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Bernd Riexinger

DIE LINKE muss die Kämpfe um Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden verbinden.

Erklärung von Bernd Riexinger

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich werde nach über acht Jahren als Parteivorsitzender der LINKEN nicht erneut für dieses Amt kandidieren. Achteinhalb Jahre umfassen weit mehr als die Hälfte des „Lebens“ unserer Partei DIE LINKE. Es war eine gute Zeit.

Ich habe die Arbeit als Parteivorsitzender sehr gerne gemacht und bin stolz darauf, dass wir DIE LINKE zu einer gesamtdeutschen Partei aufgebaut und weiterentwickelt haben, die heute eine stabile Kraft im bundesdeutschen Parteiensystem ist. Erstmalig seit Jahrzehnten etablierte sich in Deutschland eine gesamtdeutsche Partei links von der SPD. Das ist bei Weitem keine Selbstverständlichkeit.

Meine Geschichte ist mit der LINKEN verbunden, persönlich und exemplarisch. Vor der LINKEN war ich lange Jahre Linker ohne Partei, durchaus im guten Sinne ein radikaler Linker. Ich war Gewerkschaftsführer und habe – z.T. gegen das bleierne Zögern der Gewerkschaftsführungen – den Massenprotest gegen die Agenda 2010 mit auf die Füße gestellt mit einer Mobilisierung von unten. In der Falle von Globalisierung und Neoliberalismus brauchten die Gewerkschaften einen neuen strategischen Partner. Mit Blick auf die Demütigungen von Niedriglohn und Lohndrückerei, von Aushungern und Vermarkten des Öffentlichen war es überlebenswichtig, dass die gesellschaftliche Linke auch in einer Partei zusammenkommt. Deshalb habe ich die WASG mitgegründet und war danach lange Landessprecher der LINKEN in Baden Württemberg. Und deshalb hatte ich achteinhalb Jahre lang immer das Gefühl, hier genau am richtigen Ort zu sein.

Als Katja Kipping und ich den Vorsitz übernommen haben, war die Situation der LINKEN riskant: Befördert durch die Proteste gegen die Wirtschaftskrise, gegen Bankenrettung und Schuldenbremse waren die Umfragen und Wahlergebnisse schnell gewachsen. Aber die Parteientwicklung war nicht - konnte nicht - in der gleichen Geschwindigkeit hinterherkommen. Zum Teil litten wir auch daran, dass eine plurale LINKE eine neue Sache war. Ich erinnere mich noch gut an die Begeisterung der ersten Jahre, das elektrisierte Gefühl, dass inmitten einer der größten Angriffe des Kapitals DIE LINKE erstmalig stärker wird, zusammenkommt, statt sich über den richtigen Weg zu zerstreiten. Das war nicht einfach, durch alle Phasen der Parteientwicklung durchzuhalten. Die Erfahrungen mit und die Erwartungen an eine linke Partei waren unterschiedlich. Bei denen, die die Erfahrungen des Zusammenbruchs des „Staatssozialismus“ mitbrachten, andere, die jahrzehntelang Abwehrkämpfe führen mussten. Bei denen, die immer im Betrieb gekämpft haben und die, denen Gewerkschaften eher ein bisschen suspekt waren. Das ging nicht immer einfach so zusammen. Als Katja Kipping und ich den Vorsitz übernommen haben, hatte der Streit eine bedrohliche Größenordnung angenommen. Die Partei hatte sich in innerparteilichen Auseinandersetzungen zerrieben und wir hatten viele verloren. Es war unsere Aufgabe, die Partei zu einen und die anstehenden Bundestagswahlen zu bestehen. Beides ist gelungen. Wir haben angefangen mit Zuhören, Gespräche führen, die Basis besuchen, aufbauen, wertschätzen. Wir hörten auf, Mitglieder zu verlieren. Wir haben Perspektiven zusammengebracht, um das Gemeinsame zu stärken. Das Gemeinsame und nicht das Trennende in den Vordergrund zu stellen, war und ist eine Daueraufgabe der politischen Führung. Bei den Bundestagswahlen im folgenden Jahr war zwar das Ausnahmeergebnis aus der Zeit in der Finanzkrise nicht zu wiederholen, aber wir lagen deutlich über den Umfragen des Vorjahres. DIE LINKE wurde drittstärkste Kraft im Bundestag.

Nach der Bundestagswahl 2013 habe ich mit dem begonnen, wofür immer mein Herz besonders geschlagen hat: Programme für Nachwuchsbildung in der Partei auf den Weg bringen - nicht nur Wissensvermittlung, sondern Strategie, Organisierung, wie machen die jungen Leute die Partei vor Ort zu einem lebendigen, brummenden Zentrum, das für neue Mitglieder und Interessierte attraktiv ist? Und: Konzepte für Kampagnen, für eine neue Kultur in der Partei, für (Selbst-) Organisierung.

Von Anfang an war es mir wichtig, eine aktive verbindende Mitgliederpartei aufzubauen, die in der Gesellschaft verankert, bündnisfähig und verbunden mit den fortschrittlichen sozialen, ökologischen und demokratischen Bewegungen ist. Eine Partei, die klar und unbestechlich die Interessen der Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentnerinnen und Rentner vertritt, die vielfältigen Spaltungsprozesse als Folge der neoliberalen Politik überwinden und gemeinsame (Klassen) Interessen einer veränderten Erwerbsbevölkerung herauszuarbeiten und vertreten will. Die verlässlich ihre Stimme gegen Aufrüstung, Krieg und militärische Interventionen erhebt.

Wir wussten, wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Medien unsere Positionen wiedergeben, wir müssen unsere eigenen Kampagnen organisieren: Kampagnen, die Leute zum Mitmachen einladen, die vor Ort funktionieren und auch bundesweit. Derzeit, mit Pflegenotstand-stoppen und Mieten, sind wir in zentralen Auseinandersetzungen präsent. Wir sind verlässlicher Bündnispartner gegen Rechtsradikalismus und Rassismus. Ebenso im Kampf gegen Aufrüstung und Krieg.

Ich bin in meiner politischen Arbeit immer sehr von Antonio Gramsci beeindruckt gewesen. Nicht nur, weil er so unbeugsam war, weil seine Energie noch im Gefängnis für all diese Analysen und Schriften gereicht hat. Auch weil er immer so sehr die Menschen, ihren Blick auf die Welt einbezogen hat, weil er nicht in geschichtlichen Notwendigkeiten dachte, sondern in Kräfteverhältnissen, die verändert werden müssen.

Für eine linke Partei bedeutet das: Sie muss verankert sein in den Kommunen und Vereinen, in den Gewerkschaften, in den Nachbarschaften. Das passiert nicht von allein, das muss geplant werden, strategisch und politisch sein und muss so angelegt sein, dass sich die Menschen gern mit uns verbinden. Besonders in einer Zeit, in der sich viele von „der Politik“ abwenden, weil sie sich zu Recht nichts von der einen oder anderen Volkspartei versprechen. Viel meiner Arbeit ist hier reingegangen. Dass wir vom linken Community Organizing lernen und Projekte in den Nachbarschaften gründen. Eine ganze Reihe davon ist inzwischen aktiv. Sie organisieren Mieterinnen und Mieter gegen die Wohnungsbau-Riesen, sie stärken die Partei, sie besuchen die Menschen zu Hause und fragen, was ihnen wichtig ist. Bisher waren das nicht Teil einer wirklichen Parteientheorie und nicht bewusster Teil der Strategie zur Stärkung der LINKEN.

Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass die Kurve der Mitgliederzahlen wieder nach oben zeigt. Heute ist DIE LINKE im Westen deutlich stärker als vor acht Jahren. Zweidrittel unserer Neumitglieder sind unter 35 Jahre jung. Wir sind jünger, bewegungsorientierter und breiter aufgestellt. Wir sind migrantischer geworden. Wir hatten schon immer die härteste Frauenquote bei den internen Wahlen, wir gewinnen aber endlich auch zunehmend Frauen als Mitglieder. Die Zahl unserer Kommunalwahlmandate und damit unserer örtlichen Verankerung ist erheblich gestiegen. In der Mietenfrage wurde DIE LINKE zur führenden politischen Kraft, nicht zuletzt dank einer konsequenten Politik für die Mieterinnen und Mieter in Berlin. In Thüringen wurde der erste linke Ministerpräsident gewählt und bestätigt, wir konnten in Hessen erneut in den Landtag einziehen, wie auch in Hamburg dazu gewinnen, in Berlin und Bremen in die Landesregierung eintreten. Natürlich gab es auch Rückschläge, aber insgesamt konnten wir die Akzeptanz der LINKEN verbessern.

Die Partei hat neue Wählergruppen gewonnen. Gerade bei Beschäftigten im Gesundheitswesen, im sozialen Bereich und in den (neuen) Dienstleistungsbranchen verzeichneten wir deutliche Terraingewinne. Das sehe ich als großen Erfolg.

Ich war überwältigt, als ich bei meiner ersten Wiederwahl knapp 90 Prozent der Stimmen bekommen habe. Es war ein großes Kompliment, ein Vertrauensscheck, eine Anerkennung des Zuhörens und Zusammenführens. Mit den Jahren ist es normal, dass der Zuspruch etwas nachlässt. Wenn man frischen Wind und neue Ideen in die Partei einbringt, können nie alle mitgehen. Das ist normal und in Ordnung.  Auch wenn weniger gut ausgegangene Wahlen in manchen Ländern stärker den Vorsitzenden angelastet werden. Das ist zwar nicht ganz richtig, es ist aber auch nicht total falsch. Auch das auszuhalten, ist Aufgabe von Vorsitzenden. Ich war immer getragen von einem starken Rückhalt in der Partei, und das hat sich nicht geändert.

Auch inhaltlich programmatisch hat sich DIE LINKE weiterentwickelt. Nach und nach wurden in den wichtigsten Politikfeldern Konzepte ausgearbeitet und präzisiert. Bei der Gesundheitsversorgung, der Rente, dem Investitionsprogramm im öffentlichen Sektor, der Weiterentwicklung des Sozialstaates, der Steuerpolitik oder des Klimaschutzes liegen heute konkrete Konzepte auf dem Tisch, die eine klare und meist durchgerechnete Alternative zur vorherrschenden Politik formulieren. DIE LINKE sagt heute nicht nur, was sie ablehnt und bekämpft, sondern auch, wohin sie will und wofür sie positiv steht. Dazu haben zahlreiche Diskussions-Foren in den Regionen, zwei Zukunftskongresse, zahlreiche Fachtagungen, die Zusammenarbeit mit den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern der Fraktion beigetragen. Die Gespräche mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurden intensiviert und verbessert.

Ich will aber nicht versäumen, eine Auseinandersetzung anzusprechen, die mich besonders geschmerzt hat und die mir besonders nahe gegangen ist. Kurz nach der Bundestagswahl 2017 – bei der wir uns übrigens verbessern konnten – fing die Diskussion an, dass wir zu viel über Solidarität mit Geflüchteten sprechen und zu wenig über die Beschäftigten. Ein Vorwurf, der mir mit meinen über 50 Jahren Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht sehr nahe zu liegen schien. Ich weiß, nicht alle waren mit mir einverstanden. Ich war sehr froh und stolz, dass wir auf dem darauffolgenden Parteitag mit überwältigender Mehrheit Position bezogen haben. Dass wir für Menschlichkeit und Menschenrechte, und das heißt eben, für offene Grenzen stehen.

Für mich ist es eine existenzielle, linke Frage, dass wir nicht weichen, wenn gegen Geflüchtete und Menschen mit migrantischen Wurzeln gehetzt wird. Wenn Leute sagen, „dafür ist kein Geld da“, sagen wir nicht, „ach so“. „Die Leute ernst nehmen“, heißt nicht, ihnen nach dem Mund zu reden. Denn das die Menschen das Gefühl haben, für alles ist Geld da, nur für sie nicht, das ist ja nicht falsch, nur dass die Geflüchteten das nicht ändern können. Diese Gefühle müssen wir zum Gegenstand unserer Politik machen. Es ist kein Wunder, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass jeder für sich allein kämpft, statt in einer Gesellschaft zu leben, miteinander verbunden zu sein, wenn über Jahrzehnte soziale Strukturen abgebaut oder auf den Markt geworfen werden, die diese Zusammenhänge bilden. Wenn Menschen sich bei der Pflege ihrer Angehörigen scheinbar nur zwischen schlechter Versorgung, bankrott zu gehen oder einer "osteuropäischen Pflegekraft" zu Billigstlöhnen entscheiden können. Der rückenkranke Amazon-Arbeiter, die Krankenschwester vor dem Burnout, der Beschäftigte in der Rüstungsindustrie, der nicht in die Nachrichten schauen kann, die rumänischen Tönnies-Arbeiter, die sich mit Corona anstecken mussten. Die Menschen, die nicht wissen, wie sie die gestiegene Miete bezahlen sollen. Das sind die Erfahrungen, die Gefühle der Menschen, für die wir, für und mit denen ich mein Leben lang gearbeitet habe. In jedem Kampf liegt es nahe, wird es von oben nahegelegt, die Linien zwischen sich und dem Nachbarn, der Nachbarin, jemand, der oder die anders zu sein scheint, zu ziehen. Aber wir machen das nicht. Wir sind DIE LINKE. Solidarität ist unsere DNA.

Dass wir diese Debatte entscheiden konnten, ist nicht ohne Kosten geblieben. Einige versuchten, aus der Mitte der Partei heraus ein neues Projekt, vielleicht eine neue Partei zu gründen. Beides ist nicht gelungen. Jetzt geht es darum, uns mit Energie und mit Stolz auf die eigene Politik, die eigene Partei in die kommenden Auseinandersetzungen, in die Wahlen und Kampagnen, in die Organisierungen vor Ort zu werfen.

Zwei Themen waren und sind mir besonders wichtig: Wie in diesen unübersichtlichen Zeiten eine verbindende Klassenpolitik aussehen kann, warum sie ein wichtiger Bezugspunkt für eine linke Partei ist. Warum wir die vielfältigen Spaltungslinien, die die neoliberale Politik hinterlassen hat, überwinden müssen und damit die gemeinsamen Interessen der Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentnerinnen und Rentner konsequent vertreten können.

Und dass wir uns in die Umbrüche der Zeit mit einem eigenen Entwurf begeben müssen. Daher mein Plädoyer für einen sozialen und ökologischen Systemwechsel, für einen linken Green New Deal. Es gibt keinen Gegensatz von linker sozialer Politik und Klimagerechtigkeit. Linke Politik auf der Höhe der Zeit muss beides umfassen. Der Grundgedanke, dass wir eine Gesellschaft wollen, in der kein Mensch sich zwischen seinem Arbeitsplatz und der Zukunft seiner Kinder oder Enkel entscheiden muss, ist bestechend und motivierend. Das Interesse an auskömmlichen Löhnen und guter Arbeit, der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme, der öffentlichen Wohlfahrt und Infrastruktur wird verknüpft mit dem sozialökologischen Umbau der Wirtschaft, radikalem Klimaschutz, Abrüstung, Verteilungsgerechtigkeit und Wirtschaftsdemokratie. Weltweit gehen dafür Millionen Menschen auf die Straße. DIE LINKE kann Bündnisse und Allianzen schmieden, um ein solches gesellschaftliches Projekt, das zugleich ein internationales ist, auf den Weg zu bringen.

Wenn die Gesellschaft im Umbruch ist, hat DIE LINKE die Aufgabe, ein gesellschaftliches Projekt auf den Weg zu bringen, das sich gegen einen autoritären Kapitalismus wehrt und sich mit »greenwashing«, d.h. mit einer grünen Modernisierung des Kapitalismus, nicht zufrieden gibt. Sie muss die Kämpfe um Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden verbinden. Für diese große Aufgabe müssen sich die gesellschaftliche Linke und die Partei DIE LINKE weiterentwickeln. Ich bin überzeugt, dass DIE LINKE für die Zukunft gerüstet ist, wenn sie Einstiege in ein gesellschaftliches Projekt auf den Weg bringt, das gleichermaßen für soziale und Klimagerechtigkeit steht.

Ich werde noch bis zum nächsten Parteitag den Parteivorsitz ausüben. Trotzdem bedanke ich mich an dieser Stelle bei meinen engen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern, bei den vielen Genossinnen und Genossen, die unverdrossen an einer sozial gerechten Gesellschaft arbeiten, die sich einmischen, an der Seite streikender Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter stehen oder Teil sozialer Bewegungen sind oder sich in Gewerkschaften und Kommunalparlamenten engagieren. Sie sorgen dafür, dass DIE LINKE eine politisch wirksame Kraft in der Gesellschaft ist. Die vielen Kontakte und Begegnungen mit ihnen haben mich bereichert und wesentlich dazu beigetragen, dass ich mit Ausdauer und Optimismus meiner Aufgabe nachgegangen bin. Eine handlungsfähige linke Partei ist immer das Ergebnis der vielen engagierten Parteimitglieder. Sie sind es, die dafür sorgen, dass wir in Parlamenten auf allen Ebenen und auch im Bundestag vertreten sind.

Mit Katja Kipping verbindet mich von Anfang an eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir haben bewiesen, dass Teamarbeit zwischen zwei Vorsitzenden möglich ist, die aus unterschiedlichen politischen und kulturellen Zusammenhängen kommen und unterschiedliche Gruppen ansprechen, und die manchmal auch unterschiedlicher Auffassung sind. Wir haben zusammen einige Auseinandersetzungen bestanden und konnten uns aufeinander verlassen. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken.

Ich werde mich weiterhin mit Begeisterung und Optimismus für eine starke LINKE engagieren und freue mich auf die weiteren Schritte auf unserem gemeinsamen Weg.