durchzusetzen sein. Keine Partei schafft das alleine, vielmehr brauchen wir breite Allianzen des Gemeinsamen, ein neues Solidarversprechen der Gesellschaft selbst. Dies auszuarbeiten ist Aufgabe aller progressiven Kräfte in unserer Gesellschaft: die Gewerkschaften und Sozialverbände, die Kirchen und die Umweltverbände, die Zivilgesellschaft wie die Klimaschutzbewegung und die sozialen Bewegungen. Viele dieser Akteure arbeiten bereits an verschiedenen Kernpunkten des sozial-ökologischen Umbaus. Die Idee eines linken Green New Deal entwickelt weltweit große Anziehungskraft. Damit kann politische Dynamik und Mobilisierung für einen grundlegenden Richtungswechsel in unserer Gesellschaft entstehen. Die Hoffnung ist: Wir sind nicht allein. Zum ersten Mal seit vielen Jahren besteht die Chance für ein gemeinsames weltweites linkes Projekt, das verschiedene Ansätze linker Politik (linkskeynesianische, ökologische, gewerkschaftliche und sozialistische) zusammenbringt und hegemonial macht.

 

Hegemoniekämpfe erhöhen die Kriegsgefahr

Inmitten der größten Pandemie gilt mehr denn je: Jedes öffentliche Gesundheitssystem in dieser Welt ist nur so stark wie sein ärmster Patient. Statt nationalistische Vorteilsnahme müssen gegenseitige Unterstützung und Solidarität die Antwort sein. Aber das Gegenteil passiert: Donald Trump versucht, sein Versagen in der Corona-Krise durch das Schüren von Ressentiments gegen China zu vertuschen. Das ist das Verhalten einer Weltmacht, die an Einfluss und wirtschaftlicher Bedeutung verliert. Die Veränderung bestehender Hegemonialverhältnisse und die Herausbildung einer neuen Weltordnung sind krisenhaft und brandgefährlich. Der US-Militäretat von fast 700 Milliarden Dollar ist höher als der der 15 Länder mit den höchsten Militärausgaben zusammen, dreimal höher als der von China und mehr als zehnmal so hoch wie der von Russland. Trump setzt vor allem auf wirtschaftlichen Protektionismus und unterminiert gezielt die noch bestehenden multilateralen Institutionen wie etwa die UNO oder auch die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Der von den USA angezettelte Handelskrieg mit wechselseitigen Zöllen oder deren Androhung sind Vorboten einer Verschärfung der Konflikte. Regionale Kriege, Konflikte im Nahen Osten und Konflikte innerhalb der NATO (z. B. mit der Türkei) nehmen zu. Ob das die Endmoräne der alten Hegemonie oder schon der Vorbote kommender Konflikte um eine Neuordnung der Welt ist – oder beides – ist noch offen. Sicher ist aber, dass die Kriegsgefahr seit Jahrzehnten nicht so groß war.

Auch Deutschland und die Europäische Union rüsten auf. Die Verteidigungsministerin kündigt inmitten der Corona-Krise an, 45 atombombenfähige Kampfjets in den USA kaufen zu wollen. Deutschland steigert seine Rüstungsausgaben mehr als jedes anders europäische Land. Für DIE LINKE gilt: Wir kämpfen für Friedenspolitik und Abrüstung – jetzt erst recht. Friedenspolitik bedeutet konkret: Abzug der US-Atombomben aus Deutschland. Es bedeutet, sich für ein Ende der Sanktionspolitik gegen Russland einzusetzen und für ein neues System kollektiver Sicherheit in Europa zu werben. Es bedeutet, die Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland und die unheilvollen deutschen Waffenexporte in die Krisengebiete dieser Welt zu beenden. Friedenspolitik bedeutet konkret: tatsächlich abzurüsten und nicht nur Sonntagsreden darüber zu halten. Wir brauchen einen neuen solidarischen Multilateralismus auf unserer Welt und weniger Waffen. Auch das ist schon jetzt eine Lehre aus der Pandemie.

 

Linke Mehrheiten und linke Verantwortung

Natürlich hat auch unsere Partei in den letzten Jahren die Erosion der verbliebenen Volksparteien und mit ihr die Verschiebungen im Parteiensystem diskutiert. Auch auf unserer Kasseler Zusammenkunft war das ein Thema. Kurzzeitig gab es nach dem Kniefall von CDU und FDP vor der AfD in Thüringen in Wahlprognosen eine Mehrheit links der Unionsparteien. Auf der Strategiekonferenz im Februar wurde vielfach dafür plädiert, in einer solchen Situation aktiv für eine linke Regierung zu werben. Gerade wenn die Grünen zur CDU schwanken und den Pfad einer schwarz-grünen Modernisierung – dann sicher ohne einen nennenswerten sozialen Umbau – wählen wollen, geht es darum, eine soziale Alternative stark zu machen.

Die Corona-Krise hat zwischenzeitlich die Bundesregierung gestärkt und die Union in neue Höhen geführt, auch die Sozialdemokratie gewinnt dazu, die Grünen verlieren signifikant und die FDP dümpelt knapp oberhalb der 5-Prozent-Hürde. Ob dies ein vorübergehender Zustand ist, der sich ändert, wenn unweigerlich die wirtschaftlichen und sozialen Fragen auf die Agenda kommen, wird auch daran liegen, inwieweit eine solidarische Alternative an Fahrt gewinnt. Schaffen wir es, links der Union einen Weg zur Durchsetzung sozialer Gegenentwürfe aufzuzeigen? Wenn ja, dann kann es gelingen, dass die künftige Normalität keine Rückkehr zum altbekannten Marktfundamentalismus wird, sondern eine neue soziale Demokratie begründet. Eine soziale Demokratie, die ihre Lehren aus der Corona-Krise zieht. Denn schon jetzt ist klar, dass es mit der Union keinesfalls einen solidarischen gesellschaftlichen Aufbruch geben kann.

DIE LINKE sollte bei den kommenden Bundestagswahlen offensiv das Ziel eines Politik- und Regierungswechsel vertreten. Dabei geht es nicht allein um Koalitions-Arithmetik, nicht zu allererst um rechnerische Mehrheiten, sondern um die Mehrheit für ein politisch linkes Gegenprojekt. Ein solches Projekt wird an der Regierung vor allem dann wesentliche Verbesserungen durchsetzen können, wenn es aus der Gesellschaft Druck bekommt, einen tatsächlichen progressiven Wandel einzuleiten. Wenn eine solidarische Mehrheit an die Möglichkeit der Veränderung glaubt und dafür mehr als nur Parteien einstehen, ist ein solcher Wechsel möglich.

Die Kräfte unserer Gegner sind groß und ihre mediale und finanzielle Macht ist gewaltig. Jede linke Regierung in Europa hat das bis jetzt erfahren müssen. Deshalb laden wir zu einer gesellschaftlichen Mobilisierung ein. Unser Konzept des sozial-ökologischen Umbaus ist ein politisches Angebot an Gewerkschaften, soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und natürlich auch an SPD und Grüne.

DIE LINKE kann gewinnen, wenn sie die Maßstäbe für die Regierungsfrage inhaltlich setzt und realistische Vorschläge eines radikalen Umsteuerns macht. Wir dürfen dabei weder Scheu vor der Verantwortung noch vor dem Risiko des Scheiterns zeigen. Der außerparlamentarische gesellschaftliche Druck und die politische Mobilisierung werden entscheidend dafür sein, ob wir helfen können, die Verhältnisse nach links zu rücken. Weder abstrakte Konstellationsdebatten noch eine abstrakte Verweigerung der Diskussion um gesellschaftliche Mehrheiten helfen wirklich weiter.

Vor der Corona-Krise galt, dass die nächste Bundestagswahl eine offene Wahl ohne Titelverteidigerin sein wird. Das war die alte Zeit. Wir meinen, auch heute ist noch längst nichts entschieden –  trotz der Tatsache, dass laut aktuellen Umfragen die Union als Krisengewinnerin wirkt. Noch sind wir nicht am Ende der Pandemie, sondern mittendrin. Unsere Chancen, solidarisch aus der Corona-Krise herauszukommen, steigen, wenn wir offensiv um solidarische Mehrheiten in der Gesellschaft und für eine andere Regierung kämpfen. 

Dass Regierung und Bewegung keine unversöhnlichen Gegensätze sein müssen, zeigt die Erfahrung der LINKEN in Berlin. Auch aus früheren Regierungsbeteiligungen hat DIE LINKE dort die Lehre gezogen, dass erfolgreiches Regieren vor allem mit einer aktiven, in Bewegungen präsenten Partei möglich ist. So war der Mietendeckel und der damit verbundene Eingriff in die Eigentumsrechte der Vermieter nur möglich, weil es eine breite, mobilisierte Mieter*innenbewegung gab und gibt, DIE LINKE in ihr aktiv ist und DIE LINKE in der Regierung den Druck der außerparlamentarischen Bewegung nutzt und in eine Politik im Interesse der Mieter*innen umsetzt. Eine solche Politik bietet auch die Chance, die in unserer Partei bislang häufig unversöhnlichen Gegensatz zwischen Kritiker*innen einer Regierungsbeteiligung und den Befürworter*innen konstruktiv aufzulösen, indem alle gemeinsam in und mit Bewegungen an der Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach links arbeiten.

 

DIE LINKE als Partei in Bewegung

Die politische Verankerung in der Gesellschaft, in den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, die Präsenz in den Stadteilen und Kommunen ist eine wesentliche Basis für die Stärke unserer Partei. Im gesamten Strategieprozess und auch in Kassel gab es unter den Anwesenden einen breiten Konsens, dass wir den begonnenen Weg einer demokratisch-sozialistischen Mitgliederpartei, einer Partei in Bewegung weitergehen wollen.

Dabei ist es wichtig, über die eigene politische Praxis zu reden, darüber, was viele tausende Mitglieder in der LINKEN machen. Sie tun diese Dinge in oft sehr unterschiedlichen Verhältnissen, in Ost und West, in Stadt und Land, in einkommensarmen Nachbarschaften und Mieter-Inis, in Betriebsgruppen im Krankenhaus oder im Kampf für die Verlängerung einer Buslinie, aus der Situation der Mehrheit in Kommune oder der neu gegründeten Ortsgruppe. Diese unterschiedlichen Erfahrungen und best practice zu verallgemeinern – das geht nur mit gelebter, innerer Solidarität.

Gesetze werden durch Parlamentsmehrheiten verändert, aber Gesellschaft verändert sich nicht nur im Parlament. Gesellschaft verändert sich durch die Klassenkämpfe und durch die Verknüpfung verschiedener Kämpfe. Hier kann und sollte DIE LINKE weiterhin verbinden, sich kümmern und neue Beziehungen herstellen. Es geht darum, wirtschaftliche und politische Machtverhältnisse infrage zu stellen und reale Verbesserungen im Lebensalltag zu erstreiten.

Deshalb gilt: DIE LINKE ist nicht nur irgendein Teil eines progressiven gesellschaftlichen Bündnisses. Vielmehr hat sie in einem solchen eine ganz bestimmte Funktion, nämlich die kämpferischen Teile zu stärken. Eine breitenwirksame Mobilisierung, die zugleich die Interessengegensätze in der konkreten Auseinandersetzung um sozial-ökologische Politik mit Kapitalismuskritik verbindet, ist ein notwendiges Merkmal unserer Politik.

Der Begriff einer verbindenden Klassenpolitik ist für viele in unserer Partei zu einem strategischen Anker geworden. Dazu gehört ein umfassender, inklusiver Begriff der Solidarität, der geeignet ist, die Interessen verschiedener Gruppen der Beschäftigten und Ausgegrenzten zusammenzuführen und ihre Kämpfe miteinander zu verbinden. Dazu gehören ein umfassender Interessenbegriff, der Arbeit und Reproduktion umfasst sowie Kämpfe und Auseinandersetzungen um Mieten, Pflege, Antirassismus. Vielfach entwickelt sich unsere Partei zu einem Ort, in dem die verschiedenen sozialen Gruppen der Gesellschaft zusammenfinden, zusammen Politik machen, kämpfen, feiern, kurzum zu einem Ort der Solidarität.

Der weitere Aufbau der Partei, die Organisierung in sozialen Brennpunkten, Haustür- und Stadtteilprojekte, der Ausbau der Kampagnenfähigkeit, der Auf- und Ausbau der politischen Bildung, die gezielte Ansprache verschiedener Beschäftigtengruppen, die politische Verankerung in den Gewerkschaften, der Ausbau unserer Position in den Kommunen, die Werbung neuer und die Aktivierung bestehender Mitglieder, ist das Lebenselixier einer sozialistischen Partei. Dazu gehört die Hilfe und das Kümmern um all jene, die sich verlassen und von niemandem mehr repräsentiert fühlen. Dazu gehört die Stärkung feministischer Kämpfe. Dazu gehört, die Partei als einen Ort migrantischer und antirassistischer  Selbstorganisation zu begreifen.

Dazu gehört auch, eine Sprache zu sprechen, die alle verstehen. Und dazu gehört auch ausdrücklich all jenen zuzuhören, die nicht wie wir reden und ihre Wünsche und Nöte zu begreifen. All das sind unerlässliche Elemente einer lebendigen linken Partei. All das tun wir bereits. Aber wir sollten es noch besser machen.

Dass Produktion und Reproduktion und damit Arbeit und Leben untrennbar zusammenhängen, ist ein breiter Konsens in der LINKEN. Daraus folgt, „das gute Leben für die Vielen“ zu erkämpfen, wie es Bettina Gutperl in Kassel sagte, heißt eben auch um die Aufhebung der Teilung von Leben und Arbeiten zu kämpfen. Nicht alles Politische ist privat, aber Produktion und Reproduktion müssen gleichberechtigt verteilt und in ihrer Logik verändert werden. Dass nur ca. 36 Prozent unserer Mitglieder Frauen sind, ist ein Auftrag das zu verändern. Die Quote hilft, aber es ist auch eine Frage der innerparteilichen Kultur und es Umgangs miteinander.

Antirassismus und der Kampf gegen Flüchtlingsfeindlichkeit, gegen Nationalismus und Ausgrenzung gehören zum Glutkern einer linken Partei. Aber welche Rolle spielen die hier lebenden Migranten*innen in der LINKEN? In der Strategiedebatte formulierten Linke mit migrantischen Elternhäusern klare Anforderungen: Mehr denn je sollte die Partei Migrant*innen ansprechen, die ein Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung ausmachen. Sie sind nicht nur Teil der Arbeiter*innenklasse, oftmals am schlechtesten bezahlt, mit deutlich schlechteren Chancen im Bildungssystem, bei der Wohnungssuche oder bei Arbeitsplatzbewerbungen. Sie müssen sich Alltagsrassismus erwehren und sind nicht ausreichend vor rechtsradikalen Anschlägen und gewalttätigen Übergriffen geschützt.

Nicht zuletzt aufgrund der jüngsten rassistischen Anschläge sind wir hier mehr denn je gefragt. Es ist die Aufgabe einer linken Partei, mit einer zeitgemäßen Klassenpolitik die Verbindung zwischen jenen herzustellen, deren Eltern schon immer hier lebten, jenen, die hier geboren wurden und jenen, die zu uns gekommen sind. Stehen wir für ein demokratisches Deutschland ein, für ein Land für alle, die hier leben.

Die Auseinandersetzung um die Frage, wer die Corona-Krise bezahlt, wird sich noch weiter zuspitzen. In dieser Situation sind die sozialen und fortschrittlichen Kräfte in der Gesellschaft gefragt. Wer sich nur im Abwehrkampf befindet, gerät schnell in die Defensive. Deshalb gilt es nicht nur, bestehende soziale Rechte zu verteidigen, sondern für Alternativen zu streiten. Dass die Konservativen und Neoliberalen besonders gut in der Lage wären, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen ist ein Märchen. Die gegenwärtigen Krisen zeigen: Deren Kurs wird unsere Gesellschaft nicht krisenfester machen, sondern uns vielmehr in die nächste Krise steuern, sei es die Klimakrise, eine weitere Wirtschaftskrise, eine verschleppte Corona-Krise oder wachsende Kriegsgefahr. Vielmehr kommt es jetzt darauf an umzusteuern, wirtschaftlich und gesellschaftlich: Wir wollen hin zu Wirtschaftsdemokratie, weg von Profitorientierung und hin zu einer am Gemeinwohl, sozialer Gerechtigkeit und Solidarität orientierten Ökonomie. Dafür brauchen wir Allianzen des Gemeinsamen, aktive soziale Bewegungen und fortschrittliche Parteien, die den Kampf um andere Mehrheiten aufnehmen.